:: 4/2012

Mehr Sicherheit im Verkehr trotz zunehmender Verkehrsdichte

Die Entwicklung des Verkehrsgeschehens auf Baden-Württembergs Straßen verlief in den vergangenen 6 Jahrzehnten mehr als rasant. Die Zahl der Kraftfahrzeuge (Kfz) ist seit 1952 auf das Dreizehnfache angestiegen, gleichzeitig hat sich auch die Struktur des Fahrzeugbestandes stark verändert. Waren im neugegründeten Bundesland Baden-Württemberg Krafträder das Hauptverkehrsmittel, so stellen heute die Personenkraftwagen (Pkw) allein 82 % des BestandeS. Der Ausbau der Infrastruktur konnte mit der enormen Zunahme des Straßenverkehrs kaum Schritt halten. Seit Beginn der 1950er-Jahre erhöhte sich die Länge der überörtlichen Straßen in Baden-Württemberg nur um 18 %. Die damit zwangsläufig einhergehende Zunahme der Verkehrsdichte hat vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren zu einer ständig wachsenden Unfallgefährdung der Verkehrsteilnehmer geführt. Zahlreiche Verbesserungen der Fahrzeugtechnik und eine kontinuierliche Verkehrssicherheitsarbeit weisen mittlerweile große Erfolge hinsichtlich der Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten auf.

1950er-Jahre: Motorräder sind das Hauptverkehrsmittel

Zu Beginn der 1950er-Jahre war der Besitz eines eigenen Autos etwas BesondereS. Ein »Volkswagen Standard« kostete beispielsweise über 4 000 DM1 und war bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in vergleichbarer Höhe für die meisten noch unerschwinglich. So blieben viele Baden-Württemberger beim Motorrad, das mit einem Anteil von 53 % am gesamten Fahrzeugbestand das Hauptverkehrsmittel des Individualverkehrs in dieser Zeit war. Nur ein gutes Viertel der Fahrzeuge waren Personenkraftwagen. Die damals in Baden-Württemberg produzierten motorisierten Zweiräder wie beispielsweise das »NSU-Quickly«, »Kreidler Florett«, der Heinkelroller »Tourist« sowie die Krafträder der Firma Maico waren weit über die Landesgrenzen bekannt.

1960er-Jahre: Der Siegeszug des Pkw dauert an

Doch schon bald ließ der allgemeine Wirtschaftsaufschwung die Nachfrage nach Pkw in raschem Tempo ansteigen. Bereits 1958 waren erstmals mehr Pkw als Motorräder in Baden-Württemberg zugelassen. Neben »VW-Käfer«, »Opel Kapitän«, »Ford M« – um nur einige zu nennen – waren auch Fahrzeuge »Made in Baden-Württemberg« wie der »Adenauer-Benz« (Mercedes 300) sowie der wesentlich preiswertere »NSU-Prinz« bekannte Modelle dieser Zeit.

Mit zweistelligen Zuwachsraten hielt der Siegeszug des Pkw bis Mitte der 1960er-Jahre weiter an. Rasch zählte Baden-Württemberg zu den am stärksten motorisierten Bundesländern. 1960 kamen auf 1 000 Einwohner 160 zulassungspflichtige Kraftfahrzeuge, bundesweit waren es nur 109. Hätte man die rund 1,2 Mill. Fahrzeuge damals auf alle klassifizierten Straßen des Landes gleichmäßig verteilt, wäre auf 20 m ein Kraftfahrzeug gekommen, heute wären es nur noch 4 m. Im Laufe der 1970er-Jahre stieg die Zahl der Pkw von 2 Mill. auf 3 Mill. an. Erst Anfang der 1980er-Jahre verlangsamte sich das Wachstum des Pkw-BestandeS. Er erhöhte sich zwar weiterhin jährlich, jedoch mit weitaus geringerer Dynamik. Am 1. Januar 2011 kamen 655 Fahrzeuge auf 1 000 Einwohner, im Bundesdurchschnitt waren es 623.2 Insgesamt stellen heute die Personenkraftwagen rund 82 % des Fahrzeugbestandes im Land.

Motorisierung in der Landwirtschaft vollzieht sich in großen Schritten

Schon gleich zu Beginn der 1950er-Jahre verhalf die zunehmende Motorisierung in der Landwirtschaft der Landmaschinenindustrie zu einer stürmischen Entwicklung. Der große Nachholbedarf ließ den Bestand an Zugmaschinen innerhalb kürzester Zeit, das heißt schon bis Anfang der 1960er-Jahre, auf etwa 50 % des heutigen Bestands anwachsen. Danach fand zwar immer noch eine jährliche Bestandsausweitung statt, jedoch mit nur noch moderaten Zuwächsen. Deutlich weniger dynamisch entwickelte sich die Ausstattung mit Lastkraftwagen (Lkw). Noch bis Mitte der 1960er-Jahre hatte die Eisenbahn den Hauptanteil an der Güterverkehrsleistung, erst danach begann sich der Straßengüterverkehr als Hauptverkehrsträger durchzusetzen. Der Lkw-Bestand erhöhte sich zwar kontinuierlich, jedoch in deutlich kleineren Schritten und erreicht heute einen Anteil von 4 % am Fahrzeugbestand.

1970er-Jahre: Renaissance der motorisierten Zweiräder

Das motorisierte Zweirad erlangte überraschend Ende der 1970er-Jahre – nach einem Tiefstand von 36 000 Fahrzeugen im Jahr 1971 – wieder zunehmend an Bedeutung. Von entscheidendem Einfluss auf diese neue Entwicklung war das Auftreten zulassungsfreier motorisierter Zweiräder, die teilweise das Fahrrad verdrängt haben. Mitte 1976 gab es über 361 000 zulassungsfreie motorisierte Zweiräder, davon 325 000 nur mit Versicherungskennzeichen wie zum Beispiel Moped, Mokick, Mofa 25.3 Aber auch der Anteil der zulassungspflichtigen Krafträder am Gesamtbestand erhöhte sich danach wieder und liegt derzeit bei rund 8 %, im Vergleich zu ehemals 53 % im Jahr nach der Gründung Baden-Württembergs.

Seit 1952 verloren über 93 000 Menschen ihr Leben im Straßenverkehr

Der Ausbau der Infrastruktur konnte jedoch mit der enormen Ausweitung des Verkehrs nicht ganz Schritt halten. Das baden-württembergische Straßennetz wuchs längenmäßig seit Beginn der 1950er-Jahre lediglich um knapp 18 %, seit 1970 sogar nur noch um gut 2 %. Auch wenn dabei der Ausbau der Autobahnen und Bundesstraßen, auf denen heute knapp die Hälfte aller Fahrleistungen erbracht wird, stärker vorangetrieben wurde, bleibt die durch die immer weiter steigende Belastung der Straßen extrem erhöhte Verkehrsdichte. Neben den Umweltbelastungen hatte dies auch weitreichende Folgen hinsichtlich der Unfallgefährdung im Straßenverkehr, auch wenn sich das Unfallgeschehen glücklicherweise nie proportional zu Verkehrsaufkommen und -dichte entwickelte.

Dennoch verloren in den vergangenen 60 Jahren über 93 000 Menschen – eine Zahl die ungefähr der Bevölkerung von Esslingen am Neckar entspricht – ihr Leben auf baden-württembergischen Straßen. 1952 verunglückten 1 330 Menschen tödlich, das bedeutet, dass der Straßenverkehr im neugegründeten Bundesland Baden-Württemberg täglich im Durchschnitt vier Todesopfer forderte. Damit war das Risiko, im Straßenverkehr zu Tode zu kommen, seinerzeit trotz des niedrigeren Verkehrsaufkommens mit 20 Verkehrstoten je 100 000 Einwohner viermal höher als heute. Gegenwärtig liegt es bei fünf Verkehrsopfern je 100 000 Einwohner.

Anstieg der Unfallzahlen niedriger als Zunahme des Verkehrsaufkommens

Zwar stieg die Gesamtzahl der Unfälle in 6 Jahrzehnten von 58 000 Unfällen auf über 275 000 im Jahr 2010 an, gegenüber der Verkehrsentwicklung verlief diese Zunahme jedoch unterproportional. Dies wird vor allem bei Betrachtung der Unfallquote bezogen auf 1 000 Kraftfahrzeuge deutlich: 1952 kamen 110 Unfälle auf 1 000 Fahrzeuge, 1980 waren es 58 Unfälle und 2010 rund 39 Unfälle. Zudem resultiert die hohe Steigerung der Unfallzahlen vor allem aus dem Anstieg der Sachschadensunfälle, der sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Die Zunahme der Unfälle mit Personenschaden verlief wesentlich moderater und hielt auch nur bis zum Ende der 1970er-Jahre an, danach ging deren Zahl zurück. Sie lag 2010 mit rund 34 000 auf dem bisher niedrigsten Niveau.

Entsprechend spiegelt sich diese Entwicklung auch in den Verunglücktenzahlen wider. Diese verzeichneten, ausgehend von fast 40 000 Verunglückten im Jahr 1952, bis zum Beginn der 1970er-Jahre einen merklichen Zuwachs und erreichten ihren Höhepunkt 1972. Mit 2 919 Todesopfern und über 75 000 Schwer- und Leichtverletzten wies die Unfallbilanz in diesem Jahr ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen Baden-Württembergs auS. Damals verloren im Durchschnitt täglich acht Menschen auf den Straßen des Landes ihr Leben.

Nach diesem traurigen Rekord verminderte sich jedoch von Jahr zu Jahr sowohl die Zahl der Unfalltoten als auch die der Verletzten. Mit 494 getöteten und rund 8 400 schwer- und 36 000 leichtverletzten Verkehrsteilnehmern wurde im Jahr 2010 der bisher niedrigste Stand seit 1952 erreicht. Auch ist der Schweregrad der Unfallfolgen im Laufe der Zeit gesunken. Auf 1 000 Verunglückte kamen 1953 noch 37 Getötete, 402 Schwer- und 561 Leichtverletzte, 2010 waren es 11 Getötete, 187 Schwer- und 802 Leichtverletzte (Schaubild 2).

Anteil der verunglückten Radfahrer steigt

Entsprechend der Umstrukturierung des Fahrzeugbestandes hat sich auch die Struktur der Unfallbeteiligten verändert. Bis Anfang der 1960er-Jahre bestand knapp die Hälfte der Verunglückten aus Nutzern von Motorzweirädern. Inzwischen macht deren Anteil etwa 13 % auS. Im Gegenzug hat sich der Anteil der verunglückten Pkw-Insassen von ehemals 15 % auf knapp 60 % erhöht.

Für Fußgänger waren die 1950er- und 1960er-Jahre am gefährlichsten. Fast 20 % der im Straßenverkehr Verunglückten waren damals zu Fuß unterwegs, heute sind es rund 8 %. Radfahren gewann in den letzten Jahren zunehmend an Beliebtheit, was sich auch in seit Anfang der 1980er-Jahren steigenden Verunglücktenzahlen, mit einem Anteil von mittlerweile fast 16 %, niederschlägt.

Mehr Senioren unter den Verunglückten

Nach Altersgruppen betrachtet war in den 1960er- und 1970er-Jahren vor allem die hohe Zahl der Kinderunfälle alarmierend. Der Anteil der verunglückten Kinder im Alter von 0 bis unter 15 Jahren an allen Verunglückten lag zwischen 11 und 13 %. Derzeit sind es knapp 8 %. Die Verkehrserziehung erhielt einen großen Stellenwert und zahlreiche Maßnahmen wurden initiiert. Deren Erfolge spiegeln sich im Rückgang sowohl der Zahl der verunglückten Kinder absolut als auch anteilsmäßig wider – allerdings sank auch inzwischen die Zahl der Kinder in Baden-Württemberg.

Auch der Verunglücktenanteil der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppe – der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren – ist nach dem Höhepunkt mit einem Anteil von über 30 % im Jahr 1985 wieder rückläufig, liegt jedoch immer noch bei 20 %. Konträr hierzu entwickelte sich das Unfallgeschehen bei Senioren. Der Anteil der Verunglückten über 65-Jährigen steigt seit den 1970er-Jahren an und beläuft sich auf heute 10 %. Hier erhöhte sich jedoch auch deutlich der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe in diesem Zeitraum von rund 14 auf derzeit knapp 20 %.

Erfolgreiche Verkehrssicherheitsarbeit

Die in Anbetracht des stark gewachsenen Verkehrsvolumens insgesamt erfreulich rückläufige Entwicklung des Unfallgeschehens ist das Ergebnis einer vielseitigen Verkehrssicherheitsarbeit. Neben Verbesserungen der Infrastruktur führte vor allem die Einführung zahlreicher gesetzlicher Regelungen wie beispielsweise Einführung von Tempolimits, Senkung der Promillegrenzen, Gurtanlege- und Helmtragepflicht zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit. Einen weiteren wesentlichen Beitrag – vor allem bezüglich der Verringerung des Schweregrads der Unfallfolgen – leisteten Fortschritte in der Fahrzeugtechnik wie zum Beispiel Airbags, das Antiblockiersystem ABS sowie neuerdings das Elektronische Stabilisierungsprogramm ESP, das dem Ausbrechen der Fahrzeuge entgegenwirkt. Nicht zuletzt führten die Erfolge im Ausbau des Rettungswesens – an dem auch maßgeblich die in Baden-Württemberg gegründete Björn Steiger Stiftung beteiligt war – zur Begrenzung der Unfallfolgen bei. Eine Rolle spielt sicherlich auch, dass die meisten heutigen Verkehrsteilnehmer eine längere Fahrpraxis als zu Beginn der Motorisierung aufweisen. Damals waren die meisten Pkw-Nutzer noch Fahranfänger.

1 Der VW Käfer und seine deutschen Konkurrenten, Stand: Februar 2012.

2 Seit dem 1. Januar 2008 werden im Kfz-Bestand nur noch angemeldete Fahrzeuge ohne vorübergehende Stilllegungen berücksichtigt. Dadurch hat sich der nachgewiesene Kfz-Bestand um rund 10 % verringert.

3 Mach, Norbert: »Zweiradfahrzeuge im Straßenverkehr«, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 07/1977, Seite 200.