:: 8/2013

Polarisierung im Wanderungsgeschehen

Lange galten die Umlandgemeinden als Gewinner im Wettbewerb um das Bevölkerungswachstum. Seit Beginn diesen Jahrhunderts zeigt sich aber eine Trendwende. Ursache hierfür sind die Wanderungsbewegungen. Die Wanderungsgewinne konzentrieren sich inzwischen immer stärker auf die Zentren im Land, während die Umlandgemeinden tendenziell stärker werdend Bevölkerung verlieren. Dies wird gemeinhin unter dem Begriff »Reurbanisierung« diskutiert. Die Untersuchung nach raumordnerischen Kriterien zeigt aber, dass die Wanderungsbewegungen zwar differenziert zu bewerten sind, dass es aber dennoch zu einer wachsenden Polarisierung im Wanderungsgeschehen zwischen Stadt und Land gekommen ist.

Im Hinblick darauf, ob Bewegung hin zur Stadt festgestellt werden kann, wird der Fokus im vorliegenden Beitrag auf die quantitative Analyse des Wanderungsgeschehens gerichtet. Um nähere Aufschlüsse darüber zu erhalten, welche Bevölkerungsgruppen den Wanderungsprozess »tragen«, und sich der Frage nach den Wanderungsmotiven wenigstens zu nähern, wird das Wanderungsgeschehen zusätzlich nach Altersgruppen analysiert.1 Die Untersuchung orientiert sich an den raumordnerischen Kriterien des Landesentwicklungsplans (LEP) Baden-Württemberg 2002. Das darin beschriebene zentralörtliche System berücksichtigt, dass die Siedlungsstruktur neben großräumigen Dichteunterschieden vor allem durch ein auf dem historischen Städtenetz aufbauendes System von Zentralen Orten geprägt wird. Den im LEP ausgewiesenen 101 Mittelzentren sind sogenannte Mittelbereiche zugeordnet, die die Einzugs- und Verflechtungsbereiche der Mittelzentren kennzeichnen (i-Punkt). Bei der Bewertung der Wanderungskonzentration werden die Mittelzentren mit den übrigen Kommunen der Mittelbereiche (Umlandgemeinden) verglichen. Oberzentren gelten überdies gleichzeitig als Mittelzentren. Zusätzlich werden diese Daten nach den im LEP nach siedlungsstrukturellen Gesichtspunkten abgegrenzten Raumkategorien differenziert, sodass eine mehrdimensionale Betrachtung möglich wird.

Oberzentren und andere Gemeinden der Verdichtungsräume dominieren im Wanderungsgeschehen

Der relative Wanderungssaldo, das heißt der Saldo bezogen auf die jeweilige Bevölkerung, lag noch in fast jedem Jahr der 1990er-Jahre in den Zentren des Landes im Schnitt niedriger als in den Umlandgemeinden. Seit dem Jahr 2001 hat sich diese Entwicklung umgekehrt: Die Wanderungssalden lagen in den Zentren in jedem Jahr jeweils höher als in den Umlandgemeinden. In den Jahren 2006 bis 2010 profitierten im Durchschnitt sogar nur noch die Zentren von Wanderungsgewinnen, während die Umlandgemeinden Wanderungsverluste aufwiesen. Die Entwicklungsunterschiede vergrößerten sich zwischen den Städten und den Umlandgemeinden deutlich. Letzteres galt auch für das Jahr 2011, jedoch konnten auch wieder die Umlandgemeinden von Wanderungsgewinnen profitieren.

In der jüngeren Vergangenheit stechen nun die Oberzentren im Vergleich zu den anderen Mittelzentren im Wanderungsgeschehen hervor (Schaubild 1). In den 1990er-Jahren wiesen die Mittelzentren ohne Oberzentren im Durchschnitt noch einen höheren Wanderungssaldo auf als die Oberzentren. Zu Beginn des Jahrtausends kippte das Verhältnis und im Zeitfenster von 2006 bis 2010 gewannen die Oberzentren 4,5 Personen je 1 000 Einwohner hinzu, während die anderen Mittelzentren im Durchschnitt »lediglich« stabil blieben. Auch im Jahr 2011 blieben die Oberzentren mit einem Wanderungssaldo von 9,3 je 1 000 Einwohner gegenüber den anderen Zentren dominant, wobei letztere ebenfalls von der gestiegenen Zuwanderung nach Baden-Württemberg profitierten. Der Wanderungssaldo lag für die Mittelzentren ohne Oberzentren immerhin bei durchschnittlich 4 Personen je 1 000 Einwohner.

Die Trendumkehr beim Wanderungsverhalten lässt sich nicht nur mit Bezug zu der funktionalen Gliederung der Kommunen in Zentren und Umlandgemeinden beobachten, sondern auch bei der Unterscheidung in verdichtete und dünner besiedelte Gebiete entsprechend dem LEP. Noch in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre hatten die Verdichtungsräume, bei insgesamt sinkenden Wanderungsgewinnen, die niedrigsten positiven Wanderungssalden unter den Raumkategorien. Aber in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts wendete sich das Blatt und die Verdichtungsräume verbuchten mit einem Wanderungssaldo von 3,8 einen höheren Zugewinn je 1 000 Einwohner als der Ländliche Raum mit 2,8, jedoch noch weniger Wanderungsgewinn als die Randzonen (4,8 Personen je 1 000 Einwohner). Erst in den letzten Jahren dominierten nun die Verdichtungsräume vollständig im Wanderungsgeschehen.

Der Ländliche Raum i.e.S. schnitt dabei während der letzten Jahre am schwächsten ab. Im Jahr 2005 war die Wanderungsbilanz hier letztmalig positiv. In der isolierten Gegenüberstellung des Ländlichen Raums i.e.S. und der Verdichtungsräume zeigt sich dann wiederum die wachsende Polarisierung des Wanderungsgeschehens (Schaubild 2). Die Wanderungssalden der Räume lagen 2005 nur um 1,5 Personen je 1 000 Einwohner auseinander. Im Jahr 2011 betrug die Differenz gut 7 Personen. Das ist eine beachtliche Entwicklung.

In einer dritten Dimension wird die Trendwende im regionalen Wanderungsgeschehen auch noch bestätigt, wenn die Kommunen nach Größenklassen betrachtet werden. Dieser bereits schon früher beobachtete Trend hat sich weiter fortgesetzt.2 Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts verzeichneten die Städte mit über 100 000 Einwohnern die höchsten Wanderungsgewinne, während die Bevölkerungszahl in den Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern durch Abwanderungen im Schnitt sogar zurückging. Im Jahr 2011 verstärkte sich der Unterschied zwischen großen und kleinen Kommunen, trotz unerwartet hoher Wanderungsgewinne des Landes, dann noch weiter.

Die Entwicklung der Zentren ist abhängig vom Raum

Erst die »Verschneidung« der verschiedenen Dimensionen – funktionale Gliederung und Raumkategorien – macht deutlich, dass Umlandgemeinde nicht gleich Umlandgemeinde ist, und dass auch die Mittelzentren je nach ihrer räumlichen Zugehörigkeit mehr oder weniger oder auch gar nicht von Wanderungen profitieren. Reurbanisierung ist in diesem Sinne keinesfalls flächendeckend gegeben. Die mehrdimensional aufbereiteten Daten belegen, dass sowohl Zentren als auch Umlandgemeinden im Zusammenwirken mit weiteren raumordnerischen Kriterien geprüft werden müssen. Die Zentren in den Verdichtungsräumen profitierten im jüngsten Zeitfenster am stärksten von den Wanderungen (Schaubild 3). Der relative Wanderungssaldo lag bei 3,1 je 1 000 Einwohner. Dabei profitieren vorrangig die oben herausgearbeiteten Oberzentren und somit große Städte. Die Mittelzentren der Randzonen hatten ebenfalls noch ein Wanderungsplus (+ 0,9). Für die Zentren in den ländlichen Räumen kann in der letzten betrachteten Periode nur noch eine im Durchschnitt stabile Wanderungssituation ausgemacht werden.

Aber auch die Umlandgemeinden sind in Ihrer Entwicklung nicht miteinander gleichzusetzen. Umlandgemeinden, die in den Verdichtungsräumen angesiedelt sind, weisen durchschnittlich nach wie vor ein Wanderungsplus auf (+ 1,0 je 1 000 Einwohner) und bei Umlandgemeinden in den zugehörigen Randzonen war der Wanderungssaldo im letzten Zeitfenster zumindest nahezu ausgewogen. Die Wanderungsverluste gehen somit nahezu vollständig auf das Konto der Umlandgemeinden in ländlichen Gebieten und je ländlicher und kleiner umso mehr.

Zentren profitieren vom Zuzug junger Erwachsener

Welche Bevölkerungsgruppen haben nun zu dieser Trendumkehr im regionalen Wanderungsgeschehen beigetragen? Um dies zu beantworten, wurden die Wanderungsdaten für insgesamt sieben Altersgruppen aufbereitet und jeweils auf die entsprechenden Bevölkerungsgruppen bezogen analysiert (Schaubild 4; hier ist die unterschiedliche Skalierung zu beachten). Auf der Basis dieser Differenzierung wird schnell deutlich, dass die Zentren keinesfalls über alle Altersklassen von Wanderungsgewinnen profitieren, sondern überwiegend vom Zuzug junger Erwachsener. Dies ist im Grunde nicht neu, auch in den 1990er-Jahren war das der Fall. Die Altersgruppe der 18- bis unter 25-Jährigen weist die höchsten relativen Wanderungsgewinne auf. Im Vergleich der vergangenen 2 Jahrzehnte war deren Niveau im Durchschnitt der Mittelzentren (einschließlich der Oberzentren) immer am höchsten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass vor allem die Oberzentren zunehmend von den Wanderungsbewegungen dieser Altersgruppe profitierten. Insofern gibt es durchaus eine Veränderung in der räumlichen Konzentration, zumal – trotz positiver Zuwanderung von außen – für die außerhalb der Verdichtungsräume angesiedelten Mittelzentren der Wanderungssaldo langsam immer weiter in den negativen Bereich gekippt ist.

Der durchschnittliche Wanderungssaldo der Oberzentren stieg dagegen kontinuierlich von 57 Personen je 1 000 Einwohner in den Jahren 1991 bis 1995 auf 78 Personen je 1 000 Einwohner in den Jahren 2006 bis 2010 (Schaubild 5). Dies kann gegebenenfalls in enger Verbindung mit den gestiegenen Studierendenzahlen stehen.3 Eine positive Bilanz in dieser Altersgruppe hatten ansonsten lediglich die weiteren Mittelzentren in den Verdichtungsräumen. Im Jahr 2011 hat sich der Wanderungssaldo für diese Zentren erneut besonders günstig entwickelt. Dies darf aber vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Zuwanderung nach Baden-Württemberg nicht überbewertet werden und gilt in gewisser Weise auch für andere Altersgruppen.

In den 1990er-Jahren galt zudem, dass auch die Umlandgemeinden in der Altersgruppe 18 bis unter 25 Jahre von Zuzügen profitierten. Dies ist zwischenzeitlich nicht mehr der Fall. Die Fortzüge je 1 000 Einwohner in diesem Alter aus den Umlandgemeinden sind nach der Jahrtausendwende im betrachteten Mehrjahresdurchschnitt nicht gestiegen und gegenüber den 1990er-Jahren sogar gesunken. Stärker gingen aber die Zuzüge zurück, sodass der Saldo für die Umlandgemeinden aller Raumkategorien negativ wurde. Für das Jahr 2011 waren dann höhere Fortzüge aus den Umlandgemeinden zu verzeichnen, wenngleich auch die Zuzüge ins Umland ebenfalls deutlich anstiegen, aber nicht ganz so stark. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beitrag dieser Altersgruppe zur Reurbanisierung vorrangig aus einer höheren Fortzugsneigung aus dem Umland resultiert, sondern dass dies eher geringfügig bzw. erst am aktuellsten Rand gilt. Insgesamt zeigt sich, dass die Attraktivität vor allem der Oberzentren für Zuwanderung dieser Altersgruppe (auch über die Landesgrenzen hinweg) stieg, während dies für andere Mittelzentren kaum und für das Umland nicht gilt. Es kommt zu einer Konzentration der Zuzüge auf große Zentren. Das heißt, der neue Trend dürfte an dieser Stelle insbesondere dadurch bestimmt sein, dass in den letzten Jahren junge Menschen zur Ausbildung, zum Studium und zur Aufnahme einer (ersten) Berufstätigkeit verstärkt in die großen Städte gezogen sind. Während in den ersten Jahren der 2000er-Jahre auch die Umlandgemeinden im Verdichtungsraum noch als Wohnort für diese jungen Erwachsenen attraktiv zu sein schienen, gilt dies zwischenzeitlich nicht mehr.

Die verbesserte Position der Mittelzentren im Wanderungsgeschehen ist auch auf die Wanderungsgewinne in der Altersgruppe der 25- bis 30-Jährigen zurückzuführen (Schaubild 4). Der höhere Wanderungssaldo für die Zentren resultiert aus der auf hohem Niveau verbliebenen relativen Zuwanderung in dieser Altersgruppe. Zwar stiegen die Fortzüge je 1 000 Einwohner etwas an, im Ergebnis lagen die Wanderungsgewinne im letzten Jahrzehnt (ca. 7 Personen je 1 000 Einwohner im Zeitfenster 2006 bis 2010 und gut 11 im Zeitfenster 2001 bis 2005) aber spürbar über denen der 1990er-Jahre (3 Personen je 1 000 Einwohner in den Jahren 1991 bis 1995 und 2 Personen 1996 bis 2000). Im Jahr 2011 wirkten sich auch in dieser Altersgruppe die insgesamt gestiegenen Zuwanderungen nach Baden-Württemberg aus.

Auch für diese Altersgruppe haben die Oberzentren und andere Mittelzentren des Verdichtungsraums eine besondere Anziehungskraft entwickelt (Schaubild 6). Im Zeitfenster 2001 bis 2005 profitierten auch die Mittelzentren in den Randzonen der Verdichtungsräume vom Zuzug. Für das Jahr 2011 fällt auf, dass die Mittelzentren in allen Raumkategorien, also sogar im Ländlichen Raum i.e.S., positive Wanderungssalden bei den 25- bis unter 30-Jährigen verzeichneten. Diese fielen aber für die Mittelzentren in den Randzonen der Verdichtungsräume und im Ländlichen Raum i.e.S. erheblich niedriger aus als für die Zentren in Verdichtungsräumen. Auch für die Zentren der Verdichtungsbereiche war der relative Wanderungssaldo überraschend hoch. Natürlich spielt auch in dieser Altersgruppe eine Rolle, dass das Land insgesamt hier durch die Zuwanderung über den gesamten Zeitraum hinzugewonnen hat.

Für die Umlandgemeinden gilt bei der Altersgruppe 25 bis unter 30 Jahre im Gegensatz zur Altersgruppe 18 bis unter 25 Jahre aber, dass die relativen Fortzüge tatsächlich anstiegen und die nur leicht angestiegenen Zuzüge dies nicht kompensieren konnten. Damit wurde der Wanderungssaldo im Zeitfenster 2006 bis 2010, die Umlandgemeinden im Verdichtungsraum ausgenommen, negativ. Besonders stark ist der Effekt für die Umlandgemeinden im Ländlichen Raum i.e.S. Die Differenz der Wanderungssalden zwischen Umlandgemeinden im Verdichtungsraum und denen im ländlichen Raum ist inzwischen erheblich. Sie lag zwischen 2006 und 2010 bei rund 18 Personen je 1 000 Einwohner und im Jahr 2011 bei 22 Personen. Für die Altersgruppe von 25 bis unter 30 Jahren kann insofern von einer echten Trendumkehr gesprochen werden und insgesamt scheint sie etwas wanderungsaktiver geworden zu sein.

Höhere Altersgruppen drängen nicht in die Städte

Die Erwartung, dass auch die ältere Bevölkerung zur Reurbanisierung beiträgt, weil sie in besonderem Maß auf eine gute Infrastruktur vor Ort (unter anderem Ärzte, ÖPNV-Anbindung, Einkaufsmöglichkeiten) angewiesen ist, kann nicht stringent belegt werden. Das Land insgesamt verliert schon seit einiger Zeit leicht an Bevölkerung in den Altersgruppen ab 50 Jahren durch Nettoabwanderungen. Dabei lag der Wanderungsverlust in der Bevölkerungsgruppe ab 65 bis unter 75 Jahren mit 1,9 je 1 000 Einwohner dieses Alters im Zeitfenster 2006 bis 2010 am höchsten, gefolgt von der Altersgruppe 50 bis unter 65 Jahre mit – 1,1 je 1 000 Einwohner. Am geringsten war der Wanderungsverlust bei den 75-Jährigen und Älteren (– 0,8 je 1 000 Einwohner). Mit Ausnahme der Altersgruppe 50 bis unter 65 Jahre, die ein geringes Wanderungsplus aufwies, war die Abwanderung älterer Menschen auch im Jahr 2011 zu beobachten. Von dieser Abwanderung Älterer waren die Zentren in den Verdichtungsräumen eher stärker betroffen als andere Gemeinden.

Die Wanderungsstrukturen bei den Menschen ab 50 Jahren können mit folgenden Sachverhalten zusammenhängen: Der Fortzug älterer Menschen aus dem Land betrifft vor allem ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in ihre frühere Heimat zurückkehren. Diese leben aber überdurchschnittlich oft in den Arbeitsplatzzentren und damit in den größeren Städten, sodass in der Folge das Gewicht der Abwanderung aus den Verdichtungsräumen plausibel ist. Ansonsten präferieren ältere Menschen als »Altersruhesitz« oftmals landschaftlich besonders attraktive Gegenden (zum Beispiel den Bodensee) oder Standorte mit einer insbesondere in medizinischer Hinsicht auf Ältere zugeschnittenen Infrastruktur (zum Beispiel Baden-Baden). Nur ein Drittel der älteren Menschen möchte aber zwecks altersgerechtem Wohnen umziehen, die Mehrheit zieht einen Verbleib in der Wohnung und einen gegebenenfalls dafür erforderlichen Umbau vor. Verlust der Selbstständigkeit ist der wichtigste Grund für einen potenziellen Umzug. Zudem sinkt mit zunehmendem Alter die Bereitschaft zu einem Wohnungswechsel.4 Ein Umzug dürfte daher in etlichen Fällen mehr erforderlich denn selbst gewählt und zu einem erheblichen Anteil auch davon geleitet sein, wo Familienangehörige leben oder wo sie einen Platz in einem Altenheim oder ähnliches erhalten. In solchen Fällen handelt es sich nicht um eine »bewusste« Entscheidung für »Stadt« oder »Land«. Dazu passt auch, dass die Bevölkerung ab 75 Jahren, im Gegensatz zu den beiden anderen Altersgruppen über 50 Jahren, auch in den letzten Jahren noch für Umlandgemeinden positive Wanderungssalden aufwies (2006 bis 2010: 1,8 Personen je 1 000 Einwohner).

Oberzentren sind für Familien weniger attraktiv

Nach wie vor spielt aber die Abwanderung jüngerer Bevölkerungsgruppen auch für große Städte eine Rolle. Es sind die Minderjährigen und die Erwachsenen im mittleren Alter (30 bis unter 50 Jahre), deren Wanderungssalden für die Oberzentren negativ ausfallen (Schaubild 7). Diese beiden Gruppen passen insofern zueinander, da sich aus ihnen viele der zusammenlebenden Familien rekrutieren. Es liegt somit der Schluss nahe, dass für Familien die Oberzentren als Wohnort nach wie vor verhältnismäßig ungünstigere Bedingungen bieten. Sowohl die anderen Zentren des Verdichtungsraums als auch die Mittelzentren anderer Raumkategorien und im Durchschnitt jegliche Form von Umlandgemeinde (wenn auch mit Abstufungen) scheinen attraktivere Wohnkonditionen zu bieten. Die relativen Wanderungsgewinne all dieser Gemeinden fielen aber im Verhältnis nicht mehr so hoch aus wie noch in den 1990er-Jahren, denn während die Fortzüge stagnierten, sanken die Zuzüge. Die insgesamt für das Land positiven Wanderungsgewinne in den beiden Altersgruppen tragen dazu bei, dass breite Gebiete im Land von der Wanderung profitieren. Eine gewisse Verschiebung in den räumlichen Präferenzen scheint es jedoch gegeben zu haben, denn die Mittelzentren in den Randzonen der Verdichtungsräume stehen gegenüber den Mittelzentren im Verdichtungsbereich des Ländlichen Raums und denen des Ländlichen Raums i.e.S. aktuell vergleichsweise günstiger da als noch in den 1990er-Jahren.

Fazit

Wie sich zeigte, sind die Wanderungen in Baden-Württemberg nicht durch einen einzigen Trend zu erklären. Auch wenn in der Gesamtbilanz und insbesondere in der Periode seit 2006 eine merklich stärkere Stellung der Zentren im Wanderungsgeschehen zu beobachten ist – was umso mehr gilt je verdichteter der zugehörige Raum und je größer die Stadt – so spielen doch ganz unterschiedliche Bewegungen einer Rolle. Diese Konzentration des Wanderungsgeschehens kann nicht pauschal als »Reurbanisierung« betitelt werden. Reurbanisierung ist im Sinne der durchgeführten Analyse ein stark selektiver Prozess, an dem nicht alle Altersgruppen und auch nicht alle Zentren teilhaben.

Festzuhalten bleibt, dass die Zentren und vor allem die Oberzentren ganz überwiegend vom Zuzug junger Erwachsener profitierten. Junge Menschen im Alter von 18 bis unter 25 Jahren präferieren stärker werdend die Oberzentren. Dies ist aber weniger das Ergebnis von gestiegenen Fortzügen im Umland, als der stärkeren Konzentration der Zuzüge auf die zentralen Räume. Die Altersgruppe 25 bis unter 30 Jahre ist die Altersgruppe, für die eine echte Trendumkehr sichtbar gemacht werden konnte. Die Konzentration auf die Zentren steht hier in Verbindung mit gestiegenen relativen Fortzügen aus dem Umland. Zumindest zum Teil kann gegenwärtig von einer Verhaltensänderung ausgegangen werden, die aber auch Nebenbedingung anderer oder mehrerer Trends sein kann, zum Beispiel eines geänderten Bildungs- oder Arbeitsplatzangebots oder eines attraktiveren Wohnungsangebots für junge Menschen in »ertüchtigten« Innenstädten.

Für andere Altersgruppen kann bislang kein in der Wanderungsstatistik spürbarer Trendwandel festgestellt werden. Weder lässt sich für die »Jungen Alten« die Vermutung belegen, dass diese wegen besserer Infrastruktur und Versorgungsmöglichkeiten vom Umland in die Städte drängen, noch lässt sich dies für die Minderjährigen und die Bevölkerungsgruppe mittleren Alters belegen. Für letztere kann gegenwärtig von noch bestehenden Bewegungen aus der Stadt heraus ausgegangen werden. Diese sind aber in ihrer Stärke nicht mehr mit den Hochphasen der Suburbanisierung vergleichbar. Zudem scheinen sich die räumlichen Präferenzen hin zu Zentren und Umlandgemeinden in den Randzonen der Verdichtungsräume hin verschoben zu haben, sodass es zu einer etwas veränderten räumlichen Wanderungskonzentration, quasi einem »Heranrücken« an die großen Zentren, kommt.

Die hier beschriebenen Wanderungsstrukturen müssen nicht als für die Zukunft festgefügt gelten. Wenn beispielsweise die Städte stärker in der Lage sind, den Familien ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum anzubieten, kann dies zu einer höheren Wohnstandorttreue führen oder gar den gegenwärtigen Trend umkehren. Ebenso ist auch denkbar, dass fehlender finanzierbarer Wohnraum in den Städten in Verbindung mit sinkenden Immobilienwerten im Umland zur Zementierung der Situation beiträgt, so eine gegebenenfalls gewünschte Reurbanisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht stattfinden kann und dadurch nicht mehr Personen aus Gebieten mit einer zurückgehenden Bevölkerungszahl weggezogen sind bzw. wegziehen werden. Auch ist seit circa 3 Jahren wieder eine deutlich steigende Zuwanderung zu beobachten, die zusätzlich zu einer Verknappung des Wohnraums in den (Groß-)Städten führte bzw. weiter führen könnte. Da vorrangig junge Menschen derzeit die Reurbanisierung tragen, könnte ein weiterhin geändertes Bildungsverhalten, im Sinne des Trends hin zu höheren Schulabschlüssen und steigenden Studierquoten, den Drang in die großen Zentren zunächst weiter verstärken. Auch besteht sicher eine Abhängigkeit vom Arbeitsplatzangebot für junge Menschen. Andererseits ist zum Beispiel aufgrund der für die Zukunft erwarteten sinkenden Besetzungszahlen in den jüngeren Altersgruppen mit einer nachlassenden Dynamik zu rechnen. Die Einflüsse sind auf jeden Fall vielfältiger Natur.