:: 11/2012

40 Jahre Vorsitz und Federführung im Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«

Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) stellen das umfassendste Instrumentarium der Wirtschaftsbeobachtung dar. Dabei kann das Statistische Landesamt Baden-Württemberg in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum begehen. Seit 40 Jahren stellt es den Vorsitz und die Federführung im Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (VGRdL), dem die Statistischen Ämter der 16 Bundesländer sowie das Statistische Bundesamt und das Bürgeramt, Statistik und Wahlen der Stadt Frankfurt am Main als Vertreter des Deutschen Städtetages angehören. Das 40-jährige Jubiläum sei Anlass, aus der Sicht des federführenden Landes die wichtigsten Meilensteine der letzten 4 Dekaden Revue passieren zu lassen und gleichzeitig die aktuellen Entwicklungen zu skizzieren. Von besonders herausragender Bedeutung für die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder waren in den letzten Jahrzehnten die Deutsche Vereinigung und die Realisierung des Europäischen Binnenmarktes, das Internet als Revolutionierung des Veröffentlichungswesens und die Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission, die die Kritik am Bruttoinlandsprodukt als umfassenden Wohlstandsindikator wieder entfacht hat. Die Umstellung der früheren deutschen VGR auf das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 1995 dürfte als die umfangreichste Revision in die Annalen eingehen.

Sozusagen urkundlich erwähnt ist die Übernahme der Federführung im Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (VGRdL) durch das Statistische Landesamt Baden-Württemberg im Protokoll der Tagung am 28./29. November 1972 in Stuttgart. Dort heißt es: »Diese Tagung fand nach Übergabe der Federführung im Arbeitskreis von Hessen an Baden-Württemberg im Sommer 1972 erstmals unter Leitung des neuen Vorsitzenden Prof. Dr. Szameitat, Präsident des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg, statt. Prof. Dr. Szameitat und Dr. Wuchter1 als Sprecher des Arbeitskreises würdigten die Verdienste des bisherigen Vorsitzenden, Dr. Hüfner, und sprachen ihm ihren herzlichen Dank für die geleistete Aufbau- und Entwicklungsarbeit bei den regionalen Sozialproduktsberechnungen aus«.

Letztendlich ausschlaggebend für die Stabübergabe an Baden-Württemberg war der damals bevorstehende Amtsleiterwechsel im Hessischen Statistischen Landesamt. Präsident Dr. Willi Hüfner leitete das Statistische Landesamt in Hessen seit 1948 und trat 1973 mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand. Seit der Gründung des Arbeitskreises im Jahr 1954 oblag Hessen 18 Jahre lang die Federführung in diesem Gremium, das sich zur Aufgabe machte, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen auf der Länderebene zu erstellen.

Seit 1972 stellt das Statistische Landesamt Baden-Württemberg ohne Unterbrechung den Vorsitz und die Federführung des Arbeitskreises VGRdL. Dass es für Baden-Württemberg im November 2012 einmal 40 Jahre werden sollten, war durchaus nicht voraussehbar und vermutlich auch nicht beabsichtigt. Im Nachhinein betrachtet dürften es angesichts der ständig gewachsenen Herausforderungen wohl Aspekte der Kontinuität, Erfahrung und Kompetenz, aber auch Fragen verfügbarer Kapazitäten gewesen sein, die Leitung des Arbeitskreises in den Händen von Baden-Württemberg zu belassen. In dieser Führungsfunktion kann sich Baden-Württemberg immer an den Maximen des Arbeitskreises orientieren, die im Kontext föderaler Strukturen von Anfang an auf Arbeitsteilung und Konsens bei der Entscheidungsfindung der Länder sowie auf die gemeinsame Verantwortung für alle mit einheitlichen Methoden und Datenquellen berechneter Länderergebnisse setzten.

Diese Regeln waren nicht nur für den Arbeitskreis VGRdL wegweisend. Das Erfolgsmodell »VGRdL« hat dermaßen überzeugt, dass zentrale Elemente seiner Grundsätze auch von den viel später gegründeten Arbeitskreisen »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« und »Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder« übernommen wurden. Selbst im Masterplan zur Reform der Amtlichen Statistik in Deutschland findet sich zum Beispiel in der Forderung nach der zentralen Datenhaltung und -produktion das Prinzip der länderübergreifenden Arbeitsteilung zur Modernisierung der Verwaltungsvorgänge2 wieder.

Aufgaben von Vorsitz und Federführung

Die Grundsätze des Arbeitskreises VGRdL, zu denen er sich selbst verpflichtet hat, wurden unter der Federführung Baden-Württembergs 1980 erstmals schriftlich fixiert und von den Leitern der Statistischen Landesämter auf ihrer Amtsleitertagung dieses Jahres verabschiedet. Aktualisiert wurden sie im Jahr 1993 während der Amtszeit von Präsident Dr. Eberhard Leibing (1992–2001) als die sogenannten »Schweriner Beschlüsse«.

Die Grundsätze beschreiben en detail die Organisationsstruktur, das Rechenprogramm und die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit und definieren die Aufgaben des/der Vorsitzenden des federführenden Landes, der Koordinierungsländer sowie der übrigen Mitglieder. Insofern haben sie den Charakter eines Verhaltenskodex, der als Orientierungsrahmen für die Aufgabenerfüllung dient. Die Funktion der/des Vorsitzenden, das heißt der Präsidentin bzw. des Präsidenten des federführenden Statistischen Landesamtes, besteht darin, den Arbeitskreis nach außen – zum Beispiel im Statistischen Beirat, in den Ministerien oder im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – zu vertreten, die strategischen Planungen und Arbeiten entsprechend der Zielsetzungen des Arbeitskreises in Abstimmung mit den Leiterinnen und Leitern der Statistischen Ämter der Länder und des Bundes sowie den Hauptkonsumenten zu leiten und die Ergebnisse förmlich frei zu geben.

Die Federführung – sie ist in Bezug auf die VGR-Aufgaben eine Stabstelle des/der Vorsitzenden – sorgt dabei für eine effektive Geschäftsführung. Diese umfasst im Wesentlichen die Durchführung von Tagungen, die Koordinierung laufender Arbeiten und der wissenschaftlich-methodischen Diskussion, die Vertretung des Arbeitskreises in fachlich relevanten Gremien auf nationaler und europäischer Ebene, die Herausgabe von Gemeinschaftsveröffentlichungen, die Erledigung von Lieferverpflichtungen gegenüber der Europäischen Union sowie die Bearbeitung länderübergreifender Datenanfragen. Zu den wichtigsten Funktionen der Federführung gehören auch die Politikberatung im Rahmen der Struktur- und Konjunkturbeobachtung (siehe i-Punkt) sowie Vortragsaktivitäten zu übergeordneten und querschnittsorientierten Themen der regionalen VGR.

Erwähnenswert ist die Anzahl der Tagungen des Arbeitskreises unter der baden-württembergischen Ägide – sie summiert sich seit 1972 bis heute auf 96. Mehrfach tagte der Arbeitskreis schon in Stuttgart, so auch am 6./7. Mai 2004. Dieser Termin bleibt insofern in besonderer Erinnerung, als am Ende des ersten Sitzungstages der von der Federführung ausgerichtete Festakt zum 50-jährigen Jubiläum des Arbeitskreises VGRdL stattfand. Grußworte sprachen der damalige Finanzminister von Baden-Württemberg, Gerhard Stratthaus, der Leiter des Referats Strukturfonds beim Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat), Roger Cubitt, und der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann Hahlen. Für den Festvortrag konnte Professor Dr. Wolfgang Wiegard, der damalige Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gewonnen werden. Übrigens: Seit rund 10 Jahren ist ein Vertreter von Eurostat wegen der mittlerweile sehr starken europäischen Ausrichtung der regionalen Gesamtrechnungen ständiger Gast der Tagungen des Arbeitskreises VGRdL, um den direkten Dialog zwischen beiden Institutionen zu pflegen und zu fördern.

Die Aufgaben der Koordinierungsländer bestehen vor allem in der Berechnung der zu ihrem Arbeitsgebiet gehörenden Aggregate und in deren methodischen Weiterentwicklung. Alle Statistischen Landesämter sind mit Koordinierungsaufgaben betraut. So ist zum Beispiel Bayern zuständig für die Fortschreibungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Nordrhein-Westfalen berechnet die Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes im Rahmen der Originärberechnung und Mecklenburg-Vorpommern ermittelt das Primäreinkommen der privaten Haushalte sowie das Nettonationaleinkommen und Volkseinkommen für alle Bundesländer.

Neben Vorsitz und Federführung obliegen dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg wie jedem anderen Mitglied des Arbeitskreises auch »konkrete« Koordinierungsaufgaben. Dabei kommt der »maschinellen Aufbereitung« aufgrund ihrer engen Verflechtung mit den Federführungsaufgaben eine besondere Bedeutung zu. Darunter wird die IT-unterstützte Zusammenführung aller Länder- und Kreisdaten der VGR zum kompletten Datensatz der Entstehungs-, Verteilungs- und Verwendungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts verstanden. Als Kern der regionalen VGR ist die »maschinelle Aufbereitung« nicht nur das zentrale Aufbereitungs-, sondern auch das zentrale Analyseinstrumentarium der Regionalrechnung und somit die Basis für eine medienbruchfreie Produktion der Gemeinschaftsveröffentlichungen. Derzeit besteht die »maschinelle Aufbereitung« der Länderdaten in einer Großrechnerlösung (ADABAS NATURAL) mit einer PC-Schnittstelle für die laufende Steuerung der Produktionsvorgänge und Nutzung des Datenbestandes durch die Mitglieder des Arbeitskreises. Um weitere Rationalisierungspotenziale zu nutzen, wird mittelfristig eine reine PC-Lösung über den Verbundstandard JAVA angestrebt.

Die 1970er- und 1980er-Jahre: Meilensteine beim Datenangebot

Die 1970er- und 1980er-Jahre waren im Wesentlichen von der methodischen Arbeit geprägt, wobei die Komplettierung des Datenangebots auf Länderebene mit Blick auf die umfassende Darstellung des Wirtschaftskreislaufs in den nationalen VGR im Vordergrund stand. So konnte der Arbeitskreis VGRdL im Juni 1974 mit Heft 5 seiner Gemeinschaftsveröffentlichungen einen wichtigen Entwicklungsschritt vollenden: Erstmals wurde die sogenannte Drei-Seiten-Rechnung des Sozialprodukts mit zentralen Größen der Verteilungs-, Umverteilungs- und Entstehungsrechnung der VGR auf Länderebene vom federführenden Statistischen Landesamt Baden-Württemberg im Auftrag der Mitglieder des Arbeitskreises veröffentlicht. Im Oktober 1988 folgte ein weiterer Meilenstein, als mit Heft 17 der oben genannten Veröffentlichungsreihe zum ersten Mal mit der Bundesrechnung vergleichbare Länderergebnisse für die Anlagevermögensgrößen veröffentlicht wurden. Damit lag neben dem Produktionsfaktor Arbeit nun auch der Produktionsfaktor Kapital vor, sodass sich das Bild bei der Analyse gesamtwirtschaftlicher Produktionsprozesse vollends abrundete.

Schon damals haben die im Turnus von etwa 5 Jahren anfallenden großen VGR-Revisionen zu erheblichen Belastungen geführt und dabei Vorsitz und Federführung in ihrer Management- und Moderatorenfunktion aufs Höchste gefordert. Anlass dieser Revisionen waren üblicherweise das Vorliegen neuer Großzählungen (zum Beispiel Arbeitsstättenzählung, Gebäude- und Wohnungszählung), wirtschaftssystematische Umstellungen, ein neues Preisbasisjahr, konzeptionelle Änderungen auch in den internationalen VGR-Systemen (zum Beispiel System of National Accounts/SNA), Verbesserungen der Berechnungsmethoden und die Erschließung neuer Datenquellen. Besonders erwähnenswert erscheint die »Metamorphose« des BIP in den 1970er- und 1980er-Jahren. Anfangs ergab es sich einfach als die Summe der Beiträge der einzelnen Wirtschaftsbereiche zum BIP3, wobei diese Beiträge jeweils der Differenz von Produktionswert und Vorleistungen entsprachen. Später war es die Summe der um die unterstellte Bankgebühr bereinigte gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung und der Einfuhrabgaben abzüglich des Vorsteuerabzugs an Umsatzsteuer auf Investitionen. Mit der Umstellung von dem modifizierten Brutto- auf das Nettosystem im Jahr 1984 folgte dann die bis zur Einführung des Europäischen Systems der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 1995 zur Jahrtausendwende gültige Berechnungsformel:

Summe der Produktionswerte

– Summe der Vorleistungen

= Unbereinigte Bruttowertschöpfung

– Unterstellte Entgelte für Bankdienstleistungen

= Bereinigte Bruttowertschöpfung

+ Nichtabziehbare Umsatzsteuer

+ Einfuhrabgaben

= Bruttoinlandsprodukt (zu Marktpreisen).

Nettosystem heißt, dass die Bruttowertschöpfung fortan ohne die 1968 eingeführte Mehrwertsteuer dargestellt wurde.

Die 1990er-Jahre: Deutsche Vereinigung und …

Zweifellos stellten die geopolitischen Veränderungen der 1990er-Jahre all die Herausforderungen in den Schatten, mit denen der Arbeitskreis zuvor konfrontiert worden war. Erinnert sei in diesem Zusammenhang zum einen an die Deutsche Vereinigung am 3. Oktober 1990, zum anderen an die Realisierung des Europäischen Binnenmarktes 1993.

Der Arbeitskreis, von 1980 bis 1992 unter Vorsitz von Präsident Prof. Dr. Max Wingen, hat damals die Zeichen der Zeit rasch erkannt. Schon kurz nach der Wiedervereinigung fand vom 10. bis 12. Dezember 1990 in Berlin die erste gesamtdeutsche Tagung des Arbeitskreises – also unter Beteiligung aller 16 Statistischen Landesämter – statt. Dabei ging es vor allem darum, die fünf neuen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Mitglieder in den Arbeitskreis aufzunehmen und die Weichen für die Inklusion der neuen Länder in das System der VGR der Länder zu stellen. Die VGR-Anliegen von Berlin-Ost wurden dabei vom Statistischen Landesamt Berlin wahrgenommen. 4

Zunächst ging es darum, die VGR-Kolleginnen und Kollegen in den ostdeutschen Bundesländern mit dem für sie neuen westdeutschen VGR-System vertraut zu machen und angesichts der besonderen Datenlage ein Übergangskonzept für die BIP-Berechnungen in den neuen Bundesländern und Berlin-Ost zu entwickeln. Die Bilanz der Integration kann sich durchaus sehen lassen: Bereits im Mai 1992 konnte das BIP der neuen Bundesländer für das 2. Halbjahr 1990 und im Juli 1992 für das Gesamtjahr 1991 vorgelegt werden. Nach Abschluss der Gebietsreformen in allen neuen Bundesländern folgten in einer im Februar 1998 erschienenen Gemeinschaftsveröffentlichung (Heft 31) erstmals Wertschöpfungsdaten für alle Stadt- und Landkreise im vereinten Deutschland. Bis Ende der 1990er-Jahre waren alle Datenlücken in Ostdeutschland geschlossen, sodass im Februar 2000 erstmals mit Heft 34 der Gemeinschaftsveröffentlichungen die komplette Drei-Seiten-Rechnung für alle Bundesländer vorgelegt werden konnte.

Die Integration der neuen Bundesländer erforderte eine Reorganisation des Arbeitskreises, und zwar eine Neuverteilung der Koordinierungsaufgaben, nachdem die Sonderrechnungen für Ostdeutschland schrittweise ausgelaufen und damit die neuen Arbeitskreismitglieder an den Aufgaben in den Rechenbereichen zu beteiligen waren. Die Vorschläge der Federführung und Arbeitskreismitglieder orientierten sich dabei an den Kapazitäten und den Kompetenzschwerpunkten der einzelnen Landesämter als auch an den sich schon recht früh abzeichnenden Zusatzaufgaben durch das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 1995. Mit dem damaligen Beschluss des Arbeitskreises zum neuen Aufgabenzuschnitt war unter Vorsitz von Präsident Dr. Eberhard Leibing das Fundament für die heutige Organisationsstruktur geschaffen.

Finanziell unterstützt wurden die von der Federführung zu organisierenden Integrationsaktivitäten von der Europäischen Union im Rahmen des sogenannten PHARE-Programms5. Diese Mittel dienten dazu, die vielen Schulungsmaßnahmen, gegenseitigen Kontaktbesuche, Sondertagungen und Sitzungen der Arbeitsgruppe »VGR der neuen Bundesländer«, die sich speziell dem Aufbau der regionalen Gesamtrechnungen in Ostdeutschland widmete, zu finanzieren.6

Durch den Wegfall des »Eisernen Vorhangs« und die sich abzeichnende Osterweiterung der Europäischen Union entstand in den früheren Ostblockstaaten in den 1990er-Jahren zudem ein immenser Beratungsbedarf. Denn im Zuge des Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft waren die dortigen Gesamtrechnungen an die in Westeuropa gültigen Standards anzupassen. Dabei suchten zahlreiche Statistischen Ämter mittel- und osteuropäischer Länder wie Tschechien, Lettland, Litauen, Polen und Ukraine auch die Verbindung zur Federführung des Arbeitskreises VGRdL, um von den Methoden und Organisationsprinzipien in der deutschen Regionalrechnung zu lernen. Beachtlich waren zudem die mehrfachen Besuche von Statistikern aus China, und in späteren Jahren besuchte sogar eine Delegation des nationalen Statistikamtes in Pakistan die Federführung in Stuttgart.

… Europäischer Binnenmarkt beispiellose Herausforderungen

Mit der Realisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit europaweit vergleichbarer Statistiken. Dem Ziel, die gesamtwirtschaftlichen Indikatoren europaweit zu harmonisieren, diente die Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft (ESVG 1995). Diese Verordnung unterstreicht zugleich die hohe administrative Bedeutung der VGR für die Politikbereiche der Europäischen Union, sei es bei der Ermittlung der Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt auf Basis des Bruttonationaleinkommens, der Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Maastricht-Kriterien) oder der Abgrenzung von Fördergebieten im Rahmen der Kohäsionspolitik anhand des regionalen Bruttoinlandsprodukts.

Der Aufwand für die Umstellung auf das ESVG 1995 in den Ländern war enorm, weil sich durch die vielen konzeptionellen, sektoralen, wirtschaftssystematischen und begrifflichen Neuerungen die Architektur der VGR grundlegend verändert hat. Die Revisionsarbeiten haben sich neben der zu leistenden Integration der neuen Arbeitskreismitglieder und der durchzuführenden laufenden Rechnung auf rund 5 Jahre erstreckt. Im Oktober 1995 wurde von der Federführung des Arbeitskreises VGRdL die konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppe »Revision 2000« zur Umsetzung des ESVG 1995 in der deutschen Regionalrechnung einberufen. Im August 2000 erfolgte durch den Vorsitzenden, Präsident Dr. Eberhard Leibing, auf einer Pressekonferenz in Stuttgart die erste Veröffentlichung langer BIP-Reihen und tief gegliederter Wertschöpfungsdaten nach den nun europaweit einheitlichen Standards. Auf der europäischen Ebene wurde die Einführung des regionalen ESVG 1995 in den Mitgliedstaaten von der Eurostat Working Group »Regional Accounts« begleitet, an deren Sitzungen neben einem Vertreter des Statistischen Bundesamtes auch die Federführung teilgenommen hat und damit die Interessen des Arbeitskreises VGRdL direkt vertreten waren.

Stellvertretend für die Veranschaulichung der vielen revisionsbedingten Änderungen sei wieder das BIP herausgegriffen. Nachdem das ESVG 1995 für die Bewertung der Bruttowertschöpfung allein die Herstellungspreise7 verbindlich festgelegt hatte, ergab sich ab dem Veröffentlichungsjahr 2000 das BIP gemäß der Berechnungsformel:

Summe der Produktionswerte zu Herstellungspreisen

– Summe der Vorleistungen zu Anschaffungspreisen

= Unbereinigte Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen

– Unterstellte Bankgebühr

= Bereinigte Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen

+ (Gütersteuern – Gütersubventionen)

= Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.

Es wäre jedoch nicht richtig, nur den Umstellungsaufwand bei der ESVG-Revision herauszustellen, zumal das ESVG die deutsche regionale VGR in vielerlei Hinsicht vorangebracht hat. Für den Nutzer der VGR waren es vor allem die deutlichen Erweiterungen des Datenangebots auf der Kreisebene. So ist es letztendlich den in der ESVG-Verordnung festgelegten Lieferverpflichtungen der Mitgliedstaaten an Eurostat zu verdanken, dass jetzt zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, die Bruttowertschöpfung, das Arbeitnehmerentgelt, das Primär- und Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte für alle Kreise Deutschlands jährlich und mit geringerem time-lag zur Verfügung stehen. Damit eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten für europaweite Regionalanalysen, zumal das vorhergehende ESVG – REG 19728 mehr oder weniger nur ein Gentlemen’s Agreement war. In dieser Eigenschaft hinterließ es in den Regionaldatenbanken von Eurostat immer größere Lücken und konnte bei weitem nicht dem heutigen Anspruch der europaweiten Vergleichbarkeit der gesamtwirtschaftlichen Regionaldaten genügen.

Die ersten 2000er-Jahre: Euro-Umstellung, FISIM und Kettenindizes

Die Idee einer einheitlichen europäischen Währung wurde mit der Einführung des Euro als Bargeld am 1. Januar 2002 Wirklichkeit. Ab diesem Zeitpunkt erfolgten in allen Veröffentlichungen der VGR die Wertangaben nicht mehr in DM, sondern in Euro. Für den Arbeitskreis VGRdL waren es die Pressemitteilungen zu der Schnellrechnung des BIP 2001 im Februar 2002, mit denen der Startschuss für Darstellungen in Euro gefallen ist.

Auch in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends hat eine große VGR-Revision die Federführung und die Mitglieder des Arbeitskreises VGRdL in Atem gehalten, und zwar die Revision 2005. Sie brachte entsprechend rechtsverbindlicher Vorgaben durch die Europäische Union zwei fundamentale Neuerungen: zum einen die realitätsnähere Verbuchung der »unterstellten Bankgebühr« bzw. der »Finanzserviceleistung, indirekte Messung (FISIM)« nach den verwendenden Wirtschaftsbereichen (Vorleistungen) und Sektoren (privater und staatlicher Konsum, Exporte, Importe), zum anderen bei den realen Darstellungen die Einführung der Vorjahrespreisbasis und damit die Abkehr von der bisherigen Festpreisbasis.

Infolge der neuen FISIM-Regel, nach der die vorleistungswirksamen Bestandteile der FISIM schon im Rahmen der Wertschöpfungsrechnung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche zu verbuchen sind, entfiel die Unterscheidung zwischen der unbereinigten und bereinigten Bruttowertschöpfung. Damit vereinfachte sich die Ableitung des Bruttoinlandsprodukts auf die Formel:

Summe der Produktionswerte zu Herstellungspreisen

– Summe der Vorleistungen zu Anschaffungspreisen

= Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen

+ (Gütersteuern – Gütersubventionen)

= Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.

Gewöhnungsbedürftig sowohl für die Produzenten als auch die Kunden der VGR war die Umstellung auf die Vorjahrespreisbasis. Seither werden in den Veröffentlichungen bei den realen bzw. preisbereinigten Darstellungen ausschließlich Kettenindizes, Veränderungsraten und Messzahlen nachgewiesen. Reale Absolutwerte – wie das Bruttoinlandsprodukt, die Bruttoanlageinvestitionen und die privaten Konsumausgaben in Vorjahrespreisen – haben nur noch eine rein rechentechnische Bedeutung für die Zwischenschritte der Indexberechnungen.

Qualitätsinitiativen der Europäischen Union

Im Hinblick auf die übergeordneten, auch für die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen besonders bedeutenden Entwicklungen in den ersten 2000er-Jahren sind vor allem die Qualitätsinitiativen, das Internet und die für den Bürokratieabbau verstärkte Nutzung von Verwaltungsdaten zu nennen.

Auch bei den Qualitätsfragen kamen schon früh die wesentlichen Impulse von der Europäischen Union, wobei die Begriffe und Grundsätze der Qualität statistischer Produkte mittlerweile im Verhaltenskodex Europäischer Statistiken festgelegt sind. Die Qualität umfasst hierbei nicht nur die Genauigkeit der Daten, sondern auch die Aspekte der Vergleichbarkeit, Vollständigkeit, Transparenz, Zugänglichkeit und Aktualität der Berechnungen. Dass die regionalen VGR zusehends in den Fokus der Qualitätsuntersuchungen von Eurostat rücken würden, lag angesichts der Bedeutung des regionalen BIP für die Verteilung der Milliarden an Fördermitteln der Struktur- und Kohäsionsfonds auf der Hand. So umfassen die Finanzmittel für die Kohäsionspolitik in der Förderperiode 2007 bis 2013 insgesamt 355 Mrd. Euro. Die europäische Kohäsionspolitik (rund 35 %) ist nach der gemeinsamen Agrarpolitik (rund 43 %) der zweitgrößte Ausgabenposten im EU-Budget.9

Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre startete Eurostat in den Mitgliedstaaten eine erste Qualitätswelle, an der sich auch die Federführung des Arbeitskreises VGRdL im Jahr 1998 mit einem sogenannten Screening-Report zu den Regionalberechnungen der Bruttowertschöpfung und der Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland beteiligt hat. Wesentlich anspruchsvoller, umfangreicher und differenzierter war der im Jahr 2002 von der Federführung vorgelegte Qualitätsbericht, der Eurostat vor allem eine Überprüfung der Einhaltung der Regeln des ESVG 1995 und der Genauigkeit der Regionalergebnisse in Deutschland ermöglichen sollte. In den Jahren 2009/2010 wurde von der Federführung für Eurostat-Zwecke erneut eine Methodendokumentation für die Wertschöpfungsberechnungen im Arbeitskreis VGRdL erstellt. Alle bisherigen Qualitätsprojekte hat Eurostat teilfinanziert. Ein Compliance Visit von Eurostat in den deutschen regionalen VGR erfolgte im März 2011, bei dem die Federführung des Arbeitskreises VGRdL, unterstützt von den Statistischen Ämtern der Bundesländer, deren Ergebnisse darzulegen waren, Rede und Antwort stand. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) hat bereits im Juli 2005 im Rahmen einer Gesprächsrunde zur Überprüfung der deutschen VGR bezüglich der Einhaltung internationaler Standards und Kodizes die Federführung zu den Gegebenheiten im Arbeitskreis VGRdL befragt und wie Eurostat der deutschen Regionalrechnung ein positives Testat ausgestellt.

Internet revolutioniert die Veröffentlichungen

Das Internet führte nicht nur zu erheblichen innerbetrieblichen Produktivitätsfortschritten, sondern revolutionierte auch die Möglichkeiten der Außendarstellung des Arbeitskreises. Ohne den Siegeszug des Internet wäre es wohl nicht möglich gewesen, die Qualitätsziele in einem Umfang zu realisieren, wie es heute Standard ist. Dies betrifft vor allem die Zugänglichkeit der Daten und die Transparenz der Berechnungen. Sobald die Berechnungen abgeschlossen und frei gegeben sind, stehen die kompletten Länder- bzw. Kreisergebnisse tagesaktuell unter der Homepage des Arbeitskreises als HTML-Übersichtstabellen oder tief differenzierte Excel-Tabellen der elektronischen Gemeinschaftsveröffentlichungen zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Ergänzt wird das Datenangebot unter anderem durch eine Methodendokumentation und eine Sammlung von Aufsätzen der Mitglieder des Arbeitskreises zu verschiedensten Themen der regionalen und nationalen VGR im PDF-Format (siehe i-Punkt). Pro Monat wurde im Durchschnitt der letzten Jahre bis zu gut 19 000 mal auf die Homepage des Arbeitskreises zugegriffen. Früher konnten die VGR-Gemeinschaftsveröffentlichungen der Statistischen Landesämter schon allein aus Kapazitätsgründen nur in größeren Zeitabständen gedruckt werden und auch die zwischenzeitlichen Disketten- und CD-ROM-Lösungen konnten auf Dauer nicht befriedigen.

Gepflegt wird das Internet-Angebot der regionalen VGR von der Federführung, unterstützt von den IT-Referaten im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg. Große Verdienste um die Öffnung, Vernetzung und Kundenorientierung der regionalen VGR erwarb sich Präsidentin Dr. Gisela Meister-Scheufelen, von 2002 bis Jahresmitte 2007 Vorsitzende des Arbeitskreises VGRdL. Ihr ist auch ein Paradigmenwechsel bei der Arbeitsplanung zu verdanken, indem sich der Arbeitskreis auf feste Veröffentlichungstermine verständigt hat. Ferner war ihr die Qualität der Daten der regionalen VGR ein sehr großes Anliegen. Zur Qualitätsverbesserung initiierte sie ein 10-Punkte-Programm, das zeitnah umgesetzt wurde. Es beinhaltete beispielsweise die Einbeziehung unternehmensspezifischer Kostenstrukturen schon bei den Fortschreibungen des BIP und die Verwendung der um die Organschaften bereinigten Umsätze aus dem Unternehmensregister für die Wirtschaftsbereiche, bei denen die Umsätze als Schlüsselgröße bei der Wertschöpfungsberechnung verwendet werden.

Unter Präsidentin Dr. Carmina Brenner, seit Herbst 2007 Vorsitzende des Arbeitskreises VGRdL, wurden die Qualitätsanstrengungen und Erweiterungen des Internetangebots weiter intensiviert. In Abstimmung mit den Hauptnutzern der regionalen VGR aus Politik und Wissenschaft fiel 2009 die Entscheidung, die volatile erste Fortschreibung des BIP Anfang Februar des dem Berichtsjahr folgenden Jahres einzustellen und ein erstes BIP-Ergebnis künftig erst am 30. März auf einer vollständigeren Datenbasis zu veröffentlichen.

Verwaltungsdaten auch in den VGR auf dem Vormarsch

Statistikbereinigungen und Reformen sind fester Bestandteil der Amtlichen Statistik. Zur Entlastung der Unternehmen von Berichtspflichten wird in den letzten Jahren, auch einhergehend mit dem Aufbau und der Führung des Unternehmensregisters (URS), verstärkt auf Verwaltungsdaten der Finanzbehörden und der Bundesagentur für Arbeit gesetzt. Dabei verfolgt das URS einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz. Entscheidende Kriterien für die Nutzbarkeit der Verwaltungsdaten in den regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen sind der Bezug zur örtlichen Einheit, die Organschaftsbereinigung der Umsätze, die Verlässlichkeit der Wirtschaftsbereichszuordnung und die Aktualität der Daten, auf die die Federführung in Stellungnahmen bei anstehenden Eignungstests stets hinweist.

Das Unternehmensregister bzw. die Verwaltungsdaten haben die früheren Großzählungen wie die Arbeitsstättenzählung, Handels- und Gaststättenzählung sowie die Handwerkszählung und auch Jahreserhebungen bei den sogenannten »unkonstanten Berichtskreisen« (zum Beispiel frühere Kleinbetriebserhebung in der Industrie) vollständig ersetzt. Teilweise gibt es einen Mix von Verwaltungs- und primärstatistischen Daten wie bei der vierteljährlichen Dienstleistungskonjunkturstatistik. Einen aus VGR-Sicht großen Erfolg stellte die erstmals für das Berichtsjahr 2000 durchgeführte Strukturerhebung in den unternehmensnahen Dienstleistungsbereichen dar, nachdem Vorsitz und Federführung des Arbeitskreises VGRdL im Hinblick auf den sich abzeichnenden Strukturwandel jahrelang die Dringlichkeit dieser Primärerhebung betont hatten. Dabei wurden Forderungen der VGR nach regional trennscharfen Ergebnissen bei den wichtigsten Merkmalen (Umsatz, Bruttoentgelt, Bruttoanlageinvestitionen, Tätige Personen) erfüllt. Ein großer »weißer Fleck« im Berichtssystem der Amtlichen Statistik war damit beseitigt. Endlich standen dem Arbeitskreis für die Berechnung der Wertschöpfung und der Investitionen in diesen sehr dynamischen Wirtschaftsbereichen originäre Basisdaten auf Länderebene zur Verfügung.

Auftakt zur zweiten Dekade: Revision 2011 und …

Der Start in die 2. Dekade des neuen Jahrtausends wurde durch die Revision 2011 bestimmt. Ihre Hauptaufgabe war, die Darstellungen und Berechnungen der VGR auf die neue europaweite Klassifikation der Wirtschaftszweige NACE Rev. 210 bzw. WZ 2008 umzustellen. Daneben wurden, wie bei Revisionen üblich, auch einige methodische Verbesserungen zur Verminderung der Ergebnisvolatilität realisiert und zusätzliche Datenquellen erschlossen. Kennzeichnend für die Revision 2011 ist, dass sie sich aus den oben genannten Gründen verstärkt auf Verwaltungs- bzw. Registerdaten stützt.

Schon heute wirft die nächste große VGR-Revision 2014 ihre Schatten voraus. Bei ihr geht es um die Umsetzung der neuen Vorgaben des revidierten ESVG 2010, der europäischen Version des revidierten weltweiten System of National Accounts (SNA 2008). Sie beinhalten im Wesentlichen die künftige Verbuchung von FuE-Aufwendungen als Investitionen (bisher: Vorleistungen) sowie die überarbeiteten Berechnungsmethoden für die unterstellten Sozialbeiträge der Beamten und für die FISIM. Gleichzeitig werden auch die Regionaltabellen des rechtsverbindlichen ESVG-Lieferprogramms ausgeweitet mit der Forderung nach früheren Lieferterminen der Bruttowertschöpfung, der Bereitstellung realer Wachstumsraten und der fakultativen Lieferung der Konsumausgaben der privaten Haushalte auf der NUTS 2-Ebene11. Vorbereitet wurde das ESVG 2010 von Eurostat-Arbeitsgruppen und der EU-Ratsarbeitsgruppe »Statistik«, in denen die Federführung die Belange des Arbeitskreises VGRdL vertreten hat. Darüber hinaus ist die Federführung Mitglied der Eurostat-Arbeitsgruppe »Manual on Regional Accounts«, die ergänzend zum Kapitel 13 »Regionale Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen« im neuen ESVG 2010 ein ausführliches Handbuch für dessen Umsetzung in den nationalen Statistischen Ämtern erstellt.

In der deutschen Amtlichen Statistik gibt es zur Förderung des Dialogs mit den Datennutzern der VGR den vom Statistischen Beirat eingesetzten, in etwa 3-jährlichem Turnus tagenden Fachausschuss »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen«. Es ist Usus, dass auf dessen Sitzungen dem Arbeitskreis VGRdL immer ein Tagesordnungspunkt vorbehalten bleibt. Zuletzt hat die Vorsitzende des Arbeitskreises VGRdL auf der Sitzung dieses Fachausschusses am 2. und 3. November 2011 im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden über den Stand der Revisionsarbeiten 2011 und die Herausforderungen der Revision 2014, insbesondere die Erweiterungen des ESVG-Lieferprogramms, in den regionalen VGR informiert.

… Debatte »BIP und mehr«

Geprägt wurde der Übergang zu der neuen Dekade zudem von der Diskussion um die Eignung des Bruttoinlandsprodukts als Universalindikator für die gesellschaftliche Wohlfahrt, ausgelöst durch die sogenannte Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission. Sie fordert eine umfassendere Berichterstattung, indem das BIP um Indikatoren zur Verteilung von Einkommen, Konsum und Vermögen sowie zur Lebensqualität, Umwelt und Nachhaltigkeit ergänzt wird.12 Das Thema »BIP und mehr« war auch Gegenstand der Statistischen Woche 2011 in Leipzig, auf der die Federführung des Arbeitskreises VGRdL in einem Vortrag die schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten einer erweiterten Messung der Wohlfahrt – beispielsweise durch die Indikatoren Primäres und Verfügbares Einkommen sowie Konsumausgaben der privaten Haushalte – auf regionaler Ebene aufgezeigt hat. Hinzu kam seitens der Federführung der Vortrag »Ökonomische Nachhaltigkeitsindikatoren« – »Was geht mit der Amtlichen Statistik?« auf dem vierten Kongress zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen der Länder im Mai 2012 in Düsseldorf.

Das Datenrepertoire des Arbeitskreises »Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder« und der Arbeitsgruppe »Gesundheitsökonomische Gesamtrechnungen« sowie des Arbeitskreises »Umweltökonomische Gesamtrechnungen« eignet sich für Darstellungen sozialer und ökologischer Aspekte. Einige Kennziffern – wie die Wirtschaftskraft, Gesundheitsausgabenquote, Rohstoff-, Material- und Energieproduktivität – ergeben sich durch die Zusammenführung der Ergebnisse der verschiedenen Gesamtrechnungssysteme, wobei als zentrale VGR-Größe jeweils das BIP einfließt. Nicht zuletzt bestärkt der im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategien entstehende ganzheitliche Datenbedarf diese Ländergremien erneut in ihrem Grundanliegen, Inhalte und Organisation ihrer Arbeitsprogramme in engster Weise aufeinander abzustimmen. Im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte wird dabei die Fortführung der Methodendiskussion eine zentrale Herausforderung bleiben.

1 Damals Leiter des Referats »Allgemeine Untersuchungen und Analysen, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Auskunftsdienst« im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg.

2 Statistik Aktuell »Der Masterplan zur Reform der amtlichen Statistik«, Gemeinschaftsveröffentlichung der Statistischen Ämter der Länder, herausgegeben vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, 2007.

3 Seit der Einführung der Mehrwertsteuer 1968 global bereinigt um die Differenz aus Vorsteuerabzug an Umsatzsteuer auf Investitionen und Investitionssteuer.

4 Bei Berlin kam die Besonderheit hinzu, dass die bis zur Deutschen Vereinigung für West-Berlin durchgeführte Eigenberechnung schrittweise in das in den anderen westdeutschen Bundesländern angewandte Berechnungssystem überzuführen war. Insbesondere die Statistik des innerdeutschen Warenverkehrs und die damit vollständige Erfassung des Außen- und Binnenhandels ermöglichte West-Berlin bis zur Wende eine eigenständige VGR nach dem Schema der nationalen VGR des Statistischen Bundesamtes.

5 PHARE = Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economics. Ab 1990 wurde dieses Programm für Verwaltungsaufbau, Investitionshilfen und Regionalentwicklung auf weitere Staaten Mittel- und Osteuropas ausgedehnt.

6 Siehe auch: Quaiser, Sabine: Integration der neuen Bundesländer in den Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«, in: Gemeinschaftsveröffentlichungen der Statistischen Landesämter, VGR der Länder, Heft 23, S. 39 ff.

7 Zuvor wurde die Bruttowertschöpfung nach den Bewertungskonzepten zu »Marktpreisen« und zu »Faktorkosten« dargestellt.

8 ESVG – REG = Europäisches System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen – Regionale Anwendung. Der wesentliche Unterschied gegenüber dem damaligen deutschen VGR-System war zum Beispiel die Darstellung der Bruttowertschöpfung, des Arbeitnehmerentgelts, der Bruttoanlageinvestitionen und der Erwerbstätigen nach homogenen Produktionsbereichen (NACE CLIO), während der deutschen VGR-Systematik, zuletzt basierend auf der Wirtschaftszweigsystematik 1979, eher institutionelle Kriterien zugrunde lagen. Mit Hilfe einer Sonderrechnung wurden zunächst vom Statisti-schen Bundesamt, dann von der Federführung des AK VGRdL und später vom Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg die Überleitung der Bundesländerergebnisse auf die NACE CLIO für Eurostat-Zwecke durchgeführt.

9 www.euractiv.de/regionalpolitik/liakdossier/struktur--und-kohasionsfonds-eu-regionalpolitik-2014-bis-2020-000133, Abruf am 23. Mai 2012.

10 NACE Rev. 2 = Nomenclature général des activités economiques dans les Communautés Européennes, Rev. 2.

11 NUTS = Nomenclature of territorial units for statistics. In Deutschland entspricht die NUTS 1 den Bundesländern, die NUTS 2 den Regierungsbezirken und die NUTS 3 den Stadt- und Landkreisen.

12 Braakmann, Albert: Ein amtlicher Wohlfahrtsindikator?, in: ifo Schnelldienst 4/2011 – 64. Jahrgang, S. 13 ff.