:: 10/2013

Familienbewusste Arbeitskultur und bedarfsgerechte Betreuungsangebote – Erfolgsfaktoren für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die derzeitige Situation der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Deutschland ist für viele Sorgearbeit leistende Personen bislang nicht zufriedenstellend. Viele nicht erwerbstätige oder geringfügig bzw. in Teilzeit beschäftigte Frauen würden gerne (mehr) arbeiten. Viele Männer wünschen sich mehr Zeit für die Familie. Um das Familien- und Arbeitsleben miteinander in Einklang bringen zu können, sind flexible, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote sowohl für Kinder aller Altersgruppen als auch zunehmend für pflegebedürftige Angehörige notwendig. Gleichzeitig sind eine flexible Arbeitsorganisation und ein familienbewusstes und durch Verständnis geprägtes Betriebsklima gewichtige Voraussetzungen für die Balance von Familie und Beruf. Nur wenn sich die betriebliche Arbeits- und Führungskultur stärker darauf einstellt, kann es gelingen, dass auch zunehmend familienorientierte Männer sowie berufsorientierte Frauen Familie und Beruf vereinbaren, ohne in mindestens einem Bereich Abstriche machen zu müssen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein facettenreiches Querschnittsthema

Mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde und wird in Deutschland häufig das zeitgleiche Nebeneinander der Erwerbstätigkeit von Müttern mit der Betreuung ihrer Kinder assoziiert. Doch die Herausforderung, die Lebensbereiche Erwerbsarbeit und Familie parallel in Einklang zu bringen, ist vielschichtig und mit den unterschiedlichsten Herausforderungen auch für Männer und Pflegende verbunden. Für alle beteiligten Akteure – für Sorgearbeit leistende Personen, für Unternehmen sowie für die (familien-)politischen Akteure – summiert »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« komplexe Phänomene und Anforderungsbündel. Die private Pflege von Angehörigen durch Kinder, Elternteile, Geschwister oder Partner/innen macht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu einem Anliegen ganz unterschiedlicher Lebensphasen und Lebenslagen. Veränderte Lebens- und Familienformen ziehen eine Pluralisierung der mit familiären Verpflichtungen befassten Personengruppen sowie der jeweiligen Bedürfnisse nach sich. So haben Alleinerziehende beispielsweise spezifische Anforderungen an ihre Lebens- und Arbeitsgestaltung und in Patchwork-Familien wird Sorgearbeit außerhalb der klassischen Kleinfamilie geleistet. Dabei steht die betrieblich, kulturell und institutionell oft tief verankerte Norm der kontinuierlichen Vollzeitarbeit dem familiären Engagement von Männern und der beruflichen Entwicklung von Frauen gleichermaßen entgegen.

Gegensätzliche Zeitstrukturen in Familie und Arbeitswelt erschweren die Work-Life-Balance

Die Betreuung und Versorgung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen bedeutet im Tagesverlauf einen häufigen Tätigkeitswechsel und oftmals die parallele Ausführung von Aufgaben. Insgesamt ist die Zeitstruktur in Haushalt und Familie äußerst geschachtelt und häufig stark verdichtet. Dabei wird diese als figural bezeichnete Zeitstruktur der Fürsorgearbeit stark von den Bedürfnissen der Betreuten – und damit insbesondere bei kleinen Kindern und Pflegebedürftigen oftmals von zeitlich schwer planbaren Ereignissen und Turbulenzen – bestimmt. Insbesondere die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen kann plötzlich und unerwartet auftreten und ist im Vergleich zur Kindererziehung meist noch weniger planbar.

In der Erwerbsarbeit dominieren demgegenüber meist »funktional geglättete Zeitverwendung(en) nach dem Uhrzeitmodell«1 mit stark regulierten Abläufen und präzisen Terminierungen – also geradezu gegensätzliche Zeitstrukturen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bringt damit erhebliche organisatorische Anforderungen mit sich, um diese konkurrierenden Zeitstrukturen in Einklang zu bringen. Erwerbs- und Sorgearbeit parallel zu vereinbaren heißt, Zeitbudgets im Sinne der Bedürfnisse beider Lebensbereiche aufeinander abzustimmen. Dies erfordert neben verlässlichen und flexiblen Betreuungsstrukturen auch eine Arbeitskultur im Betrieb, die durch Verständnis für und Rücksichtnahme auf familiäre Belange und Notfälle gekennzeichnet ist.

Die Mehrheit der Eltern hat Vereinbarkeitsprobleme

Einer repräsentativen Umfrage zufolge haben mehr als die Hälfte (54 %) der Eltern mit minderjährigen Kindern in Deutschland Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.2 Rund 16 % der Eltern schätzen ihre Vereinbarkeitsprobleme sogar als groß ein. Mütter beschreiben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (58 %) häufiger als problematisch als Väter dies tun (49 %). Eine von fünf Müttern (19 %) und 12 % der Väter sagen weiterhin, dass sie bei der Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Belange große Probleme haben.

Für 60 % der Eltern von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter ist es problematisch, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Große Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden am häufigsten von Eltern mit Kindern im Grundschulalter genannt (19 %). Ursächlich dürfte hier das Unterangebot an Ganztagsschulen bzw. im Bereich der Nachmittagsbetreuung für schulpflichtige Kinder sein. Doch auch die umfangreichen Ferienzeiten, die sich kaum mit den Urlaubsansprüchen abhängig Beschäftigter abdecken lassen, stellen häufig eine große Schwierigkeit bei der Organisation von Beruf und Kinderbetreuung für Eltern dar. Bei Kindern ab 11 Jahren nehmen die Vereinbarkeitsprobleme der Eltern mit zunehmendem Alter und damit einhergehend wachsender Selbstständigkeit der Kinder ab.

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – nach wie vor ein vernachlässigtes Thema

Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Angehörigen ist eine zunehmend verbreitete Herausforderung und Belastung – dennoch scheint das Thema in den Unternehmen noch nicht angekommen zu sein.3 Insgesamt rund drei Viertel der Hauptpflegepersonen in Privathaushalten mit einer pflegebedürftigen Person fühlen sich durch die Pflegeaufgaben belastet. Sehr stark belastet fühlen sich 29 %, während jede/r Zweite (48 %) die Pflege von Angehörigen als eher stark belastend beschreibt.4 Eine nicht repräsentative Umfrage zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf aus dem Jahr 2006 zeigt, dass die Pflegebelastung weitestgehend nicht am Arbeitsplatz thematisiert wird. Erwerbstätige, die häusliche Pflege leisten, erhalten nach eigener Aussage überwiegend keine Unterstützung durch die unmittelbare Führungskraft (65 %) oder den Arbeitgeber (46?%). Daher überrascht es nicht, dass 63 % der befragten Pflegepersonen einen Konflikt zwischen Beruf und Pflege empfinden.5

Erste gesetzliche Schritte zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege wurden bereits unternommen. Mit der Einführung der Pflegezeit besteht – neben der Möglichkeit zur kurzzeitigen Freistellung zum Zweck der Organisation des Pflegearrangements – ein Rechtsanspruch auf unbezahlte Freistellung für die private Angehörigenpflege von bis zu 6 Monaten in Betrieben ab 15 Beschäftigten. Das Familienpflegezeitgesetz bietet seit 2012 außerdem Möglichkeiten, die Arbeitszeit mit Gehaltsaufstockung im Sinne eines Gehaltsvorschusses zu reduzieren. Da das Familienpflegezeitgesetz allerdings keinen Rechtsanspruch beinhaltet, handelt es sich ausschließlich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Bislang wurden die gesetzlichen Regelungen zur beruflichen Freistellung aufgrund privater Pflege nur in sehr geringem Umfang wahrgenommen. Die Gründe hierfür liegen insbesondere in der unzureichenden Kenntnis über die Möglichkeiten und die Anspruchsvoraussetzungen seitens der Pflegepersonen. Allerdings sind es häufig auch finanzielle Gründe sowie die Befürchtung, berufliche Nachteile zu erleiden, die Pflegende daran hindern, sich für die Pflege freistellen zu lassen oder ihre Arbeitszeit zu reduzieren.6

Betreuungsangebote sind nicht nur für die Kleinsten gefragt

Das jüngst vollzogene Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag (»U3-Rechtsanspruch«) sowie der vorausgegangene und laufende Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur sind elementar für die Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft. Jedoch sind lediglich 25 % der Eltern der Ansicht, dass ausreichend Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren (U3) angeboten werden.7 39 % der Eltern in Deutschland wünschen sich eine Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind unter 3 Jahren. Der Bedarf an U3-Betreuungsplätzen wird von Eltern in den alten Bundesländern (36 %) bisher noch nicht so deutlich formuliert wie dies im neuen Bundesgebiet (49 %) der Fall ist (Stand 2011).8 Allerdings steht das Angebot an U3-Betreuungsplätzen in den alten Ländern auch noch weit hinter der ostdeutschen Kinderbetreuungsinfrastruktur zurück, wo die aushäusige Betreuung der Kleinsten bereits seit Jahrzehnten Tradition hat. Auch wenn die Nachfrage in den alten Bundesländern bisher noch geringer ausfällt, so sind in Westdeutschland doch 44 % der Eltern wenn nötig gewillt, ihren Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gerichtlich einzuklagen (neue Bundesländer: 65 %).9

Der Ausbau der flächendeckenden Kinderbetreuungsangebote für Kinder ab 1 Jahr wird bundesweit von der großen Mehrheit der Eltern befürwortet (78 %). Für die Einführung eines kostenlosen und verpflichtenden letzten Kindergartenjahres sprechen sich sogar 83 % der Eltern in Deutschland aus.

Große regionale Unterschiede in Baden-Württembergs Kinderbetreuungslandschaft

Die zur Verfügung stehenden Kinderbetreuungsangebote (insbesondere in der U3- und Schulkind-Betreuung) variieren nicht nur deutlich zwischen den Bundesländern in Ost und West, sondern auch innerhalb eines Bundeslandes zeigen sich erhebliche Unterschiede. Am 1. März 2013 wurden in Baden-Württemberg 25 % aller Kinder unter 3 Jahren in Kindertageseinrichtungen oder der Kindertagespflege betreut. Die Betreuungsquote der unter 3-Jährigen liegt hierzulande in den Universitätsstädten besonders hoch. In Heidelberg, wo fast jedes zweite Kind unter 3 Jahren eine Betreuungseinrichtung besucht (45 %), lässt sich die höchste U3-Betreuungsquote innerhalb Baden-Württembergs konstatieren. Auch in Freiburg (38 %), Landkreis Tübingen (34 %), Stuttgart (31 %) und Karlsruhe (31 %) liegt die Betreuungsquote deutlich über dem Landesdurchschnitt. In Pforzheim und im Landkreis Waldshut (jeweils 17 %) befindet sich hingegen lediglich jedes sechste Kind vor Erreichen des Kindergartenalters in Betreuung.10

Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage an Kinderbetreuungsplätzen unterschiedlichster Altersgruppen weiter steigen wird: nicht nur im Alter unter 3 Jahren, sondern ebenfalls im Grundschulalter sowie während der ersten Jahre der fortführenden Schule. Dies lässt sich aus einer Befragung von Eltern mit minderjährigen Kindern schlussfolgern. Jeweils weniger als die Hälfte der Eltern in Deutschland ist der Meinung, dass ausreichend Betreuungsplätze für kleine Schulkinder bis 10 Jahre (47 %), für größere Schulkinder bis 14 Jahre (44 %) oder für ältere Schulkinder ab 15 Jahren (42 %) vorhanden sind. Daher sprechen sich 87 % der Eltern für ein flächendeckendes, nicht verpflichtendes Angebot an Ganztagsschulen in Deutschland aus. Ein verpflichtendes Ganztagsschulangebot ab der ersten Klasse wird von 34 % der Eltern begrüßt.

Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege zunehmend relevant

Im Jahr 2011 wurde die große Mehrheit (68 %) der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg zu Hause versorgt, und zwar überwiegend (69,7 %) durch private Pflegepersonen und Angehörige. Damit wird fast jede/r zweite Pflegebedürftige (47,7 %) in Baden-Württemberg durch das private Umfeld betreut.11

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege kommen zu dem Befund, dass der Großteil privater Pflegearbeit in Deutschland von Frauen geleistet wird. Häufig sind es die Töchter, Schwiegertöchter oder Frauen der Pflegebedürftigen, die die Versorgung übernehmen.12 Häusliche Pflege leistende Personen (im Alter von 16 bis unter 64 Jahren) sind zu 59 % erwerbstätig. Bundesweit stehen 28 % der Pflegenden vor der Herausforderung, eine Vollzeitstelle mit der Pflege von Angehörigen zu vereinbaren. Ein Drittel (34 %) derer, die im privaten Umfeld die Hauptverantwortung für die Pflege von Angehörigen tragen, haben aus diesem Grund ihre Erwerbstätigkeit reduziert, 15 % haben den Beruf deshalb sogar aufgegeben.13

Demografisch bedingt ist davon auszugehen, dass die Zahl der pflegebedürftigen Personen weiter zunehmen wird.14 Durch die Ausweitung der Lebensarbeitszeit, die zunehmende Erwerbsintegration von Frauen sowie räumliche Mobilität der Familien wird das private Pflegepotenzial voraussichtlich abnehmen. Entsprechend lässt sich auch hinsichtlich der Versorgung von Pflegebedürftigen vermuten, dass zunehmend professionelle ambulante und stationäre Betreuungsangebote benötigt werden. Da allerdings die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigen wird, ist absehbar, dass die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zunehmend relevant wird. Dennoch wird das Thema in vielen Unternehmen bislang vernachlässigt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen erhebliche betriebliche Folgekosten aufgrund mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, die zu einem hohen Anteil durch Präsentismus – durch Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz Überlastung und/oder Krankheit – verursacht werden.15 Gerade bezüglich der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zeichnet sich daher Handlungsbedarf für Arbeitgeber ab.

Zeit für die Familie – Zeit für den Beruf: Wunsch und Wirklichkeit

Aufgrund der skizzierten divergierenden Zeitabläufe und -erfordernisse des Erwerbs- und Familienlebens stehen die beiden Lebensbereiche geradezu in zeitlicher Konkurrenz zueinander. Damit ist die Ressource Zeit für das Vereinbarkeitsgelingen elementar und gilt als teures Gut. Die innerfamiliäre Verteilung von Haus- bzw. Familienarbeit ist nach wie vor stark asymmetrisch, sodass Frauen weiterhin deutlich mehr Arbeit in Haushalt und Familie leisten als Männer.16

Im Jahr 2012 lag die Frauenerwerbstätigenquote in Baden-Württemberg bei 70 %, somit waren 46 % der Erwerbstätigen im Land weiblich. In den vergangenen Jahren hat die Frauenerwerbstätigkeit damit deutlich zugenommen. Allerdings ist jede zweite Frau (49 %) hierzulande teilzeitbeschäftigt.17 Während erwerbstätige Männer im Jahr 2012 durchschnittlich gut 40 Stunden pro Woche arbeiteten, betrug die gewöhnliche Durchschnittsarbeitszeit der Frauen wöchentlich rund 29 Stunden. Etwa 34 % der erwerbstätigen Frauen in Baden-Württemberg arbeiten in kurzer Teilzeit (bis 20 Stunden wöchentlich), was lediglich auf 7 % der Männer zutrifft. In langer Teilzeit bzw. Vollzeit mit 21 bis 39 Wochenarbeitsstunden arbeiten 34 % der Frauen und 24 % der Männer. Durchschnittliche Arbeitszeiten von mehr als 40 Stunden sind in Baden-Württemberg für zwei Drittel der Männer (68 %) – aber lediglich ein knappes Drittel der Frauen (32 %) – Normalität.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Arbeitszeitwünsche von Männern und Frauen viel näher beieinander liegen als die tatsächlich geleistete Arbeitszeit. Bundesweit würden 30 % der Frauen gerne mehr und 28 % der Männer am liebsten weniger arbeiten als es jeweils tatsächlich der Fall ist – unabhängig von Elternschaft oder anderen familiären Anforderungen.18 Auch nichterwerbstätige Mütter wären überwiegend (58 %) gerne berufstätig – und zwar meistens am liebsten sofort und dann vorzugsweise in langer Teilzeit (20 bis 30 Wochenstunden).19

Fast drei Viertel der Väter und Mütter wünschen sich unter der Woche mehr Zeit für die Familie. Etwa jeder zweite Vater mit minderjährigen Kindern sagt von sich, häufig Überstunden machen zu müssen und beruflich stark eingespannt zu sein. Daher verwundert es nicht, dass die Hälfte der Väter gerne weniger arbeiten würde. Mütter hingegen wünschen sich vor allem mehr Entlastung bei der Familien- und Hausarbeit – durch den Partner oder haushaltsnahe Dienstleistungen. Die Tatsache, dass Mütter vor allem für sich selbst gerne mehr Zeit hätten (79 %), ist vermutlich Ausdruck ihrer weit verbreiteten und dauerhaften Mehrfachbelastung durch Erwerbs- und Familien-/Hausarbeit. Anders sieht es bei den Wünschen der Väter aus, denn diese würden vor allem gerne mehr Zeit für ihre Kinder (72 %) und ihre Partnerin (62 %) aufbringen.20

Wenn die Zeit von Eltern nicht ausreicht, um allen Aufgaben- und Lebensbereichen gerecht zu werden, machen sie am häufigsten bei der »Zeit für sich selbst« Abstriche (73 %). Weiterhin werden zeitliche Einschnitte oftmals im Bereich der Hausarbeit (46 %) gemacht. Aber auch soziale Beziehungen (Freunde: 38 %; Partner: 19 % und Kinder: 11 %) leiden den befragten Eltern zufolge unter der Zeitnot. Mit Abstand am seltensten wirken sich mangelnde Zeitressourcen jedoch auf die Arbeit und den Beruf (3 %) aus. Auffällig ist ferner, dass Väter deutlich häufiger Abstriche im Bereich Partnerschaft und Kinder machen als Mütter dies tun.

Familienbewusste Personalpolitik als Aufgabe für Arbeitgeber

Die Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehen 74 % der deutschen Bevölkerung als die wichtigste Aufgabe der Familienpolitik an. 95 % der Väter und 96 % der Mütter von Kindern unter 18 Jahren halten verbesserte Bedingungen der Vereinbarkeit von Familien- und Arbeitsleben für wichtig oder sehr wichtig. Die Verantwortung für Fortschritte im Bereich der Vereinbarkeit wird dabei überwiegend beim Staat und den Unternehmen gleichermaßen gesehen. Unternehmen, die sich zunehmend mit Fragen einer familienbewussten Personal- und Unternehmenspolitik befassen, setzen sich demnach auch mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für eine gelungene Balance zwischen Familien- und Arbeitsleben ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auseinander. Diese gesellschaftliche Verantwortung von Arbeitgebern für eine gelungene Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben sehen 69 % der Bevölkerung und sogar 75 % der Eltern in Deutschland.21

Familienbewusstsein heißt Mitarbeiterorientierung und Flexibilität

Was macht ein Unternehmen familienfreundlich und welche Bedingungen gilt es zu erfüllen, um die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie auf der betrieblichen Ebene zu fördern? In einer familienfreundlichen Arbeitswelt richten sich Maßnahmen und Angebote geschlechtersensibel an Männer und Frauen in unterschiedlichen Familienkonstellationen sowie in verschiedenen Lebens- und Familienphasen mit oftmals sehr spezifischen Erfordernissen. Die Heterogenität familiärer Aufgaben und die Diversifizierung der Sorgearbeit leistenden Personen sollte mit dem Ziel der Familienfreundlichkeit im betrieblichen Kontext bewusst in den Blick genommen werden. Der Anspruch, als Unternehmen familienfreundlich zu sein, zeigt sich demnach in der Verfolgung des Ziels, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit familiären Belangen im gesamten Lebensverlauf »gegenüber anderen nicht benachteiligt werden und sich gleichermaßen entfalten können«22.

In den Augen der Bevölkerung zeichnen sich familienfreundliche Unternehmen in erster Linie durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung aus. Am zweithäufigsten wird in einer Befragung die Gewährung von Sonderurlaub im Krankheitsfall der Kinder genannt, gefolgt von betrieblichen Kinderbetreuungsangeboten. Mobiles Arbeiten von zu Hause und eine Ausweitung des Angebots an Teilzeitstellen sowie die Erleichterung des beruflichen Wiedereinstiegs nach der Elternzeit sind weitere häufig genannte Charakteristika familienfreundlicher Betriebe. Der Aussage, ein Unternehmen sei familienfreundlich, »wenn auch Väter ihre Berufstätigkeit zur Betreuung eines Kleinkindes problemlos unterbrechen können« stimmt ein großer Teil der Gesamtbevölkerung sowie der Mütter (65 %) und Väter (52 %) minderjähriger Kinder zu. Außerdem sehen 57 % der Gesamtbevölkerung in der Möglichkeit, dass Berufstätige ihre Familienangehörigen pflegen und versorgen können, ein Kriterium für die Familienfreundlichkeit eines Unternehmens.23 In diesen Befunden kommen gewandelte Geschlechterrollen sowie die Lebensverlaufsperspektiven von Vereinbarkeitsthemen deutlich zum Ausdruck.24

Anspruch und Wirklichkeit einer familienbewussten Unternehmenspraxis

Eine nicht repräsentative Umfrage unter Personalverantwortlichen aus dem Jahr 2012 ergibt, dass drei Viertel der Unternehmen ihr Angebot an familienfreundlichen Maßnahmen nach eigener Aussage in den vergangenen 5 Jahren ausgeweitet haben. Ein vergleichbar großer Anteil der Personalverantwortlichen vertritt weiterhin den Standpunkt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Zukunftsthema ist und der Ausbau entsprechender betrieblicher Maßnahmen deshalb geplant sei.25

Allerdings ist nach Einschätzung der Personalverantwortlichen bei fast jedem fünften Unternehmen die Arbeitszeit nicht im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Familienaufgaben gelöst. Daher sehen Unternehmen zukünftig verstärkt Handlungsbedarf im Bereich der Arbeitszeitgestaltung und der Arbeitsorganisation. So wollen viele Unternehmen flexible Arbeitszeiten auch für Führungskräfte ermöglichen und insgesamt häufiger individuelle, passgenaue Arbeitszeitmodelle etablieren. Außerdem sollen die Präsenzverpflichtungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstärkt familienbewusst gestaltet und die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens (zum Beispiel von zu Hause aus) vorangetrieben werden.

Jede/r zweite Personalverantwortliche sagt zudem, dass es ein Ziel sei, das Unternehmen stärker von der Präsenz- hin zu einer Ergebniskultur zu entwickeln. Hierbei können allerdings – insbesondere in Kombination mit mobiler Arbeit oder Vertrauensarbeitszeit – durchaus auch Risiken der Entgrenzung der Arbeitszeit und der Überlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegen. In diesem Zusammenhang geben viele Personalverantwortliche an, dass sie zukünftig auch Zeiten, in denen Beschäftigte für berufliche Anliegen nicht ansprechbar sind, verstärkt anstreben wollen.26

Die Einschätzung der Unternehmensvertreter/innen zur Relevanz unterschiedlicher familienfreundlicher Indikatoren im Betrieb und deren tatsächliches Vorliegen klaffen nach eigener Aussage auseinander. Insbesondere bezüglich mobiler Arbeit sowie flexibler Arbeits(zeit)gestaltung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Führungsaufgaben steht die tatsächliche Umsetzung der Relevanzeinschätzung weit nach. Während 92 % der Personalverantwortlichen flexible Arbeits(zeit)modelle für Führungskräfte als wichtig oder sehr wichtig erachten, sind diese nach eigener Angabe nur in 52 % der einbezogenen Unternehmen (vollständig oder teilweise) umgesetzt. Die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten ist bei 51 % der befragten Unternehmen gegeben, die Wichtigkeit wird jedoch von 87 % der Personalverantwortlichen gesehen – Anspruch und Wirklichkeit sind hier also keinesfalls deckungsgleich.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie: auch eine Frage der Arbeitskultur

Die Mehrheit (59 %) der berufstätigen Eltern berichtet, dass im Betrieb keine oder kaum Rücksicht auf die zeitlichen Bedürfnisse von Eltern genommen wird. Besonders häufig wird dies von vollzeiterwerbstätigen Müttern (65 %), aber ebenfalls vielfach von erwerbstätigen Vätern (56 %) angegeben. Doch selbst jede zweite teilzeitbeschäftigte Mutter sagt, dass es an der zeitlichen Rücksichtnahme im Arbeitsleben mangele.27

Eine wissenschaftliche Untersuchung zur Frage, welche Faktoren ausschlaggebend sind, damit erwerbstätige Eltern in Deutschland ihre jeweiligen Arbeitgeber ganz konkret als familienfreundlich bewerten, kommt zu folgendem Ergebnis: Durch die Berücksichtigung familiärer Verpflichtungen bei der Arbeitszeitfestlegung, die Dauer der tatsächlichen Arbeitszeit (zwischen 20 und 29,5 Wochenstunden) sowie ein familienfreundliches Betriebsklima – operationalisiert und gemessen an verständnisvollen Reaktionen von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten auf die Abwesenheit wegen kranker Kinder – können Betriebe ihre Familienfreundlichkeit in den Augen der Beschäftigten erhöhen. »Arbeitszeit und Arbeitsorganisation entsprechend zu gestalten und ein aufgeschlossenes Klima im Betrieb gegenüber den Bedürfnissen von Erziehenden – das macht Betriebe familienfreundlich«.28

Betreuungsinfrastruktur und familienbewusste Arbeitskultur als Voraussetzungen der Balance von Arbeits- und Familienleben

Die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben in allen Lebensphasen und für beide Geschlechter setzt eine geeignete und bedarfsgerechte Infrastruktur an Betreuungsangeboten für Kinder aller Altersgruppen und pflegebedürftige Angehörige voraus. Doch auch in der Berufswelt macht das Vorhandensein unterschiedlicher Maßnahmen und Angebote allein ein Unternehmen keinesfalls automatisch familienfreundlich. Um die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben zu erleichtern, müssen Angebote passgenau und bedarfsorientiert konzipiert sein und in einem verständnisvollen und familienfreundlichen Arbeitsklima transparent kommuniziert werden. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass familienbewusste Angebote auch in Anspruch genommen werden (können). Familienfreundlichkeit im Betrieb ist daher mehr als das Vorhandensein einzelner Maßnahmen. Erforderlich ist eine authentische Führungskultur, in der Führungskräfte als Promotoren von familienbewusster Arbeitsorganisation ins Boot geholt werden und in ihrer Schnittstellenposition zwischen Leitung und Belegschaft selbst die Chance auf eine gelungene Vereinbarkeit und Work-Life-Balance haben und vorleben (können).

1 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2008, S. 250.

2 forsa. Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH (Hrsg.): Familie und Wahl. Ergebnisbericht. Berlin, 2013, S.16.

3 Reichert, Monika: Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege – eine Bestandaufnahme, in: Bispinck, Reinhard et al (Hrsg.): Sozialpolitik und Sozialstaat. Festschrift für Gerhard Bäcker. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2012, S. 325.

4 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.): Abschlussbericht zur Studie »Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes«, Bericht zu den Repräsentativerhebungen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Berlin, 2011, S. 29.

5 IGS (Hrsg.): Beruf und Pflege von Angehörigen. Ergebnisse der Online-Umfrage. Köln, 2006, S. 6ff.

6 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.): Abschlussbericht zur Studie »Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes«, Bericht zu den Repräsentativerhebungen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Berlin, 2011, S. 33.

7 forsa. Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH (Hrsg.): Familie und Wahl. Ergebnisbericht. Berlin, 2013, S.22.

8 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Familienreport 2012. Leistungen, Wirkungen, Trends. Berlin, 2012, S. 95.

9 forsa. Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH (Hrsg.): Familie und Wahl. Ergebnisbericht. Berlin, 2013, S. 23.

10 Pflugmann-Hohlstein, Barbara: »Kindertagesbetreuung 2013: Betreuungsquote der unter 3-Jährigen landesweit auf 25 % gestiegen«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2013«, S. 27–31.

11 Gölz, Uwe/Weber, Matthias: »Pflege in Baden-Württemberg – Zu Hause oder im Heim?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2013«, S. 6.

12 IGS Organisationsberatung (Hrsg.): Beruf und Pflege von Angehörigen. Ergebnisse der Online-Umfrage. Köln, 2006.

13 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.): Abschlussbericht zur Studie »Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes«, Bericht zu den Repräsentativerhebungen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Berlin, 2011, S. 32.

14 Gölz, Uwe/Weber, Matthias: »Pflege in Baden-Württemberg – Zu Hause oder im Heim?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2013«, S. 9.

15 Schneider, Helmut/Heinze, Jana/Hering, Daphne: Betriebliche Folgekosten mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Zusammenfassung der Expertise im Rahmen des Projektes Carers@Work – Zwischen Beruf und Pflege: Konflikt oder Chance? Berlin, 2011, S. 3.

16 Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2008, 7. Auflage.

17 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Statistik Aktuell: Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern in Baden-Württemberg, Ausgabe 2013.

18 Wanger, Susanne: Arbeitspotenziale von Frauen. Wunschlängen und wahre Größen. IAB-Forum 1/2012, S. 18–25.

19 Institut für Demoskopie Allensbach (Hrsg.): Monitor Familienleben 2012. Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Berichtsband. Allensbach, 2012, S. 21.

20 Institut für Demoskopie Allensbach (Hrsg.): Monitor Familienleben 2012. Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Berichtsband. Allensbach, 2012, S. 28ff.

21 Institut für Demoskopie Allensbach (Hrsg.): Monitor Familienleben 2012. Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Berichtsband. Allensbach, 2012, S. 6, S. 11, S. 14.

22 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau-en und Jugend (Hrsg.): Familienfreundlichkeit im Betrieb – Handlungshilfe für die betriebliche Interessenvertretung. Berlin, 2005, S. 5.

23 Institut für Demoskopie Allensbach (Hrsg.): Monitor Familienleben 2012. Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Berichtsband. Allensbach, 2012, S. 16.

24 Reichert, Monika: Pflege – ein lebensbegleitendes Thema? In: Naegele, Gerhard (Hrsg.): Soziale Lebenslaufpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2012, S. 309ff.

25 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Einstellung von Personalverantwortlichen zu familienbewussten Arbeitszeiten. Hannover, 2012, S. 5ff.

26 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Einstellung von Personalverantwortlichen zu familienbewussten Arbeitszeiten. Hannover, 2012, S. 13.

27 Institut für Demoskopie Allensbach (Hrsg.): Monitor Familienleben 2012. Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie. Berichtsband. Allensbach, 2012, S. 15.

28 Klenner, Christina/Schmidt, Tanja: Familienfreundlicher Betrieb – Einflussfaktoren aus Beschäftigtensicht, in: WSI-Mitteilungen 9/2007, S. 501.