:: 6/2013

Zum Verhältnis von gesetzlicher Rente und Grundsicherung

Bericht über die Jahrestagung 2013 des Forschungsnetzwerkes Alterssicherung (FNA)

In Deutschland hat sich eine politische Debatte um die Reform der Alterssicherung entwickelt, in deren Mittelpunkt die Angemessenheit der gesetzlichen Rente und die Bekämpfung der Altersarmut stehen. Die Höhe der Rente hat sich in den letzten Jahren schwächer entwickelt als der Bruttobedarf der Grundsicherung im Alter. Vor allem in der Zukunft dürfte es häufiger ältere Menschen geben, die trotz individueller Vorleistungen weniger Rente erhalten als jemand, der keine Beiträge eingezahlt hat und Leistungen aus der Grundsicherung erhält. Es gibt daher eine Reihe von Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Alterssicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Grundsicherung. Das Forschungsnetzwerk Alterssicherung hat sich auf seiner Jahrestagung 2013 dieses Themas angenommen. Hierüber wird im Folgenden auszugsweise berichtet.

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) als »das wichtigste Einzelsystem der sozialen Sicherung in Deutschland« ist in den letzten 10 Jahren grundlegend verändert worden.1 Der Anlass für die Rentenstrukturreformen seit 2001 ist die Alterung der Bevölkerung und ihre absehbaren Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit angemessener Renten in der Zukunft. Die eingeleiteten Reformen folgen mithin dem Ziel der Europäischen Union nach angemessenen und nachhaltigen Renten.2 Im Vordergrund der Reformen bis 2007 stand die Nachhaltigkeit der Renten durch langfristiges Senken des Leistungsniveaus und durch den Einbau verschiedener Dämpfungsfaktoren bei der Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung.

Zu den Grundgedanken der Rentenreform von 1957 gehören die Lohnersatzfunktion der Rente und die Teilhabe der Rentnerinnen und Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung auch während der Rentenlaufzeit. Die Rente sollte den Lebensstandard aufrechterhalten, den der Rentner in seinem Erwerbsleben im Durchschnitt hatte. Die Reformen seit 2001 können für künftige Rentnerinnen und Rentner bedeuten, dass eine Sicherung des bisherigen Lebensstandards nur zusammen mit gesetzlicher Rente und einer entsprechenden privaten und betrieblichen Vorsorge möglich ist. Dieser grundlegende Wandel in der GRV erfolgte aus Gründen einer Generationengerechtigkeit, nach der es gilt, den Beitragssatz der Erwerbstätigen auch künftig weitgehend stabil zu halten. Er liegt 2013 bei 18,9 % und soll bis 2030 auf höchstens 22 % steigen. Die dominante Orientierung an der Beitragssatzstabilität wird begleitet durch das Absenken des Sicherungsniveaus. Das Rentenniveau vor Steuern nach 45 Versicherungsjahren liegt derzeit bei rund 49,6 % eines durchschnittlichen Nettoarbeitsentgeltes vor Steuern und wird nach Berechnungen der Bundesregierung bis 2026 auf 46 % fallen. Allerdings darf das Rentenniveau vor Steuern nicht unter 43 % sinken.3 Gleichzeitig ist die Entwicklung der Renten von der Lohnentwicklung weitgehend entkoppelt. Verschiedene Faktoren bei der Rentenanpassung, beispielsweise die Orientierung an den versicherten Bruttoentgelten, dem Altersvorsorgeanteil und Nachhaltigkeitsfaktor, führen dazu, dass die Rentenerhöhungen geringer ausfallen als die der Löhne.

Prekäre Erwerbsbiografien, Renten und Altersarmut

Seit etwa 2008 steht das Thema Altersarmut und die Angemessenheit der gesetzlichen Rente verstärkt in der Diskussion infolge eines Zusammenspiels der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der politisch gewollten Reformen in der GRV. Unterbrochene Erwerbsbiografien durch Arbeitslosigkeit oder Erziehungs- und Pflegezeiten sowie Beschäftigungsverhältnisse mit geringem Verdienst oder ohne Sozialversicherungspflicht können dazu führen, dass die Menschen nur eine geringe Anzahl an Entgeltpunkten in der GRV ansammeln. Dies würde zusammen mit einem immer weiter sinkenden Leistungsniveau in der GRV zu nicht ausreichenden Rentenleistungen für diese Menschen führen.4 Gleichzeitig zeigt sich, dass die Kompensationsmaßnahmen für das Absenken des Rentenniveaus – betriebliche und private Vorsorge – in bestimmten Lebenslagen nicht greifen oder bislang nicht genügend ergriffen werden.5 Während der Arbeitslosigkeit kann der Einzelne keine Betriebsrentenansprüche erwerben und auch für die private Altersvorsorge kaum sparen. Zudem sorgen gerade Geringverdiener noch zu wenig zusätzlich vor. Diese Entwicklungen dürften bei künftigen Generationen zu einem steigenden Risiko der Altersarmut führen. Selbst Personen mit langjähriger Erwerbsbiografie, aber mit geringen Einkommen könnten trotz jahrzehntelanger Einzahlungen in das Rentensystem keine angemessene Rente erhalten. Trotz langer Versicherungsdauer kann der durch Beiträge erworbene Rentenanspruch in der GRV kaum spürbar die Armutsgrenze übersteigen oder gar darunter bleiben. Die Versicherten wären dann auf die steuerfinanzierte bedarfs- oder bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung im Alter angewiesen.

In der neuen Debatte über die Angemessenheit von Renten geht es um geeignete Maßnahmen, die zum einen der Ausweitung von Altersarmut vorbeugen und zum anderen gerade den langjährig Versicherten den Bezug von Grundsicherung ersparen. In der Diskussion stehen besonders seitens der Bundesregierung die Zuschussrente oder Lebensleistungsrente und seitens der Opposition die Solidarrente (SPD), Garantierente (Grüne) und Mindestrente (LINKE). Die Vorschläge zur Aufwertung niedriger Renten ähneln sich darin, dass es sich um Reformen innerhalb der GRV handelt, die überwiegend über Steuern finanziert werden müssten.

Die Haupthemen der Jahrestagung des Forschungsnetzwerkes Alterssicherung

Zeitlich und sachlich sehr nahe an dieser politischen Diskussion hielt am Anfang dieses Jahres in Berlin das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA www.fna-rv.de) seine Jahrestagung ab. Auf der Tagesordnung stand das »Verhältnis von Grundsicherung und Rente aus der Sicht der Wissenschaft«.

Wo sollen die niedrigen Renten aufgewertet werden: inner- oder außerhalb des bestehenden Versicherungssystems? Wer sich mit dieser Frage auseinandersetzt, sieht sich gleichzeitig drei Gefahren gegenüber, die Herbert Rische (Deutsche Rentenversicherung Bund) bei seiner Einführung nannte und die dann in den drei Themenblöcken der Veranstaltung eingehend erörtert wurden:

Erstens: In den geplanten Reformen für angemessene Renten innerhalb der GRV besteht die Gefahr einer Vermischung von Fürsorge- und Versicherungsprinzip. Die beiden Prinzipien unterscheiden sich grundsätzlich in ihren Vorstellungen der Alterssicherung. Die gesetzliche Rente folgt dem Versicherungsprinzip, nach dem individuelle Vorleistungen durch Beiträge die späteren Rentenleistungen bestimmen. Im Gegensatz dazu steht das Prinzip der Fürsorge, die keine individuellen Vorleistungen erfordert. Die Leistungen orientieren sich an der Bedürftigkeit des Einzelnen und werden aus allgemeinen Steuern finanziert. Die bereits bestehende bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter (Sozialgesetzbuch, SGB XII) folgt dem Fürsorgeprinzip.

Zweitens: In den letzten Jahren ist die Grundsicherung stärker gestiegen als die gesetzliche Rente. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass ältere Menschen trotz individueller Vorleistungen weniger Rente erhalten als jemand, der keine Beiträge eingezahlt hat und im Alter Leistungen aus der Grundsicherung erhält.

Drittens: Stiege auch in Zukunft die Grundsicherung stärker als die gesetzliche Rente, hätte dies schließlich die Aushöhlung der GRV zur Folge und ihre Legitimation stünde in Frage.

Das Verhältnis von Fürsorge und Versicherungsprinzip

Dem ersten Themenblock galt das Verhältnis von Fürsorge- und Versicherungsprinzip. Am Anfang und als erster Fachvortrag überhaupt stand eine historische Analyse. Dierk Hoffmann (Institut für Zeitgeschichte, Berlin) beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, ob die Rente in der DDR die Lebensleistung anerkannte oder eine Fürsorgeleistung war. Die Rente in der DDR gehörte zur Einheitsversicherung, in der alle Arbeitnehmer pflichtversichert waren. Ende der 1980er-Jahre betrug die Höhe der durchschnittlichen Altersrente 41 % der Nettolöhne. Die schrumpfenden volkswirtschaftlichen Erträge konnten die sozialpolitischen Leistungen, die sich hauptsächlich auf die erwerbsfähige Bevölkerung bezogen, nicht mehr erwirtschaften. Die Rentenleistungen beruhten zwar noch auf dem Versicherungsprinzip, aber befanden sich auf einem so niedrigen Niveau, dass sie nicht mehr waren als Fürsorge. Besonders die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner waren dann infolge ihrer zumeist sehr langen Erwerbsverläufe die ökonomischen Gewinner nach der Wende von 1989.

Die grundsätzlichen Leistungen der GRV hervorzuheben, war dann das Thema von Franz Ruland, Vorsitzender des Sozialbeirates der Bundesregierung. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand das Äquivalenzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung. Ruland unterschied zwischen einer Globaläquivalenz, nach der die Summe der Beitragseinnahmen der Summe der in allen Versicherungsfällen gezahlten Leistungen entspricht, und einer Individualäquivalenz als Relation von Beitrag und Leistung im einzelnen Versicherungsverhältnis. Wegen der Beitragsfinanzierung sei die Rente keine Fürsorge des Staates, sondern ein als Eigentum geschützter Anspruch. Der individuelle Beitrag für die Rentenversicherung ist der Preis für die gehobene soziale Sicherung, die die GRV im Vergleich zur Grundsicherung bieten sollte. Finanzierte man nun eine Aufwertung niedriger Renten innerhalb der GRV über die Beiträge der Versicherten, gäbe es nach Ruland Systembrüche, die zu Ungerechtigkeiten führten, die Versicherten ungleich behandelten und die die Glaubwürdigkeit des beitragsfinanzierten Systems gefährdeten. Die Bekämpfung von Armut im Alter sei eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht etwa nur der Rentenbezieher und der Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Aufstockung niedriger Renten durch eine Zuschuss-, Solidar- oder Lebensleistungsrente würde dagegen die Lastengleichheit aller Bürger verletzen, »weil etwa Beamte, Selbstständige und Personen, soweit sie Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze beziehen, von diesen Lasten freigestellt« wären.

Neben dieser einseitigen Belastung der Versicherten käme eine Umverteilung von »unten nach oben« hinzu, weil Beiträge nicht wie Steuern nach einem progressiven Tarif, sondern nach einem für alle gleichen Prozentsatz erhoben werden. Aus diesen Gründen müssten die Ausgaben für entsprechende Maßnahmen durch zusätzliche Steuern im Rahmen des Bundeszuschusses gegenfinanziert werden. Allerdings bestünde dann die Gefahr einer Vermischung gegensätzlicher Prinzipien: Versicherung mit Fürsorge und auch Maßnahmen: gesetzliche Rente mit Grundsicherung. Diese Vermischungen sowohl der Prinzipien als auch der Maßnahmen könnten die vergleichsweise enge Beziehung zwischen Vorsorgebeitrag und Rentenleistung auflösen. Wichtige Beitrags- und Leistungsanreize der GRV gingen dann verloren. Das »Gerechtigkeitsproblem« stellt sich nach Ruland vielmehr »im Grundsicherungsrecht, das Personen, die wenn auch unzureichend Vorsorge betrieben haben, genauso behandelt wie Personen, die eine Vorsorge unterlassen haben«.

Rente und Grundsicherung – Relativ wenige einkommensarme Menschen erhalten Grundsicherung

Die Grundsicherung im Alter (SGB XII) gehört zur finanziellen Mindestsicherung in Deutschland und ist seit 2003 eingeführt. Von Beginn an bezogen Jahr für Jahr immer mehr ältere Menschen ab 65 Jahren Leistungen aus der Grundsicherung. Dennoch erhalten von den älteren Menschen vergleichsweise wenige diese soziale Mindestsicherung. In Deutschland waren es 2011 rund 2,6 % und in Baden-Württemberg 2 %. Noch seltener beziehen Rentner in der GRV neben ihrer Rente zusätzlich Grundsicherung.

Die Statistik der Grundsicherung ist ein wesentlicher Teil der Armutsberichterstattung. Die geringe Quote der Empfänger steht jedoch in deutlichem Widerspruch zu anderen Ergebnissen der Armutsforschung, die sich auf die relative Einkommensarmutsgrenze von 60 % des Medians der Nettoäquivalenzeinkommen beziehen. Die Armutsgefährdungsquote für Personen ab 65 Jahren lag 2011 in Deutschland bei 13,3 % und in Baden-Württemberg, gemessen am Landesmedian, bei 16,6 % und damit um ein Vielfaches höher als die Quote der Empfänger von Grundsicherung. Dieser Unterschied zwischen den beiden Quoten kann nach Irene Becker (Universität Frankfurt) auf mehrere mögliche Ursachen zurückgeführt werden:

  • Erstens: Einkommensarme Menschen ab 65 Jahren verfügen vergleichsweise oft über ein Vermögen, das zwar bescheiden ist, aber den Bezug von Grundsicherung ausschließt.
  • Zweitens: Die Armutsgrenze, die mit dem SGB XII gesetzt ist, liegt deutlich unter der empirisch abgeleiteten Armutsgefährdungsschwelle. In Deutschland lag 2011 der Bruttobedarf der Grundsicherung bei 698 Euro und die Armutsgefährdungsschwelle bei 848 Euro, in Baden-Württemberg war der Unterschied noch größer mit 703 Euro bzw. 925 Euro.
  • Drittens: Die Nichtinanspruchnahme zustehender Leistungen aus der Grundsicherung dürfte weiterhin weit verbreitet sein. Becker geht aufgrund eigener Modellrechnungen davon aus, dass beispielsweise 2007 von den Personen ab 65 Jahren mit Anspruch auf Grundsicherung je nach Variante 57 % bis 68 % ihren Anspruch nicht wahrgenommen haben. Die Gründe für die Nichtinanspruchnahme dürften sein:

Die Person entscheidet sich informiert gegen eine Inanspruchnahme, weil ihr die Kosten (Informationsbeschaffung, Wege, Zeitaufwand, Stigmatisierungsängste) relativ hoch sind im Vergleich zum Nutzen (geringer Nettoanspruch wegen eigener Einkommen).

Die Person entscheidet sich weniger abwägend gegen eine Inanspruchnahme aufgrund diffuser Ängste etwa vor Behörden oder aufgrund von Resignation, Scham und gefühlter Minderwertigkeit.

Bruttobedarf der Grundsicherung steigt stärker als gesetzliche Renten

Da die Renten ebenso wie alle anderen Alterseinkommen vollständig auf einen nach SGB XII ermittelten Bruttobedarf angerechnet werden, ist das Verhältnis zwischen Grundsicherungsniveau und individuell erreichbarer Rente – so Becker – wichtig für die Akzeptanz der beitragsfinanzierten Rentenversicherung und für den Willen zu vorsorgendem Sparen.

Das kontinuierliche Absenken des Rentenniveaus allerdings würde die Akzeptanz gefährden: Nach Berechnungen von Becker ist die Anzahl der Beitragsjahre, die erforderlich sind, um mit der gesetzlichen Rente das Grundsicherungsniveau zu gewährleisten, »für den sogenannten Durchschnittsverdiener schon erheblich, für Menschen mit geringerem Erwerbseinkommen oder häufigen Erwerbsunterbrechungen aber kaum noch zu erreichen«. Um eine Zugangsrente von 800 Euro zu erreichen, die 2013 in etwa dem Grundsicherungsniveau einer alleinstehenden Person von 790 Euro entspricht, benötigte diese Person beim derzeitigen Rentenniveau in Westdeutschland

  • 28,5 Beitragsjahre, wenn sie Durchschnittsverdiener war,
  • 40,7 Beitragsjahre, wenn sie aufgrund von geringeren Einkommen oder Erwerbsunterbrechungen 70 % vom Durchschnitt verdiente.

Bereits ein Senken des Rentenniveaus um 5 % würde die notwendigen Beitragszeiten auf 29,9 bzw. 42,7 Jahre erhöhen. In Ostdeutschland würden bei einem Verdienstniveau im Erwerbsleben von 70 % die erforderlichen Beitragsjahre von derzeit 45,9 auf 48,2 Jahre steigen; beim Durchschnittsverdiener von 29,9 auf 33,7 Jahre.

Darüber hinaus kann ein zweiter Punkt als akzeptanzgefährdend angeführt werden: die unterschiedliche Entwicklung von gesetzlicher Rente und Grundsicherung. In den letzten Jahren ist die Grundsicherung stärker gestiegen als die gesetzliche Rente. Der Bruttobedarf der Grundsicherung stieg zwischen 2005 und 2011 um 15,4 % in Deutschland und 13,2 % in Baden-Württemberg, die Zugangsrenten um 7,1 % bzw. 11,8 %. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass – wenn sich diese unterschiedlichen Entwicklungen fortsetzen – Renten trotz individueller Vorleistungen geringer ausfallen können als Leistungen aus der Grundsicherung.

Niedrige Renten bedeuten nicht immer Altersarmut

Niedrige Renten führen jedoch nicht zwingend in die Altersarmut, und die Zunahme niedriger Renten ist nicht unbedingt ein Indikator für steigende Altersarmut. In den Haushalten gibt es immer häufiger zwei Renten infolge der wachsenden Erwerbsbeteiligung der Frauen und auch weitere Alterseinkommen. Außerdem können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen niedrige Renten in Kauf nehmen, wenn sie gewollt vor dem gesetzlichen Rentenalter mit Abschlägen in Rente gehen. Dennoch bleiben die Risikogruppen für Altersarmut wie Erwerbsgeminderte, Geringverdiener, Langzeitarbeitslose und Soloselbstständige.

Nach Ute Klammer (Universität Duisburg-Essen) dürften zukünftig die prekären Alterseinkommen zunehmen. Sinkende Alterseinkommen seien besonders in den neuen Bundesländern zu erwarten. Gleichwohl ließe sich das Ausmaß zukünftiger Grundsicherungsbedürftigkeit kaum seriös vorausberechnen. Das liege unter anderem daran, dass bislang vergleichsweise wenig über die Biografien der derzeitigen Grundsicherungsbezieher bekannt sei. Diese Forschungslücke teilweise zu schließen, ist das Ziel eines von Klammer vorgestellten Forschungsprojektes »(Lebens-)Wege in die Altersarmut«. Den Kern des Projektes bildet die Analyse von Risikodimensionen im Lebensverlauf, vor allem in der Erwerbs-, Familien-, Gesundheits-, Bildungs-, Migrations- und Vorsorgebiografie. Erste Zwischenergebnisse zeigen, dass zu den armutsgefährdeten Gruppen Ehefrauen gehören, deren Mann Alleinverdiener war, aber auch Paare mit Langzeitarbeitslosigkeit oder hohem Krankheitspotenzial sowie Mütter, die nach einer Kindererziehung über eine geringfügige Beschäftigung ins Berufsleben (wieder) einstiegen. Ein erhöhtes Risiko der Altersarmut tragen auch Migranten, wenngleich die Lebenslagen der Menschen mit Migrationshintergrund mittlerweile sehr unterschiedlich sind. Jürgen Boeckh (Ostfalia, Wolfenbüttel) wies darauf hin, dass zwischen den Migranten je nach Herkunftsland unterschiedliche Chancen der Arbeitsmarktintegration bestehen.

Die Zukunft der Alterssicherung: Mehr Leistungsgerechtigkeit oder Fürsorge?

Wird die Altersarmut unter den künftigen Rentnern steigen? Wenn ja, wie stark? Die bisherigen empirischen Ergebnisse lassen vermuten, dass die zukünftigen Rentnergenerationen noch fragmentierter sein werden als die heutigen (Heinz Bude, Universität Kassel). Es wird Gruppen geben, deren Renten höher sein dürften als heute, zum Beispiel Frauen in Westdeutschland, und es wird Verlierer geben, etwa ostdeutsche Frauen und Männer, die nach langjähriger Arbeitslosigkeit seit der Wende von 1989 in den nächsten 10 bis 15 Jahren in Rente gehen (Viktor Steiner, FU Berlin). Ihre Renten dürften im Schnitt auf Grundsicherungsniveau und darunter liegen.

Das Senken des Rentenniveaus führt zu niedrigeren Renten. Entscheidend für die künftige Höhe der Renten ist aber nach Steiner die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie die tatsächliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Für die Alterseinkommen insgesamt komme es darauf an, ob eine Kompensation niedriger Renten durch private Vorsorge sowie eigenes und ererbtes Vermögen möglich sei.

Der Beitrag der GRV zur künftigen Alterssicherung wird hingegen nicht in der Vermischung von Versicherungs- und Fürsorgeprinzip gesehen, sondern in einer Stärkung des Versicherungsprinzips und der Leistungsgerechtigkeit. Die GRV habe nach Frank Nullmeier (Universität Bremen) mehr zu leisten als die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses zu gewährleisten sei Aufgabe der bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung im Alter. Dagegen habe die GRV die Aufgabe, »soziale Teilhaberechte« zu verwirklichen. Unter sozialen Teilhaberechten versteht Nullmeier eine Mindestteilhabe und eine Äquivalenzteilhabe. Es gelte den sozialen Ausgleich in der GRV zu stärken, indem fehlende oder geringe Beiträge aufgewertet werden. Dies schränkt das Äquivalenzprinzip insofern ein, als die Teilhabe vorrangig ist. Wer mehr einzahlt, soll auch künftig mehr Rente erhalten, allerdings nicht im Verhältnis 1:1, denn ein Teil seines Beitrages fließt in die Finanzierung zur Sicherung der sozialen Teilhabe aller Versicherten ein. Diese Reform innerhalb der Rentenversicherung soll die GRV vor einer Entwicklung in Richtung Grundsicherung bewahren.

In den lebhaften Diskussionen und bei den durchweg anspruchsvollen Vorträgen der Tagung wurden auch Reformen außerhalb der GRV genannt. So könnte die Leistungsgerechtigkeit innerhalb der Grundsicherung gestärkt werden, etwa durch Einführung eines Freibetrages für GRV-Renten und andere beitragsfinanzierte Alterseinkommen (Irene Becker, Universität Frankfurt). Rentner und Rentnerinnen würden auf jeden Fall ein höheres Einkommen erzielen als Hilfebedürftige ohne eigenes Einkommen. Die Zukunft der Alterssicherung und das Vermeiden von Altersarmut dürfte nur durch ein Bündel von Maßnahmen möglich sein, die sich ergänzen und kohortenspezifische Aspekte berücksichtigen.