:: 9/2012

Die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg im Jahr 2011

Enormer Anstieg der Wanderungsgewinne und gleichzeitig geringste Geborenenzahl seit Bestehen des Landes

Im vergangenen Herbst wurde nach Berechnungen der Vereinten Nationen bereits der siebenmilliardste Mensch geboren. Zur Zeit wächst die Weltbevölkerung um jährlich knapp 80 Mill. Menschen – also um die Einwohnerzahl Deutschlands! Und auch in Baden-Württemberg ist die Bevölkerungszahl im vergangenen Jahr deutlich angestiegen und hat den höchsten Stand seit Bestehen des Landes erreicht. Im folgenden Beitrag werden überblicksartig die aktuellen Trends bei der Entwicklung der Geborenen- und Gestorbenenzahlen sowie bei der Zuwanderung aufgezeigt und die regionalen Unterschiede innerhalb des Landes beleuchtet.

In Baden-Württemberg sind im vergangenen Jahr rund 88 800 Kinder geboren worden und damit etwa 1 900 weniger als im Jahr 2010. Damit sind seit Bestehen des Landes noch nie so wenige Kinder geboren worden wie 2011. Zum Vergleich: 1964, dem Jahr mit der höchsten Geborenenzahl im Südwesten, sind noch 161 000 Kinder zur Welt gekommen.

Größtes Geburtendefizit seit Bestehen des Landes

Gleichzeitig ist im vergangenen Jahr auch die Zahl der Gestorben gegenüber 2010 um rund 1 100 auf etwa 97 700 zurückgegangen. Das Geburtendefizit, also die Differenz zwischen der Zahl der Geborenen und der der Gestorbenen, ist somit nochmals von 8 100 im Jahr 2010 auf zuletzt 8 900 angestiegen – das höchste Minus seit der Gründung Baden-Württembergs im Jahr 1952.

Lediglich in neun der 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs konnte noch ein Geburtenplus verzeichnet werden, alle anderen wiesen ein mehr oder weniger großes Geburtendefizit auf. Dagegen wurden im Jahr 2000 noch in 33 Stadt- und Landkreisen mehr Kinder geboren als Menschen gestorben sind.

Ein Geburtenplus wurde im Jahr 2011 mit einer Ausnahme (Landkreis Biberach) nur noch in Stadtkreisen oder stärker verdichteten Landkreisen erzielt: Die Spitzenstellung nahm hierbei die Landeshauptstadt Stuttgart ein, gefolgt vom Stadtkreis Freiburg im Breisgau sowie den Landkreisen Tübingen, Ludwigsburg und Böblingen.

Zu den neun Kreisen mit einem Geburtenplus zählten im Jahr 2011 neben Stuttgart und Freiburg im Breisgau auch die Stadtkreise Ulm und Heidelberg. Heidelberg war somit der einzige Kreis im Regierungsbezirk Karlsruhe und Freiburg im Breisgau der einzige Kreis im Regierungsbezirk Freiburg, in dem mehr Kinder auf die Welt gekommen als Personen gestorben sind. Die meisten Kreise mit einem Geburtenplus befinden sich damit in den Regierungsbezirken Stuttgart (vier Kreise) und Tübingen (drei Kreise).

Insgesamt wiesen 35 Stadt- und Landkreise des Landes weniger Geborene als Gestorbene auf. Die größten Geburtendefizite waren 2011 im Landkreis Karlsruhe, im Rhein-Neckar-, im Ortenau- und im Ostalbkreis zu beobachten.

Die sehr unterschiedliche Bilanz aus der Zahl der Geborenen und der der Gestorbenen in den einzelnen Kreisen wird wesentlich durch die Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst. Aber auch die Geburtenhäufigkeit – also die durchschnittliche Kinderzahl je Frau – und die unterschiedliche Lebenserwartung in den einzelnen Teilräumen bestimmen das Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen.

Dass dieses Verhältnis in den Stadtkreisen Stuttgart und Freiburg im Breisgau im vergangenen Jahr – wie bereits auch im Jahr 2010 – am günstigsten war, dürfte vor allem auf die in den letzten Jahren enorme Zuwanderung zurück zuführen sein, die zu einer gewissen »Verjüngung« der dortigen Bevölkerung geführt hat. Außerdem dürfte die überdurchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung in diesen beiden Großstädten dazu beigetragen haben, dass das zahlenmäßige Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen relativ günstig ist. Dagegen zählt die Geburtenrate, also die durchschnittliche Kinderzahl je Frau, sowohl in Stuttgart als auch in Freiburg im Breisgau landesweit zu den niedrigsten.

Höchster Wanderungsgewinn seit 2002

Wesentlich günstiger als der Geburtensaldo hat sich die Wanderungsbilanz Baden-Württembergs im vergangenen Jahr entwickelt: Mit einem Plus von rund 41 500 Personen fiel der Wanderungsgewinn im vergangenen Jahr deutlich höher aus als noch 2010. Seinerzeit lag dieser bei 17 300 Personen. Letztmalig höher als im Jahr 2011 war der Wanderungsgewinn des Landes im Jahr 2002, als per Saldo 56 000 Personen zugezogen waren.

Die Gründe für diesen enormen Anstieg der Wanderungsgewinne im vergangenen Jahr dürften wohl in erster Linie in der sehr günstigen Arbeitsmarktentwicklung im Land und die gleichzeitigen wirtschaftlichen Probleme in einigen EU-Staaten zu finden sein. Hinzu kommt, dass auch der Zuzug aus den acht EU-Staaten, für die seit Mai 2011 eine uneingeschränkte Freizügigkeit für Arbeitnehmer gilt, zum Teil deutlich angestiegen ist.

Konkret resultierten die Wanderungsgewinne im vergangenen Jahr ganz überwiegend aus einem positiven Wanderungssaldo gegenüber dem Ausland (+40 400) und nur zu einem kleineren Teil gegenüber dem übrigen Bundesgebiet (+1 100). Aus dem übrigen Bundesgebiet verzeichnete das Land hierbei die stärksten Nettozuströme gegenüber Nordrhein-Westfalen (+2 000) sowie Niedersachsen und Sachsen (jeweils +1 200 Personen). Demgegenüber hat Baden-Württemberg per Saldo 3 400 Personen durch Abwanderung nach Bayern verloren; außerdem war die Wanderungsbilanz vor allem auch gegenüber dem Stadtstaat Berlin deutlich negativ (−2 100).

Die stärksten Wanderungsverflechtungen Baden-Württembergs mit dem Ausland bestehen naturgemäß mit dem übrigen Europa. Gut drei Viertel der Zu- und Fortzüge im Jahr 2011 betrafen Umzüge von bzw. in andere europäische Staaten. Der Wanderungsgewinn gegenüber den europäischen Staaten hat sich in 2011 gegenüber 2010 auf 31 400 mehr als verdoppelt.

Die höchsten Wanderungsgewinne innerhalb Europas, aber auch weltweit, wurden gegenüber Rumänien, Polen, Ungarn und Bulgarien erzielt. Das Wanderungsplus hat sich damit gegenüber diesen Staaten – vor allem gegenüber Polen – im Vergleich zu 2010 jeweils deutlich erhöht.

Erheblich angestiegen sind die Wanderungsgewinne aber auch gegenüber den von der Finanz- und Schuldenkrise besonders stark betroffenen Staaten Griechenland und Spanien. Gegenüber Griechenland hat sich das Plus von lediglich 100 Personen im Jahr 2010 auf 2 500 im vergangenen Jahr erhöht, gegenüber Spanien von knapp 700 Personen auf 1 600.

Wanderungsverluste wurden für Baden-Württemberg im vergangenen Jahr nur gegenüber wenigen Staaten verzeichnet. Mit Abstand am stärksten waren diese gegenüber der Schweiz, gefolgt von der Türkei und Kroatien.

Wanderungsverluste vor allem in ländlichen Kreisen

Die Stadt- und Landkreise des Landes haben auch im vergangenen Jahr sehr unterschiedlich von Zuwanderungen profitiert. 36 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs konnten 2011 einen Wanderungsgewinn erzielen, während in acht Landkreisen die Fortzüge höher als die Zuzüge lagen. Im Jahr 2010 war es dagegen noch so, dass lediglich 25 Kreise von Wanderungsgewinnen profitieren konnten und 19 Kreise durch Abwanderung Einwohner verloren hatten.

Die höchsten Wanderungsüberschüsse wurden im Jahr 2011 in den Stadtkreisen Stuttgart, Freiburg im Breisgau und Karlsruhe erzielt. Wird zusätzlich zum absoluten Wanderungsgewinn auch noch die unterschiedliche Einwohnerzahl der Kreise berücksichtigt, so schneidet der Stadtkreis Freiburg im Breisgau am günstigsten ab. In der »Breisgaumetropole« sind per Saldo immerhin 20 Personen je 1 000 Einwohner zugezogen, gefolgt von den Stadtkreisen Heidelberg mit 14 Personen je 1 000 Einwohner und Heilbronn mit elf Personen je 1 000 Einwohner.

Insgesamt wiesen im vergangenen Jahr acht Landkreise im Südwesten mehr Fort- als Zuzüge auf. Die größten Wanderungsverluste waren dabei in eher ländlich geprägten Kreisen zu beobachten, so in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil sowie im Neckar-Odenwald-Kreis.

Alle neun Stadtkreise des Landes haben im vergangenen Jahr – bezogen auf 1 000 Einwohner – überdurchschnittliche Wanderungsgewinne erzielen können. Dagegen war dies bei den Landkreisen ganz überwiegend nur dann der Fall, wenn sie stärker verdichtet sind. Damit setzt sich auch im abgelaufenen Jahr ein Trend fort, der seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts in Baden-Württemberg zu beobachten ist. Die (Groß-)Städte und insbesondere die verdichteten Gebiete im Land haben für Zuziehende im Vergleich zu den 1990er-Jahren an Attraktivität gewonnen, während die Dynamik in den eher ländlich strukturierten Kreisen tendenziell geringer geworden ist. Dabei wird diese Änderung im regionalen Wanderungsgeschehen vor allem von den 15- bis unter 30-Jährigen getragen. Das heißt, der seit etwa einem Jahrzehnt zu beobachtende Trend dürfte insbesondere dadurch bestimmt sein, dass junge Menschen zur Ausbildung und zum Studium verstärkt in die Städte ziehen.

Einwohnerzahl im Land erreicht neuen Höchststand

Der außerordentliche Anstieg der Wanderungsgewinne hat trotz des höchsten Geburtendefizits seit Bestehen des Landes dazu geführt, dass die Einwohnerzahl Baden-Württembergs im Jahr 2011 um etwa 32 300 Personen auf rund 10 786 200 Einwohner angestiegen ist. Damit hat die Einwohnerzahl einen neuen Höchststand erreicht, nachdem die Bevölkerungszahl im Jahr 2010 lediglich um rund 9 000 Personen angestiegen und in den Jahren 2008 und 2009 sogar zurückgegangen war.

Von den 44 Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs konnten im vergangenen Jahr immerhin 31 ihre Einwohnerzahl steigern. Unter ihnen gab es zwölf Kreise, bei denen der Anstieg bei über 1 000 Personen lag. Den mit Abstand stärksten Bevölkerungszuwachs verzeichnete die Landeshauptstadt Stuttgart mit einem Plus von rund 6 800 Personen. Die stärksten Bevölkerungsrückgänge gab es dagegen in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil sowie im Neckar-Odenwald- und im Zollernalbkreis.

Der Stadtkreis Stuttgart mit dem höchsten Bevölkerungszuwachs hat hierbei sowohl von einem Geburtenüberschuss – also mehr Geburten als Sterbefälle – als auch von Wanderungsgewinnen – mehr Zu- als Fortzüge – profitiert. Diese günstige Konstellation gab es im vergangenen Jahr in immerhin noch acht weiteren Kreisen: in den Stadtkreisen Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Ulm und Heilbronn sowie in den Landkreisen Tübingen, Ludwigsburg, Böblingen und Biberach. Dagegen waren im vergangenen Jahr in acht überwiegend ländlich strukturierten Kreisen sowohl der Geburten- als auch der Wanderungssaldo negativ.

Mittel- und langfristig wird die Einwohnerzahl wohl zurückgehen

Mit welcher künftigen Bevölkerungsentwicklung ist im Land zu rechnen? Vor allem die vollständige Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes seit dem 1. Mai 2011 für Bürger von acht osteuropäischen Staaten in Verbindung mit einer weiterhin günstigen Arbeitsplatzentwicklung im Südwesten könnte dazu führen, dass die Zuwanderung in diesem und in den nächsten Jahren auf dem derzeitigen, relativ hohen Niveau verharrt. Zwar ist davon auszugehen, dass die Zahl der Zuzüge aus den neuen Bundesländern weiter zurückgehen wird1 – dennoch dürfte die Bevölkerungszahl im Land aufgrund des insgesamt relativ hohen Zuwanderungsniveaus zunächst weiter ansteigen.

Mittel- und langfristig erwartet das Statistische Landesamt aber, dass die Einwohnerzahl im Südwesten zurückgehen wird. Denn aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung – immer mehr ältere stehen immer weniger junge Menschen gegenüber – wird sich das Geburtendefizit stetig vergrößern. Die zu erwartenden künftigen Wanderungsgewinne werden dann aller Voraussicht nach das deutlich steigende Geburtendefizit nicht mehr kompensieren können.

Entscheidender als die Entwicklung der Einwohnerzahl insgesamt ist aber, dass aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung die Zahl und der Anteil der Jüngeren künftig weiter zurückgehen und die der Älteren kontinuierlich ansteigen wird. Die stetige Alterung betrifft hierbei alle gesellschaftlichen Bereiche, seien es die Schulen, die Belegschaften der Unternehmen oder der Bedarf an Altenpflegeeinrichtungen. Und diese Alterung kann auch mit einer stärkeren Zuwanderung allenfalls abgemildert, aber nicht gestoppt werden. Bis zum Ende des letzten Jahrzehnts waren die Jüngeren (unter 20-Jährige) zahlenmäßig immer stärker als die Älteren (60-Jährige und Ältere) vertreten. Bereits ab dem Jahr 2030 könnten die Älteren zahlenmäßig doppelt so stark wie die Jüngeren sein. Und hieran würde sich nichts Entscheidendes ändern, auch wenn die Wanderungsgewinne in den nächsten Jahren höher liegen würden als erwartet.

1 Dies ist bereits deshalb zu vermuten, weil die Altersgruppe der besonders wanderungsaktiven jungen Erwachsenen schwächer besetzt sein wird.