:: 6/2012

2011 neues Rekordjahr im Tourismus

Dank einer kräftigen Zunahme um 4,8 % überschritten die erfassten Gästeübernachtungen in Baden-Württemberg mit 45,6 Mill. im Jahr 2011 erstmals die 45-Millionen-Schwelle. Zwar wurde auch bundesweit ein neuer Rekordwert von 394 Mill. Übernachtungen registriert. Der Zuwachs blieb aber mit 3,6 % hinter der Landesentwicklung zurück. Ein derartiges Ergebnis wäre in der Vergangenheit lange Zeit eher untypisch gewesen. Nach der deutschen Wiedervereinigung hatte die Entwicklung nämlich zunächst ganz im Zeichen des »Aufbaus Ost« gestanden. Die neuen Bundesländer hatten regelmäßig überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, das frühere Bundesgebiet, darunter auch Baden-Württemberg, war mit wenigen Ausnahmen hinter der Bundesentwicklung zurückgeblieben. Dieses Grundmuster war vor allem in den 1990er-Jahren vorherrschend, setzte sich in tendenziell abgeschwächter Form aber bis weit in die 2000er-Jahre fort. Ab 1997 (mit Unterbrechung 2001) kam ein neuer Trend zugunsten der Stadtstaaten hinzu, der für ein Flächenland wie Baden-Württemberg tendenziell ebenfalls eine unterdurchschnittliche Entwicklung begünstigt. Gleichwohl ist es dem Land in den letzten Jahren zunehmend gelungen, Anschluss an die Bundesentwicklung zu halten oder sie gar – wie im letzten Jahr – zu übertreffen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der nachfolgende Aufsatz insbesondere die Entwicklung der letzen 5 Jahre sowie die strukturellen Besonderheiten des Tourismus in Baden-Württemberg im Bund-Land-Vergleich.

Baden-Württemberg in 3 der letzten 5 Jahre überdurchschnittlich

Bei einer Einzelbetrachtung der vergangenen 5 Jahre wird die wieder gefestigte Position Baden-Württembergs in der bundesdeutschen Tourismuslandschaft klar erkennbar. In allen Jahren seit 2007 – bis auf 2009 – konnte der Übernachtungstourismus1 sowohl in Deutschland als auch im Land deutlich zu­legen. Wegen des weiter anhaltenden Trends zu kürzeren Aufenthalten hat sich dabei die Gästezahl durchgehend etwas positiver entwickelt als die für die Branche bedeutendere Übernachtungszahl. Nach 2 leicht überdurchschnittlichen Jahren 2007 und 2008 wurde in Baden-Württemberg 2009 auch der Tourismus besonders von der damaligen Wirtschaftskrise getroffen, während in Deutschland die Vorjahresergebnisse knapp gehalten werden konnten. Die Rückgänge im Land (Ankünfte – 2,6 %, Übernachtungen – 2,8 %) blieben zwar im Vergleich zu anderen Branchen moderat. Gleichwohl hatten die überdurchschnittlichen Wachstumseinbußen im industrie- und exportorientierten Baden-Württemberg auch negative Auswirkungen insbesondere auf den vom Umfang der allgemeinen Wirtschaftsaktivitäten abhängigen Geschäftsreiseverkehr.

Die Rückgänge konnten zwar bereits im Folgejahr 2010 mehr (Ankünfte) oder weniger (Übernachtungen) wieder kompensiert werden. Da der Tourismus aber nach Jahresbeginn erst langsam wieder auf Touren kam, blieben die Zuwächse auf das gesamte Jahr gerechnet noch hinter der Bundesentwicklung zurück. Dies sollte sich dann im Jahr 2011 wieder ändern, als im Land sowohl die Gästezahl mit + 6,9 % als auch die Übernachtungen mit + 4,8 % (gegenüber + 5,2 % bzw. + 3,6 %) deutlich stärker zulegten als bundesweit. Über den gesamten Zeitraum nach 2006 gesehen blieben die Zuwächse im Land bei den Ankünften mit 16,6 % und den Übernachtungen mit 11,6 % zwar jeweils knapp hinter den vergleichbaren Bundesergebnissen (17,6 % bzw. 12,2 %) zurück, bewegten sich aber in sehr ähnlichen Dimensionen.

Gasthöfe und Kureinrichtungen im Land stark repräsentiert

Strukturelle Besonderheiten des Landes lassen sich insbesondere durch Bund-Land-Vergleiche von Merkmalsverteilungen erkennen, sofern diese in gleicher Gliederung vorliegen. Im Bereich des Übernachtungstourismus bietet sich hierfür zunächst die Zusammensetzung der Überachtungen nach Betriebsarten an.

Wie kaum anders zu vermuten, stellen die ­Hotels als die klassische Unterkunftsform für Gäste die mit Abstand gewichtigste Kategorie dar. Bundesweit gehen 40 von 100 Übernachtungen auf ihr Konto, in Baden-Württemberg sogar noch etwas mehr. In einer erweiterten Sichtweise lassen sich auch die artverwandten Hotels garnis, die Gasthöfe sowie die Pensionen mit den Hotels zur Hotellerie zusammenfassen. Dabei kommen die bevorzugt im städtischen Umfeld angesiedelten Hotels garnis, die im Gegensatz zu den Hotels über kein öffentliches Lokal verfügen und lediglich Frühstück für Hausgäste anbieten, mit leichtem Vorsprung im Bund noch auf klar zweistellige Übernachtungsanteile. Während Pensionen auf beiden Regionalebenen nur eine relativ untergeordnete Rolle spielen, sind die meist traditionellen Gasthöfe in Baden-Württemberg mit einem Übernachtungsanteil von über 8 % deutlich stärker präsent als bundesweit, wo sie nur auf knapp 5 % kommen. Der mit 64 % gegenüber 61 % höhere Hotellerieanteil im Land geht damit schwerpunktmäßig auf die Gasthöfe zurück.

Bei den Betriebsarten außerhalb der Hotellerie unterscheiden sich die Übernachtungsanteile im Land zwar durchweg von den Vergleichswerten auf Bundesebene. Einen größeren Umfang nehmen die Abweichungen jedoch nur bei zwei Kategorien an. Während in Baden-Württemberg lediglich knapp 4 % der erfassten Übernachtungen auf ein Ferienzentrum, ein Ferienhaus oder eine Ferienwohnung entfallen, kommt diesen Betriebskategorien deutschland­weit mit über 10 % ein wesentlich stärkeres Gewicht zu. Dies liegt sowohl an den im Land kaum repräsentierten (größeren) Ferienzentren als auch an den Ferienimmobilien, die zwar relativ flächendeckend angeboten werden, aber einen regionalen Schwerpunkt in Küstennähe haben. Im Land haben dafür die Vorsorge- und Rehabilitations-Kliniken, die nach deutschem Verständnis traditionell dem Tourismus zugerechnet werden, eine relativ starke Position. Immerhin jede siebte Übernachtung geht in Baden-Württemberg auf eine dieser Kureinrichtungen zurück, bundesweit dagegen nur jede neunte.

Vorsorge- und Reha-Kliniken verlieren an Bedeutung

Die Frage nach der mittelfristigen Entwicklung der einzelnen Betriebsarten lässt sich allerdings nur mit Einschränkungen beantworten, da im Zuge einer Umstellung auf die Wirtschaftszweigsystematik WZ 2008 ab dem Jahr 2009 die Zuordnungen teilweise verändert wurden. So werden seither insbesondere die zuvor zusammen mit den Erholungs- und Ferienheimen geführten Schulungsheime separat erfasst, und die bislang als eigene Kategorie geführten Boardinghouses wurden je nach spezieller Ausrichtung den anderen Betriebsarten zugeordnet. Zudem wurden die zuvor bei den Vorsorge- und Reha-Kliniken mit erfassten Suchtkliniken aus der Erhebung herausgenommen.

Diese Veränderungen mögen zwar auch eine Rolle dafür spielen, dass sich die nachgewiesenen Übernachtungen der Kureinrichtungen in Baden-Württemberg 2011 mit 6,4 Mill. nach einem zwischenzeitlichen Auf und Ab auf dem gleichen Niveau wie 2006 befinden – bundesweit lässt sich ein Anstieg um 5 % ermitteln. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Vorsorge- und Reha-Kliniken insbesondere seit den 1997 wirksam gewordenen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen innerhalb des Übernachtungstourismus massiv an Bedeutung eingebüßt haben. Zum Vergleich: Mitte der 1990er-Jahre hatte der Übernachtungsanteil dieser Betriebsart in Baden-Württemberg noch nahezu ein Viertel betragen. Zudem schrumpft die Differenz ihres Übernachtungsanteils zwischen Land und Bund tendenziell.

Ansonsten lassen sich für die Entwicklung von 2006 bis 2011 folgende Tendenzaussagen treffen. Überdurchschnittliche Übernachtungszuwächse haben sowohl im Land als auch im Bund die Hotels garnis, die Campingplätze sowie auch die Hotels erzielt. In Baden-Württemberg traf dies auch noch für die Ferienzentren, -häuser und -wohnungen sowie die Erholungs-, Ferien- und Schulungsheime zu, in Deutschland für Jugendherbergen und Hütten. Auf beiden Regionalebenen entwickelten sich dagegen die Pensionen und vor allem die Gasthöfe unterdurchschnittlich.

Starke Rolle der Prädikatsgemeinden im Land

Ein weiteres Kriterium zur Charakterisierung des Tourismus stellen die Gemeindegruppen dar, bei denen nach dem Vorhandensein und den Ausprägungen von touristischen Prädikaten unterschieden wird. Während die prädikatisierten Gemeinden schwerpunktmäßig für den Erholungs- und Gesundheitsurlaub mit tendenziell längeren Aufenthalten stehen, dominieren in den als »Sonstige Gemeinden« nachgewiesenen Orten ohne Prädikat Kurz-, Städte- und Geschäfts­reisen. Als zusätzliche Differenzierung wird in der Darstellung innerhalb der »Sonstigen ­Gemeinden« zwischen den Großstädten (ab 100 000 Einwohner) und den »Übrigen Gemeinden« unterschieden.

In einer entsprechenden Aufgliederung der Übernachtungen im Jahr 2011 zeigen sich deutliche Bund-Land-Unterschiede. So ­tragen die drei höchsten Prädikate, die Mineral- und Moorbäder, die Heilklimatischen Kurorte und die Kneippkurorte in Baden-Württemberg jeweils deutlich stärker zu den Übernachtungen bei als deutschlandweit. Auf die Heilbäder, zu denen die drei genannten Prädikate zusammengefasst werden können, geht jede vierte Gästenacht des Landes zurück, in Deutschland dagegen lediglich jede sechste. Obwohl sie nur in den Küstenländern existieren, kommen die Seebäder bundesweit auf einen beachtlichen Übernachtungsanteil von gut 10 % und sind damit neben den Mineral- und Moorbädern sogar das bedeutendste Prädikat. Im Land trifft dies dagegen auf die Erholungsorte zu, die immerhin 16 % zum landesweiten Übernachtungsaufkommen beitragen.

Einschließlich der 9 % der Luftkurorte kommen die prädikatisierten Gemeinden im Land auf eine knappe Mehrheit von 51 % der Übernachtungen, deutlich mehr als bundesweit (43 %). Wesentlich unter dem Bundesanteil (28 %) liegt demgegenüber der Übernachtungsbeitrag der Großstädte im Land (19 %). Dies ist allerdings nicht verwunderlich, denn in einer Großstadt leben lediglich knapp zwei von zehn Landesbürgern, aber mehr als drei von zehn Bundesbürgern. Auf beiden Regionalebenen bewegen sich die Übernachtungsanteile der »Übrigen Gemeinden« dagegen in sehr ähnlichen Dimensionen um 30 %.

Deutlicher Trend zum Städtetourismus

Im zeitlichen Vergleich gibt es auch bei der Gliederung nach Gemeindegruppen methodische Probleme. Denn die Zuordnung der ­Gemeinden (oder in einigen Bundesländern auch der Gemeindeteile) zu den einzelnen Kategorien kann sich im Zeitverlauf zum Beispiel durch die Zu- oder Aberkennung eines Prädikats ändern. Bei einem Ergebnisvergleich nach dem jeweiligen Stand ergeben sich dabei Veränderungsraten, die eine Mixtur aus einer »echten« Entwicklung und der Umwidmung der Zuordnung darstellen. Um die Wirkung der Umwidmungen auszuschalten, werden in Baden-Württemberg bei Veränderung der Zuordnungen üblicherweise aus den Gemeindeergebnissen Zeitreihen rückwirkend nach dem jeweils aktuellsten Stand berechnet. Für das Bundesergebnis besteht diese Möglichkeit jedoch bisher nicht, da das Statistische Bundesamt von den Landesämtern jeweils nur fertige Ergebnisse nach dem jeweiligen Stand erhält und nicht über Gemeindeergebnisse verfügen kann. Um den Effekt der Umwidmungen auszuschalten, wurden die in Schaubild 4 dargestellten Veränderungsraten von 2006 auf 2011 auf Bundesebene daher nicht durch einen Vergleich der Absolutwerte berechnet, sondern über eine Verkettung der jähr­lichen Veränderungsraten, die auf Grundlage jeweils konstanter Zuordnungen gebildet ­wurden.

Insgesamt ergibt sich für die Entwicklung der letzten 5 Jahre nach Gemeindegruppen ein relativ klares Bild. Sowohl im Land als auch bundesweit entwickelten sich die Übernachtungen in den Kurorten deutlich unterdurchschnittlich. Meist handelt es sich um Zuwächse im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Die Heilklimatischen Kurorte im Land verzeichneten sogar einen leichten Rückgang. Auf der anderen Seite nahmen die Übernachtungen in den »Übrigen Gemeinden« und vor allem in den Großstädten deutlich überdurchschnittlich zu, wobei sich Deutschland bei der letztgenannten Kategorie nochmals von Baden-Württemberg abhob. Damit bestätigt sich die bereits durch die überdurchschnittliche Entwicklung bei den Stadtstaaten unter den Bundesländern zu vermutende Tendenz zum Städtetourismus auch innerhalb des Bundes- und des Landesergebnisses. Eine »gespaltene« Entwicklung zeigt sich dagegen beim niedrigsten Prädikat, den Erholungsorten. Während sich deren Entwicklung auf Bundesebene nahtlos unter die anderen Arten von prädikatisierten Gemeinden einordnet, erzielten sie in Baden-Württemberg einen deutlich überdurchschnittlichen Übernachtungs­zuwachs um 18 %. Dies verdanken die Erholungsorte nicht zuletzt einzelnen Gemeinden im Umfeld des Europa-Parks sowie im Bodensee-Raum.

1 Die Angaben beziehen sich durchgehend auf Beherbergungsbetriebe mit mehr als acht Schlafgelegenheiten.