:: 4/2012

Die öffentlichen Haushalte 60 Jahre nach der Gründung des Landes

Im Grundgesetz (GG) wird den Kommunen in Artikel 28, Absatz 2 das Recht auf Selbstverwaltung garantiert, das heißt alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Artikel 106 GG weist den Kommunen dazu bestimmte Steuereinnahmen zu. Im Gegensatz zum Bund und den Ländern ist die Aufgabenzuweisung an die Kommunen im Grundgesetz nicht weiter konkretisiert und deren Umfang ist durchaus unterschiedlich. Insgesamt hat die wirtschaftliche Bedeutung der Kommunen mittlerweile beachtliche Ausmaße angenommen.

Während das Ausgabenvolumen der kommunalen Haushalte bis zum Krisenjahr 2009 fast kontinuierlich auf über 40 Mrd. Euro anstieg, ist dieser Trend beim Landeshaushalt nur bis 1997 zu beobachten. Die anschließende Entwicklung verlief deutlich gedämpfter und die 35 Mrd.-Euromarke wurde nur selten überschritten. Gegenüber dem Gründungsjahr des Landes weisen sowohl der Landes- wie die kommunalen Haushalte heute Ausgaben von einem Vielfachen der damaligen Ausgaben aus.1

Struktur und Ausgaben der kommunalen Haushalte im Wandel

Außerhalb des Grundgesetzes sind die kommunalen Pflichtaufgaben fachgesetzlich auf Dauer festgelegt. Langfristig bewirken Veränderungen in den gesellschaftlichen und politischen Erwartungen an die öffentliche Verwaltung allerdings eine Anpassung dieser gesetzlichen Grundlagen. Der ständige Wandel der Erwartungen schlägt sich jedoch zuerst auf die freiwilligen Leistungen der öffentlichen Verwaltung nieder. Die unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklungen, neue technische Entwicklungen im Verkehrswesen, gewandelte Einstellungen zum Schutz der Umwelt sowie auch allgemein veränderte Ansprüche an die Verwaltung vor Ort führten so letztlich zu einer Aufgabenmehrung und verbunden damit zu einer entsprechenden Ausgabensteigerung.

In dem Maß, wie sich in den Jahrzehnten seit der Gründung des Landes die Aufgabenstruktur der Kommunen verändert hat, waren auch die entsprechenden Grundlagen des Gemeindewirtschaftsrechts im weiteren Sinn anzupassen. Zur Zeit der Landesgründung stand zum Beispiel noch die Sicherstellung von ausreichend Wohnraum als Ersatz für die zerstörten Wohngebäude und für die vielen Neubürger als direkte Kriegsfolge im Vordergrund. In den 2 Jahrzehnten danach erforderte der sich rasch ausbreitende massive wirtschaftliche Aufschwung entsprechende Investitionen in die Infrastruktur des LandeS. Darüber hinaus verlangten die geburtenstarken Jahrgänge eine Verbesserung der Bildungsstrukturen, was in den Kommunen riesige Bauinvestitionen und auch einen enormen Stellenzuwachs mit allen Folgekosten in diesem Bereich nach sich zog.

Die letzten beiden Jahrzehnte des Jahrhunderts waren dann gekennzeichnet von geringeren Zuwächsen der wirtschaftlichen Leistung bei einem gleichzeitigen stärkeren Anstieg der Ausgaben für soziale Zwecke vor allem auch infolge der höheren Arbeitslosigkeit und deren Folgeerscheinungen. Ausgelöst durch kriegerische Konflikte im früheren Jugoslawien, aber auch in Afrika und Asien, mussten vorübergehend sehr viele Asylbewerber untergebracht und versorgt werden. In der vielerorts zahlenmäßig schrumpfenden Gesellschaft stehen heute besonders die Kinder im Blickfeld der Kommunen. Neben der Verbesserung der Bildungseinrichtungen allgemein wird vor allem der Auf- und Ausbau einer umfassenden Kleinkindbetreuung erwartet.

Auslagerungen und neues kommunales Haushaltsrecht

Eine besondere Bedeutung für die Bewältigung der Aufgaben- und Ausgabenzuwächse haben die Möglichkeiten der Gemeinden gewonnen, bestimmte Aufgaben in eigenen, rechtlich selbstständigen oder unselbstständigen Einrichtungen oder gemeinsam mit anderen Gemeinden in Zweckverbänden zu erledigen oder auch durch Übertragung der Aufgaben auf privatwirtschaftliche Unternehmen erledigen zu lassen. War die Diskussion um die Privatisierung anfangs noch durch den politischen Aspekt bestimmt, welche Aufgaben über die hoheitlichen Bereiche hinaus am besten durch die Gemeinden erledigt werden sollten, stehen mittlerweile eher die wirtschaftlichen Aspekte der Aufgabenausgliederung im Fokus der Diskussion.

Wirtschaftliche Aspekte führten dann auch dazu, das kamerale kommunale Rechnungswesen grundsätzlich in Frage zu stellen. Als Voraussetzung für ein effizientes Wirtschaften der Kommunen wird zunehmend ein betriebswirtschaftlich ausgerichtetes Rechnungswesen angesehen. Damit rückte auch im Land die kommunale Doppik immer stärker in das Blickfeld der Kommunalpolitik. Als Folge der Ausgliederungen wurden in vielen Kommunen neben den eigentlichen Kernhaushalten gelegentlich eine Reihe weiterer Haushalte geführt. Brachte die Aufgabenauslagerung für die Statistik Unsicherheiten bezüglich der vollständigen Erfassung der ausgegliederten Einheiten mit sich, so führt die Hinwendung zur kommunalen Doppik potentiell wieder zu einer Bereinigung der Situation. Die kommunale Doppik bietet bei ausreichender statistischer Erfassung mit der Gesamtbilanz ein geeignetes Instrument, mit dem über alle ausgelagerten Aufgaben hinweg ein kompletter Überblick geboten wird. In der Zukunft wären dann auch wieder aussagekräftigere Vergleiche zwischen Gemeinden, Regionen und über Perioden hinweg mit weniger Einschränkungen als heute erlaubt. Möglich wird dies aber nur, wenn am geltenden Recht, das einen Umstellungsprozess hin zum doppischen Rechnungswesen bis zum Jahr 2016 vorsieht, festgehalten wird.

Volumina der öffentlichen Haushalte vervielfachten sich

Die wichtigste Einnahmeart der Kommunen sind die Steuereinnahmen. Das war 1952 so und ist es heute noch immer. Damals sorgten die Steuereinnahmen für weniger als ein Drittel der Einnahmen, heute entfallen etwas über 40 % der kommunalen Einnahmen auf die Steuern. Die wichtigsten Steuerarten sind die Gewerbesteuer, die fast die Hälfte zum Steueraufkommen beiträgt, sowie die Gemeindeanteile an der Einkommenssteuer. Gewichtig, allerdings mit einem deutlich geringeren Anteil, ist auch die Grundsteuer. Neben den Steuern stehen als Einnahmequelle den Kommunen vor allem die Zuweisungen und Zuschüsse, die im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs von Seiten des Landes geleistet werden, zur Verfügung.

Die Ausgaben der kommunalen Haushalte des Landes lagen 2010 bei 38,7 Mrd. Euro. Auf die Personalausgaben entfielen 6,8 Mrd. Euro, auf die Ausgaben für den sächlichen Verwaltungsaufwand 5 Mrd. Euro und auf die Ausgaben für Sozialleistungen 4,5 Mrd. Euro. In der Kapitalrechnung, in der die direkt vermögenswirksamen Einnahmen und Ausgaben zusammen gefasst sind, wurden 4,5 Mrd. Euro an Ausgaben ausgewiesen. Auf Baumaßnahmen entfielen davon rund 3 Mrd. Euro, auf den Vermögenserwerb ca. 1 Mrd. Euro. Die Volumina, welche die kommunalen Haushalte in der Summe heute angenommen haben, übersteigen die entsprechende Größe für das Gründungsjahr des Landes in etwa um das 40-Fache. Nicht weniger gravierend als die Steigerungsraten waren über die 60 Jahre des Beobachtungszeitraums die Veränderungen bezüglich der Ausgabenarten. Wie anfangs bereits ausgeführt hat der gesellschaftliche Wandel in diesem doch recht langen Zeitraum zu einer beachtliche Umstrukturierung der Ausgabenschwerpunkte geführt.

Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Landeshaushalt. Die Einnahmen des Landes summierten sich im Jahr 2010 auf 37 Mrd. Euro. Davon kamen 1,6 Mrd. Euro aus der Nettokreditaufnahme am Kreditmarkt. Weitere 24,8 Mrd. Euro oder rund zwei Drittel der Einnahmen entfielen auf die Steuereinnahmen. Im Jahr 1952 lag dieser Anteil mit weniger als 60 % noch deutlich darunter. Daneben erhält das Land Zuweisungen vom Bund sowie die Finanzausgleichsumlage von den Gemeinden und den Landkreisen. Eine gewisse Rolle spielen auch die Einnahmen des Landes aus dessen wirtschaftlicher Tätigkeit.

Die Ausgaben des Landes summierten sich im Jahr 2010 auf 36,2 Mrd. Euro. Mit einem Anteil von aktuell knapp 40 % gegenüber 33 % im Gründungsjahr des Landes stellen damals wie heute die Personalausgaben die größte Ausgabenposition im Landeshaushalt dar. Der laufende Sachaufwand belief sich im Jahr 2010 auf 2 Mrd. Euro. An laufenden Zuweisungen und Zuschüssen leistete das Land 2010 rund 13,8 Mrd. Euro. Etwas mehr als die Hälfte davon (7,6 Mrd. Euro) entfiel auf die Zuweisungen des Landes an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Rahmen des kommunalen FinanzausgleichS. Die Zahlungen des Landes im Rahmen des Finanzausgleichs der Länder untereinander, mit dessen Hilfe die sich aus den Steuereinnahmen ergebenden Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern ausgeglichen werden, lagen im Jahr 2010 bei 1,1 Mrd. Euro. Im Jahr der Gründung des Landes mussten 33 Mill. Euro an die anderen Länder überwiesen werden. Zu den genannten Ausgaben des Landes kamen 2010 die Ausgaben für den Erwerb von Vermögen und den Zuweisungen und Zuschüssen für Investitionen in Höhe von 3,9 Mrd. Euro.

Ausgaben > Einnahmen = Schulden

Die Tatsache, dass sowohl beim Land als auch bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Laufe der Jahrzehnte die Ausgaben die Einnahmen deutlich überstiegen haben, hat zu einem sukzessiven Anwachsen des baden-württembergischen »Schuldenbergs« geführt. Ende 2010 war das Land mit rund 42,7 Mrd. Euro und die Gemeinden bzw. Gemeindeverbände mit rund 6,1 Mrd. Euro beim nicht-öffentlichen Bereich2 – sprich bei Kreditinstituten und bei sonstigen nicht-öffentlichen Einrichtungen im In- und Ausland – verschuldet.

Neben diesen sogenannten »Kämmereischulden« sind auch die Schulden zu berücksichtigen, die den aus den Kernhaushalten ausgelagerten Fonds, Einheiten und Unternehmen (FEU) zuzuordnen sind. Dabei handelt es sich zum einen um rechtlich unselbstständige Einheiten von Land, Gemeinden und Gemeindeverbände – sprich die Landes- und Eigenbetriebe – und zum anderen um rechtlich selbstständige Einheiten, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist. Diese FEU (einschließlich der Zweckverbände)3 waren Ende 2010 mit insgesamt weiteren 44 Mrd. Euro beim nicht-öffentlichen Bereich verschuldet. Entsprechend der Mehrheitseigner entfallen von diesen 44 Mrd. Euro 15,7 Mrd. Euro auf das Land und 28,4 Mrd. Euro auf den kommunalen Bereich. Die gesamten Schulden des Landes beim nicht öffentlichen Bereich liegen demnach bei knapp 58,4 Mrd. Euro, die der Kommunen bei 34,5 Mrd. Euro.

Im »Geburtsjahr«4 des Landes Baden-Württemberg war das Land mit 1,1 Mrd. Euro, die Gemeinden und Gemeindeverbände mit 0,3 Mrd. Euro verschuldet. Rein rechnerisch hat sich die durchschnittliche Verschuldung eines Baden-Württembergers somit seit Bestehen des Landes – auch ohne Berücksichtigung der FEU – von knapp 200 Euro auf nunmehr gut 4 500 Euro erhöht. Da während dieser Zeit der allgemeine Wohlstand deutlich zugelegt hat und die Kaufkraft des Geldes gesunken ist, wird die wirtschaftliche Bedeutung durch diese Zahlen deutlich überzeichnet. Denn heute sind zum Beispiel 1 000 Euro Schulden wesentlich einfacher zu tilgen als noch 1952.

1 Dies trifft auch zu, wenn man die Entwicklung der Verbraucherpreise mit berücksichtigt. Nach dem Verbraucherpreisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1952 bis 1968 Verbraucherpreisindex für einen Vier-Personen Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen) hat sich die Kaufkraft der D-Mark bzw. des Euro seit dem Jahresdurchschnitt 1952 auf weniger als ein Viertel verringert.

2 Hierzu zählen: Kredite, Wertpapierschulden und Kassenkredite. Die Definition »nicht-öffentlicher Bereich« kommt – unter Abzug der Kassenkredite – der Definition »Kreditmarktschulden«, die bis einschließlich 2009 verwendet wurde, am nächsten.

3 FEU mit Sitz in Baden-Württemberg. Bei sogenannten »Mehrländerunternehmen«, das heißt Eigner auch außerhalb des Landes erfolgt hier keine anteilige Aufteilung der Schulden.

4 Da für 1952 keine Daten vorliegen, wurde auf das Jahr 1953 zurückgegriffen.