:: 9/2012

Konjunkturgespräch 2012: ein wichtiger Bestandteil der Konjunkturberichterstattung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg

Die Signale einzelner Konjunkturindikatoren sind nicht immer eindeutig. Die augenblickliche Unsicherheit über die weitere gesamtwirtschaftliche Entwicklung lässt sich beispielsweise an der Volatilität verschiedener Stimmungs- und Finanzmarktindikatoren ablesen. In Zeiten wie diesen besteht ein besonderer Bedarf an Prognosen, was die Sache nicht einfacher macht. Neben dem Blick auf Zahlen und Modelle sind daher Hintergrundinformationen aus einzelnen Branchen gefragt. Seit nunmehr 8 Jahren findet das gemeinsame Konjunkturgespräch von IHK Region Stuttgart und Statistischem Landesamt statt, das die gesamtwirtschaftlichen Zahlen um die Zusammenhänge hinter den Zahlen ergänzt. Die sich ergebenden Diskussionen liefern wertvolle Erkenntnisse für die Konjunkturberichterstattung unseres Hauses.

Modelle ernst, aber nicht wörtlich nehmen

Mit der dritten Ausgabe der Publikation »Konjunktur Südwest«, die stets Ende Juli erscheint, steht die Konjunkturberichterstattung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg vor der Aufgabe, für das laufende Jahr eine Prognose über das Wirtschaftswachstum im Land abzugeben. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt lediglich eine vorläufige Berechnung für das 1. Quartal des Jahres vor. Für die Prognose stehen zum einen verschiedene produktionsnahe Indikatoren sowie Stimmungsindikatoren zur Verfügung, die gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung gewisse Vorläufe aufweisen. Der Gesamtkonjunkturindikator des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg bündelt diese Informationen und gibt damit wertvolle Hinweise über die Richtung des künftigen BIP-Verlaufs.

Eine weitere, indikatorunabhängige Säule der Konjunkturberichterstattung ist ein zeitreihenökonometrisches Modell, das versucht, Zusammenhänge aus der vorliegenden Zeitreihe zu schätzen und auf den Prognosebereich zu übertragen. Während der Gesamtkonjunkturindikator konstruktionsbedingt keine Punktprognose für die reale BIP-Veränderungsrate liefert, ist dies für das Modell grundsätzlich der Fall.1 Da diese wie jede andere Schätzung fehlerbehaftet ist, wird das Modell als Anhalt genommen, die Ergebnisse allerdings modifiziert, wenn Plausibilitätsüberlegungen dies nahelegen.

Glücklicherweise ist das Konjunkturteam des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg hier nicht ganz auf sich allein gestellt, sondern kann von externem Expertenwissen profitieren. Seit 2005 findet alljährlich das gemeinsame Konjunkturgespräch der IHK Region Stuttgart und des Statistischen Landesamts statt. Der Teilnehmerkreis setzt sich zusammen aus dem »Arbeitskreis Wirtschaftspolitik« der IHK Region Stuttgart; hinzu kommen weitere Vertreter aus Landesministerien und Verbänden. Nachdem die aktuelle wirtschaftliche Lage Baden-Württembergs und eine erste Einschätzung der künftigen konjunkturellen Entwicklung des Landes seitens des Statistischen Landesamts in einem Impulsvortrag dargelegt sind, schließt sich eine Diskussion an, in der die gesamtwirtschaftlichen Aspekte und branchenspezifischen Entwicklungen aus den Blickwinkeln der Industrie, der Finanzwirtschaft und des Staates betrachtet werden.

Wirtschaftswachstum 2012 im Südwesten voraussichtlich stärker als in Deutschland

Nach Einschätzung des Statistischen Landesamts liegt das baden-württembergische Wirtschaftswachstum mit der prognostizierten Wachstumsrate von 1 ¾ % für 2012 über dem Wert, den die meisten Institute für Deutschland insgesamt erwarten. So prognostiziert beispielsweise das ifo-Institut für Deutschland ein reales BIP-Wachstum von 0,7 %. Zunächst mag diese Einschätzung überraschen, da die langfristige Betrachtung zeigt, dass konjunkturelle Schwankungen in Baden-Württemberg in der Regel stärker ausfallen als in Gesamtdeutschland. Der Vergleich verschiedener Einzelindikatoren deutet allerdings noch nicht darauf hin, dass der Konjunkturzyklus in Baden-Württemberg bereits in diese Phase eingetreten ist. So wuchs das reale BIP im 1. Quartal 2012 nach Berechnungsstand Mai 2012 in Baden-Württemberg um 2,6 % gegenüber dem Vorjahr, in Deutschland um 1,7 %. Auch gegenüber der Vorperiode war die Steigerungsrate der um saisonale und irreguläre Einflüsse geglätteten Reihe im Südwesten höher (0,6 % in Baden-Württemberg gegenüber 0,3 % in Deutschland nach dem Verfahren BV 4.1). Hinzu kommt, dass der konjunkturelle »Rückenwind«, der aus dem statistischen Überhang2 resultiert, für Baden-Württemberg mit 0,8 % etwas stärker ausfällt.

Nach wie vor gehen wichtige Konjunkturimpulse von der Außenwirtschaft aus. Die Warenausfuhren der baden-württembergischen Industrie stiegen in den Monaten Februar bis April 2012 um 6 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allerdings sind Unterschiede zwischen Ausfuhren in die EU (+4,6 %) und in die übrige Welt (+7,6 %) zu verzeichnen, in denen sich die international verschiedenen Wachstumsdynamiken widerspiegeln. Von den Einzelindikatoren, aus denen sich der Gesamtkonjunkturindikator zusammensetzt, sind in erster Linie die produktionsnahen Größen Auftragseingänge, Produktionsindex und gemeldete offene Stellen für die Bodenbildung, die der Gesamtkonjunkturindikator für die 2. Jahreshälfte 2012 anzeigt, verantwortlich. Gegenpol hierzu bilden die Verläufe der Stimmungsindikatoren DAX und ifo-Geschäftsklimaindex für die gesamte gewerbliche Wirtschaft. Gerade der Geschäftsklimaindex ist in den Monaten Mai und Juni deutlich zurückgegangen, nachdem er seinen letzten Tiefpunkt Ende 2011 zunächst erreicht zu haben schien.

Vielfältige wirtschaftspolitische Handlungsoptionen zur Überwindung der Schuldenkrise

Schwerpunkte der Diskussion waren die Schuldenkrise in Europa, die sich zu einer Vertrauenskrise ausgewachsen hat, und die diversen wirtschaftspolitischen Handlungsoptionen, die zu deren Bewältigung vorgeschlagen werden. Die Unsicherheit der Wachstumsprognose ergibt sich daraus, dass die Auswirkungen der Szenarien zum einen in der Fachwelt teilweise kontrovers beurteilt werden und deren politische Durchsetzbarkeit zum anderen unterschiedlich eingeschätzt wird. Allgemeines Ziel der wirtschaftspolitischen Akteure ist es ja, das Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte der Krisenländer (wieder-)herzustellen. Hierzu wurden Strukturreformen angestoßen, diverse fiskalpolitische Konsolidierungsmaßnahmen in Angriff genommen oder zumindest in Aussicht gestellt und der dauerhafte Rettungsschirm ESM etabliert. Flankiert wurde dies durch die Europäische Zentralbank, die massiv Staatsanleihen der Krisenländer aufgekauft hat mit dem Ziel, den Regierungen bezüglich der Kosten der Refinanzierung Luft zu verschaffen. Eine weitere Maßnahme, die der Stabilität des Bankensystems dienen sollte, war im Februar 2012 die Bereitstellung eines Dreijahrestenders, mittels dessen den teilnehmenden Banken Liquidität in Höhe von rund einer Billion Euro zufloss.

Zieht man die Rendite von Staatsanleihen mit 10-jähriger Restlaufzeit als zentralen Vertrauensindikator heran, so scheint der Erfolg der Maßnahmen bislang eher durchwachsen zu sein. Ein nachhaltiges Sinken der Aufschläge gegenüber deutschen Staatsanleihen ist noch nicht zu beobachten. Dagegen sehr deutlich zu beobachten ist der Rückgang der Wirtschaftsleistung in Griechenland, Spanien, Portugal und auch Italien. Bemerkenswert ist ferner, dass die BIP-Veränderungsraten, die noch vor einem Jahr für diese Länder prognostiziert wurden, weitaus positiver waren – ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Wirkungskette, wonach die Kürzung von Staatsausgaben das Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte stärkt und über verstärkte private Investitionsbereitschaft zu mehr Wachstum führt, zumindest in der kurzen Frist zweifelhaft ist. Sehr real dagegen ist der Nachfrageausfall, der auch Auswirkungen auf die Nachfrage nach baden-württembergischen Gütern hat.

1 Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Gesamtkonjunkturindikator und dem zeitreihenökonometrischen Modell vgl. Vullhorst, Udo: »Quartalsprognosen des Bruttoinlandsprodukts«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2011«, S. 26–29.

2 Der statistische Überhang errechnet sich aus der Veränderungsrate des saison- und arbeitstäglich bereinigten BIPWertes für das 4. Quartal 2011 gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2011. Somit hat man eine Messgröße dafür, wie das Wirtschaftswachstum 2012 ausfiele, wenn das BIP 2012 auf dem Niveau des Schlussquartals 2011 stagnierte. Selbst in diesem Fall würde Baden-Württembergs Wirtschaft jahresdurchschnittlich wachsen.