:: 9/2013

Stadt – Land – Flucht?

Teil I: Analysen zu aktuellen Wanderungstrends in Baden-Württemberg

Folgt nach der Stadtflucht nun die Landflucht? Betrachtet man die Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden des Landes, könnte man diesen Eindruck gewinnen. Differenzierte Analysen der Wanderungsstatistik zeigen jedoch: einen einheitlichen Trend gibt es nicht. Je nach Alter bzw. Lebensphase unterscheiden sich die Wanderungsmotive und mit ihnen die in der Wanderungsstatistik feststellbaren Wanderungsrichtungen und -entfernungen. Das Umschlagen des Trends in der Bevölkerungsentwicklung basiert im Wesentlichen auf verändertem Wanderungsverhalten der jungen Erwachsenen, die es sehr viel stärker als vor der Jahrtausendwende in die Oberzentren zieht. Andere Entwicklungen in Richtung Städte sind auch erkennbar, sind aber nur von geringer quantitativer Bedeutung.

Ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel lässt sich eine auf verändertem Wanderungsverhalten basierende positivere Bevölkerungsentwicklung der Städte im Vergleich zu ländlichen Gemeinden feststellen.1 Sie wird unter dem Begriff Reurbanisierung diskutiert.2 Um die Ursachen dieser Entwicklung besser zu verstehen, ist es hilfreich, das Wanderungsverhalten differenziert nach Wanderungsrichtung und -entfernung für unterschiedliche Altersgruppen zu betrachten. Dabei werden drei Wanderungsentfernungen unterschieden:

  • 1. Wanderungen über die Landesgrenzen, also Wanderungen in andere oder von anderen Bundesländern bzw. in das oder aus dem Ausland, im Folgenden als Fernwanderung bezeichnet.
  • 2. Umzüge innerhalb des Landes aber über die Grenzen eines Mittelbereichs laufen unter dem Begriff BW-Wanderung.
  • 3. Umzüge innerhalb eines Mittelbereichs vom Zentrum ins Umland oder umgekehrt werden als Zentrum-Umland-Wanderung analysiert.

Umzüge innerhalb der Zentren bzw. zwischen Umlandgemeinden eines Mittelbereichs bleiben unberücksichtigt, da diese Nahwanderung beim hier gewählten Verständnis von Reurbanisierung nicht wirksam wird.

Der Betrachtungszeitraum reicht von 1994 bis 2011. Dabei wurden jeweils 3-Jahres-Zeiträume gebildet, um ausreichend große Fallzahlen zu erhalten. Für die Zeiträume bis 2002 wurden die Umlandgemeinden des Mittelbereichs Horb sowie das Mittelzentrum Rastatt aus der Analyse ausgegliedert. In Empfingen (Umland Mittelbereich Horb) und Rastatt befanden sich die Zentralen Aufnahmestellen für Spätaussiedler (ZAST). Die hohen Fallzahlen der Zuzüge aus dem Ausland und Wegzüge innerhalb Baden-Württembergs, die durch die dortige Verteilfunktion vor allem in den 1990er-Jahren anfielen, würden die Analyseergebnisse nach Untergruppen inakzeptabel verzerren.

Für die Analysen dieses Aufsatzes wurde ein »flächendeckender« Ansatz gewählt. Es werden nicht nur Großstädte mit ihrem Umland, sondern das gesamte Gebiet des Landes betrachtet. Betrachtungsebene der Analyse sind die 101 Mittelbereiche in Baden-Württemberg, für die die im Landesentwicklungsplan von 2002 definierte Zentrum-Umland-Struktur bis zur Ebene der Mittelzentren übernommen wird.3 Das heißt es werden vier Gebietstypen unterschieden: Oberzentren, das Umland von Oberzentren, Mittelzentren und das Umland von Mittelzentren. Klein- und Unterzentren sind Teil des Umlandes. Die Verteilung der Mittelbereiche im Land und die Zentrum-Umland-Struktur ist Schaubild 1 zu entnehmen. Die Karte zeigt darüber hinaus auf, in welche Richtung die Zentrum-Umland-Wanderung in den Mittelbereichen wirkt. Die Oberzentren verlieren fast durchgängig Bevölkerung an ihr Umland. Ausnahmen sind Villingen-Schwenningen und Konstanz, die beide eher die Struktur von Mittelzentren aufweisen. Die Mittelzentren zeigen ein recht uneinheitliches Bild. Bei Mittelzentren in Verdichtungsräumen wirkt die Zentrum-Umland-Wanderung eher in Richtung Suburbanisierung, bei Mittelzentren im ländlichen Raum zeichnet sich hingegen eher eine Bevölkerungszentralisierung durch Zentrum-Umland-Wanderung ab.

Dies zeigt, dass der Suburbanisierungstrend anhält, im Ergebnis aber von anderen Entwicklungen überlagert wird. Diese werden im Folgenden durch die differenzierte Analyse nach Altersgruppen herausgearbeitet.

Wanderung nach Lebensphasen

Durch die Betrachtung des Wanderungsverhaltens unterschiedlicher Altersgruppen lassen sich Erkenntnisse zu den Ursachen der beschriebenen Veränderungen gewinnen. In Schaubild 2 sind beispielhaft für die beiden Zeiträume 1994 bis 1996 sowie 2009 bis 2011 die Um- bzw. Zuzüge nach Wanderungsdistanz und Altersgruppe dargestellt.

Insgesamt führten die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen in den letzten 15 Jahren nicht, wie durch die Flexibilisierungs- und Globalisierungsdiskussion eigentlich zu erwarten wäre, zu einer Zunahme der Umzugsintensität. Im Vergleich der beiden Zeiträume war vor allem die Wanderung innerhalb des Landes rückläufig. Insgesamt rund 1 300 000 Umzüge innerhalb des Landes wurden in den 3 Jahren von 2009 bis 2011 gezählt. Davon entfielen rund 800 000 auf die BW-Wanderung. Das macht rund 25 Umzüge bezogen auf 1 000 Einwohner pro Jahr (im Zeitraum 1994 bis 1996 waren es noch 28). Innerhalb der Mittelbereiche gab es knapp 300 000 Umzüge (2009 bis 2011: 9 je 1 000 Einwohner und Jahr, 1994 bis 1996: 12).4 Über die Landesgrenzen (übriges Bundesgebiet und Ausland) zogen im gleichen Zeitraum knapp 780 000 Personen zu. Je 1 000 Einwohner und Jahr macht das für beide Zeiträume fast unverändert rund 24 Zuzüge.

Während in den meisten Altersgruppen die Wanderung abnahm, war sie bei den 21- bis unter 30-Jährigen stärker. Ihr ohnehin schon hoher Anteil am Umzugsgeschehen hat nochmals zugenommen. Sie kommen auf rund 200 Umzüge je Einwohner und Jahr, was heißt, dass rein rechnerisch in 5 Jahren jede Person dieser Altersgruppe einmal ihren Wohnsitz wechselt.

In den folgenden Abschnitten werden die Wanderung der jungen Erwachsenen, die Familienwanderung sowie die Wanderung ab 50 Jahren im Zeitverlauf analysiert.

Wanderungstrends bei den jungen Erwachsenen …

Das Wanderungsverhalten der jungen Erwachsenen wird differenziert nach den Altersgruppen 18 bis unter 21, 21 bis unter 25 sowie 25 bis unter 30 Jahre analysiert. Ziel der Unterteilung in diese »schmalen« Altersgruppen ist es, im nachweisbaren Wanderungsgeschehen möglichst genau Wanderungsgründe identifizieren zu können.

Alle drei Altersgruppen fallen durch eine hohe Wanderungsintensität auf. Der Spitzenwert wird bei den 21- bis unter 25-Jährigen erreicht. Da die Zu- und Abwanderung in diesen Altersgruppen noch dazu sehr unausgeglichen ist, ist die Skalierung in den Diagrammen in Schaubild 3 um den Faktor 10 gegenüber den Schaubildern 4 und 5 vergrößert. Dieselbe Distanz zwischen den Kurven steht in diesen Altersgruppen für zehn Mal höhere Unterschiede in den Wanderungssalden. Dies ist bei der Interpretation der Diagramme unbedingt zu berücksichtigen.5

… von 18 bis unter 25 Jahren

Die Fernwanderung der 18- bis unter 21-Jährigen folgt einem sehr stabilen Trend in Richtung Oberzentren. Der Bevölkerungsgewinn in den 3 Jahren 2009 bis 2011 betrug allein bei den 18- bis unter 21-Jährigen rund 33 000 Personen. Der Verlauf der Kurve am Ende des Betrachtungszeitraums zeigt einen engen Zusammenhang mit der Zahl der Studienanfänger.6 Der Vorsprung der Oberzentren im Fernwanderungssaldo nimmt mit zunehmendem Alter ab, bleibt aber bis zur Altersgruppe 25 bis unter 30 Jahre bestehen. Erst zwischen 30 und unter 50 Jahren kippen die Wanderungssalden zuungunsten der Oberzentren und ihrer Umlandgemeinden (siehe Familienwanderung).

Die BW-Wanderung zeigt auf einem geringeren Niveau einen vergleichbaren Trend zu den Oberzentren. Je 1 000 Einwohner der Altersgruppe von 18 bis unter 21 Jahren ziehen aktuell 50 Personen pro Jahr mehr zu als fort (absolut waren das von 2009 bis 2011 rund 13 000 Personen). Bis 2005 lag der Saldo relativ stabil bei etwas über 20 und steigt seither massiv an. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass in den ersten Zeiträumen absolut betrachtet jeweils rund 16 000 Personen in dieser Altersgruppe zuwanderten. Danach stieg deren Zuwanderung von 19 000 (2006 bis 2008) auf über 25 000 (2009 bis 2011) an. Die Abwanderung war 2006 bis 2008 mit knapp 10 000 Fällen am niedrigsten und wuchs 2009 bis 2011 nur auf 12 000 an. Dies sind überwiegend Auswirkungen der vorübergehend ungewöhnlich starken Jahrgänge in dieser Altersgruppe, verstärkt noch durch zunehmende Anteile, die ein Studium beginnen und deren zeitlich – durch die Studiendauer – verzögerte Abwanderung.

Im Vergleich zu den Fern- und BW-Salden ist die Bilanz der Zentrum-Umland-Wanderung bei den 18- bis unter 21-Jährigen fast ausgeglichen und die Zahl der Wanderungsfälle sehr gering (landesweit 2009 bis 2011 nur 16 000 Umzüge, das sind 12 % der Umzüge insgesamt, Tendenz rückläufig). Wenn junge Erwachsene umziehen, tun sie dies vorwiegend über größere Distanz.

Der Verlauf der Salden, der sich bei der Altersgruppe von 21 bis unter 25 Jahren zeigt, entspricht dem der jüngeren Altersgruppe, ist nur im Niveau etwas niedriger. Wieder sind die Oberzentren die Wanderungsgewinner (2009 bis 2011 Fernsaldo absolut 11 000, BW-Saldo 7 000), das Umland der Mittelzentren verliert am deutlichsten.

… von 25 bis unter 30 Jahren

Die Altersgruppe der 25- bis unter 30-Jährigen hat nur eine geringfügig niedrigere Wanderungsintensität, aber eine deutlich ausgeglichenere Wanderungsbilanz. Darin spiegelt sich wider, dass hier nicht mehr ein Wanderungsmotiv dominant ist, sondern verschiedene Wanderungsgründe in unterschiedliche Richtungen führen. Studienanfangswanderer nehmen zwar in der Bedeutung ab, sind in der Altersgruppe aber immer noch anzutreffen, Studienabsolventen nehmen an Bedeutung zu. Somit spielt der Standort von Hochschulen eine weniger wichtige Rolle, dafür gewinnt das Angebot an Arbeitsplätzen höhere Bedeutung für Umzugsentscheidungen. Familien mit Kindern sind mit ihren Wanderungsmotiven auch schon enthalten, werden doch über 40 % der Kinder von Müttern unter 30 Jahren geboren.7 Entsprechend schwierig ist das Wanderungsverhalten dieser Altersgruppe zu interpretieren.

In der Summe über alle Wanderungsdistanzen wirkt die Wanderung dieser Altersgruppe in Richtung Reurbanisierung. Positive Wanderungssalden der Umlandgemeinden sind im Betrachtungszeitraum in negative umgeschlagen. Die Mittelzentren haben über den Beobachtungszeitraum durchgehend einen positiven Saldo. Die Oberzentren gewannen insbesondere bei der Fernwanderung. Bei der BW-Wanderung stiegen ihre Wanderungssalden kontinuierlich an. In den letzten beiden Zeiträumen gewannen sie durch die BW-Wanderung deutlich Bevölkerung hinzu.

In der Altersgruppe 25 bis unter 30 Jahren schneidet das Umland der Oberzentren bei der Zentrum-Umland-Wanderung besonders positiv ab. Interessanterweise gilt dies im Gegensatz zu Umzügen, die über die Mittelbereichs- bzw. Landesgrenzen hinausgehen. Die Fallzahlen der Wanderung vom Oberzentrum ins zugehörige Umland sind mit 10 000 im Vergleich zur BW-Wanderung (48 000) und der Wanderung in andere Bundesländer (36 000) bzw. ins Ausland (26 000, jeweils Zeitraum 2009 bis 2011) allerdings verhältnismäßig niedrig. Vermutlich spiegeln sich in diesen wenigen Fällen Familienkonstellationen wider, die in dieser Altersgruppe noch relativ selten sind, wie etwa bereits gegründete Familien und beruflich etablierte Personen, die ein Familienheim außerhalb der Zentren gefunden haben. Sowohl bezüglich der Oberzentren als auch und noch deutlicher bezüglich der Mittelzentren ist der Suburbanisierungstrend jedoch rückläufig. Die Mittelzentren haben bei dieser Altersgruppe im Zeitraum 2009 bis 2011 erstmals einen positiven Saldo.8

Familienwanderung …

Familienbezüge sind aus der Wanderungsstatistik nicht direkt zu entnehmen, darum kann eine Abgrenzung der Familienwanderung von anderen Wanderungsmotiven nur über das Wanderungsalter erfolgen. Unterschieden wird hier die Wanderung der Minderjährigen und die Wanderung der Erwachsenen im Familienalter, das hier als das Alter von 30 bis unter 50 Jahren definiert wird. Während Minderjährige in der Regel mit ihren Eltern umziehen, es sich bei diesen Wanderungen also fast ausschließlich um wandernde Familien handeln dürfte, sind bei der Altersgruppe 30 bis unter 50 zunehmend auch Haushalte ohne Kinder anzutreffen. Dies lässt eine getrennte Betrachtung angeraten erscheinen.

Im Schaubild 4 ist im linken Bereich die Fernwanderung, im mittleren die BW-Wanderung und im rechten die Zentrum-Umland-Wanderung ausgewiesen. Die Wanderung der Minderjährigen ist oben, die der Erwachsenen zwischen 30 und unter 50 Jahren im unteren Bereich abgebildet. Dargestellt sind jeweils die Wanderungssalden bezogen auf 1 000 Einwohner der jeweiligen Altersgruppe im Gebietstyp.

… von Minderjährigen

Umzüge von Minderjährigen (und ihrer Eltern) über die Landesgrenzen,9 hier bezeichnet als Fernwanderung, tragen über den gesamten Beobachtungszeitraum von 1994 bis 2011 zur positiven Bevölkerungsentwicklung des Landes bei. Von 2009 bis 2011 zogen rund 14 000 mehr Minderjährige zu als fort, 5 000 davon in die Oberzentren. Es profitieren alle Gebietstypen, die Zentren in etwas stärkerem Maß als die Umlandgemeinden, die Unterschiede sind jedoch verhältnismäßig gering und es ist auch kein eindeutiger Trend erkennbar.

Minderjährige, die innerhalb des Landes über die Mittelbereichsgrenzen umziehen (BW-Wanderung), haben ein grundsätzlich anderes Wanderungsverhalten. Sie ziehen bei einem Umzug innerhalb des Landes aktuell am häufigsten in die Mittelzentren. Zu Beginn des Betrachtungszeitraums lagen die Umlandgemeinden der Mittelzentren in der »Gunst« noch etwas vorn. Der Zuzugsüberschuss der Mittelzentren und deren Umland rekrutiert sich im Wesentlichen aus den Oberzentren, die über den ganzen Beobachtungszeitraum deutlich an Bevölkerung verlieren (2009 bis 2011 knapp 3 000 Einwohner).

Bei der Zentrum-Umland-Wanderung von Familien mit Kindern unter 18 Jahren verlieren die Oberzentren ebenfalls, der Wanderungsverlust ist jedoch nicht sehr hoch. Nach 3 Perioden, in denen aus den Salden eine abnehmende Abwanderung interpretiert hätte werden können, wurde für den Zeitraum 2009 bis 2011 wieder eine höhere Abwanderungstendenz ermittelt (rund 3 000 Personen). Bei nur leicht zunehmenden Fortzügen kam dieser Wert vor allem durch einen deutlichen Einbruch bei den Zuzügen von Kindern und Jugendlichen zustande. Dass Familien verstärkt in Großstädte ziehen, lässt sich auf Basis dieser Analysen damit nicht bestätigen. Bei den Mittelzentren sieht die Bilanz etwas günstiger aus, sie verlieren relativ weniger Bevölkerung in dieser Altersgruppe und der Verlust ist tendenziell rückläufig. Sofern dieser Trend anhält, wird die Wanderungsbilanz von Familien in den Mittelzentren bald ausgeglichen sein.

Wanderung der Erwachsenen im Familienalter

Wird die Altersgruppe der 30- bis unter 50-Jährigen betrachtet, sind bei den Fernwandernden deutliche Unterschiede zum Wanderungsgeschehen bei den Minderjährigen zu erkennen. So ist die Wanderungsbilanz über die Landesgrenzen deutlich schlechter und nur in 3 von 6 Zeiträumen positiv. Die Oberzentren schneiden durchweg am schlechtesten ab. Hier dürfte die Abwanderung Kinderloser nach dem Studienabschluss sowie berufsbedingte Wanderung eine wichtige Rolle spielen. Nach 2 Zeiträumen mit negativer Wanderungsbilanz konnte für 2009 bis 2011 ein Überschuss von 3 000 Personen erzielt werden.

Bei den kürzeren Wanderungsdistanzen sind die Trends bei den unter 18-Jährigen und den 30- bis unter 50-Jährigen sehr ähnlich. Dies lässt darauf schließen, dass in diesen Fällen Familienmotive bedeutsamer sind. In der Summe richten sich diese Wanderungsströme der BW-Wanderung von den Oberzentren und deren Umland weg in Richtung Mittelzentren und deren Umland. Zu Beginn des Betrachtungszeitraums spielte die Verteilung der Zuzüge von Spätaussiedlern im Land noch eine wichtige Rolle und hob die Wanderungssalden insgesamt an.

Von der Zentrum-Umland-Wanderung profitieren die Umlandgemeinden der Oberzentren bei den 30- bis unter 50-Jährigen deutlicher als bei den Minderjährigen. Rund ein Viertel der betrachteten Zuzüge in die Umlandgemeinden der Oberzentren insgesamt sind so zu erklären. Da die Fortzüge deutlich niedriger ausfallen, kommt es zu einem positiven Wanderungssaldo pro Jahr von rund vier Personen je 1 000 Einwohner der Altersgruppe. Dieser Wanderungssaldo ist über den ganzen Betrachtungszeitraum relativ stabil.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Familien weiterhin dem Muster der Suburbanisierung folgen. Besonders in Oberzentren lässt sich ein über die Zeit stabiler Trend zum Umzug vom Zentrum ins zugehörige Umland beobachten. Nur bei den Mittelzentren nehmen die Bevölkerungsverluste von Personen im Familienalter durch Abwanderung ins Umland im Zeitverlauf ab.

Wanderung ab 50

Bei den 50- bis unter 65-Jährigen ist die Wanderungsintensität nochmals deutlich niedriger als in der Altersgruppe der 30- bis unter 50-Jährigen (siehe Familienwanderung) und die Wanderungssalden sind verhältnismäßig ausgeglichen. Ab dieser Altersgruppe ist der Wanderungssaldo mit Gebieten außerhalb Baden-Württembergs negativ, das heißt das Land verliert in dieser Altersgruppe an Bevölkerung durch Abwanderung – wenn auch verhältnismäßig gering (von 2009 bis 2011 rund 3 000 Personen). Besonders deutlich sind diese Verluste in den Oberzentren. Fast durchgehend hat sich die relative Position der Oberzentren über den gesamten Beobachtungszeitraum bei den 50- unter 65-Jährigen jedoch verbessert. Bei der BW-Wanderung sind Richtung und Trends mit der nächstjüngeren Altersgruppe vergleichbar. Nur das Niveau der Wanderungsverluste der Oberzentren ist niedriger. Die älteren Erwerbstätigen ziehen vom Zentrum nur noch relativ selten ins Umland. Im Verhältnis aus den Oberzentren sogar seltener als aus den Mittelzentren.

Wanderung im Rentenalter

Die ersten 10 Jahre im Rentenalter (65 bis unter 75 Jahre) sind die Jahre, in denen am wenigsten Wanderung stattfindet. Ein Umzug nach Eintritt des regulären Rentenalters ist ein relativ seltenes Phänomen. Während die Zuwanderung aus dem Ausland im Betrachtungszeitraum leicht abnahm (7 400 Personen von 2009 bis 2011), nahm die Abwanderung zu (13 600 Personen). Dabei handelte es sich wahrscheinlich überwiegend um Ausländer, die nach Eintritt in den Ruhestand wieder in ihr Heimatland zurückkehrten. Mit den anderen Bundesländern ist die Wanderungsbilanz in den beiden Zeiträumen relativ ausgeglichen (2009 bis 2011 rund 8 500 Zu- und 9 000 Fortzüge). Im Ergebnis wurde der Fernwanderungssaldo zunehmend negativ.

Personen im Rentenalter wandern innerhalb von Baden-Württemberg eher in die Mittelzentren und deren Umland als in die Oberzentren. Die Zentrum-Umland-Wanderung nahm in dieser Altersgruppe im Betrachtungszeitraum etwas zu, von 6 600 auf 8 300 Fälle in jeweils 3 Jahren. Sie legte in Relation zur BW- und Fernwanderung etwas an Bedeutung zu. Anders als bei allen anderen Altersgruppen gewinnen hier die Umlandgemeinden der Oberzentren und die Mittelzentren, während die Oberzentren selbst und die Umlandgemeinden der Mittelzentren an Bevölkerung verlieren. Die Fallzahlen sind aber so niedrig, dass ihr Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung kaum ins Gewicht fällt.

Bei den Personen ab 75 Jahren, ist die Wanderung mit dem Ausland noch seltener, hat sich aber vom Zeitraum 1994 bis 1996 bis zum Zeitraum 2009 bis 2011 ungefähr verdoppelt (aktuell 6 200 Fälle in 3 Jahren). Der größte Teil der Abwanderungen erfolgt aus den Oberzentren (2 100 Personen), was dort zu einem deutlich negativen Wanderungssaldo führt.

Innerhalb des Landes ist die Wanderung im Alter ab 75 Jahren hingegen höher als bei den jüngeren Ruheständlern. Verhältnismäßig deutlich verlieren die Oberzentren vor allem an die Umlandgemeinden, im Trend jedoch eindeutig abnehmend. Dieser Trend ist von einem Rückgang der absoluten Zahl der Fortzüge (von 5 300 im Zeitraum 1994 bis 1996 auf 4 700 im Zeitraum 2009 bis 2011) verursacht, eine höhere Zuzugshäufigkeit in die Zentren lässt sich nicht beobachten.

Fazit

Wird Suburbanisierung als Abwanderung von der Stadt in das Umland verstanden, so ist festzuhalten, dass es diese Entwicklung weiter gibt. Wie die Analysen jedoch zeigen, war dies in den 1990er-Jahren nur eine Komponente verschiedener Wanderungstrends, die zusammen zum Bevölkerungsverlust in den Zentren führten. Hinzu kam, dass auch die Wanderung innerhalb Baden-Württembergs stärker auf die Umlandgemeinden als auf die Zentren gerichtet war. Da die Fernwanderung nur geringfügig die Zentren bevorzugte, ergab sich in der Summe der Wanderungstrends der Bevölkerungsverlust für die Städte und die positive Entwicklung des Umlandes.

Die nun zu beobachtende positive Entwicklung der Zentren auf Kosten der Umlandgemeinden entsteht dadurch, dass junge Erwachsene vor allem von 18 bis unter 25 Jahren aus anderen Gebieten Baden-Württembergs und über die Landesgrenzen in sehr viel stärkerem Maß vor allem in die Oberzentren zuwandern, als dies in den 1990er-Jahren der Fall war. Die Zunahme der Zuwanderung in dieser Altersgruppe ist so stark, dass sie die weiter bestehende Abwanderung anderer Altersgruppen aus den Oberzentren überlagert, ohne dass diese zum Stillstand gekommen wäre. Zwar gibt es in geringem Umfang noch andere Entwicklungen, die auf eine zunehmende Attraktivität der Zentren hindeuten. Diese Veränderungen sind quantitativ im Vergleich zu der Zuwanderung der jungen Erwachsenen jedoch nur von marginaler Bedeutung.

Der wichtigste Zuwanderungsgrund in die Oberzentren ist bei dieser Altersgruppe der Umzug zum Hochschulstandort. Es deutet vieles darauf hin, dass sich der Reurbanisierungstrend deutlich abschwächt, wenn die derzeit starken Studierendenjahrgänge ihr Studium abgeschlossen haben werden und zur Aufnahme einer Berufstätigkeit dorthin umziehen, wo sie einen Arbeitsplatz finden. Wie eng das Wanderungsgeschehen an Hochschulstandorten mit den Studienanfängern und Absolventen zusammenhängt, wird im nächsten Monatsheft dargestellt.