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Struktur und Entwicklung der Flächennutzung in den Mittelbereichen

Zentrale Orte versus Umlandgemeinden

Der Landesentwicklungsplan gibt den Rahmen für die räumliche Ordnung und Entwicklung des Landes vor. Ziel ist laut Präambel »eine nachhaltige, an sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Effizienz und sparsamer Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen ausgerichtete Siedlungs- und Freiraumentwicklung, die die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt.« Mit der Ausweisung Zentraler Orte und der Zuordnung entsprechender Verflechtungsbereiche soll eine angemessene und wohnortnahe Versorgung mit Waren, Dienstleistungen und Arbeitsmöglichkeiten gewährleistet werden. Gleichzeitig soll die Tragfähigkeit infrastruktureller Einrichtungen sichergestellt und im Interesse eines sparsamen Umgangs mit der freien Landschaft eine ungeordnete Zersiedlung verhindert werden.

Die Frage ist also: Wie schlagen sich diese Planansätze in der Flächennutzung und in der Siedlungsentwicklung des Landes nieder? Zeigt sich die Bedeutung der Mittelzentren auch in der Siedlungsstruktur und im Flächenverbrauch?1

Der Landesentwicklungsplan 2002 gliedert Baden-Württemberg in 103 Mittelbereiche2, wobei in einigen Fällen Doppelzentren3 ausgewiesen sind. Den 113 Mittelzentren sind die weiteren 988 Gemeinden zugeordnet, im Schnitt 9,6 Gemeinden je Verflechtungsbereich. Die Spannbreite reicht dabei von einer zugehörigen Gemeinde wie zum Beispiel im Mittelbereich Wertheim bis zu 34 Gemeinden im Mittelbereich Tuttlingen.

Die heute als Mittelzentren ausgewiesenen Orte sind historisch gewachsene Städte und hatten bereits früher eine zentrale Bedeutung für ihr Umland. Die meisten der heutigen Mittelzentren waren in der Vergangenheit Sitz der Oberämter bzw. vor der Gemeinde- und Kreisreform in den 1970er-Jahren Sitz von Kreisverwaltungen. Alle neun Stadtkreise, 75 der insgesamt 92 Großen Kreisstädte und weitere 29 Städte des Landes sind Mittelzentren. Die Stadtkreise sowie die Städte Offenburg, Villingen-Schwenningen, Konstanz, Lörrach/Weil am Rhein, Reutlingen/Tübingen und Friedrichshafen/Ravensburg/Weingarten nehmen zugleich die Funktion von Oberzentren wahr.

Flächennutzung: Gegenwärtiger Stand …

Die 113 Mittelzentren, das sind 10 % der Gemeinden Baden-Württembergs, nehmen zum Stand 31. Dezember 2011 mit insgesamt 881 710 Hektar  (ha) zusammen 25 % der Gesamtfläche Baden-Württembergs ein. Dort lebt mit 5 392 000 Einwohnern knapp die Hälfte der Bevölkerung, und das auf 56 113 ha oder 39 % der gesamten »Gebäude- und Freifläche – Wohnen« im Land. Ihre Bedeutung als Verwaltungs- und Bildungszentren wird hauptsächlich an der »Gebäude- und Freifläche (GF) – Öffentliche Zwecke« deutlich: 9 313 ha bzw. 56 % dieser Flächenkategorie im Land liegen in den Zentralen Orten. In der »GF – Handel und Wirtschaft« (7 366 ha; 53,2 %) schlägt sich die Versorgungsfunktion der Zentren für die Mittelbereiche nieder. Mit 20 188 ha (44,7 %) sind die »GF – Gewerbe und Industrie« nicht unerwartet ebenfalls überproportional vertreten.

Die Mittelzentren sollen aus den umliegenden Verflechtungsbereichen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und durch eine verbesserte Straßeninfrastruktur zeitgünstig, kostengerecht und umweltschonend erreichbar sein. Aufgrund ihrer Bündelungsfunktionen in den Kreuzungspunkten des Verkehrs sind Zentrale Orte maßgebliche Verknüpfungs- und Knotenpunkte des Nah-, Regional- und oft auch des Fernverkehrs. Diese Vorgaben des Landesentwicklungsplans lassen sich ebenfalls an der Flächennutzung ablesen, denn in den Mittelzentren konzentrieren sich 47,7 % der landesweiten Fläche für Bahnanlagen (5 409 ha) und 44,9 % der Flugplätze (1 283 ha).

… und Entwicklung als Indikator der Mittelzentren

In den zurückliegenden 11 Jahren4 trugen die Mittelzentren, also rund ein Zehntel aller Gemeinden des Landes, überproportional an den Entwicklungen der einzelnen, das Siedlungsgeschehen abbildenden Flächenkategorien bei, so zur Zunahme bei

  • Siedlungs- und Verkehrsflächen 29,7 %,
  • Siedlungsflächen 30,1 %,
  • Gebäude- und Freifläche 29,2 %,
  • GF – Wohnen 27,9 %,
  • GF - Handel und Dienstleistungen 48,4 %,
  • GF - Gewerbe/Industrie 26,6 %,
  • Erholungsfläche 33,3 %,
  • Verkehrsfläche 28,3 %.

An den durchschnittlichen Zuwachsraten je Gemeinde werden die Unterschiede noch deutlicher. Denn bei den oben genannten Merkmalen liegen die Durchschnittswerte der Mittelzentren zumeist um das Drei- bis Vierfache höher als bei den übrigen Gemeinden, bei der »GF - Handel und Dienstleistungen« sogar um den Faktor 8,2. Besonders bemerkenswert sind Unterschiede aber bei der Bevölkerungsentwicklung. Bei einem Gesamtsaldo von plus 262 075 Einwohnern im Zeitraum 2001/2011 entfallen mit 173 131 Einwohnern zwei Drittel der Zunahme auf die Mittelzentren. Oder anders ausgedrückt: Der Bevölkerungszuwachs liegt in einem Zentrum im Schnitt 17 Mal höher als in einer Umlandgemeinde.

Innerhalb der Beobachtungsperiode ging die jährliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche bei den Umlandgemeinden von 3 186 ha auf 1 643 ha und damit auf fast die Hälfte des Ausgangswertes zurück. Weniger ausgeprägt verlief die Entwicklung bei den Mittelzentren. Lag der Flächenverbrauch dort anfangs noch bei 1 128 ha/Jahr, ging er bis 2011 (748 ha/Jahr) auf zwei Drittel des Ausgangswertes zurück. Noch prägnanter sind die Entwicklungsunterschiede hinsichtlich der Bevölkerung. Diese nahm in den Mittelzentren im Jahr 2001 um insgesamt 36 542 Einwohner zu. Bei sich stetig verlangsamender Entwicklung war es 2006 nur noch ein Plus von 4 260 Einwohnern. Nach der Trendumkehr lag der Zuwachs 2011 wieder bei 31 204 Einwohnern. Die Umlandgemeinden verzeichneten 2001 noch einen Zuwachs um 39 948 Einwohner, während dann in den Jahren 2006 bis 2010 Abwanderungstendenzen einsetzten. Diese gipfelten 2009 in einem Minus von 9 647 Einwohnern. Das vergangene Jahr steht für einen Zuwachs um 1 303 Einwohner und damit für eine leichte Erholung.

Setzt man den Flächenverbrauch in Relation zu den Einwohnerzahlen, verkehrt sich das bislang skizzierte Bild ins Gegenteil. Zum Jahreswechsel 2011/2012 beanspruchte rein rechnerisch jeder Einwohner in den Mittelzentren eine Siedlungs- und Verkehrsfläche von rund 350 m², in den Umlandgemeinden dagegen von annähernd 600 m². Die Zuwachsraten im Zeitraum 2001/2011 zeigen ähnlich signifikante Unterschiede. Einem jährlichen Flächenverbrauch von durchschnittlich 20 m² je Einwohner in den Mittelzentren steht mit durchschnittlich 47 m² je Einwohner in den Umlandgemeinden mehr als das Doppelte gegenüber.

Der Einfluss der Raumkategorien

Struktur und Entwicklung der einzelnen Mittelbereiche sind stark davon abhängig, wo in Baden-Württemberg die betreffenden Gemeinden liegen. Prägend ist hierbei vor allem die Zuordnung zu einer der Raumkategorien. Obwohl sich manche Mittelbereiche über mehrere Raumkategorien erstrecken5 und damit eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich ist, lassen sich doch typische Tendenzen erkennen.

Über die Hälfte der baden-württembergischen Gemeinden mit einem Viertel der Landesbevölkerung liegen im Ländlichen Raum. Im Zeitraum 2001/2011 steht der Ländliche Raum für 47,1 % des Flächenverbrauchs und für 2,1 % des Bevölkerungszuwachses. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass in zahlreichen Gemeinden des Ländlichen Raumes über mehrere Jahre ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen war. Der Flächenverbrauch war hier somit im Vergleich zur Anzahl der Gemeinden und der Bodenfläche insgesamt unter-, im Vergleich zur Einwohnerzahl überproportional.

Das krasse Gegenteil sind die Verdichtungsräume mit einem weiteren Fünftel der Gemeinden des Landes. Auf die Verdichtungsräume entfallen gut ein Viertel des Zuwachses an Siedlungs- und Verkehrsfläche und 83 % des Bevölkerungszuwachses. In den Verdichtungsbereichen sind demgegenüber die Verhältnisse ausgeglichener. Knapp 9 % des landesweiten Zuwachses an Siedlungs- und Verkehrsfläche entfallen auf die Verdichtungsbereiche, die für 5,2 % der Gemeinden mit 8 % der Landesbevölkerung stehen. Aber auch hier fällt der Zuwachs an Bevölkerung mit einem Anteil von 0,7 % stark unterproportional aus. Zurückzuführen ist dies wiederum auf eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung in einigen Teilräumen. In den Randzonen mit knapp einem Fünftel der Gemeinden nahm zwischen 2001 und 2011 die Bevölkerung um 13,5 %, die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 18 % zu.

Teilt man nun die Raumkategorien in Mittelzentren und Resträume (ohne Mittelzentren), so zeigen sich weitere Unterschiede. In den Verdichtungsräumen und den Verdichtungsbereichen verteilen sich die Zunahmen an Siedlungs- und Verkehrsflächen fast gleichmäßig auf die beiden Teilräume.

In den Randzonen und im Ländlichen Raum i. e. S. verlagern sich die Schwerpunkte deutlich hin zu den Resträumen ohne Mittelzentren. Allerdings sind die Resträume meist größer und haben jeweils eine Vielzahl an Gemeinden.

Fazit

Stand und Entwicklung der Flächennutzung sind in jedem Teilraum vor dem Hintergrund spezifischer Bedingungen zu sehen. Ein verallgemeinerter Erklärungsansatz fällt da schwer: Wo viele Menschen auf vergleichsweise engem Raum zusammenleben, begegnet einem das Problem des Flächenverbrauchs quasi auf Schritt und Tritt und ist den örtlichen Entscheidungsträgern bewusst. Appelle zu einem sparsamen Umgang mit Grund und Boden werden ernst genommen. In ländlichen Gebieten ist die Wahrnehmung eine ganz andere. Dort ist Fläche häufig das Einzige, womit eine Gemeinde punkten kann. Im Bestreben, vor allem für junge Familien attraktiv zu sein, um sich dort anzusiedeln bzw. zu bleiben, werden großzügige Neubaugebiete zu bezahlbaren Konditionen ausgewiesen. Die gleiche Strategie wird zudem oftmals in Bezug auf Arbeitsplätze vor Ort verfolgt.

1 Der Begriff »Flächenverbrauch« beschreibt die Umwidmung von vormals naturnaher land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche zu siedlungsbezogener Nutzung. Kenngröße zur Quantifizierung ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche. Datenquelle über die Flächennutzung und deren Veränderung ist die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung, die ihrerseits auf dem Liegenschaftskataster beruht. Welche Auswirkungen das auf das statistische Zahlenwerk hat, kann nachgelesen werden bei: Betzholz, Thomas/Wöllper, Frank: »Das Liegenschaftskataster – Datenquelle der Flächenerhebung«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2010«, S.  18 ff.

2 Mittelbereiche sind die im Landesentwicklungsplan definierten Einzugsbereiche der Mittelzentren. Auf Grund intensiver sozioökonomischer Verflechtungen stellen die Mittelbereiche wichtige Bezugsräume der Bevölkerung dar, in denen sich ein Großteil der überörtlichen Lebensbeziehungen in den Funktionsfeldern Versorgung, Arbeit und Bildung abspielt.

3 Wie beispielsweise Böblingen/Sindelfingen und Gaggenau/Gernsbach.

4 Der Beobachtungszeitraum 2001 bis 2011 wurde deshalb gewählt, weil beginnend mit der Flächenerhebung 2000 (Stichtag 31.12.2000) die Siedlungs- und Verkehrsfläche jährlich Gegenstand der statistischen Beobachtung ist.

5 Zum Beispiel liegen Teile des Mittelbereichs Freiburg im Verdichtungsraum, andere sind der Randzone oder dem Ländlichen Raum zugeordnet.