:: 9/2013

Aquakultur – ein neues Betätigungsfeld für die Amtliche Statistik

Aquakultur, was ist das? Aufgrund der enthaltenen Wortstämme könnte man an Skulpturen im Wasser, Brunnenanlagen, Wasserspiele oder dergleichen denken. Aber weit gefehlt! Aquakultur ist die Aufzucht von aquatischen, also im Wasser lebenden Organismen unter kontrollierten Bedingungen. Bislang war dieser Bereich der Nahrungsmittelproduktion nur in 10-jährigen Abständen als Binnenfischereierhebung1 im Rahmen einer Landwirtschaftszählung Teil des agrarstatistischen Erhebungsprogramms. Mit der gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung des Sektors und der Forderung nach umweltgerechter Produktion geht ein wachsender Datenbedarf und zwar sowohl hinsichtlich des Datenspektrums als auch hinsichtlich der Datenqualität einher. Dem wurde auf europäischer Ebene mit einer neuen Verordnung Rechnung getragen. Deren Umsetzung in Baden-Württemberg und erste Ergebnisse der Aquakulturstatistik werden im Folgenden skizziert.

Die Verordnung (EG) Nr. 762/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorlage von Aquakulturstatistiken durch die Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 788/96 des Rates trat 2008 in Kraft. Aufgrund einer Übergangsregelung wurde die Aquakulturstatistik2 in Deutschland erstmals im vergangenen Jahr für das Berichtsjahr 2011 durchgeführt. Ihre Ergebnisse sollen auf nationaler Ebene die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) veranlassten Expertenschätzungen durch die Fischereiverwaltungen der Länder ablösen.3

Wie ist der Berichtskreis definiert?

Das für die Statistischen Ämter weitgehend neue Thema stellte schon aus fachlicher Sicht eine Herausforderung dar. Von entscheidender Bedeutung sollte dabei die Abgrenzung der Grundgesamtheit werden. In der Theorie ist das einfach: Es sind dies alle Betriebe mit Erzeugung von Aquakulturprodukten im Sinne der oben aufgeführten Verordnung. Es handelt sich also um die Erzeugung von Fischen, Weich- sowie Krebstieren und Wasserpflanzen, bei denen in irgendeiner Form – beispielsweise durch gezielten Besatz, regelmäßige Fütterung oder Schutz vor natürlichen Feinden – mit dem Ziel der Ertragssteigerung in den Produktionsprozess eingegriffen wird. Dabei werden im Binnenland, also auch in Baden-Württemberg, fast ausschließlich Fische und nur in geringem Umfang (Fluss-)Krebse großgezogen. Muscheln und Wasserpflanzen werden im Land nicht produziert. Weitere Bedingung in Abgrenzung zu Fischereierzeugnissen ist, dass die Tiere sich im Besitz von Einzelpersonen oder Unternehmen befinden.

In Ermangelung einer Vorerhebung mussten die Betriebe anhand externer Quellen namhaft gemacht werden.4 Da diese Betriebe einer Genehmigungs- oder Registrierungspflicht nach den Bestimmungen der Fischseuchenverordnung unterliegen5, wurden die Erhebungseinheiten der Aquakulturstatistik im Agrarstatistikgesetz nach eben diesen Bestimmungen abgegrenzt und den Statistischen Ämtern der Länder von den für die Umsetzung der Fischseuchenverordnung zuständigen Stellen entsprechendes Adressmaterial zur Verfügung gestellt.6 Die Erwartung hierzulande war, vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) zentral aus dem Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärinformationssystem (LÜVIS) »per Knopfdruck« die benötigten Angaben zu erhalten. Wie sich im Vorfeld der Ersterhebung zeigte, gab es dort entgegen den Erwartungen in einigen Landkreisen aber keinerlei Nachweisungen von Einheiten mit Aquakulturproduktion. Diese Lücken konnten dann im Rahmen der intensiven Vorbereitungsarbeiten durch Nachfrage bei den jeweiligen Kreisveterinärdienststellen weitgehend geschlossen werden.

Zur Erstbefragung wurden dann rund 500 Betriebe in Baden-Württemberg angeschrieben, wobei sich als für die Aquakulturstatistik im Land relevant letztendlich nur 133 Einheiten herauskristallisierten. Bei den anderen

  • handelte es sich um sogenannte Angelteiche,
  • wurden die Fische nur zwischengeparkt (»gehältert«), womit keine Produktion im eigentlichen Sinne stattfand,
  • erfolgte die Produktion nur für den Eigenbedarf,
  • war die Aquakultur zwischenzeitlich eingestellt worden oder
  • erfolgte wegen Umbaumaßnahmen oder aus anderen Gründen keine Produktion.

Ergebnis der Erstbefragung entsprach nicht den Erwartungen

Wenngleich zu Beginn einer neuen Erhebung mit Anlaufschwierigkeiten gerechnet werden musste, warf das Ergebnis doch einige Fragen auf. Denn hinsichtlich der erzeugten Menge wurde das Niveau der Expertenschätzungen vergangener Jahre um 50 % und mehr verfehlt. Als möglichen Grund für die vermutete Untererfassung wurde lückenhaftes Adressmaterial angeführt, etwa weil eigentlich bekannte Einheiten noch nicht in LÜVIS eingepflegt waren. Oder, wie der in der Presse verbreitete Fall eines Fischzüchters im Ostalbkreis zeigte,7 den unteren Veterinärbehörden unter Umständen doch nicht alle Betriebe und Produktionsstätten bekannt waren. Im Vorfeld der Aquakulturerhebung 2012 wurden deshalb alle Kreisveterinärdienststellen mit der Bitte um Prüfung und ggf. Ergänzung des 2011 verwendeten Adressmaterials angeschrieben. Insgesamt wurden dem Statistischen Landesamt so weitere rund 500 potenzielle Aquakulturbetriebe benannt, wobei nach den Erfahrungen von 2011 von vornherein davon auszugehen war, dass es sich nur bei einem kleinen Teil um statistisch relevante Einheiten handelte.

Der Landesverband der Berufsfischer und Teichwirte tat ein Übriges und forderte, im wohlverstandenen Eigeninteresse, seine Mitglieder in einem Rundbrief auf, die Erhebung nach Kräften zu unterstützen. Im Ergebnis der Aquakulturerhebung 2012 schlugen sich die gemeinsamen Bemühungen von Veterinären, Berufsstand, Fischereisachverständigen in der Landesverwaltung und Statistikern allerdings nicht in dem erwarteten Maße nieder. Denn obwohl 201 Betriebe Angaben machten, immerhin eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um mehr als 50 %, wurde die erzeugte Menge mit rund 3 200 Tonnen (t) nur unwesentlich höher als 2011 mit 3 100 t angegeben. Andererseits wurde damit aber auch deutlich, dass die Betriebe, die für den Löwenanteil der baden-württembergischen Aquakulturproduktion stehen, bereits 2011 im Berichtskreis enthalten waren. Aber waren die Angaben korrekt und entsprachen den Vorgaben des Fragebogens? Und weiter ist vor diesem Hintergrund auch die Frage zu stellen, ob die Experten in der Vergangenheit mit ihren Schätzungen immer richtig lagen. Denn einer »Schätzung«, und sei sie noch so gewissenhaft, wohnt bekanntlich ein gewisses Maß der Unsicherheit inne.8

Vorjahresvergleich mit interessanten Einsichten

In der statistischen Aufbereitung eröffnete sich mit dem Vorjahresvergleich eine weitere, ganz entscheidende Möglichkeit zur Plausibilisierung der Einzelwerte. Bei größeren Abweichungen in den Zahlenwerten gegenüber dem Vorjahr wurden gezielt Rückfragen bei den Betriebsinhabern gestartet und dabei rückblickend auch Unstimmigkeiten im Datenmaterial von 2011 ersichtlich. So wurden teilweise in die Erzeugung auch die Mengen aus dem Fischhandel eingerechnet; die betriebliche Produktionsmenge war somit fälschlicherweise überhöht. Dem Eintrag im Erhebungsbogen sieht man das aber nicht an, weil sowohl der kleine als auch der große Wert beim Strukturbild der hiesigen Aquakultur plausibel sein können.

Produktionsschwerpunkt: Regenbogenforelle

Im Jahre 2012 erzeugten die baden-württembergischen Aquakulturbetriebe insgesamt 3 200 t Speisefisch. Die Anlandungen aus der Fluss- und Seenfischerei sind hierin definitionsgemäß nicht enthalten. Der Schwerpunkt der Erzeugung liegt mit 2 550 t auf der Regenbogenforelle. Hier nimmt Baden-Württemberg mit einem Anteil von über drei Zehnteln knapp vor Bayern die Spitzenposition im Bundesvergleich ein. Rechnet man Lachsforelle (eine spezielle Vermarktungsform der Regenbogenforelle), Bachforelle, See- und Bachsaibling sowie Elsässer Saibling (Kreuzung aus Bach- und Seesaibling) hinzu, so stehen die Forellenartigen mit 3 133 t für 98 % der Erzeugung aus Aquakultur im Südwesten. Karpfen ist mit einer Jahreserzeugung 2012 von rund 40 t in Baden-Württemberg quantitativ nur eine Randerscheinung.

Infolge der vorherrschenden Strukturierung der Aquakulturbetriebe in Baden-Württemberg stammt der weitaus größte Teil der in den Verkauf gegangenen Fische nur von wenigen, dafür großen Betrieben. So erzeugt gut die Hälfte der Betriebe jährlich weniger als 1 t Fisch, im Schnitt rund 0,32 t je Betrieb. Umgekehrt vermelden 52 Betriebe, also etwa jeder vierte, eine Jahresproduktion von jeweils über 5 t. Auf diese Betriebe entfallen 96 % der gesamten Produktionsmenge im Land: durchschnittlich sind das 59 t je Betrieb. Dabei stehen die fünf größten Betriebe für einen Produktionsanteil von fast sechs Zehnteln, die zehn größten für einen Anteil von respektablen 74 %. Ausgeprägte regionale Produktionsschwerpunkte liegen in den Landkreisen Sigmaringen (47 %) und Rottweil (15 %), wo die Nebenflüsse der jungen Donau bzw. des jungen Neckars mit ihrem guten Wasserdargebot ideale Standortbedingungen bieten.

Die Vermarktung erfolgt zum überwiegenden Teil (56 %) über den Großhandel, ein weiteres Fünftel wird direkt über den Ladentisch oder auf dem Wochenmarkt verkauft. Die restlichen Mengen gehen zu etwa gleichen Teilen in die Weiterverarbeitung im eigenen Betrieb, an den Einzelhandel oder an Sonstige wie zum Beispiel Gastronomie, Angelteiche, andere Aquakulturbetriebe und weiterverarbeitende Betriebe zur Veredelung.

Fazit

Erfahrungsgemäß ist nahezu jede Neuerung mit Anlaufschwierigkeiten verbunden. Das gilt auch für die Aquakulturstatistik, wobei mit jeder Erhebung sowohl den Auskunftsgebenden als auch den Sachbearbeitern im Statistischen Landesamt die Materie vertrauter wird und der Erfahrungsschatz auf beiden Seiten wächst. Da die Grundgesamtheit mittlerweile weitestgehend korrekt abgegrenzt werden kann, muss das Hauptaugenmerk fortan auf die Plausibilisierung der Einzelangaben gelegt werden.

1 1962, 1972, 1982, 1994 und 2004.

2 Eine umfassende methodische Dokumentation findet sich bei Schiela, Judith und Walther, Matthias: Aquakultur – Ergebnisse und Methodik; in: Statistisches Bundesamt Wirtschaft und Statistik, November 2012.

3 Siehe »Jahresbericht der Deutschen Binnenfischerei« vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam, diverse Jahrgänge.

4 Dem Adressmaterial aus der letzten Binnenfischereierhebung kommt nach annähernd 10 Jahren nur mehr historische Bedeutung zu.

5 Die betriebliche Genehmigungs- bzw. Registrierungspflicht geht aber darüber hinaus und erstreckt sich beispielsweise auch auf sogenannte Angelteiche oder auf Verarbeitungsbetriebe, in denen Fische aus Aquakultur geschlachtet werden.

6 Rechtsgrundlage der Datenübermittlung ist § 97 Absatz 6 des Agrarstatistikgesetzes.

7 Südwest Presse Online vom 26. Juli 2013: »Landratsamt Aalen warnt vor krebserregenden Forellen«.

8 Die Experten verfügen über große Erfahrung in der Aquakultur und sichern ihre Schätzungen durch ergänzende Daten und Berechnungen ab.