:: 5/2012

Die Hilfsangebote der Kinder- und Jugendhilfe: ein breites Leistungsspektrum

Wenn Kinder und Jugendliche in schwierige Lebenssituationen geraten, benötigen sie häufig professionelle Hilfe. Die Jugendämter der Stadt- und Landkreise, insbesondere deren soziale Dienste, aber auch freie Träger der Jugendhilfe bieten ein breites Spektrum an Hilfen zur Erziehung. Wie wichtig die Arbeit der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe in diesem Bereich ist, zeigt die Tatsache, dass die Zahl der erzieherischen Hilfen (einschließlich Eingliederungshilfen für seelisch behinderte junge Menschen) von knapp 98 800 im Jahr 2007 auf gut 111 300 im Jahr 2010 gestiegen ist. Dies ist ein Anstieg von 13 %.

Erzieherische Hilfen im Überblick: Differenzierte Angebote je nach Lebenssituation

Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), das zum 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist, sind die erzieherischen Hilfen sowie die Hilfen für junge Volljährige im Einzelfall geregelt. Als Erziehungshilfen werden die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammengefasst, die in besonderen Lebenssituationen Unterstützung und Hilfe für Heranwachsende und ihre Familien vermitteln. Auf diese besteht ein Rechtsanspruch, wenn eine dem »Wohl des Kindes und des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist«.1

Im Folgenden werden immer im jeweiligen Jahr beendete und am Jahresende andauernde Hilfen betrachtet. Erzieherische Hilfen gibt es in ambulanter bzw. teilstationärer und stationärer Form. Bei den ambulanten Hilfeangeboten handelt es sich um institutionelle Beratungen, Betreuungen für einzelne junge Menschen und sozialpädagogische Familienhilfen. Auch die Tagesgruppenerziehung als teilstationäre Hilfeart verfolgt das Ziel, auftretende Entwicklungsprobleme junger Menschen unter 27 Jahren so weit wie möglich im Familienverbund zu bewältigen. 2010 haben mehr als 56 000 junge Menschen Beratungsstellen aufgesucht. Darüber hinaus wurden über 5 400 junge Menschen durch Erziehungsbeistände oder Betreuungshelfer und über 4 000 durch soziale Gruppenarbeit betreut. Etwas mehr als 12 000 Familien erhielten Unterstützung durch die sozialpädagogische Familienhilfe. In einer Tagesgruppenerziehung befanden sich im Jahr 2010 etwas über 4 000 junge Menschen unter 18 Jahren. Damit entfielen rund zwei Drittel der ambulanten und teilstationären Hilfen auf die Erziehungsberatung.

Zu den stationären Erziehungshilfen zählen die Vollzeitpflege in anderen Familien (rund 7 700 Fälle) und die Heimunterbringung oder Erziehung in betreuten Wohnformen (rund 7 800 Fälle), die 2010 zusammen etwa 92 % der stationären Hilfen ausmachten. Darüber hinaus sind es die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (rund 800 Fälle) sowie flexible, sonstige erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses (rund 600 Fälle). Stationäre Hilfen werden in Anspruch genommen, wenn durch familiäre Konflikte die räumliche Trennung von Eltern und Kindern in schwierigen Entwicklungsphasen notwendig wird.

Erziehungsberatung: Häufig die erste Anlaufstelle

Sowohl Eltern als auch junge Menschen, die sich in schwierigen Lebensumständen befinden, erhalten nach § 28 SGB VIII in der Erziehungsberatung Unterstützung und therapeutische Begleitung. Die Anlässe der Beratungsgespräche sind vielschichtig. Es kann sich beispielweise um Belastungen durch familiäre Konflikte, Entwicklungsauffälligkeiten oder seelische Probleme, Auffälligkeiten im sozialen Verhalten sowie schulische oder berufliche Probleme des jungen Menschen handeln. Die Beratung wird in Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstellen durchgeführt, die von öffentlichen, aber auch freien Institutionen getragen werden. Aufgrund ihres niedrigschwelligen Charakters sind Erziehungsberatungen häufig die ersten Anlaufstellen für Hilfe suchende Eltern oder junge Menschen.

2010 haben 56 370 junge Menschen die Hilfe von Beratungsstellen öffentlicher und freier Träger allein, mit ihren Eltern oder mit ihrer Familie in Anspruch genommen. Mit einem Anteil von gut der Hälfte an allen erzieherischen Hilfen ist die Erziehungsberatung die am häufigsten gewährte Hilfeart. Rund 90 % der Erziehungsberatungen richteten sich an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (Schaubild 3). In der Mehrheit (55 %) sind es Jungen und junge Männer, die diese Beratung in Anspruch nehmen. Etwa 29 % aller beratenen jungen Menschen hatten mindestens einen Elternteil ausländischer Herkunft.

Betreuung einzelner junger Menschen durch …

Durch die ambulante Einzelbetreuung soll jungen Menschen bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und bei Problemen mit ihrer Umwelt geholfen werden. Die Unterstützung erfolgt in Form von Erziehungsbeiständen bzw. Betreuungshelfern oder durch soziale Gruppenarbeit.

… Erziehungsbeistand oder Betreuungshelfer

Hilfe und Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand oder einen Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII) soll jungen Menschen zu mehr Selbstständigkeit verhelfen, ohne sie aus ihrem jeweiligen sozialen Umfeld zu lösen. 2010 wurde 4 011 jungen Menschen ein Erziehungsbeistand zur Seite gestellt. Der Erziehungsbeistand hat die Aufgabe, Heranwachsende bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen zu unterstützen und ihre Verselbstständigung zu fördern. Für 1 424 junge Menschen wurden Betreuungshelfer tätig. Im Gegensatz zum Erziehungsbeistand werden Betreuungshelfer in der Regel aufgrund richterlicher Weisung tätig.

… sowie soziale Gruppenarbeit

4 302 jungen Menschen wurde 2010 durch soziale Gruppenarbeit geholfen. Sie erhielten in Übungs- oder Erfahrungskursen Hilfestellungen, um Entwicklungsauffälligkeiten und Verhaltensprobleme durch soziales Lernen in der Gruppe zu überwinden. 94 % der Teilnehmer waren im schulpflichtigen Alter und 71 % waren Jungen und junge Männer.

78 % der Kinder und Jugendlichen in allen drei Formen der Einzelbetreuung waren unter 18 Jahre, 62 % männlichen Geschlechts.

Sozialpädagogische Familienhilfe: Wenn Familien alleine nicht mehr klar kommen

Die Kinder- und Jugendhilfe unterstützt nicht nur einzelne junge Menschen, sondern auch deren Familien. 2010 erhielten 12 232 Familien mit insgesamt mehr als 26 000 Kindern sozialpädagogische Familienhilfe (nach § 31 SGB VIII). Diese Hilfeart gibt den Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, aber auch bei der Lösung von Konflikten Hilfe zur Selbsthilfe. So besuchen zum Beispiel vom Jugendamt bestellte Familienhelferinnen und Familienhelfer regelmäßig die Familien und helfen, schwierige Alltagssituationen zu bewältigen. Dadurch wird angestrebt, eine Unterbringung von Kindern außerhalb des Elternhauses zu vermeiden. In der Hälfte der betreuten Familien lebte im Jahr 2010 das Kind oder der Jugendliche bei einem allein erziehenden Elternteil. Die Gründe für eine Hilfegewährung sind vielschichtig: Eingeschränkte Erziehungskompetenz, unzureichende Betreuung der jungen Menschen und familiäre Konflikte wurden als Hauptgründe genannt.

Familienergänzende Hilfen in Form von Tagesgruppenerziehung

In einer Tagesgruppenerziehung (§ 32 SGBVIII) befanden sich im Jahr 2010 etwas über 4 000 junge Menschen unter 18 Jahren. Sie erfuhren bei diesem teilstationären Hilfeangebot soziales Lernen und schulische Förderung in Zusammenarbeit von Familie, Schule und Tagesgruppe, ohne dass eine Trennung von der Familie erfolgte. Bei dieser Hilfeart sind die Kinder und Jugendlichen abends, am Wochenende und in den Ferien zu Hause.

Flexible Hilfen: Angebote jenseits des etablierten Leistungskanons

Die flexible Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 Abs. 2 SGB VIII wird als eigenständige Hilfe ohne Verbindung zum Katalog der Hilfearten in den §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt. Sie ist vor allem für diejenigen jungen Menschen und deren Familien konzipiert, bei denen von vornherein nicht deutlich ist, welche spezifische Hilfeform notwendig und geeignet ist.

Die Ausgestaltung dieser Hilfeart ist sehr vielfältig. Sie ermöglicht aufgrund eines breiten Spektrums von möglichen Leistungs-Bausteinen die Zusammenstellung eines individuell auf den Einzelfall zugeschnittenen Leistungsangebots. Dabei kann sie sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. 2010 erhielten gut 3 400 junge Menschen ambulante oder teilstationäre flexible Hilfen.

Erziehungshilfen außerhalb des Elternhauses in Form von …

Lassen sich Entwicklungs- oder Beziehungsprobleme nicht durch ambulante oder teilstationäre Hilfeformen wie Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe oder Tagesgruppenbetreuung bewältigen, bietet die Kinder- und Jugendhilfe stationäre Hilfeformen an. Unterbringungsformen außerhalb des Elternhauses werden in Anspruch genommen, wenn die räumliche Trennung von überlasteten Eltern und Kindern in schwierigen Entwicklungsphasen nicht vermieden werden kann.

…Vollzeitpflege

2010 befanden sich 7 746 Kinder und Jugendliche in einer Vollzeitpflegestelle, das heißt sie werden zeitweise oder langfristig außerhalb des Elternhauses in einer Pflegefamilie untergebracht (Schaubild 5). Vollzeitpflege richtet sich vor allem an junge Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie nicht ausreichend versorgt oder gefördert werden und bei denen unter Umständen eine Gefährdung des Kindeswohles droht. Rund 78 % dieser jungen Menschen lebten bei einer fremden Familie, die anderen 22 % bei Verwandten. Zu rund 90 % handelte es sich um unter 18-Jährige.

… Heimerziehung oder andere betreute Wohnformen

In Heimerziehung oder in einer anderen betreuten Wohnform lebten 7 845 junge Menschen. Die Mehrzahl (57 %) waren Jungen und junge Männer. Heimerziehung richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche im Pubertätsalter: 60 % waren 12 bis 18 Jahre alt, lediglich 24 % 18 Jahre und älter und nur 16 % unter 12 Jahren. In einer Mehrgruppeneinrichtung lebten 69 %, weitere 26 % in einer Eingruppeneinrichtung und nur 5 % in einer eigenen Wohnung.

… intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung für besonders gefährdete Menschen

Eine relativ seltene Hilfeart stellt die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung dar (nach § 35 SGB VIII). Nur 766 junge Menschen ab 10 Jahren befanden sich im Jahr 2010 in dieser Betreuungsform. Sie stellt eine sehr flexible Hilfe zur Erziehung dar und ist vor allem an junge Menschen in hochproblematischen und sie gefährdenden Lebenssituationen gerichtet, wie zum Beispiel Straßenkinder oder Jugendliche im Drogenmilieu. Durch eine besonders intensive Unterstützung soll die Integration in ein soziales Umfeld und eine eigenverantwortliche Lebensführung ermöglicht werden.

Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen

Junge Menschen, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, haben einen eigenständigen Anspruch auf Eingliederungshilfe. Seelisch behindert bedeutet, dass die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht. Eingliederungshilfen setzen neben einer (drohenden) seelischen Behinderung zusätzlich voraus, dass eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Rund 87 % der insgesamt 7 099 im Jahr 2010 in Anspruch genommenen Eingliederungshilfen erhielten Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter; 70 % aller jungen Menschen, denen durch Eingliederungshilfen geholfen wurde, waren männlich. Bei 59 % der betroffenen Kinder und Jugendlichen lebten die Eltern zusammen, bei 29 % lebte ein Elternteil allein. Mindestens einen Elternteil ausländischer Herkunft hatte ein Viertel der Hilfeempfänger. Die Maßnahmen wurden ganz überwiegend (90 %) von freien Trägern der Jugendhilfe durchgeführt. Knapp ein Viertel (24 %) wurde in Einrichtungen über Tag und Nacht geleistet, gut drei Viertel fanden ambulant oder teilstationär statt. Nur 1 % der Hilfen wurde durch Pflegepersonen durchgeführt.

Dominanz der ambulanten und teilstationären Hilfen

Von den gut 111 300 erzieherischen Hilfen insgesamt waren im Jahr 2010 rund 85 900 und damit mehr als drei Viertel ambulante oder teilstationäre Hilfen. Lediglich rund 17 000 Hilfen (15 %) fanden außerhalb des Elternhauses statt. Während sich die Zahl der ambulanten oder teilstationären Hilfen seit 2007 um rund 11 % erhöht hat, stieg die Zahl der Hilfen außerhalb des Elternhauses lediglich um 4 %. Dagegen erhöhte sich die Zahl der sonstigen Hilfen besonders stark um 47 %. Dahinter verbirgt sich vor allem ein deutlicher Anstieg der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen von rund 5 000 Fällen im Jahr 2007 auf rund 7 100 im Jahr 2010 (Tabelle).

Der Anstieg aller Formen der erzieherischen Hilfen zeigt aber, dass insgesamt der Bedarf an Hilfen zur Erziehung in den letzten Jahren gewachsen ist und vermutlich auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird.

1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII.