:: 7/2012

Alt und pflegebedürftig?

Vorausrechnung der Zahl der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg sowie des benötigten Pflegepersonals

Die aktuelle Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes weist für die nächsten Jahrzehnte eine zunehmende Alterung der Bevölkerung in Baden-Württemberg aus. Das Statistische Landesamt hat daher in einer Modellrechnung die Zahl der Pflegebedürftigen nach Geschlecht und Pflegeart sowie das notwendige Pflegepersonal bis 2030 bzw. bis 2050 auf Basis der Ergebnisse der Pflegestatistik von 2009 vorausberechnet. Unter der Voraussetzung, dass sich das Pflegerisiko für die einzelnen Altersjahre nicht wesentlich verändert, könnte die Zahl der Pflegebedürftigen allein aus demografischen Gründen von heute 246 038 auf rund 352 000 Menschen im Jahr 2030 zunehmen. Dies wäre ein Anstieg um 43 %. Bis zum Jahr 2050 könnte die Zahl pflegebedürftiger Menschen sogar um 91 % steigen. Um den vorausberechneten Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen zu bewältigen, würden bis 2030 etwa 57 000 und bis 2050 rund 122 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt.

Entwicklung der Pflegebedürftigen 1999 bis 2009

Im Dezember 2009 waren in Baden-Württemberg 246 038 Personen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Seit Durchführung der Statistik im Jahre 1999 hat die Zahl der Pflegebedürftigen im Land damit in 10 Jahren um 17 % oder 35 201 Personen zugenommen.

Ende 2009 war mehr als die Hälfte (56 %) der Pflegebedürftigen 80 Jahre und älter. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen (66 % oder 162 539) waren Frauen. Ein Drittel oder 84 019 aller Pflegebedürftigen wurden vollstationär in Heimen versorgt. Zwei Drittel oder 162 019 sind zu Hause gepflegt worden, wovon 112 369 Pflegegeldempfänger (46 %) waren, die ausschließlich von Angehörigen gepflegt wurden. Im langfristigen Zeitvergleich zu 1999 zeigt sich hier ein gewisser Trend zur professionellen Pflege in Pflegeheimen (+28 %) sowie durch ambulante Pflegedienste (+17 %).

Zunehmende Alterung der Bevölkerung

Grundlage dieser Status-Quo-Vorausberechnung ist die demografische Entwicklung, wonach die Zahl der 60-Jährigen und Älteren bis 2030 in Baden-Württemberg um ca. 892 000 zunehmen und auf rund 3,5 Mill. Menschen steigen könnte. Bis 2050 dürfte die Zahl der 60-Jährigen und Älteren sogar um etwa 923 000 auf 3,6 Mill. Menschen zunehmen. Damit würde dieses Alterssegment um mehr als ein Drittel anwachsen. Die Zahl der 90-Jährigen und Älteren könnte sich von 72 502 Menschen im Jahr 2009 bis 2030 sogar fast verdreifachen (rund 197 000) und bis 2050 mehr als vervierfachen (rund 298 000).

Die aktuelle Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes geht davon aus, dass bei den Männern der Anteil der über 60-Jährigen stärker zunehmen dürfte als bei den Frauen, da die Kriegsverluste bei den Männern mittlerweile fast vollständig überwunden sind. Der Anteil der Männer im Alter von 60 Jahren und älter gemessen an der gesamten männlichen Bevölkerung könnte bis 2030 von 22 auf 32 % zunehmen, bis 2050 auf 35 %. Bei den Frauen hingegen dürfte der entsprechende Anteil von etwa 27 auf dann 36 % bzw. 39 % bis 2050 steigen. Der Anteil 90-jähriger und älterer Männer an der Gesamtheit der Männer könnte sich bis 2030 vervierfachen (1,4 %) und bis 2050 sogar fast versiebenfachen (2,4 %). Bei den Frauen würde sich der vergleichbare Anteil bis 2030 »nur« mehr als verdoppeln (2,4 %) und bis 2050 dann fast vervierfachen (3,8 %).

Die Zahl der pflegebedürftigen Männer nimmt stärker zu als die der Frauen

Vorausgesetzt, dass sich das Pflegerisiko für die einzelnen Altersjahre nicht wesentlich verändert, könnte die Zahl der Pflegebedürftigen allein aus demografischen Gründen von heute 246 038 um 106 300 zunehmen und im Jahr 2030 auf rund 352 000 Menschen anwachsen. Dies wäre ein Anstieg um 43 %. Bis zum Jahr 2050 könnte die Zahl pflegebedürftiger Menschen sogar um 91 % zunehmen, das heißt sich fast verdoppeln und damit um fast 224 000 Personen auf dann nahezu 470 000 Pflegebedürftige steigen (Schaubild 1). Die Zahl der pflegebedürftigen Frauen würde sich dabei bis 2030 um 37 % erhöhen, während sich die Zahl der männlichen Pflegebedürftigen um 55 % steigern könnte. Bis zum Jahr 2050 dürfte sich die Zahl männlicher Pflegebedürftiger sogar verdoppeln (+101 %). Die Zunahme bei den Frauen läge hingegen bei 86 %.

Auch zukünftig wird professionelle Pflege stark gefragt sein

Der Trend hin zur professionellen Pflege in Pflegeheimen und zur Pflege durch ambulante Pflegedienste wird sich wohl auch in die Zukunft hinein fortsetzen. Je nach Pflegeart fällt die jeweilige Zunahme bei der Zahl der Pflegebedürftigen allerdings unterschiedlich aus. Die Zahl der vollstationär Gepflegten könnte bis 2030 um 54 % auf fast 130 000 steigen, die Zahl der ambulant Gepflegten auf knapp 76 000 und damit um 52 % und die Zahl der Pflegegeldempfänger – also der Menschen, die ausschließlich durch ihre Angehörigen versorgt werden – um 31 % auf rund 147 000. Bis zum Jahr 2050 würde sich im Vergleich zu heute die Zahl der stationär sowie die der ambulant Gepflegten sogar mehr als verdoppeln (auf 182 000 bzw. 105 000 Personen). Die Zahl der Pflegegeldempfänger würde sich hingegen »lediglich« um knapp zwei Drittel (auf fast 183 000) erhöhen (Schaubild 2).

Im Vergleich zu den von Angehörigen gepflegten Pflegegeldempfängern steigt die Zahl der ambulant und stationär Gepflegten vergleichsweise weitaus stärker an. Dies erklärt sich allein schon daraus, dass die Zahl der pflegeintensiveren älteren Jahrgänge stärker zunehmen wird, als die Zahl der sogenannten »jungen Alten«. Wurden 2009 noch 46 % aller Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt, könnte dieser Anteil bis 2030 auf 42 bzw. 39 % im Jahr 2050 sinken. Der Anteil der stationär gepflegten Menschen würde dagegen von 34 auf 37 % bzw. 39 % ansteigen, während sich nach unserer Modellrechnung im ambulanten Bereich der Anteil der Pflegebedürftigen von heute 20 auf 21 % bzw. 22 % in Zukunft nur unwesentlich verändern dürfte.

Verändert sich das Pflegerisiko?

Ein wesentlicher Aspekt, der die Zahl der Pflegebedürftigen beeinflussen kann, ist der Anstieg der Lebenserwartung. Die Bevölkerung in Baden-Württemberg hat seit Jahrzehnten bundesweit die höchste Lebenserwartung, auch europaweit gibt es nur wenige Staaten, in denen die Menschen länger leben. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens beträgt heute im Land rund 83,5 Jahre, die eines neugeborenen Jungen etwa 79 Jahre.1

Die steigende Lebenserwartung könnte jedoch unterschiedliche Folgen für das Pflegerisiko haben. Entweder erhöht sich das Pflegerisiko, weil die Menschen zwar Lebensjahre hinzugewinnen, sich aber auch die Krankheits- und Pflegezeiten verlängern. Es kann aber auch sein, dass sich die Krankheits- und Pflegejahre hinausschieben und die Menschen mit einer Verlängerung der Lebenszeit, zum Beispiel durch verbesserte Diagnose-, Therapie- und Rehamöglichkeiten, relativ gesunde Jahre hinzu gewinnen.

Sollte das Pflegerisiko nicht gleich bleiben, sondern leicht abnehmen, würde die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 bzw. 2050 insgesamt weniger stark ansteigen. Von 1999 bis 2009 sind die Pflegehäufigkeiten insgesamt leicht gesunken. Ein Vergleich der bisherigen Ergebnisse der Pflegestatistik mit den bisherigen Vorausrechnungen des Statistischen Landesamtes zeigt eine Annäherung der realen Werte an die Status-Quo-Variante. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Pflegewahrscheinlichkeiten in Baden-Württemberg in Zukunft nicht in wesentlichem Ausmaß weiter zurückgehen.

Gegen ein weiteres Absinken der Pflegewahrscheinlichkeiten spricht auch, dass Baden-Württemberg bereits die bundesweit niedrigste Pflegequote aufweist. Unter allen Bundesländern hat Baden-Württemberg mit 2,3 % die geringste Pflegewahrscheinlichkeit. Im Bundesdurchschnitt beträgt die Pflegequote 2,9 %. In Mecklenburg-Vorpommern liegt sie mit 3,7 % deutlich über diesem Wert, gefolgt von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit jeweils 3,4 %. In Baden-Württemberg wird – nach Rechnung des Statistischen Landesamtes – der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung bis 2030 auf 3,4 % ansteigen und bis zum Jahr 2050 auf 4,9 %.

Auch der Bedarf an Pflegekräften wird sich erhöhen

Für die Versorgung der 133 669 Pflegebedürftigen in den stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen Baden-Württembergs standen zum Jahresende 2009 landesweit 105 998 Beschäftigte zur Verfügung. Die stationären Einrichtungen beschäftigten insgesamt 80 824 Personen und die ambulanten Einrichtungen 25 174. Der Anteil der Frauen am Personal insgesamt betrug 85 %.

Ausgehend von der Zahl der hochgerechneten Pflegebedürftigen, die von ambulanten und stationären Einrichtungen versorgt werden, kann auch auf den zukünftigen Bedarf an Pflegekräften geschlossen werden. Es wird angenommen, dass sich das Verhältnis von Pflegebedürftigen zu Pflegepersonen bis 2030 bzw. 2050 nicht wesentlich ändert. Dann würde sich bis 2030 der Bedarf an Pflegekräften und sonstigem Pflegepersonal von 105 998 Personen im Jahr 2009 um 54 % erhöhen und läge dann bei insgesamt knapp 163 000 Personen. Bis 2050 würde die Zunahme 115 % betragen, auf dann insgesamt rund 228 000 benötigte Pflegekräfte (Schaubild 3). Der zusätzliche Bedarf an professionellen Pflegekräften könnte somit bei fast 57 000 Personen bis zum Jahr 2030 liegen bzw. bei rund 122 000 bis 2050.

Im Bereich der stationären Pflege würde die Zahl der Pflegekräfte bis zum Jahr 2030 um 54 % auf fast 125 000 Personen zunehmen (+44 000 Personen), bis 2050 auf 175 000 Personen, das entspricht 117 % oder 94 000 Personen. Für das Pflegepersonal in Einrichtungen der ambulanten Pflege könnte sich bis 2030 eine Zunahme von 52 % ergeben, also um 13 000 Personen auf rund 38 000, bis zum Jahr 2050 sogar um 111 % um 28 000 auf rund 53 000 Personen.

Derzeit hat fast ein Viertel aller Beschäftigten in den stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen des Landes einen Berufsabschluss als staatlich anerkannte Altenpflegerin bzw. Altenpfleger. Projiziert man diesen Anteil auf das Jahr 2030, so würde das bedeuten, dass sich – unter Status-Quo-Bedingungen – allein der Bedarf an Absolventen dieser Berufssparte von 24 741 Personen im Jahr 2009 um über die Hälfte auf ca. 38 000 im Jahr 2030 erhöhen würde. Bis 2050 könnte sich die Zahl der benötigten Altenpflegerinnen und Altenpfleger sogar auf etwa 53 000 weit mehr als verdoppeln. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dieser Rechnung um eine Projektion der reinen »Kopfzahlen« handelt, das bedeutet die Verteilung von Voll- und Teilzeitarbeitskräften und deren mögliche Auswirkungen werden nicht berücksichtigt.

Unsicher ist die Entwicklung der Zahl der Pflegegeldempfänger, also der Menschen, die zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden. Durch die sich ändernden gesellschaftlichen und familiären Bedingungen wird davon ausgegangen, dass das häusliche Pflegepotenzial weiter abnimmt. Aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch aufgrund zunehmender gesellschaftlicher Mobilität und höherer Erwerbsbeteiligung von Frauen ist damit zu rechnen, dass das notwendige private Pflegepotenzial wie Partnerinnen oder Partner bzw. Kinder oder Schwiegerkinder immer seltener für die häusliche Pflege zur Verfügung stehen wird. Auch dadurch wird die professionelle Pflege stärker zunehmen und damit einhergehend der hierfür notwendige Personalbedarf.