:: 6/2013

Entlang der Kinzig

Flüsse sind die Lebensadern des Landes. So auch die Kinzig, die mit ihren zahlreichen Nebenflüssen und -bächen – wie Kleine Kinzig, Schiltach, Wolf, Gutach, Hauserbach, Erlenbach und Schutter – insbesondere für die Erschließung, die Besiedlung und die wirtschaftliche Entwicklung des Mittleren Schwarzwaldes eine zentrale Rolle gespielt hat. Die Kinzig verbindet drei eher ländlich geprägte Landkreise, und zwar die Landkreise Freudenstadt und Rottweil sowie den Ortenaukreis. Dem Flusslauf folgend wird im vorliegenden Beitrag ein volkswirtschaftliches Porträt dieser Kreise gezeichnet, ergänzt um ausgewählte geografische und demografische Kennzahlen. Die höchste Wirtschaftskraft kann im Umland der Kinzig der Ortenaukreis vorweisen, im Landkreis Rottweil ist das Verarbeitende Gewerbe am stärksten vertreten und der Landkreis Freudenstadt zeichnet sich in der Tourismussparte durch eine weit überdurchschnittliche Übernachtungsdichte aus.

Die Kinzig entspringt in fast 700 m Höhe auf der Gemarkung der Gemeinde Loßburg im Landkreis Freudenstadt. In Schenkenzell und Schiltach quert sie auf nur kurzer Strecke den Landkreis Rottweil. Der größte Teil ihres Laufes liegt im Ortenaukreis, um nach einer Gesamtlänge von ca. 95 km in Kehl bei einer Mündungshöhe von rund 130 m in den Rhein zu fließen. Die größte an der Kinzig gelegene Gemeinde ist die Große Kreisstadt Offenburg mit fast 60 000 Einwohnern. Die kleinste Gemeinde, das zwischen den Städten Hausach und Haslach liegende Fischerbach, zählt knapp 1 700 Einwohner.

Gemessen an der Fläche ist der Ortenaukreis nicht nur der größte der drei »Kinzigkreise«, sondern auch der größte Landkreis Baden-Württembergs. Er bedeckt 5,2 % der Landesfläche, also mehr als die Landkreise Freudenstadt und Rottweil zusammen (4,6 %). Allerdings wohnten Ende 2011 nur 3,9 % der baden-württembergischen Bevölkerung im Ortenaukreis, sodass sich hier eine deutlich unterdurchschnittliche Einwohnerdichte von 226 Einwohnern je km² ergibt. Am dünnsten ist der Landkreis Freudenstadt besiedelt, der nicht zuletzt aufgrund seiner sehr ausgedehnten Waldgebiete – fast 63 % der gesamten Bodenfläche sind bewaldet – eine Bevölkerungsdichte von nur 136 Einwohner je km² aufweist.

Bevölkerung unterschiedlich stark gewachsen

Im Gesamtzeitraum 1990 bis 2011 hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg um fast 10 % zugenommen. Daran konnte im Kinzigumland der Ortenaukreis mit einer Zuwachsrate von gut 12 % am stärksten teilhaben. Dagegen ist die Einwohnerzahl im Landkreis Rottweil nur um rund 4 % gewachsen.

Hinweise auf die altersmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung und das Arbeitskräfteangebot einer Region als wesentliche Standortbedingungen liefert der Jugend- und Altenquotient.1 Während beim Jugendquotienten die Zahl der unter 15-Jährigen auf 100 Personen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren bezogen wird, gibt der Altenquotient die Zahl der 65-Jährigen und Älteren je 100 Personen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren wieder. Im Landesdurchschnitt kamen Ende 2011 rund 21 unter 15-Jährige und 29 der Altersklasse 65-Jährige und Ältere auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis unter 65 Jahren. Von diesen Werten unterscheiden sich die »Kinzigkreise« kaum. Die Spanne des Jugendquotienten lag zwischen 22 und 23 in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil und die des Altenquotienten zwischen 29 und 31 ebenfalls in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil.

»Kinzigregion« erwirtschaftet 20,6 Mrd. Euro …

Der hohe Flächen- und Bevölkerungsanteil des Ortenaukreises findet seine Entsprechung in der Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2010 ergab sich hier ein Bruttoinlandsprodukt von rund 12,9 Mrd. Euro. Damit wurden im Ortenaukreis gut drei Fünftel des Bruttoinlandsprodukts der gesamten »Kinzigregion« von fast 20,6 Mrd. Euro (Land: 359,3 Mrd. Euro) erzeugt. Das Bruttoinlandsprodukt umfasst, vereinfacht ausgedrückt, den Wert aller innerhalb einer Region während einer bestimmten Periode produzierten Waren und Dienstleistungen.2 Auch beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, ein Maß für den Vergleich des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes und der Wirtschaftskraft, hatte die Ortenau mit gut 30 890 Euro knapp vor dem Landkreis Rottweil (30 370 Euro) die Nase vorn, konnte jedoch den Landesdurchschnitt von rund 33 430 Euro nicht erreichen. Am niedrigsten war das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Landkreis Freudenstadt (28 330 Euro).

… jedoch Rückstand bei Produktivität und Innovationsfähigkeit

Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, eine Kennziffer, die Anhaltspunkte für die gesamtwirtschaftliche Produktivität liefert, lag in den »Kinzigkreisen« mit Werten zwischen 57 190 und 60 380 Euro in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil ebenfalls deutlich unter dem Landesdurchschnitt von fast 63 670 Euro. Ein Erklärungsansatz dürfte sein, dass in der gesamten »Kinzigregion« wesentliche Branchen wissensintensiver Dienstleistungen – wie die Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleister –, die sich durch hohe Pro-Kopf-Werte auszeichnen, weniger stark als im Landesdurchschnitt vertreten sind.3 Auch beim Innovationsindex 20124, der die Innovationsfähigkeit einer Region widerspiegelt, liegen die »Kinzigkreise« nicht im Spitzenfeld des Kreisrankings. Führend sind hierbei der Landkreis Böblingen, der Bodenseekreis und der Stadtkreis Stuttgart. Dass die Landkreise Freudenstadt (Platz 19) und Rottweil (Platz 20) erheblich besser als der Ortenaukreis (Platz 39) platziert sind, ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sie trotz der Rückstände bei den wissensintensiven Dienstleistungen bei der Präsenz industrieller Hochtechnologiebranchen – wie Maschinen- und Fahrzeugbau, Herstellung von elektronischen und optischen Erzeugnissen – besser als im Landesdurchschnitt abschneiden.

Schwerpunkte der Wirtschaftsstruktur

Es gibt noch weitere strukturelle Auffälligkeiten in der »Kinzigregion«: Am höchsten war 2010 der Wertschöpfungsanteil der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei in der für das Obst und den Wein bekannten Ortenau mit gut 1 % (Landesdurchschnitt: 0,6 %). Der Ortenaukreis wies von den drei Landkreisen außerdem den höchsten Dienstleistungsanteil mit gut 61 % auf, der nur knapp den Landesdurchschnitt von fast 63 % verfehlte. Dabei zeichnet sich die Ortenau durch eine im Vergleich zum Land wesentlich ausgeprägtere Präsenz des zusammengefassten Wirtschaftsbereichs »Handel, Verkehr und Lagerei, Gastgewerbe, Information und Kommunikation« aus, was eigentlich durch den Rheinhafen Kehl und den Medienstandort Offenburg nicht überrascht. Dagegen lag in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil der Wertschöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbes mit rund 39 bzw. 42 % deutlich über dem entsprechenden Landeswert von gut 29 %. Obwohl die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen die Querschnittsbranche Tourismus nicht explizit nachweisen, lassen zumindest die Übernachtungszahlen darauf schließen, dass der Tourismus im Landkreis Freudenstadt von weitaus größerem wirtschaftlichem Gewicht ist als in den beiden anderen »Kinzigkreisen«. So kamen im Landkreis Freudenstadt 2012 gut 14 590 Übernachtungen auf 1 000 Einwohner, im Ortenaukreis und im Landkreis Rottweil betrug diese Übernachtungsdichte nur rund 7 730 bzw. 2 060.

Strukturwandel in der Ortenau ausgeprägter als in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil

Die sektorale Verteilung der Erwerbstätigen führt im Grundsatz zu keinen anderen Erkenntnissen als die Strukturanteile der Wertschöpfung. Das heißt, der Ortenaukreis fällt bezogen auf die gesamte »Kinzigregion« auch bei der Erwerbstätigkeit 2010 durch vergleichsweise hohe Anteile in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (2,2 %) und in den Dienstleistungsbereichen (63,9 %) auf, in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil hat das Produzierende Gewerbe ein besonders starkes Gewicht (41 bzw. 43,8 %). Ein Blick auf die Wirtschaftsstruktur vor 20 Jahren zeigt sowohl bei der Wertschöpfung als auch bei den Erwerbstätigen, dass sich der Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft (Tertiärisierung) im Ortenaukreis offensichtlich stärker als in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil vollzogen hat. So hat sich im Ortenaukreis der Wertschöpfungsanteil der Dienstleistungen seit 1991 um fast 7 Prozentpunkte erhöht, in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil waren es dagegen nur rund 2 Prozentpunkte.5

Eng verknüpft mit der Erwerbstätigkeit ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Trotz der sich 2012 abschwächenden Konjunktur erwies sich der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg mit einer Arbeitslosenquote von 3,9 % als sehr robust. Im Landkreis Rottweil waren es sogar nur 3,1 %, die niedrigste Arbeitslosenquote der »Kinzigkreise«. Auch in der Ortenau (3,6 %) lag die Quote unter dem Landesdurchschnitt, während sie im Landkreis Freudenstadt exakt diesem Durchschnittswert entsprach.

Durchschnittsverdienst überall unter Landesdurchschnitt

Hinweise auf den materiellen Wohlstand in einer Region liefern das Arbeitnehmerentgelt6 je Arbeitnehmer und insbesondere das Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner. Im Jahr 2010 lag in allen »Kinzigkreisen« das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer bzw. der Durchschnittsverdienst unter dem Landesdurchschnitt von gut 37 320 Euro, an den jedoch die Landkreise Rottweil und Freudenstadt mit rund 36 560 bzw. 35 440 Euro am dichtesten herankamen. Auch hier dürften sich die bereits erwähnten Strukturvorteile beider Kreise hinsichtlich der überdurchschnittlichen Präsenz industrieller Hochtechnologiebranchen positiv auf das Einkommensgefüge ausgewirkt haben.

Beim Verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, das auch die Vermögenseinkommen, die Selbstständigeneinkommen und die Umverteilung des Staates durch Einkommensteuer, Sozialleistungen und Sozialbeiträge berücksichtigt, stellt sich die Situation anders dar. Demnach wurde 2009 in den Landkreisen Freudenstadt und Rottweil bei diesem Pro-Kopf-Einkommen mit Werten von rund 20 780 und 20 820 Euro der Landesdurchschnitt von gut 20 500 leicht überschritten, allerdings blieb der Ortenaukreis mit fast 19 670 Euro etwas dahinter zurück.

Ein wichtiger Aspekt des Lebensstandards ist neben dem Einkommen auch die Mobilität. Deshalb soll abschließend noch ein Blick auf die Pkw-Ausstattung der Bevölkerung in der »Kinzigregion« geworfen werden. In allen »Kinzigkreisen« lag 2012 die Pkw-Dichte mit Werten zwischen 562 Fahrzeugen im Landkreis Freudenstadt und 594 Fahrzeugen im Landkreis Rottweil deutlich über dem Landesdurchschnitt von 547 Pkw je 1 000 Einwohner. Tendenziell erfordern gerade die ländlichen Räume eine höhere Pkw-Dichte, um den individuellen Mobilitätsansprüchen – sei es durch das Pendeln zum Arbeitsplatz, für Einkauf- oder Freizeitaktivitäten – bei in der Tiefe der Fläche naturgemäß spärlicheren Angeboten an öffentlichen Verkehrsmitteln nachkommen zu können.

1 Der Jugend- und Altenquotient wird primär genutzt als bevölkerungsstatistischer Indikator für die »Belastung« der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (hier dargestellt als Altersgruppe der 15- bis unter 65-Jährigen) durch die Finanzierungsverantwortung für die unter 15-Jährigen im noch nicht erwerbsfähigen Alter und der Bevölkerung im nicht mehr erwerbsfähigen Alter (65-Jährige und Ältere). Er kann aber auch Informationen über die Altersstruktur einer Bevölkerung und das Arbeitskräftepotenzial liefern. Siehe auch: Fischer, Berthold/Werner, Joachim: »Europäische Großstadtregionen im Vergleich«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2011«, S. 26ff.

2 In der später folgenden Differenzierung nach Wirtschaftsbereichen heißt die Wirtschaftsleistung Bruttowertschöpfung.

3 Anteil der wissensintensiven Dienstleistungen bzw. der industriellen Hochtechnologiebranchen gemessen anhand des Anteils der in diesen Wirtschaftsbereichen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt 2011.

4 Einwiller, Ruth: »Innovationsindex 2012: Kreise und Regionen in Baden-Württemberg«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2013«, S. 12ff.

5 Derzeit sind die Kreisergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und der Erwerbstätigenrechnung des Jahres 2010 mit denen der 1990er-Jahre nur eingeschränkt vergleichbar, weil die Revision 2011 noch nicht rückwirkend vollzogen ist.

6 In den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen umfasst das im vorliegenden Beitrag nach dem Arbeitsort verwendete Arbeitnehmerentgelt die entstandenen Bruttolöhne und -gehälter einschließlich der Sozialbeiträge der Arbeitgeber.