:: 3/2013

Die Weichen richtig stellen: familienbewusste und demografieorientierte Personalpolitik in der öffentlichen Verwaltung

Der demografische Wandel stellt die öffentliche Verwaltung in besonderer Form vor zentrale Herausforderungen. Demografisch bedingt verändern sich kommunale Aufgaben und Angebote. Komplexe Steuerungs- und Umstrukturierungsprozesse müssen unter bestehendem Kostendruck umgesetzt werden. Verwaltungsintern ist ein Großteil der Beschäftigten bereits heute älter als 45 Jahre. Vielen älter werdenden und älteren Beschäftigten stehen weniger Nachwuchskräfte gegenüber, bereichsspezifisch kommt es zu Engpässen. Darüber hinaus ist die öffentliche Verwaltung »weiblich«. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat aufgrund des hohen Frauenanteils einen großen Stellenwert – aber auch Männer fragen zunehmend flexible Vereinbarkeitslösungen nach. Verstärkt suchen öffentliche Arbeitgeber deshalb nach geeigneten Lösungen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern und attraktiv zu sein für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber. Eine familienbewusste und demografieorientierte Personalpolitik rückt in den Fokus. Auch in Baden-Württemberg setzen immer mehr öffentliche Arbeitgeber auf bedarfs- und ressourcenorientierte Maßnahmen. Dieser Beitrag bietet einen Blick in die Praxis.

Wie positioniert sich die öffentliche Verwaltung im demografischen Wandel? Wie wirken sich Einstellungsstopps oder Wiederbesetzungssperren auf die Beschäftigtenstruktur aus? Welche Herausforderungen entstehen in der Personalgewinnung und -bindung sowie weitergehend in der Organisationsentwicklung? Was sind geeignete Lösungsstrategien? Diese Fragen haben Konjunktur – dies zeigt die Vielzahl an Studien, Projekten und Programmen im Bereich familienfreundlicher und demografiesensibler Personalpolitik unter anderem der Bundesverwaltung, der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, des Innovators Club des deutschen Städte- und Gemeindebundes und großer Beratungsunternehmen.1 Auch in Baden-Württemberg wächst die Zahl der Kommunen, die praxisorientierte Handlungsansätze entwickeln und umsetzen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden-Württemberg2 (siehe i-Punkt »Kompetenzzentrum Beruf & Familie«).

Die Personalstruktur ist alterszentriert, Nachwuchslücken sind absehbar

Bereits 2009 hat die Prognos AG im Auftrag der Robert Bosch Stiftung die Studie »Demografieorientierte Personalpolitik in der öffentlichen Verwaltung« durchgeführt. Ergebnis der bundesweiten Altersstrukturanalyse auf Landes- und kommunaler Ebene ist, dass die Altersklasse der 45- bis 54-Jährigen mit über 35 % am stärksten besetzt ist und die Gruppe der Nachwuchskräfte bis 35 Jahren mit unter 20 % deutlich schwächer. Im Vergleich zur Privatwirtschaft ist die Altersgruppe über 45 Jahre überproportional stark vertreten. Zwar stellt sich die Situation je nach Region, Aufgabenbereich und Hierarchiestufe unterschiedlich dar. Dennoch steht das Personalmanagement der öffentlichen Verwaltung insgesamt verstärkt vor den zentralen Aufgaben, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhalten oder zu steigern, Verrentungswellen aufzufangen, Knowhow-Verlust zu vermeiden und trotz Fachkräftewettbewerb ausreichend (hochqualifizierte) Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Demografisch bedingt wird sich dies in Zukunft kontinuierlich verstärken.3

Im Vergleich zur bundesweiten Ausgangslage ist die Personalstruktur der öffentlichen Verwaltung in Baden-Württemberg auf der Ebene der Landesbehörden und -betriebe mit etwa 270 000 Beschäftigten wesentlich ausgeglichener. Auf der Ebene der Gemeinden/Gemeindeverbände mit etwa 200 000 Beschäftigten ist die Personalstruktur jedoch deutlich alterszentriert. Die Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen ist mit 35 % am stärksten besetzt, insgesamt sind knapp 60 % der Beschäftigten 45 Jahre und älter. Die Gruppe der Nachwuchskräfte unter 35 Jahren ist mit rund 21 % deutlich kleiner.

Hinsichtlich möglicher Fachkräfteengpässe fällt in Baden-Württemberg der zunehmende Altersdurchschnitt der Erwerbspersonen stärker ins Gewicht als ein zahlenmäßiger Fachkräftemangel. Unter der Annahme steigender altersspezifischer Erwerbsquoten (unter anderem aufgrund einer stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters und höherer Frauenerwerbsquoten) würde die Erwerbspersonenzahl in Baden-Württemberg erst um das Jahr 2025 unter das aktuelle Niveau absinken und läge 2030 um etwa 280 000 oder um 5 % niedriger als im Ausgangsjahr 2005. Gleichzeitig würde der Anteil der unter 50-Jährigen sinken und der Anteil 50-jähriger und älterer Erwerbspersonen entsprechend steigen, von 26 % im Jahr 2005 auf 35 % im Jahr 2020.4 Dennoch wird die öffentliche Verwaltung in Baden-Württemberg zukünftig verstärkt mit der freien Wirtschaft um qualifizierte Fachkräfte konkurrieren. Laut dem IHK-Fachkräftemonitor für Baden-Württemberg 2012 ist bislang kein flächendeckender Fachkräftemangel absehbar. Jedoch fehlen der Südwestwirtschaft aktuell rund 230 000 Fachkräfte in einzelnen Bereichen (Techniker/-innen, Fach- und Betriebswirt/-innen, Meister/-innen und Fachkaufleute sowie Ingenieur/-innen und Akademiker/-innen).5

Die Balance von Beruf und Familie ist wichtig – für Frauen und Männer

Ebenso wie für privatwirtschaftliche Arbeitgeber wird auch für die öffentliche Verwaltung die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben verstärkt zu einem zentralen Handlungsfeld. Eine Besonderheit der öffentlichen Verwaltung ist der hohe Anteil an weiblichen Beschäftigten. Bei den baden-württembergischen Gemeinden/Gemeindeverbänden liegt dieser bei 62 %, bei den Landesbehörden und -betrieben bei 55 %. Besonders hoch ist der Frauenanteil unter den Nachwuchskräften unter 35 Jahren. Hier sind bei den Gemeinden/ Gemeindeverbänden 72 % der Beschäftigten weiblich, bei den Landesbehörden und -betrieben 62 %. Aufgrund der gestiegenen Bildungsbeteiligung und Berufsorientierung von Frauen sowie Veränderungen im sozialen Sicherungssystem ist anzunehmen, dass ihre Präsenz im Erwerbsleben weiter zunehmen wird. Damit steigen auch die Anforderungen an eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Ein weiterer Aspekt ist der hohe Teilzeitanteil unter den weiblichen Beschäftigten, der in den baden-württembergischen Gemeinden/Gemeindeverbänden bei 60 % und in den Landesbehörden und -betrieben bei 50 % liegt. Hier bietet sich besonderes Potenzial zur Abhilfe bei Arbeitskräfte- und Fachkräfteengpässen, zumal unterschiedliche Studien belegen, dass viele teilzeitbeschäftigte Frauen gerne deutlich länger arbeiten wollen.6

Folgende Punkte sind darüber hinaus zentral: Auch immer mehr Männer fragen flexible Vereinbarkeitslösungen nach. Laut der Personalmarketingstudie 2012 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend spielt für 91 % der Beschäftigten zwischen 25 und 39 Jahren mit Kindern unter 18 Jahren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine wichtigere oder ebenso wichtige Rolle wie das Gehalt. Ebenso sind 95 % der Personalverantwortlichen der Meinung, dass familienfreundliche Angebote ein zunehmend wichtiges Kriterium bei der Arbeitgeberwahl sind.7 Auch öffentliche Arbeitgeber berichten von einer verstärkten Nachfrage zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen. Demografisch bedingt wird zudem die Zahl der Beschäftigten steigen, die Pflegeaufgaben übernehmen. Immer wichtiger werden Unterstützungsangebote, die der speziellen Belastungssituation von Pflegenden gerecht werden. Studien weisen den betriebswirtschaftlichen Nutzen von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach – oder die Kosten, die zum Beispiel durch fehlende Vereinbarkeitslösungen im Bereich »Beruf und Pflege« entstehen. Demnach fördert ein familienfreundliches Arbeitsumfeld die Motivation und Produktivität der Beschäftigten, es fallen weniger und kürzere familienbedingte Ausfälle und Auszeiten an, Wiedereinstiegsprozesse laufen schneller und das Unternehmensimage verbessert sich.8

Das Personalmanagement und die Führungskräfte sind gefragt

Die aktuelle Beschäftigtenstruktur der öffentlichen Verwaltung und aktuelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen: Für öffentliche Arbeitgeber ist es strategisch wichtig, ihr Personalmanagement familienbewusst und demografieorientiert auszurichten. Um dem konkreten Handlungsbedarf auf den unterschiedlichen Ebenen gezielt zu begegnen und passende Lösungsansätze zu entwickeln, benötigen Entscheiderinnen und Entscheider Konzepte, die auf ihre Ausgangssituation zugeschnitten sind.9 Arbeitgeber in Baden-Württemberg können sich dazu an das Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden-Württemberg wenden. Für die praxisorientierte Beratung unter anderem von Gemeinden, Städten, Landkreisen oder Landesministerien hat das Kompetenzzentrum sechs Handlungsfelder entwickelt: Führungskräfte sensibilisieren und qualifizieren, Arbeitszeiten flexibilisieren und Arbeitsorganisation verbessern, Personalentwicklung ausbauen, bedarfsgerechte Services etablieren sowie gezielt kommunizieren.10 Sie bilden die Basis für Strategieentwicklungs- und Umsetzungsprozesse, die das Kompetenzzentrum vor Ort unterstützt und begleitet: von der Analyse der Ausgangssituation über Beteiligungsverfahren bis hin zur Umsetzung konkreter Maßnahmen und einer nachhaltigen Veränderung der Organisationskultur (siehe i-Punkt »Beispiel aus der Praxis«).

Fazit und Ausblick

Demografisch bedingt wird eine familienbewusste und demografieorientierte Personalpolitik für die öffentliche Verwaltung zukünftig einen hohen Stellenwert einnehmen. Es zeigt sich, dass bereits sehr viele Verwaltungen den wachsenden Handlungsbedarf erkennen, der sich je nach Beschäftigtenstruktur und Region ergibt. Viele öffentliche Arbeitgeber haben ein zunehmend ausgeprägtes Bewusstsein für die spezifischen Problemlagen auf den unterschiedlichen Ebenen und in den möglichen Handlungsfeldern. Die zentrale Aufgabe besteht darin, hierfür eine gesicherte Datenlage zu schaffen und gezielte Lösungsstrategien zu entwickeln sowie Entscheiderinnen und Entscheider und Erfahrungsträgerinnen und Entscheidungsträger untereinander zu vernetzen und einen Austausch zu erprobten Modellen zu fördern.

1 Bundesministerium des Innern (Hrsg.) (2012): Demografiesensibles Personalmanagement in der Bundesverwaltung; Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (Hrsg.) (2010): Der demografische Wandel in Kommunalverwaltungen. Strategische Ausrichtung und Handlungsansätze des Personalmanagements; Innovators Club des deutschen Städte- und Gemeindebundes, Beratungsunternehmens publecon (Hrsg.) (2012): Engpass Personal im öffentlichen Dienst. Handlungsbedarf, Strategien und praxisorientierte Konzepte vor dem Hintergrund des demografischen Wandels; McKinsey & Company (Hrsg.) (2012): Der demografische Wandel – Chance und Modernisierungshebel für die öffentliche Verwaltung.

2 Praxisbeispiele finden sich auf der Internetseite des Kompetenzzentrums Beruf & Familie Baden-Württemberg (www.kompetenzzentrum-bw.de), das unter anderem öffentliche Verwaltungen bei der Entwicklung und Umsetzung einer familienbewussten und demografieorientierten Personalpolitik berät und unterstützt; weitere Beispiele auf der Internetseite der Robert Bosch Stiftung (www.bosch-stiftung.de), die zwölf Kommunen bei der Umsetzung einer demografieorientierten Personalpolitik fördert, sowie auf der Internetseite der berufundfamilie gGmbH (www.beruf-und-familie.de), die öffentliche Verwaltungen für ihre familienbewusste Personalpolitik zertifiziert.

3 Robert Bosch Stiftung GmbH (Hrsg.) (2009): Demografieorientierte Personalpolitik in der öffentlichen Verwaltung.

4 Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Demografischer Wandel in Deutschland. Auswirkungen auf die Entwicklung der Erwerbspersonenzahl, Heft 4/2009.

5 Der IHK-Fachkräftemonitor basiert auf einem Berechnungs- und Prognosemodell, das die WifOR Wirtschaftsforschung GmbH Darmstadt im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg entwickelt hat (www.fachkraeftemonitor-bw.de).

6 Unter anderem Wanger, Susanne (2012): Arbeitszeitpotenziale von Frauen. Wunschlängen und wahre Größen. IAB-Forum 1/2012.

7 Die Personalmarketingstudie 2012 wurde vom Marktforschungsunternehmen GfK im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellt. Befragt wurden 300 Personalverantwortliche in Unternehmen mit über 50 Beschäftigten sowie 3 000 Beschäftigte. (www.erfolgsfaktor-familie.de).

8 Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (2008): Betriebswirtschaftliche Effekte einer familienbewussten Personalpolitik; Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (2011): Betriebliche Folgekosten mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

9 Ein Beispiel hierfür ist das Konzept der »Arbeitsfähigkeit«, das die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) für die strategische Ausrichtung des Personalmanagements empfiehlt: Das »klassische« Personalmanagement wird dabei um den Faktor »Demografieorientierung« erweitert, bestehende Maßnahmen und Instrumente geprüft, intensiviert und professionalisiert. Vgl. Der demografische Wandel in Kommunalverwaltungen. Strategische Ausrichtung und Handlungsansätze des Personalmanagements, Bericht 3/2010, Köln, S. 15ff.

10 Innerhalb dieser Handlungsfelder reicht das Maßnahmenspektrum von Führungskräfteschulungen, Teilzeit- und Gleitzeitmodellen, Vertretungsregelungen, Telearbeit oder Fortbildungsmaßnahmen bis hin zu Gesundheitsmanagement, Kinderbetreuung, Pflegeberatung oder Familienseiten im Intranet.