:: 8/2012

Der baden-württembergische Getreideanbau Mitte der 1950er-Jahre bis heute

Baden-Württemberg rühmt sich zwar als »Land der Sonderkulturen«, gleichwohl nimmt auch hierzulande die »normale« Landwirtschaft breiten Raum ein. Dabei ist der Getreideanbau heute noch – wie in der Vergangenheit – eine wichtige, wenn nicht gar herausragende Säule der heimischen Landwirtschaft. Grund genug, die Entwicklungen des Getreideanbaus der letzten 50 bis 60 Jahre aufzuzeigen.

Es ist schon bemerkenswert, dass der Anbau von Getreide (einschließlich Körnermais) in Baden-Württemberg über einen Zeitraum von fast 60 Jahren in einem Korridor zwischen 520 000 und 620 000 Hektar (ha) weitgehend konstant geblieben ist. An dieser Aussage ändert auch die Tatsache nichts, dass es in diesem Zeitraum mehrfach Änderungen der Erfassungsgrenzen sowie Änderungen in der Methodik der Flächenfeststellung gab.1 Denn letztendlich waren diese Änderungen immer die logische Reaktion auf den fortgesetzten Strukturwandel in der Landwirtschaft. Die Stabilität des Getreideanbaus wird dabei noch bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass im gleichen Zeitraum die Ackerfläche von rund 1,1 Mill. ha Mitte der 1950er-Jahre um etwa 270 000 ha auf heute circa 830 000 ha rückläufig war. Der Getreideanteil an der Ackerfläche stieg ausgehend von der Hälfte insbesondere im Zeitraum von 1965 bis 1980 deutlich auf rund zwei Drittel an und hält bei leicht fallender Tendenz bis heute in etwa dieses Niveau. Ein wichtiger Grund für die Erfolgsgeschichte von Getreide ist – neben den vergleichsweise einfachen Produktionstechniken – sicher in den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten zu suchen. Es findet heute in der Nahrungsmittelproduktion (zum Beispiel für Brot, Teigwaren, Bier) ebenso Verwendung wie als Futter- und Industriegetreide. Mit dem Bioenergiesektor ist in den letzten 10 Jahren eine neue vielversprechende Verwendungsalternative hinzugekommen (Schaubild 1).

Vielfältiger Getreideanbau: Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, Triticale und …

Eindeutiger Favorit der baden-württembergischen Landwirte ist seit jeher der Winterweizen. Er stellt zwar hinsichtlich Boden und Klima höhere Ansprüche an den Standort als die anderen Getreidearten, ist aber unter den hiesigen Vegetationsbedingungen die Getreideart mit dem größten Ertragspotenzial. Häufig anzutreffen sind die Kulturformen der Gerste, wobei die Sommergerste (zumeist Grundstoff in der Bierherstellung) der Wintergerste (Futtermittel) seit rund 10 Jahren den Vortritt lassen muss. Hafer, früher unverzichtbarer »Treibstoff« für die Arbeitspferde, wird heute nur noch auf einem Viertel bis einem Fünftel seiner ursprünglichen Anbaufläche kultiviert. Mit Triticale wurde beginnend in den 1980er-Jahren versucht, die Anspruchslosigkeit und Pflanzengesundheit von Roggen mit der Leistungsfähigkeit, Standfestigkeit und Qualität von Weizen zu kombinieren. Mit Erfolg, wie die langsame aber stetige Zunahme der Anbaufläche auf heute rund 23 000 ha und damit auf das Niveau von Hafer beweist.

… die Erfolgspflanze Mais

Eine Sonderstellung nimmt der Mais2 ein, der botanisch ebenfalls zu den Gräsern zählt. Zu Beginn noch relativ bedeutungslos, dann mit zunehmendem Gewicht vor allem als Futtergrundlage für die Rinderhaltung, hat sich Mais zwischenzeitlich zur vielfältig nutzbaren Kulturpflanze entwickelt. Das Spektrum reicht von der Produktion von Stärke und Speiseöl bis zur Stromerzeugung in Biogasanlagen. Die wichtigsten Nutzungsformen sind Körnermais mit voll ausgebildeten und ausgereiften Körnern sowie Silomais, für den die ganze, noch grüne Pflanze genutzt wird. Der Silomaisanbau einschließlich der zahlreichen Übergangsformen zählt zum Feldfutterbau und bleibt deshalb in der weiteren Ergebnisdiskussion unberücksichtigt. Der Körnermaisanbau hat in den 1990er-Jahren in Baden-Württemberg deutlich an Bedeutung gewonnen und sich binnen einer Dekade von 32 400 ha (1990) auf 59 700 ha (2000) nahezu verdoppelt. Infolge verkürzter Reifedauer von Neuzüchtungen konnte der Körnermaisanbau ausgehend von der Oberrheinebene weitere Standorte im Land für sich gewinnen.

Außergewöhnliche Leistungssteigerung

Ausgehend von einem Ertragsniveau zu Mitte der 1950er-Jahre von 20 bis 25 Dezitonnen je ha (dt/ha) bei allen Getreidearten konnten die Durchschnittserträge je nach Getreideart bis heute auf das 2- bis 3-Fache gesteigert werden. Verantwortlich für diesen enormen Produktivitätszuwachs waren der Einsatz mineralischer Düngemittel, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, technische Verbesserungen bei der Bodenbearbeitung, der Saat und bei der Ernte sowie Züchtungsfortschritte. Nicht zuletzt hat das staatliche Versuchs- und Beratungswesen seinen Teil zum Transfer neuer Erkenntnisse in die Praxis beigetragen (Schaubild 2).

Besonders erfreulich war die Ertragsentwicklung bei Winterweizen und Wintergerste, die sich bis etwa 1995 ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, ehe sich der Winterweizen dann entscheidend absetzen konnte. Offensichtlich gelingt es den Winterungen die gegenüber den Frühjahrssaaten längere Vegetationszeit in deutlich höhere Erträge umzusetzen. Die Ertragsentwicklung von Sommergerste und Hafer zeigt einen deutlich moderateren Verlauf, wobei die Ertragszuwächse in den letzten 10 bis 15 Jahren merklich abgeflacht sind.

Ganz anders der Körnermais, dessen Ertragsentwicklung überaus beeindruckend ist. Von 50 dt/ha im Jahr 1967 auf 100 dt/ha im Jahr 2000 war beim Körnermais eine Ertragsverdoppelung und in den darauf folgenden 11 Jahren ein weiteres Plus von 20 % zu verzeichnen, allerdings mit zwischenzeitlichen Schwankungen.

Diese Ertragsentwicklung ist umso erstaunlicher, als der Körnermaisanbau insbesondere seit Ende der 1990er-Jahre mit neuen kühletoleranten Züchtungen auch weniger günstige Standorte eroberte.

Wechsel im Sortenspektrum: ein Indikator für technischen Fortschritt im Pflanzenbau

Mit den steigenden Erträgen traten andere Faktoren und Beurteilungskriterien in den Fokus der Züchter und Erzeuger. So wurde bei Getreide gezielt an den inneren Kornqualitäten im Hinblick auf eine Verbesserung der Backeigenschaften gearbeitet. Die züchterischen Bemühungen fanden indessen ihren Niederschlag im Sortenspektrum. Neuzüchtungen wurden zunächst auf Versuchsfeldern angebaut und mussten dann den ersten Praxistest bei Landwirten bestehen, die als Pioniere ihres Berufsstandes immer auf der Suche nach Verbesserungen waren und sind. Kann eine Neuzüchtung im Praxistest überzeugen, können sich auch die Berufskollegen davon überzeugen. Die Neuzüchtung verdrängt nach und nach eine etablierte Sorte aus dem Anbauspektrum und nimmt dann selbst deren Platz ein. Je länger sich eine Sorte am Markt halten kann, desto mehr grenzt sie sich hinsichtlich der Anbau- und Verwertungseigenschaften gegenüber ihrer Konkurrenz ab (Übersicht).

Bei der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE)3, einem Verfahren der objektiven Ertragsfeststellung mittels Maß und Waage, fallen quasi nebenbei Erkenntnisse über die von den Landwirten bevorzugten Sorten an. Im heimischen Winterweizenanbau dominiert seit vielen Jahren »Dekan«. Dekan ist ein kurzstrohiger, gut standfester Backweizen mit mittleren Qualitätsmerkmalen und mit Ausnahme von Braunrost4 geringer Anfälligkeit für Pflanzenkrankheiten. Allerdings liegt Dekan mittlerweile im Ertrag gegenüber neueren Sorten etwas zurück, so dass er möglicherweise künftig nicht mehr wie 2011 auf jedem dritten Winterweizenfeld im Land angebaut werden wird. Im Anbauspektrum bei Wintergerste lagen in den letzten Jahren »Finita« und »Spectrum« einträchtig an der Spitze. Mit »Anisette« steht aber eine ausgesprochen ertragsstarke Sorte in den Startlöchern, die allerdings keine Resistenz gegenüber dem Gelbmosaikvirus4 aufweist. Bei der Sommergerste hat derzeit »Quench« die Nase vorn. Sie reift bei stabilem Stroh spät ab und bringt dabei hohe Erträge. Quench zeichnet sich durch gute Gesundheit mit ausgeprägter Mehltauresistenz aus. Die frühreife Hafersorte »Aragon« wird seit vielen Jahren im Südwesten angebaut. Mittlerweile gibt es aber ertragsstärkere, standfestere Sorten wie beispielsweise »Dominik« oder »Scorpion«. Scorpion zeichnet sich zudem durch einen niedrigen Spelzanteil bei gleichzeitig guter Entspelzbarkeit aus und wird deshalb bei den Schälmühlen gerne gesehen.