:: 11/2013

Berufspendler in Baden‑Württemberg: Mobilitätsanstieg verlangsamt?

Die Ergebnisse der aktuellen Berufspendlerrechnung zeigen, dass der Anstieg von Bevölkerung und Erwerbstätigen zwischen 2009 und 2011 deutliche Spuren in der Entwicklung der Pendlerzahlen hinterlassen hat. Gleichzeitig scheint es jedoch erstmals zumindest zu einer Verlangsamung des Anstiegs der Pendelentfernungen gekommen zu sein. Der Beitrag zeigt die räumlichen Unterschiede in der Mobilitätsentwicklung der Pendler 2009 bis 2011 auf. Möglicherweise bestehen Zusammenhänge mit dem überdurchschnittlichen Wachstum der baden‑württembergischen Großstädte.

Rund 18 % der Strecke, die mit dem Auto, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wird, gehen auf das Konto der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Damit ist der Berufsverkehr nach dem Freizeitverkehr (35 %) der zweitwichtigste Verkehrszweck im Personenverkehr in Deutschland. Diese Anteile bleiben bei stetig steigender Verkehrsleistung seit Jahren konstant, wie Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)1 zeigen.

Um der Verkehrs- und Regionalplanung in Baden‑Württemberg Daten zum Berufsverkehr und der Verflechtung der regionalen Arbeitsmärkte bereitzustellen, ermittelt das Statistische Landesamt Baden‑Württemberg alle 2 Jahre im Rahmen seiner Berufspendlerrechnung die Tagespendlerströme zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde der Erwerbstätigen. Auch diejenigen Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, werden berechnet. Mit der aktuellen Berufspendlerrechnung stehen nun die Berichtsjahre2 2005, 2007, 2009 und 2011 zur Verfügung. Im Folgenden wird die regionale Entwicklung der Pendlermobilität insbesondere von 2009 bis 2011 näher betrachtet.

Kräftiges Wachstum von Beschäftigung und Bevölkerung …

Arbeitsmarkt und Bevölkerung in Baden-Württemberg sind von Mitte 2009 bis Mitte 2011 beschleunigt gewachsen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ließ zwar in der ersten Hälfte des Jahres 2010 die Beschäftigung noch sinken. Insbesondere 2011 war dann jedoch aufgrund der guten Konjunkturentwicklung ein deutlicher Wiederanstieg zu verzeichnen. Im Gesamtzeitraum 2009 bis 20113 nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer am Arbeitsort in Baden‑Württemberg um 3,4 % zu. Dies war ein stärkerer Zuwachs als 2005 bis 2007 (+2,4 %) und 2007 bis 2009 (+1,3 %). Gleichzeitig ließ die Zuwanderung nach Baden‑Württemberg vor allem aus dem europäischen Ausland die Einwohnerzahl 2011 kräftiger als in den Vorjahren steigen. Hiervon profitierten, wie seit 2005 generell, die Städte mehr als ihr Umland. Besonders hoch waren die Wanderungsgewinne zuletzt in den Verdichtungsräumen, in erster Linie in den Großstädten mit mindestens 100 000 Einwohnern.4

… schlägt sich in der Pendlerentwicklung nieder

Rund 5,2 Mill. Erwerbstätige am Wohnort bzw. 5,3 Mill. Erwerbstätige am Arbeitsort weist die Berufspendlerrechnung Baden‑Württemberg für 2011 nach.5 Davon pendeln 3 Mill. zur Arbeit zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde. Etwas mehr als 2 Mill. wohnen am Arbeitsort (Tabelle 1). Nicht in der Berufspendlerrechnung berücksichtigt sind rund 366 000 Erwerbstätige, bei denen Arbeits- und Wohnort in den ausgewerteten Datensätzen der Bundesagentur für Arbeit und der Personalstandstatistik ein tägliches Pendeln nicht plausibel erscheinen ließ.

Wie es die Einwohner- und Arbeitsmarktentwicklung erwarten ließ, ist auch die Zahl der Erwerbstätigen in der Berufspendlerrechnung zwischen 2009 und 2011 stärker angestiegen als in den vorausgegangenen 2‑Jahresperioden. Die Zunahme der Erwerbstätigen am Wohnort lag für den Zeitraum 2009 bis 2011 bei 3,3 %, die Zunahme der Erwerbstätigen am Arbeitsort bei 3,2 %. Dabei nahm wie bereits in den Vorjahren die Zahl der Pendler stärker zu als die Zahl der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten. Folglich sank der Anteil der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, weiter. Im Jahr 2011 arbeiteten noch 42,9 % der Erwerbstätigen in ihrer Wohngemeinde. 2 Jahre zuvor lag der Anteil bei 43,4 %. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich der seit Jahren zu beobachtende Trend der langsam aber stetig steigenden Mobilität der Erwerbstätigen weiter fortgesetzt hat.

Anstieg der Pendlermobilität doch abgeschwächt?

Ein grober Anhaltspunkt für die Länge der täglichen Arbeitswege ist die Luftlinienentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde. Die tatsächlich von den Erwerbstätigen zurückgelegte Wegstrecke kann je nach Topografie und gewähltem Verkehrsmittel das 1,3 bis 2,3‑fache der Luftlinienentfernung betragen. Trotz dieser Einschränkung, was die Aussagekraft über die absolute Weglänge angeht, ist die Veränderung der durchschnittlichen Luftlinienentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort ein guter Indikator für die Entwicklung der Mobilität der Erwerbstätigen. Auch dieser Indikator zeigte bis 2009 noch einen leicht steigenden Trend der Pendlermobilität. Für den Zeitraum 2009 bis 2011 ergibt sich jedoch, je nachdem ob die Ein- oder Auspendler betrachtet werden, ein Stopp oder zumindest eine Verlangsamung des Anstiegs der Pendlermobilität: Die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort der Einpendler6 stagnierte zwischen 2009 und 2011 bei 15,5 km Luftlinie. Die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort der Auspendler stieg geringfügig von 15,5 auf 15,6 km Luftlinie (Tabelle 2).

Unterschiedliches Wachstum in Stadt und Umland als Ursache?

Eine mögliche Ursache für den verlangsamten Anstieg der Mobilität könnte die Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsentwicklung in den Ballungsräumen sein. Dort, wo viele neue Stellen angeboten werden, ist die Chance größer, einen Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnorts zu finden. In diesem Fall müsste die Mobilitätsentwicklung regional unterschiedlich verlaufen.

Um dieser Frage weiter nachzugehen, werden die 1 101 Gemeinden des Landes folgenden vier Zentralitätstypen zugeordnet:

  • Kernstädte (Oberzentren mit mindestens 100 000 Einwohnern),
  • Umlandgemeinden der Kernstädte,
  • Sonstige Arbeitsmarktzentren (sonstige Oberzentren und Mittelzentren),
  • Umlandgemeinden der sonstigen Arbeitsmarktzentren.

Diese Typisierung lehnt sich an die im Landesentwicklungsplan 2002 Baden‑Württemberg (LEP) ausgewiesenen Ober- und Mittelzentren an. Diese haben laut LEP die Funktion, als Arbeitsmarktzentrum für ihre Verflechtungsbereiche vielfältige hochqualifizierte Arbeitsplätze zu bieten. In einem eigenen Typ »Kernstädte« werden für diese Untersuchung die neun großstädtischen Oberzentren des Landes mit mehr als 100 000 Einwohnern als Arbeitsmarktzentren mit besonderer Bedeutung hervorgehoben. Die übrigen Oberzentren werden mit den Mittelzentren zu 104 »sonstigen Arbeitsmarktzentren« zusammengefasst. Alle anderen Städte und Gemeinden sind Umlandgemeinden.

Arbeitsplatzentwicklung in den Zentren stärker als im Umland

Im Landesdurchschnitt nahm die Zahl der Arbeitsplätze bzw. der Erwerbstätigen am Arbeitsort von 2009 bis 2011 um 3,2 % zu. Die Wachstumsraten in den vier Zentralitätstypen wichen nur geringfügig davon ab. Die Bandbreite reichte von 2,9 % in den Kernstädten bis zu 3,4 % in den sonstigen Arbeitsmarktzentren. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Zahl der Arbeitsplätze in den Kernstädten und sonstigen Arbeitsmarktzentren im Vergleich zu den jeweiligen Umlandgemeinden stärker bzw. zumindest gleich stark wuchs. Dies widerspricht dem langjährigen Trend der Suburbanisierung von Arbeitsplätzen. Außerdem scheinen viele der in den Kernstädten neu entstandenen Arbeitsplätze und einige der schon bestehenden von den dort ansässigen Erwerbstätigen besetzt worden zu sein. Die Zahl der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, stieg in den Kernstädten von 2009 bis 2011 um durchschnittlich 3,1 % und damit sogar etwas stärker als die Zahl der Arbeitsplätze. Dies war 2009 bis 2011 in keinem anderen Gemeindetyp zu beobachten und trat auch in den vorausgegangen Berichtsjahren der ­Berufspendlerrechnung in keinem Gemeindetyp auf. Die Zahl der Einpendler in die Kernstädte nahm mit +2,8 % dagegen deutlich schwächer zu als die Zahl der Einpendler in andere Gemeindetypen (Schaubild 1).

Die Großstädte in Baden‑Württemberg gewannen 2009 bis 2011, wie eingangs erwähnt, durch Zuzüge besonders viele Einwohner. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung der Erwerbsbevölkerung wider. Die Zahl der Erwerbstätigen am Wohnort stieg in den Kernstädten mit durchschnittlich 4 % deutlich stärker als in den übrigen Gemeindetypen. Die ebenfalls überdurchschnittliche Zunahme der Auspendlerzahlen aus Kernstädten und aus sonstigen Arbeitsmarktzentren im gleichen Zeitraum relativiert sich aus zweierlei Gründen: Erstens nahm die Erwerbsbevölkerung in den Zentren jeweils stärker zu als im Umland und zweitens ist die absolute Zahl der Auspendler vor allem aus den Kernstädten relativ klein, so dass die hohe Zuwachsrate auch einen Basiseffekt beinhaltet.

Pendeldistanzen der Einpendler entwickeln sich unterschiedlich

Die durchschnittliche Luftlinienentfernung zwischen Arbeits- und Wohnort, die im Folgenden vereinfacht als Pendeldistanz bezeichnet wird, war für die Einpendler in Arbeitsorte in Baden‑Württemberg zwischen 2009 und 2011 erstmals nicht gestiegen. Die Differenzierung der Arbeitsorte nach Zentralitätstypen in Schaubild 2 zeigt, dass dies in erster Linie auf die Entwicklung in den Kernstädten und ihren Umlandgemeinden zurückzuführen ist. Die Pendeldistanz der Einpendler in Kernstädte betrug 2011 durchschnittlich 21 km. Gegenüber 2009 ist dies ein leichter Rückgang um 1 %. Seit 2005 waren hier bislang nur Anstiege zu verzeichnen gewesen. Auch die durchschnittliche Pendeldistanz der Einpendler in die Umlandgemeinden der Kernstädte sank erstmals leicht von 12,8 auf 12,7 km. Die Pendeldistanz der Einpendler in die sonstigen Arbeitsmarktzentren nahm von 2009 bis 2011 um 0,4 % auf 15 km zu und wuchs damit langsamer als in den Vorperioden. Allein die Pendeldistanz der Einpendler in die Umlandgemeinden der sonstigen Arbeitsmarktzentren stieg zwischen 2009 und 2011 mit 1,4 % unverändert weiter.

Die Pendeldistanz der Auspendler aus Wohnorten in Baden‑Württemberg war im Landesdurchschnitt zwischen 2009 und 2011 nur um 0,3 % und damit langsamer gestiegen als zwischen 2005 und 2009. Schaubild 2 zeigt, dass die Unterschiede in der Entwicklung der Auspendeldistanzen 2009 bis 2011 je nach Zentralitätstyp geringere Unterscheide aufweist als die Entwicklung der Einpendeldistanzen.

Fazit

Der Vergleich der Entwicklung der Erwerbstätigen- und Pendlerzahlen mit der Entwicklung der Pendeldistanzen in den vier Gemeindetypen liefert keine flächendeckende, eindeutige Erklärung für die regionalen Unterschiede in der Mobilitätsentwicklung. Die Interpretation der aktuellen Entwicklungen muss außerdem schon aufgrund der insgesamt kurzen verfügbaren Zeitreihe und der groben Einteilung der Gemeinden in nur vier Typen mit Zurückhaltung erfolgen. Sinnvoll wäre beispielsweise die zusätzliche Unterscheidung nach Verdichtungsgebieten, Randzonen und ländlichen Räumen. Unter diesem Vorbehalt steht das folgende Fazit:

Die Einpendeldistanzen und damit die Einzugsbereiche der Kernstädte haben sich 2009 bis 2011 leicht verringert. Gleichzeitig entwickelte sich hier die Zahl der Arbeitsplätze etwas stärker als im Umland. Auffällig ist außerdem der weit überdurchschnittliche Anstieg der Erwerbsbevölkerung und darunter der Erwerbstätigen, die am Wohnort arbeiten, in den Kernstädten. In den großen Städten könnte es tatsächlich aufgrund der erhöhten Wahrscheinlichkeit, den passenden Arbeitsplatz am Wohnort zu finden, zu einem Rückgang der Pendlermobilität gekommen sein. Allerdings könnte auch ein Strukturwandel des Arbeitsplatzangebots die Ursache sein, beispielsweise ein gestiegener Anteil niedrig bezahlter Stellen. Bezieher niedriger Einkommen pendeln im Durchschnitt über kürzere Entfernungen als Erwerbstätige mit hohen Einkommen. Dies lässt sich derzeit mangels verfügbarer Kreisdaten zum Arbeitnehmerentgelt 2011 noch nicht überprüfen. Frühestens die nächste Pendlerrechnung in 2 Jahren wird zeigen, ob sich eine Trendwende in der Mobilitätsentwicklung der Erwerbstätigen in Baden‑Württemberg abzeichnet.

1 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (Hrsg.): Verkehr in Zahlen 2011/2012.

2 Zum Stichtag 30. Juni.

3 Stichtag jeweils 30. Juni.

4 Weitere Details siehe Schmidt, Heike: Polarisierung im Wanderungsgeschehen, in: Statistisches Monatsheft 8/2013, S. 5–14.

5 Erwerbstätige am Wohnort + Einpendler - Auspendler = Erwerbstätige am Arbeitsort.

6 Einpendler = alle Pendler innerhalb Baden-Württembergs plus Einpendler über die Landesgrenze. Auspendler = alle Pendler innerhalb Baden-Württembergs plus Auspendler über die Landesgrenze.