Überschwemmt der doppelte Abiturjahrgang die Hochschulen?
Auswirkungen der verkürzten gymnasialen Schulzeit auf den Hochschulbereich: ein Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Bayern
Als Folge der Entscheidung, die gymnasiale Schulzeit um ein Jahr zu verkürzen, entstehen in den Bundesländern doppelte Abiturjahrgänge, die gleichzeitig an die Hochschulen streben. Da es sich darüber hinaus um geburtenstarke Jahrgänge handelt und kurzfristig die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, steigt die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger sowie die der Studierenden auf Rekordniveau. Zur Bewältigung der doppelten Abiturjahrgänge in Bayern 2011 und Baden-Württemberg 2012 haben diese Länder eigene Programme entwickelt, um die Kapazitäten an den jeweiligen Landeshochschulen zu steigern. Daneben haben Bund und Länder den Hochschulpakt vereinbart und damit Vorsorge für die Herausforderungen des Studierendenbergs getroffen.
Der Beitrag vergleicht am Beispiel von Baden-Württemberg und Bayern die Programme der beiden Länder und quantifiziert Auswirkungen. Es zeigt sich, dass die Länder von einer vergleichbaren Ausgangssituation gestartet sind. Da bei der Konzeption der Ausbauprogramme unterschiedliche Schwerpunkte gelegt wurden, ergeben sich differenzierte Auswirkungen auf Ausgaben und Betreuungsrelationen.
Seit Jahren steigen die Studierendenzahlen in Deutschland. Zu Beginn jeden Wintersemesters verkünden die Hochschulen neue Rekorde der Studienanfängerzahlen. Zwar liegt deren tatsächliche Entwicklung in den vergangenen Jahren deutlich über den Prognosen, dennoch weisen selbst die Prognosen darauf hin, dass das Ende dieser Entwicklung noch nicht absehbar ist. In der Diskussion sprechen einige von der prosperierenden Bildungsrepublik, andere befürchten, dass die Kapazitäten, die Bund und Länder an den Hochschulen geschaffen haben, nicht ausreichen werden. Die Berichterstattung spannt ein weites Feld auf – von: »Bund und Länder sind bei ihren Berechnungen von möglichst niedrigen Prognosen ausgegangen«1 bis zu »mehr […] Studenten könne die Uni nicht verkraften.«2
Dabei sprechen unterschiedliche Gründe dafür, dass auch zukünftig immer mehr junge Menschen an die Hochschulen streben. Höhere Übergangsquoten als Folge der Sicherung der Anschlussfähigkeit der Bildungsabschlüsse, starke Geburtenjahrgänge, die verkürzte gymnasiale Schulzeit und auch die Aussetzung der Wehrpflicht sorgen für Rekordzahlen bei den Studienanfängern und letztendlich auch für den absoluten Anstieg der Studierendenzahlen.3
Bund und Länder haben mit dem »Hochschulpakt 2020« bereits im Jahr 2007 Maßnahmen entwickelt wie dem Ansturm begegnet werden kann (GWK 2011)4. Darüber hinaus haben einige Länder mit verkürzter gymnasialer Schulzeit eigene Ausbauprogramme angelegt, in deren Rahmen zusätzliche Landesmittel für den Aufwuchs und Ausbau von Kapazitäten an den Hochschulen bereitstehen. Die ursprüngliche Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK 2009)5, die der zweiten Phase des Hochschulpakts 2020 zugrunde liegt, wurde bislang deutlich übertroffen. Auch in der ersten Phase des Hochschulpakts wich die tatsächliche Anzahl der neuaufgenommenen Studienanfängerinnen und -anfängern im Zeitraum 2007 bis 2010 etwa in Baden-Württemberg um 50 % von der zugrunde gelegten Vereinbarung ab; in Bayern waren es 62 %, bundesweit 102 % (GWK 2012)6.
Der vorliegende Beitrag vergleicht die Ausbauprogramme von Baden-Württemberg und Bayern, mit denen auf die Herausforderungen der steigenden Studierendenzahlen und Folgen der doppelten Abiturjahrgänge reagiert wurde, und quantifiziert deren bisherige Auswirkungen auf das Hochschulsystem. Der Fokus liegt auf Baden-Württemberg und Bayern, da die beiden Südstaaten über eine ähnlich ausdifferenzierte Hochschullandschaft verfügen und vom Umfang her ähnlich große Ausbauprogramme angelegt haben. Auch das Ziel, den Absolventinnen und Absolventen des doppelten Abiturjahrgangs – Bayern im Jahr 2011, Baden-Württemberg im Jahr 2012 – gleiche Chancen auf einen Studienplatz zu verschaffen wie den vorangegangenen Jahrgängen ähnelt sich in beiden Ländern (LT BW 13/4967; LT BY 16/1290)7.
Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Zunächst wird der Ausgangspunkt und der überregionale Umgang mit steigenden Anfängerzahlen skizziert. Ausgehend von der Beschreibung der Hochschullandschaften der beiden Länder werden sodann die Ausbauprogramme präsentiert und bezüglich ihres jeweiligen Umfangs und der Struktur miteinander verglichen. Anschließend werden die quantitativen Änderungen im Hochschulsektor aufgezeigt und in Relation gesetzt. Der Beitrag schließt mit einem Fazit und Ausblick.
Verkürzung der gymnasialen Schulzeit
Mit der Entscheidung,8 die gymnasiale Schulzeit um 1 Jahr von 9 auf 8 Jahre zu verkürzen kommt es zwangsläufig zu der Situation, dass in der Folge die Schülerinnen und Schüler des letzten Jahrgangs mit 9-jähriger gymnasialer Schulzeit und jene des 1. Jahrgangs, die nunmehr nur noch 8 Jahre das Gymnasium besuchen, im gleichen Schuljahr ihre Reifeprüfung ablegen. Sowohl in Bayern als auch in Baden-Württemberg trat die Gesetzesreform am 1. August 2004 in Kraft. Die Reform weist jedoch einen markanten Unterschied auf: die Verkürzung der Schulzeit gilt in Baden-Württemberg erstmals für die Jahrgangsstufe 5 im Schuljahr 2004/2005, wohingegen in Bayern auch die Jahrgangsstufe 6 des Schuljahres 2004/2005 von der Änderung betroffen ist.9 Das Phänomen des doppelten Abiturjahrgangs10 tritt demnach in Bayern 1 Jahr früher, nämlich 2011 und in Baden-Württemberg 2012 auf. Da aber nicht alle Wege, die letztlich zur Hochschulzugangsberechtigung führen, von der Verkürzung der Schulzeit betroffen sind, kommt es im engeren Sinne zu keinem doppelten Abiturjahrgang. In Bayern steigt die Studienberechtigtenzahl gemäß Vorausberechnung gegenüber dem Jahr vor dem doppelten Abiturjahrgang um 56 % (KMK 2011)11. Aufgrund der großen Zahl der Wege zur Reifeprüfung sind es in Baden-Württemberg im Jahr 2012 nur etwa 35 % mehr Studienberechtigte als 2011.
Bedingt durch die starken Alterskohorten ist der voraussichtliche Anstieg gegenüber dem Absolventenjahrgang 2005 aber dennoch beachtlich. Der Zuwachs in Baden-Württemberg liegt 2012 bei 78 % mehr Studienberechtigten als 2005; in Bayern sind es 2011 mit 106 % gegenüber 2005 mehr als doppelt so viele Studienberechtigte. Bemerkenswert ist, dass gemäß der Vorausberechnung der KMK 2011 das Niveau bis zum Jahr 2025 nicht wieder auf den Wert von 2005 zurückgehen wird. Dies ist neben dem Effekt des doppelten Abiturjahrgangs im Wesentlichen auf geburtenstarke Alterskohorten, besonders aber auch den stärker ausgebauten Zugang zur Reifeprüfung und den allgemeinen Trend zur Höherqualifizierung zurückzuführen.
Bund-Länder-Programm Hochschulpakt 2020
Eine steigende Zahl der Schulabsolventinnen und -absolventen mit Studienberechtigung und eine wachsende Tendenz, an den Hochschulen ein Studium aufzunehmen (Destatis 2012, Heine et al. 2010, S. 21f.)12, führen zu einem deutlichen Anstieg der Studienanfänger- und Studierendenzahlen in der Folgezeit. Die Vorausberechnung der KMK aus dem Jahr 2005 ging deutschlandweit von jährlich bis zu 450 000 Studienanfängerinnen und -anfängern aus. Gegenüber dem Jahr 2004 bedeutet dies bundesweit einen Anstieg um bis zu 82 000 Studienanfängern pro Studienjahr (KMK 2005, S. 5)13. Die KMK 2005 erwartete zu dieser Zeit noch ein relativ rasches Absinken auf das Niveau von 2005 nach den Spitzenjahren 2011 bis 2013. Bei der im Februar 2012 vorgelegten Vorausberechnung (KMK 2012)14 zeigt sich hingegen, dass das Niveau nach den Spitzenjahren 2011 bis 2013 nur leicht zurückgeht und mindestens bis zum Jahr 2020 über dem bereits hohen Niveau des Jahres 2010 verbleibt.
Um den steigenden Studierendenzahlen zu begegnen, haben Bund und Länder daher im Jahr 2007 den Hochschulpakt 2020 vereinbart, dessen » Ziel […] ist es, die Chancen der jungen Generation zur Aufnahme eines Studiums zu wahren, den notwendigen wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern und die Innovationskraft in Deutschland zu erhöhen« (HSP 2020 I, Präambel)15. Bund und Länder anerkennen den »wachsenden Fachkräftebedarf auf dem Arbeitsmarkt und der durch die demografische Entwicklung und durch doppelte Abiturjahrgänge steigenden Zahl von Studienberechtigten […]« (a.a.O.). Dazu sollen »in den Jahren 2007 bis 2020 einer steigenden Zahl von Studienberechtigten ein qualitativ hochwertiges Hochschulstudium ermöglicht werden« (a.a.O.).16
In der Verwaltungsvereinbarung werden die Kosten eines zusätzlichen Studienanfängers in der ersten Programmphase 2007 bis 2010 auf 22 000 Euro und in der zweiten Phase 2011 bis 2015 auf 26 000 Euro festgelegt, von denen der Bund jeweils die Hälfte trägt. Die Länder stellen die Gesamtfinanzierung sicher, die beispielsweise im Rahmen von eigenen Länderprogrammen geleistet wird (a.a.O.).17
Neben den anderen Aufwuchsländern – nicht alle Bundesländer haben bei Abschluss der Vereinbarung im Jahr 2007 steigende Anfängerzahlen erwartet – haben auch Baden-Württemberg und Bayern Programme zum Ausbau ihrer Landeshochschulen aufgelegt, die im Folgenden vorgestellt werden.
Ausbau der Hochschullandschaften in Baden-Württemberg und Bayern: Ausgangssituation
Während in Bayern als traditionelles zentrales Unterscheidungsmerkmal die Terminologie Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW, ehemals Fachhochschule) sowie Kunsthochschulen verwendet wird, differenziert Baden-Württemberg noch weitere Hochschularten. So existieren neben den Universitäten, HAW und Kunsthochschulen auch Duale Hochschule und Pädagogische Hochschulen. Das Mehr an Hochschularten bedeutet nicht, dass die in Baden-Württemberg dort angebotenen Studienangebote in Bayern nicht existieren, sondern vielmehr, dass bestimmte Abschlüsse oder bestimmte Arten eines Studiums in Baden-Württemberg nur an diesen Hochschularten studiert werden können. So zeichnet sich die Duale Hochschule durch ein zweigliedriges Studienmodell aus, in der die eine Hälfte in einem Betrieb absolviert wird und die andere Hälfte an der Hochschule. Hochschulzugangsvoraussetzung ist primär ein mit einem Partnerunternehmen abgeschlossener Ausbildungsvertrag. In Bayern werden duale Studiengänge von den HAW angeboten. Die Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg bieten traditionell Studiengänge im Bereich der nicht-gymnasialen Lehramtsausbildung und erziehungswissenschaftliche Bachelor- und Masterstudiengänge an. Gymnasiale Lehramtsstudiengänge werden in Baden-Württemberg an den Universitäten angeboten. Sowohl gymnasiale als auch nicht-gymnasiale Lehramtsausbildung findet in Bayern ausschließlich an den Universitäten statt.
Wie in Bayern, so gibt es auch in Baden-Württemberg jeweils neun staatliche Universitäten. Bayern verfügt über 17 staatliche HAW sowie sieben staatliche Kunsthochschulen. In Baden-Württemberg gibt es neben den neun staatlichen Universitäten 21 staatliche HAW, acht staatliche Kunsthochschulen, sechs Pädagogische Hochschulen und seit 2008 die Duale Hochschule Baden-Württemberg (ehemals Berufsakademie) mit acht Studienakademien. Insgesamt studierten im Wintersemester 2011/2012 in Baden-Württemberg insgesamt 308 339 Personen, in Bayern waren es 320 318.
Ausbau der Hochschulen in Baden-Württemberg: Programm »Hochschule 2012«
Bereits vor dem formellen Beschluss, die gymnasiale Schulzeit zu verkürzen, wurden in Baden-Württemberg die sich daraus ergebenden Folgen mit bedacht, indem eine interministerielle Arbeitsgruppe ein Gesamtkonzept entwickelte (LT BW 13/4326)18. Dieses wurde mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, von Hochschulen und Verbänden im Rahmen zweier Konferenzen und zwölf Regionaler Dialoge im Jahr 2006 unmittelbar entwickelt und mündete in die Konzeption des Ausbauprogramms »Hochschule 2012« (MWK BW 2006)19. Kernpunkte des Ausbauprogramms sind neben der engen Orientierung am Bedarf des Arbeitsmarktes mit einem Schwerpunkt im Bereich der MINT-Fächer20 der Ausbau der praxisorientierten HAW und der Dualen Hochschule. In mehreren Tranchen (Ausschreiberunden) wurden die Hochschulen aufgerufen, Vorschläge für den Ausbau von neuen, innovativen oder bestehenden, grundständigen Studiengängen vorzulegen. Unter Berücksichtigung der bisherigen Auslastung, der Bedarfssituation der regionalen Wirtschaft und vorhandener räumlicher Ressourcen beschloss die Landesregierung den jeweiligen Ausbauschritt und legte eine hochschul- und studiengangscharfe Liste zusätzlicher Studienanfängerplätze vor.21 Der schrittweise Ausbau ermöglichte es auch, aktuelle Entwicklungen wie zum Beispiel die Nachfrage nach Studienangeboten aber auch die steigenden Studienberechtigtenzahlen bei den Ausbauentscheidungen flexibel zu berücksichtigen. So wurde der Umfang des Landesprogramms von ursprünglich 16 000 zusätzlichen Studienanfängerplätzen zunächst auf 20 000 und letztlich auf rund 22 500 zusätzliche Anfängerplätze ausgeweitet. Dabei war die Aufstockung ausschließlich auf den Bedarf ausgelegt, der durch die Aussetzung der Wehrpflicht und die Spitzenzahl der Studienberechtigten bestimmt wurde. Die mit der Aufstockung verbundene Kapazität wird den aktuellen Planungen zufolge bis zum Jahr 2017 wieder abgebaut werden. Der Bestand von 16 000 zusätzlichen Studienanfängerplätzen wird voraussichtlich über das Jahr 2017 hinaus noch zur Verfügung stehen.
Ausbau der Hochschulen in Bayern
Mit dem am 18. Juli 2008 zwischen Universitäten, HAW und der Bayerischen Staatsregierung abgeschlossenen Innovationsbündnis Hochschule 2013 wurde der Grundstein für den Hochschulausbau gelegt, der in hochschulspezifischen Zielvereinbarungen weiter konkretisiert wurde.22 Das bayerische Programm sah einen Ausbau um 38 000 Studienplätze bzw. 12 666 Studienanfängerplätze vor, der sich hälftig auf Universitäten und HAW verteilte (GWK 2011, STMWFK 2008)23. Zusätzlich wurden durch die Erhöhung der Lehrverpflichtung der Hochschullehrer und des wissenschaftlichen Personals ab Wintersemester 2004/2005 mit den bereits vorhandenen personellen Kapazitäten rechnerisch 10 000 zusätzliche Studienplätze geschaffen. Weiterhin hatte der Bayerische Landtag die Staatsregierung ersucht, zu prüfen, ob eine Aufstockung um weitere 5 500 Studienanfängerplätze im Jahr 2011 angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht notwendig sei (LT BY 16/8330)24.
Im Rahmen der Zielvereinbarungen verpflichteten sich die Hochschulen, im Jahr 2011 ihre Kapazitäten auszulasten und damit 19 458 zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger im ersten Hochschulsemester aufzunehmen. Die mit jeder Hochschule geschlossene Zielvereinbarung konkretisierte die Zahl der Studienanfängerplätze, die aufzunehmenden zusätzlichen Studienanfängerinnen und -anfänger pro Jahr, die Mittel- und Stellenzuweisung in den Jahren 2009 bis 2013 sowie etwaige Bau- oder Anmietungsmaßnahmen. Ferner wurden besondere Maßnahmen für das Sommersemester 2011 vereinbart und die Verteilung der Plätze auf Fächergruppen festgelegt. Die Detailplanung und Umsetzung des Ausbaus blieb den Hochschulen selbst überlassen. Ein Großteil der geschaffenen Ausbaukapazität (90 %) soll über das Jahr 2014 erhalten bleiben (STMWFK 2008).
Vergleich der Ausbauprogramme von Baden-Württemberg und Bayern: Umfang, Fächerstruktur und Verteilung auf die Hochschularten
Das bayerische Ausbauprogramm stellt den Ausbau von 38 000 Studienplätzen in den Vordergrund; Baden-Württemberg zählt hingegen in der Einheit Studienanfängerplätze, von denen rund 22 500 geschaffen wurden. Umgerechnet schafft Bayern 12 666 Studienanfängerplätze (STMWFK 2008). Hinzugerechnet werden in Bayern jedoch 10 000 Studienplätze (3 333 Studienanfängerplätze) aufgrund der Erhöhung der Lehrverpflichtung25 und vor dem Ausbau unterausgelastete Kapazitäten, sodass im Jahr der Spitzennachfrage insgesamt rund 19 500 zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger im ersten Hochschulsemester aufgenommen werden können. Hinzu kommen weitere 5 500 Anfängerinnen und Anfänger aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 (LT BY 16/8330).
In Baden-Württemberg wird hingegen von einem Bedarf von 22 500 zusätzlichen Anfängerplätzen im ersten Fachsemester ausgegangen, da ausgehend von einem Bestand von 59 000 Studienanfängerplätzen im Jahr 2005/2006 eine Kapazität von zunächst 75 000, zwischenzeitlich aktualisiert auf 81 500 Studienanfängerplätzen benötigt wird.
Beide Länder haben einen Schwerpunkt bei arbeitsmarktrelevanten Fächergruppen gelegt. In Bayern wurden 54 % der Studienplätze im Bereich Ingenieur- und Naturwissenschaften, 23 % im Bereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, 23 % im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Medizin geschaffen. Baden-Württemberg hat den Ausbau der Studienmöglichkeiten mit 42 % im Bereich der MINT-Fächer, 37 % im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 12 % im Bereich der Sprach- und Kulturwissenschaften und 9 % im Bereich der Sonstigen Fächer – unter anderem Medizin, Gesundheitswissenschaften, Sport oder Kunst – vorgenommen.
Gemäß der Vereinbarung im Hochschulpakt 2020, die Fachhochschulen zu stärken hat Bayern bei der Verteilung auf die Hochschularten hälftig Universitäten und HAW bedacht. In Baden-Württemberg partizipieren die Universitäten und Universitäten gleichgestellte Hochschulen – Kunsthochschulen und Pädagogische Hochschulen – mit 39,6 %; 60,4 % der Studienanfängerplätze wurden an den HAW und der Dualen Hochschule eingerichtet.
Um flexibel den Entwicklungen am Arbeitsmarkt begegnen zu können aber auch um Studienmöglichkeiten in den besonders nachgefragten Bereichen zu schaffen, hat Baden-Württemberg den Ausbau schrittweise vorgenommen. Zudem wurden zunächst etwa 13 % der Kapazitäten für eine flexible Ausbaureserve vorgehalten.26 Bayern hat von vornherein 20 % der Ausbaumittel für die bedarfsgerechte, flexible Feinsteuerung reserviert, mit der auf die konkrete Nachfrage nach Hochschulen und Studienfächern reagiert wurde und darüber hinaus den weiteren Ausbau in Aussicht gestellt (LT BY 16/7589)27.
Das baden-württembergische Ausbauprogramm sah eine sehr viel stärkere inhaltliche Begleitung der Ausbauplanung durch Beteiligung von Wirtschaftsverbänden und Steuerung durch das Wissenschaftsministerium vor. Die laufende Kontrolle der tatsächlichen Entwicklung ermöglichte zudem eine zeitnahe Nachsteuerung. In Bayern wurde mit dem Instrument der Zielvereinbarung weitaus weniger gesteuert sondern nur ein Rahmen vorgegeben. Da in Bayern – im Gegensatz zu Baden-Württemberg – die Abiturjahrgänge G8 und G9 getrennt geführt wurden, bestand die Möglichkeit, die Entlasstermine zeitlich zu trennen. So konnte die Spitzenbelastung im Wintersemester 2011/2012 reduziert werden, indem ein Studienbeginn für den G9-Jahrgang im Sommersemester 2011 regulär ermöglicht wurde. Diese Maßnahme hat faktisch nicht mehr Studienanfängerplätze geschaffen, es konnten jedoch freie Kapazitäten im Sommersemester gefüllt werden. Gegenüber dem Sommersemester 2010 ist die Studienanfängerzahl im 1. Hochschulsemester von 4 937 auf 13 147 im Sommersemester 2011 angestiegen.
Ausstattung
Während Bayern auch Maßnahmen ergriffen hat, die bereits vor dem doppelten Abiturjahrgang budgetwirksam wurden und sich nachhaltig auswirken sollten wie beispielsweise Baumaßnahmen, wählte Baden-Württemberg einen programmorientierten Ansatz, der vor allem die personelle Ausstattung stärkt, räumliche Maßnahmen jedoch nur befristet während der tatsächlichen Phase der Rekordlast der Studierenden im Zeitraum 2012 bis 2017 gewährt.
Der Ausbau der Hochschulen begann in Baden-Württemberg im Jahr 2007, in Bayern erst im Jahr 2008. Die im Rahmen des Ausbaus zur Verfügung gestellten Mittel betrugen in den Jahren 2007 bis 2010 insgesamt 299,8 Mill. Euro in Baden-Württemberg und 553,3 Mill. Euro in Bayern. Darin enthalten sind Bundesmittel aus dem Hochschulpakt 2020 im Umfang von 74,6 Mill. Euro (Baden-Württemberg) bzw. 87,6 Mill. Euro (Bayern). Im Gegensatz zu Baden-Württemberg hat Bayern bereits zu Beginn den Ausbau der Hochschulen durch eine Erweiterung der räumlichen Infrastruktur begleitet. Hierfür wurden bis einschließlich 2010 zusammen 224,2 Mill. Euro zur Verfügung gestellt. Für das baden-württembergische Raumprogramm, das erst im Jahr 2012 startet, werden insgesamt 115 Mill. Euro zur Verfügung stehen (GWK 2012).
Der Vergleich der räumlichen Auslastung der Universitäten und HAW im Wintersemester 2001/2002 offenbart, dass die Raumauslastung bezogen auf Studienanfänger in % flächenbezogener Studienplätze in Baden-Württemberg bei 119 % und Bayern bei 157 % an den Universitäten bzw. 124 % und 141 % an den HAW betrugt (WR 2003)28. Ein Vergleich mit den bundesweiten Auslastungswerten – 141 % an den Universitäten und 124 % an den Fachhochschulen – macht deutlich, dass der Ausbau der Kapazitäten in Bayern viel eher auch einer räumliche Komponente bedurfte als dies in Baden-Württemberg der Fall war, da dort zumindest zu Beginn des Programms zunächst Reserven mobilisiert werden konnten.
Bayern schafft in den Jahren 2008 bis 2013 insgesamt rund 3 000 Personalstellen. Von den bis 2009 bereits geschaffenen 1 090 Stellen waren 29 % (316) Professuren (LT BY 16/7589). Insgesamt 300 der 3 000 Stellen werden im Jahr 2014 wieder wegfallen. Die 2 700 Stellen verbleiben bis über 2015 hinaus an den Hochschulen. In Baden-Württemberg wurden im Staatshaushaltsplan insgesamt 1 512 Stellen, hauptsächlich der Besoldungsgruppen W1 bis W3, ausgebracht. 300 Stellen werden im Jahr 2017 wieder wegfallen. Darüber hinaus können die Hochschulen Personal aus den bereitgestellten Mitteln beschäftigen (GWK 2012). Der Anteil der besetzten Stellen betrug 2009 in Baden-Württemberg 55 % und in Bayern 64 % der zu diesem Zeitpunkt zusätzlich geschaffenen Stellen (GWK 2011).
Auch die soziale Betreuung der Studierenden durch die Studentenwerke ist durch die Ausbauprogramme betroffen. Zwar ist bei Beginn des Ausbaus der Hochschulen ein Ausbau der Kapazitäten in den Mensen, Cafeterien und Wohnheimen nicht im Fokus, dennoch sind die Studentenwerke der Herausforderung steigender Studierendenzahlen gewahr und verbessern ihr Angebot im Rahmen ihrer Möglichkeiten.29 Spezielle Wohnheimbauprogramme wurden seitens der Länder Baden-Württemberg und Bayern jedoch nicht aufgelegt.
Einbindung in den Hochschulpakt
In Baden-Württemberg gesellt sich neben die Säule des Kapazitätsausbaus in Form von Studienanfängerplätzen eine nachlaufende Finanzierung der tatsächlich aufgenommen zusätzlichen Studienanfänger, die aus den Bundesmitteln des Hochschulpakts 2020 finanziert werden. So erhalten die Hochschulen je gegenüber dem Referenzjahr 2005 zusätzlich aufgenommenen Studienanfänger im ersten Hochschulsemester 8 525 Euro. Bei den nach Hochschularten differenzierten Fördersätzen macht dies bei voller Auslastung der zusätzlich geschaffenen Kapazitäten bis zu 50 % der Gesamtfinanzierung aus. Im Vergleich dazu sehen die bayerischen Zielvereinbarungen vor, dass die Bundesmittel aus dem Hochschulpakt bereits im Vorlauf in die Mittelzuweisung integriert sind. Etwa 12 % der Mittelzuweisung wird als Reserve zurückgehalten und abhängig von der Zielerreichung zugewiesen.30
Beide Länder übernehmen das Ziel des Hochschulpakts, den Anteil von Frauen bei der Besetzung von Professuren und sonstigen Stellen zu erhöhen, in die Zielvereinbarungen bzw. in die Förderbedingungen. Zudem setzen beide Länder vereinbarungsgemäß beim Ausbau einen Schwerpunkt bei den MINT-Fächern und bei den HAW.31
Auswirkungen: quantitativer Vergleich der Ausbauprogramme
Der Vergleich der Wirkungen der baden-württembergischen und bayerischen Ausbauprogramme konzentriert sich auf quantitative Änderungen bei den Studierenden, den laufenden Ausgaben, den Stellen sowie der Wohnraumversorgung, da diese zumindest mittelbar von den Ausbauprogrammen beeinflusst werden.
Studierende und Studienanfängerinnen und -anfänger
In Baden-Württemberg studierten im Wintersemester 2011/2012 insgesamt 308 339 Personen, in Bayern waren es 320 318. Bezogen auf die altersspezifische Bevölkerung liegt der Anteil im Jahr 2011 bei 19,6 % in Baden-Württemberg und 17,4 % in Bayern. Gegenüber dem Jahr 2005 haben beide Länder diese Relation um rund 22 bzw. 21 % gesteigert. Der Abstand zwischen Baden-Württemberg und Bayern hat sich von 1,6 Prozentpunkte auf 2,1 Prozentpunkte erhöht.
Der Vergleich der Studienanfängerinnen und -anfänger im Studienjahr 2011 mit 78 026 Personen, die ein Hochschulstudium erstmals in Baden-Württemberg begonnen haben, und 85 867 Personen in Bayern ist bedingt durch den bayerischen doppelten Abiturjahrgang verzerrt. Wird stattdessen die bayerische Anfängerentwicklung der baden-württembergischen Zeitreihe um ein Jahr verzögert gegenüber gestellt, ergeben sich vergleichbare Entwicklungen.
Gemessen an der Referenzgröße des Hochschulpakts – Studienanfängerzahl im Jahr 200532 – ergeben sich die in Schaubild 6 ersichtlichen Veränderungen. Auffällig ist, dass in Baden-Württemberg im Jahr 2007 weniger Studienanfänger gezählt wurden als 2005. Bei einer Unterscheidung in Universitäten und HAW zeigt sich, dass die HAW im Jahr 2007 sehr wohl ihre Anfängerzahlen gesteigert haben. An den Universitäten in Baden-Württemberg beinhaltet die Referenzzahl 2005 eine deutliche Überauslastung der Studienkapazitäten. Die Entwicklung bei den Universitäten verkehrte deshalb den positiven Aufwuchs der HAW zunächst ins Negative. In Bayern waren die Aufwüchse sowohl an den Universitäten als auch an den HAW in allen Jahren positiv (GWK 2012).
Werden die Studienanfängerinnen und -anfänger nach Land des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung differenziert, so zeigt sich, dass über 72 % der Studienanfängerinnen und -anfänger, die ihr Studium im Wintersemester 2011/2012 an einer bayerischen Hochschule aufnahmen, aus Bayern kommen; gut 8 % kommen aus Baden-Württemberg und rund 21 % aus anderen Bundesländern und dem Ausland. Gemessen an den Studienberechtigten, die im Wintersemester 2011/2012 erstmalig ein Hochschulstudium begonnen haben, wählen 79 % der Bayern eine bayerische Hochschule.33 Sie binden sich damit stärker an Ihr Bundesland als Baden-Württemberger, die zu knapp drei Vierteln (73 %) im eigenen Land bleiben. In Relation zu den Studienanfängerinnen und -anfängern stellen die Baden-Württemberger rund 64 % der Erstsemester in Baden-Württemberg, 7 % kommen zum Studium aus Bayern und 29 % aus anderen Ländern und dem Ausland.
Wird der Übergang von der Schule zur Hochschule betrachtet, so nahmen in Bayern fast 78 % der Studienberechtigten des Jahres 2006 ein Studium innerhalb von 3 Jahren auf. In Baden Württemberg waren dies 69 % (Destatis 2011b)34. Hingegen zeigt die Studienberechtigtenquote, die den Anteil der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung an der gleichaltrigen Bevölkerung wiedergibt, dass in Baden-Württemberg mehr als die Hälfte eine Studienberechtigung erlangt, wogegen in Bayern der Anteil mit knapp 38 % geringer ist. Hintergrund ist der in Baden-Württemberg im Vergleich zu Bayern stärker ausgebaute Weg, die allgemeine Hochschulreife zu erlangen, zum Beispiel über die Beruflichen Gymnasien (Bellenberg et al., S. 101)34.
Hochschulpersonal
Werden im Jahr 2010 in Baden-Württemberg 6 346 Professorinnen und Professoren gezählt, sind es in Bayern 5 854 Professorinnen und Professoren. Der Frauenanteil beträgt dabei 16,8 % in Baden-Württemberg bzw. 15,1 % in Bayern. Dabei ist die Zahl der Professorinnen in beiden Ländern stärker angestiegen als die Zahl der Professoren insgesamt. Beim hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personal ergibt sie eine vergleichbare Situation: in Baden-Württemberg sind es mit 26 701 Beschäftigten etwa 1 000 Personen mehr als in Bayern (25 635 Beschäftigte). Gegenüber der Professorenschaft wurde das wissenschaftliche Personal insgesamt stärker ausgeweitet, wobei die jährliche Änderungsrate im Zeitraum 2005 bis 2010 in Baden-Württemberg mit 4,3 % leicht über der in Bayern mit 3,8 % liegt.
Wird die Relation Studierende je Personal (Betreuungsrelation) betrachtet, werden die Unterschiede bei Studierenden und Personal aber nicht nivelliert. Die Betreuungsrelation ist im Jahr 2010 in Baden-Württemberg mit 15,7 an den Universitäten weniger günstig als in Bayern mit 14,9. Im Vergleich zum Jahr 2005 konnte die Betreuungsrelation in beiden Ländern verbessert werden. Beim Verhältnis von Studierenden je Professor sieht das Bild ähnlich aus. Gegenüber dem Jahr 2005 konnte in Baden-Württemberg bedingt durch den starken Aufwuchs bei den W-Stellen die Relation auf 45,7 Studierende je Professur in Baden-Württemberg leicht verbessert werden. Vor dem Eintreffen des Abiturjahrgangs 2011 hat sich die Relation in Bayern leicht verschlechtert und beträgt 49,1 Studierende je Professur. In Bayern betreuen Professoren im Schnitt 3,4 Studierende mehr.
Finanzausstattung
Gemäß Bildungsfinanzbericht 2011 (Destatis 2011a)35 sind die Grundmittel36 der Hochschulen in den Jahren 2005 bis 2011 (Soll) in Baden-Württemberg durchschnittlich um 2,6 % und in Bayern um 3,1 % gestiegen. Werden die Grundmittel der Hochschulen in Relation zur Bevölkerung gesetzt so ergeben sich in Baden-Württemberg höhere Ausgaben je Einwohner im Hochschulbereich. Der Bezug Einwohnerzahl, die über die Jahre hinweg wenig volatil ist, rückt dabei den finanziellen Beitrag des Einzelnen für die Hochschulen in den Vordergrund wohingegen die Relation Grundmittel zu Studierende eher auf Ausgaben fokussiert.
Konkret werden in Baden-Württemberg über den Zeitraum 2005 bis 2011 hinweg durchschnittlich 226 Euro je Einwohner veranschlagt. In Bayern hingegen sind die Pro-Kopf-Ausgaben im Hochschulbereich erstmals im Jahr 2010 über 200 Euro gestiegen.
Die Studierendenzahl ist zwischen 2005 und 2011 in Baden-Württemberg mit 26 % stärker gestiegen als die Grundmittel mit 17 %. In Bayern liegt die Steigerung der Studierendenzahl bei 27 % und bei den Grundmitteln bei 20 %. De facto bedeutet dies, dass die Grundmittelausgaben je Studierender in diesem Zeitraum gesunken sind. In Baden-Württemberg lagen sie 2005 bei 9 201 Euro je Studierendem, 2011 bei 8 518 Euro je Studierendem. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt sich in Bayern mit 8 847 Euro je Studierendem im Jahr 2005 und 8 384 Euro je Studierendem in 2011. Damit sind die Grundmittel je Studierenden in Baden-Württemberg in diesem Zeitraum um durchschnittlich 1,3 % pro Jahr gesunken, in Bayern um durchschnittlich 0,9 %, was auf den gegenüber den Grundmitteln stärkeren Anstieg der Studierendenzahlen zurückzuführen ist.
Wohnraumversorgung
Wird die Entwicklung des Angebots an Wohnheimplätzen betrachtet so zeigt sich in Baden-Württemberg ein Anwachsen im Zeitraum von 2005 bis 2011 auf etwa 37 300 Plätze.37 Dies entspricht einer Unterbringungsquote38 von rund 13,7 % im Jahr 2011. In Bayern hat sich das Angebot seit 2005 kontinuierlich weiterentwickelt und ist jährlich um 0,8 % gestiegen (Baden-Württemberg 1,5 % pro Jahr). Die Unterbringungsquote lag zum 1. Januar 2011 bei 12,5 %. Wird die mittlere Unterbringungsquote der Jahre 2005 bis 2010 betrachtet, so lag sie in beiden Ländern höher: 14,2 % in Baden-Württemberg, 12,6 % in Bayern.
Fazit und Ausblick
Der Beitrag vergleicht die Ausbauprogramme, die zur Bewältigung der steigenden Studierendenzahlen in Baden-Württemberg und Bayern aufgelegt werden, und deren Auswirkungen auf Studierendenzahlen, Mittelausstattung der Hochschulen und Wohnheimversorgungsquote.
In der operativen Umsetzung ist das bayerische Programm vergleichsweise einfach und durch das Ministerium leichter administrierbar. Hingegen ist das baden-württembergische Programm durch einen hohen programmbegleitenden Einsatz des Ministeriums gekennzeichnet, da der Ausbau schrittweise, in ständiger Rückkopplung mit den Hochschulen und unter Einbezug der Arbeitsmarkterfordernisse und -perspektiven erfolgt. Die stark gestiegenen Studierendenzahlen deuten in beiden Ländern darauf hin, dass das geschaffene, zusätzliche Studienangebot nötig ist und angenommen wird.
Die Ausstattung des Programms ist gemessen an den zur Verfügung stehenden Landesmitteln in Bayern besser als in Baden-Württemberg. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das bayerische Programm stark auf den räumlichen Ausbau setzt, da vergleichsweise geringe räumliche Reserven vorhanden sind. Baden-Württemberg konnte bislang die finanziellen Aufwendungen durch die fortlaufende Programmbegleitung niedriger halten, da nur im Rahmen des tatsächlichen Bedarfs investiert wird. Obwohl die tatsächliche Entwicklung der Grundmittel in beiden Ländern hinter der Entwicklung der Studierendenzahlen zurückbleibt, sollte – neben einer kritischen Sicht auf die Hochschulfinanzstatistik – berücksichtigt werden, dass das Hochschulsystem eine Grundausstattung aufweist. Im Zuge einer Kapazitätsausweitung können Effizienzpotenziale der Grundausstattung genutzt werden, die zu geringeren Grenzkosten eines zusätzlichen Studierenden und damit zu geringen Pro-Kopf-Ausgaben führen. Allerdings ist die Kostendegression im Hochschulsystem nicht stetig, vielmehr ergeben sich bei einer Ausweitung der Kapazitäten sprunghafte Fixkosten (Hafner/Schmücker 2011)39.
Wird die ursprüngliche Prognose (KMK 2005) mit der tatsächlichen Entwicklung der Studienanfängerzahlen verglichen, so könnten Zweifel an der Prognosekraft genährt werden, von diesen hier aber Abstand genommen wird. Denn im vorliegenden Fall zeigt sich, dass politische Entscheidungen, die auf einer Status-quo-Vorausberechnung basieren, die zugrunde gelegten Annahmen in einer Art und Weise beeinflussen, dass die Prognose übertroffen werden muss. Ansonsten würde dies auf die Wirkungslosigkeit der politischen Maßnahmen hinweisen. Der Hochschulpakt 2020 als überregionale Maßnahme setzt dabei unmittelbar Anreize, die Studienanfängerzahl zu steigern. Dieser Anreiz wurde in Baden-Württemberg deutlich stärker in das Programm integriert als in Bayern. Allerdings lässt der einseitige Fokus auf den Input den Output, also die Absolventinnen und Absolventen, außer Acht. Da der Hochschulpakt aber durch weitere insbesondere die Qualität von Lehre und Studium fördernde Programme flankiert wird, ist in der Gesamtschau der Output durchaus im Blick, was sich beispielsweise in steigenden Erfolgsquoten bereits niederschlägt (Destatis 2012).
Im bundesweiten Vergleich wird deutlich, dass die von Bund und Ländern zu bewältigende Aufgabe, für zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger Studienmöglichkeiten anzubieten, bislang erfolgreich umgesetzt wurde. Alle Ziele des Hochschulpakts 2020 wurden dabei mehr als erreicht. Der vertiefte Vergleich der beiden Länder bestätigt, dass der wettbewerbliche Föderalismus, unterschiedliche Maßnahmen hervorbringt, um ein vorgegebenes Ziel auf höchst unterschiedlichen Wegen zu erreichen.
Vorläufig zeigt sich, dass die Vorbereitungen auf die doppelten Abiturjahrgänge in beiden Ländern durch erhebliche Anstrengungen gekennzeichnet waren, die sich unter anderem in zusätzlichem Personal, Räumen und Wohnheimplätzen widerspiegeln. Gemessen am Ziel, gleiche Chancen zu bieten wie den vorangehenden Jahrgängen, ist mit Blick auf die Betreuungsrelationen und Versorgungsquoten aber noch nicht das Ende erreicht. Eine bloße Überschwemmung des Hochschulsystems kann – auch bundesweit – ausgeschlossen werden. Denn – um im Bild zu bleiben – zusätzliche Boote mit dem dazugehörigen Personal stehen bereit. Ob dies wirklich ausreichend sein wird, kann (noch) nicht beantwortet werden.