:: 8/2013

Tendenzen und Komponenten der gesamtstaatlichen Neuverschuldung 1991 bis 2012

Nach dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt müssen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die den Euro als offizielle Währung eingeführt haben oder einführen möchten, die Defizite und den Schuldenstand ihrer öffentlichen Haushalte begrenzen. In einschlägigen Bestimmungen ist geregelt, dass in diesen Staaten das jährliche Haushaltsdefizit 3 % und die öffentliche Verschuldung 60 % des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen dürfen. Im folgenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie sich die Finanzierungssalden auf den Ebenen der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) und der Sozialversicherung in den vergangenen Jahren entwickelt haben.

Finanzierungsdefizit als fiskalpolitische Größe

Im politischen Brennpunkt steht vor allem das 3 % Defizitkriterium, nicht zuletzt deshalb, weil gegen Staaten der Eurozone mit einem Finanzierungsdefizit von über 3 % des Bruttoinlandsprodukts ein »Defizitverfahren« eingeleitet werden kann, das im Extremfall zu empfindlichen monetären Sanktionen für den betreffenden Staat führt. Mit dem sogenannten Sixpack, das am 13. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, wurden im Interesse einer Durchsetzung der Haushaltsdisziplin die Sanktionsmaßnahmen verschärft, das heißt sie greifen nun früher und konsequenter als ursprünglich vorgesehen.

Maßgebend für die Beurteilung des jährlichen Defizits ist der Finanzierungssaldo, also die Differenz der staatlichen Einnahmen und der staatlichen Ausgaben, ermittelt nach dem für EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen. Dadurch ist die internationale Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet, was für eine sachgerechte Beurteilung der Lage in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unabdingbar ist. Einnahmen, Ausgaben und damit auch Finanzierungssaldo des Staates nach dem Konzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen unterscheiden sich aus konzeptionellen und sonstigen Gründen zum Teil erheblich von entsprechenden Daten der Finanzstatistik.

In der föderal aufgebauten Bundesrepublik Deutschland ist die Betrachtung des Finanzierungssaldos nach den staatlichen Ebenen von besonderer Bedeutung. Das Statistische Bundesamt weist in seinen Berechnungen die Einnahmen, Ausgaben und Finanzierungssalden für vier staatliche Ebenen nach, nämlich Bund (einschließlich Sonderrechnungen), Sozialversicherung, Länder und Gemeinden. Daten für einzelne Länder oder einzelne Kommunen werden jedoch nicht ermittelt.

Finanzierungssaldo nach den vier Ebenen 2009 bis 2012

Nach den neuesten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes1 haben die öffentlichen Haushalte Deutschlands 2012, erstmals seit 2007, wieder einen gesamtstaatlichen Finanzierungsüberschuss erwirtschaftet, und zwar in Höhe von 2,4 Mrd. Euro. Hierzu hat überwiegend die Sozialversicherung mit einem Plus von 18,3 Mrd. Euro beigetragen. Der Finanzierungssaldo der Gebietskörperschaften insgesamt war dagegen negativ (15,9 Mrd. Euro), vor allem von Seiten des Bundes mit 14,2 Mrd. Euro. Ein deutlich niedrigeres Finanzierungsdefizit der Länder im Umfang von 6,8 Mrd. Euro wurde durch einen Überschuss der Gemeinden in Höhe von 5,1 Mrd. Euro ein Stück weit ausgeglichen.

Bereits im vorangegangenen Jahr 2011 konnte die Sozialversicherung auf einen zweistelligen Überschuss zurückblicken, der mit 15,9 Mrd. Euro fast genauso hoch ausfiel wie 2012. Aufgrund eines Finanzierungsdefizits der Gebietskörperschaften im Wert von 35,6 Mrd. Euro hatte sich allerdings für den Staat insgesamt 2011 ein Defizit in Höhe von 19,7 Mrd. Euro eingestellt. Hauptverursacher war wiederum der Bund mit 26,3 Mrd. Euro, aber auch die Länder blieben mit 11,2 Mrd. Euro im Minus. Das Plus der Gemeinden war 2011mit 1,9 Mrd. Euro geringer als 2012.

Schon 2010 war der Beitrag der Sozialversicherung positiv, wenn auch mit 4,3 Mrd. Euro nur in relativ bescheidenem Umfang. Damit konnte jedoch nicht verhindert werden, dass der Staat insgesamt mit 103,6 Mrd. Euro ein dreistelliges Defizit erwirtschaftet hatte und mit 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts sogar deutlich über der 3 %-Grenze nach dem Vertrag von Maastricht blieb. Zum negativen Beitrag der Gebietskörperschaften in Höhe von 107,9 Mrd. Euro hatte vor allem der Bund mit 82,9 Mrd. Euro beigetragen, die Länder waren mit 19,6 Mrd. und die Gemeinden mit 5,3 Mrd. Euro erheblich weniger verschuldet.

Gegenüber 2009, als der Staat insgesamt mit 73 Mrd. Euro oder 3,1 % des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls stark im Minus war, hatte sich damit die Situation im Jahre 2010 nochmals verschärft. 2009 hatten sogar alle vier Ebenen negative Beiträge geleistet, also auch die Sozialversicherungen mit 14,2 Mrd. Euro. Der Bund war mit 38,4 Mrd. Euro erneut am stärksten beteiligt, auf die Länder entfielen 18,3 Mrd. und auf die Gemeinden 2,2 Mrd. Euro Defizit.

Entwicklung der wesentlichen Komponenten 2009 bis 2012

Die Verschlechterung des Finanzierungssaldos der Sozialversicherung im Jahre 2009 gegenüber 2008 (Überschuss 6,9 Mrd.) um 21 Mrd. Euro markiert den stärksten Einbruch seit der Wiedervereinigung. Er spiegelt die Situation im damaligen Krisenjahr wider, als das Bruttoinlandsprodukt nominal um 4 % und real sogar um 5,1 % gegenüber dem Vorjahr abgesackt war. Dadurch konnten auch die Sozialbeiträge als wichtigste Einnahmenquelle der Sozialversicherung nur um 0,4 % zunehmen, während sich bei ihren Gesamtausgaben ein Anstieg um 5,9 % eingestellt hatte.

Für die Gebietskörperschaften hatte sich 2009 ein Rückgang der Einnahmen um 2,5 % ergeben, überwiegend durch verminderte Steuereinnahmen (−4,4 %). Der Einnahmenverlust war beim Bund am geringsten, er betrug 0,4 % bei den Gesamteinnahmen, darunter 1,3 % bei den Steuern. Bei den Ländern waren die Steuern sogar um 10,1 % rückläufig, die Einnahmen insgesamt um 1,9 %. In einer ähnlichen Größenordnung lagen die Einnahmenverluste bei den Gemeinden (−2,1 %), bedingt vor allem durch Steuermindereinnahmen in Höhe von 6,4 %. Auch die Ausgaben sind im Krisenjahr 2009 um 5,5 % kräftig in die Höhe gegangen, vor allem aufgrund eines Anstiegs der Sozialleistungen und der Transfers des Bundes an die Sozialversicherung. Der Ausgabenzuwachs betrug 2009 beim Bund 6,1 %, bei den Ländern 3,5 % und bei den Gemeinden 4,2 %.

2010 haben sich dann bei allen drei Ebenen der Gebietskörperschaften leichte Einnahmenzuwächse eingestellt, nämlich um 1,4 % beim Bund, 1,8 % bei den Ländern und 2,2 % bei den Gemeinden. Dabei entwickelten sich die Steuern beim Bund (+0,9 %) und bei den Gemeinden (+1,9 %) leicht positiv, die Länder mussten dagegen mit −1,2 % erneut einen Rückgang verkraften. Dass der Finanzierungssaldo 2010 beim Bund abermals stark angestiegen ist und sich mehr als verdoppelt hat, hängt vor allem mit einer Zunahme der Ausgaben um 13,7 % zusammen, insbesondere bedingt durch weiter hohe Transfers an die Sozialversicherung, wodurch sich dort die Einnahmensituation merklich verbessert hat. Bei den Ländern und bei den Gemeinden war der Ausgabenzuwachs mit +2,1 bzw. +3,9 % deutlich geringer als beim Bund.

Die markante Verbesserung bei den drei Gebietskörperschaften im Jahre 2011, als deren Finanzierungsdefizit um zwei Drittel auf 35,6 Mrd. Euro zurückgeführt wurde, ist zum einen auf starke Zunahmen bei den Einnahmen um insgesamt 7,1 % – darunter bei den Steuer­einnahmen um 7,4 % zurückzuführen – zum anderen auf eine Entlastung bei den Ausgaben um 2,8 %. Letztere fand vor allem beim Bund statt (−7,6 %). Für die Länder wurde ein Ausgabenaufbau um 3,4 %, für die Gemeinden um 2 % gemessen.

Auch die deutliche Rückführung des Defizits der Gebietskörperschaften im Jahre 2012 um über die Hälfte auf 15,9 Mrd. Euro erklärt sich durch einen Anstieg der Einnahmen um 3,4 %, darunter der Steuern um 4,9 %, auf der einen Seite und einen nur leichten Anstieg der Ausgaben um 0,8 % auf der anderen Seite. Wiederum wurde für den Bund ein Rückgang der Ausgaben um 1,3 % festgestellt, bei den Gemeinden ergab sich ein leichtes Plus (+0,6 %), bei den Länder ein Anstieg um 1,8 %. Hohe Steuerzuwächse um 6,3 % bei den Ländern bzw. 6,1 % bei den Gemeinden haben auf diesen Ebenen wesentlich zu einer Verbesserung bei den Einnahmen (+3,2 % bzw. +2,1 %) beigetragen, beim Bund waren es +3,6 % bei den Steuern und +2,1 % bei den Einnahmen insgesamt. Bei der Sozialversicherung hat der Einnahmenzuwachs (+1,9 %) den Ausgabenanstieg (+1,5 %) übertroffen und so dort zum höchsten Finanzierungsüberschuss seit der Wiedervereinigung beigetragen.

Finanzierungssaldo je Bruttoinlandsprodukt seit 1991

Im Schaubild sind die Finanzierungssalden je Bruttoinlandsprodukt im längerfristigen Zeitraum 1991 bis 2012 für Deutschland insgesamt sowie für die vier Ebenen Bund, Sozialversicherung, Länder und Gemeinden dargestellt. Damit kann nachvollzogen werden, in welchen Jahren das wiedervereinigte Deutschland das Defizitlimit von 3 % überschritten oder gar Finanzierungsüberschüsse erwirtschaftet hat und welche Ebenen sich hierfür hauptsächlich verantwortlich gezeichnet haben.

Die kräftigste Überschreitung des Defizitlimits hat im Jahr 1995 stattgefunden, als das Finanzierungsdefizit beachtliche 9,5 % des Bruttoinlandsprodukts betrug. Dies ist vor allem auf die Übernahme der Schulden der Treuhand und der DDR-Wohnungswirtschaft durch den Bund zurückzuführen, wodurch dort mit 7,7 % des Bruttoinlandsprodukts ein besonders hohes Defizit entstanden ist. Zuvor wurde schon im Rezessionsjahr 1993 und danach im konjunkturell ebenfalls relativ schwachen Jahr 1996 eine Überschreitung gemessen.

Nach 1999, der Einführung des Euro als einheitliche Währung in zunächst zwölf EU-Mitgliedstaaten, hat sich bereits in den Jahren 2001 bis 2005 eine Überschreitung des Defizitlimits vollzogen, besonders kräftig im Zeitraum 2002 bis 2004 mit zwei Mal 3,8 % und einmal 4,2 %. Ähnlich war die Situation in den Jahren 2009 und 2010, die von der internationalen Finanzkrise bzw. der weltweiten Rezession und ihren Nachwirkungen geprägt waren.

Ein Finanzierungsüberschuss wurde erstmals im Jahre 2000 mit 1,1 % des Bruttoinlandsprodukts erzielt, allerdings begünstigt durch einen Einmaleffekt, als der Bund durch die Versteigerung der Mobilfunklizenzen (UMTS) Erlöse im Wert von rund 50 Mrd. Euro erzielen und dadurch ein Plus in Höhe von 28 Mrd. Euro oder 1,4 % des Bruttoinlandsprodukts erreichen konnte. Danach wurden bislang lediglich in den Jahren 2007 und 2012 leichte Finanzierungsüberschüsse in Höhe von 0,2 % beziehungsweise 0,1 % des Bruttoinlandsprodukts gemessen, erfreulicherweise ohne den Einfluss von Sondereffekten.

Auffallend ist, dass der Bund – abgesehen vom Jahre 2000 mit dem erwähnten Einmaleffekt – in allen Jahren Finanzierungsdefizite aufzuweisen hatte und, außer 1994 und 2001, jeweils schlechter abgeschnitten hat als die Länder. In einzelnen Jahren betrug das Finanzierungsdefizit des Bundes sogar mehr als 2 % des Bruttoinlandsprodukts, abgesehen von 1995 zwei Mal (1991 und 2010) sogar mehr als 3 %. Die Länder konnten ihr Finanzierungsdefizit in der Regel unter 1½ % halten und 2007 und 2008 sogar leichte Überschüsse erzielen.

Besonders günstig war die Situation in den Gemeinden und bei der Sozialversicherung. Über die Jahre hinweg haben diese beiden Ebenen nur geringe, maximal 0,4 bzw. 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts betragende Defizite aufgewiesen, in 13 bzw. 14 der insgesamt 22 Jahre sogar leichte Überschüsse erwirtschaftet.

Ausblick bis 2017 nach dem deutschen Stabilitätsprogramm

Die Mitgliedstaaten des Euroraums legen jährlich im April Stabilitätsprogramme vor, in denen sie über die Einhaltung der fiskalpolitischen Vorgaben Bericht erstatten und ihre finanzpolitische Planung darlegen.

Im neuen deutschen Stabilitätsprogramm2 ist, nach dem Finanzierungsüberschuss von 0,2 % des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2012, für 2013 wieder ein leichtes Defizit von knapp ½ % des Bruttoinlandsprodukts vorgesehen: Zum einen wegen Entlastungen bei Steuern und Abgaben, zum anderen aufgrund einer konjunkturellen Abschwächung – nach der Projektion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie soll das Bruttoinlandsprodukt 2013 real nur um 0,5 % ansteigen. Wegen des deutlichen Sicherheitsabstands zum Maastricht-Grenzwert kann man nach Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen angesichts dieser konjunkturellen Abschwächung die sogenannten automatischen Stabilisatoren wirken lassen, das heißt konjunkturell bedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen können hingenommen werden.

Für 2014 und 2015 ist nach dem deutschen Stabilitätsprogramm eine Nullverschuldung, für die Jahre 2016 und 2017 ein Finanzierungsüberschuss von rund ½ % des Bruttoinlandsprodukts geplant. Dabei wird für den gesamten Zeitraum 2013 bis 2017 für die Länder und die Sozialversicherung ein ausgeglichener Haushalt erwartet, für die Gemeinden in jedem Jahr ein Überschuss von ½ % des Bruttoinlandsprodukts. Für den Bund ist 2013 ein Finanzierungsdefizit von gut ½ % angesetzt, für die 3 Folgejahre eine Nullverschuldung und für 2017 ein Überschuss von ½ %.

1 Statistisches Bundesamt: Der Staat in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 1991 bis 2012, Arbeitsunterlage, Stand: Mai 2013.

2 Bundesministerium der Finanzen: Deutsches Stabilitätsprogramm, Aktualisierung 2013, April 2013.