:: 11/2013

Die Komponentenanalyse in der DRG‑Krankenhausstatistik

Die Krankenhäuser spielen eine große Rolle in der Gesundheitsversorgung. In Deutschland wurden im Jahr 2011 knapp 77 Mrd. für die Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern ausgegeben, das entspricht rund 27 % der gesamten laufenden Gesundheitsausgaben. In Baden‑Württemberg ist dieser Anteil mindestens genauso hoch. Bei gesamten Gesundheitsausgaben von rund 36 Mrd. Euro (einschließlich Investitionen) dürften deshalb die Gesundheitsausgaben, die im Land auf Krankenhäuser entfallen, bei knapp 10 Mrd. Euro liegen.

Mit einer Steigerungsrate von 37 % sind die Mittel, die in Deutschland an die Krankenhäuser fließen, über den Zeitraum von 2000 bis 2011 etwas schwächer gestiegen als die laufenden Gesundheitsausgaben insgesamt. Seit 2009 liegen die prozentualen Zunahmen jedoch Jahr für Jahr über der Erhöhung der laufenden Ausgaben. Zu dieser Dynamik könnte der Übergang zur Vergütung der Krankenhausleistungen durch diagnosebezogene Fallpauschalen beigetragen haben. Die Zerlegung der Gesamtentwicklung des stationären Leistungsgeschehens in einzelne Komponenten, die auf der Grundlage der fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik vorgenommen werden kann, gibt erste Hinweise auf die Effekte, die zur Steigerung der gesamten Leistungsvergütungen und damit zur Ausgabenerhöhung geführt haben. Im Folgenden werden die Grundzüge dieses als »Komponentenzerlegung« bezeichneten Verfahrens dargestellt.

Die Vergütung der Krankenhausleistungen durch Fallpauschalen

Im Jahr 2003 wurde die Finanzierung der Leistungen in somatischen Krankenhäusern in Deutschland vom System der tagesgleichen Pflegesätze auf ein System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs, »Diagnosis Related Groups«) umgestellt. Ziele der Einführung waren die Begrenzung der Kostensteigerungen im Krankenhaussektor, die Vereinheitlichung der Leistungsvergütung, die (weitere) Reduzierung der Verweildauer und die Herstellung von Leistungstransparenz in den Krankenhäusern. Die Implementierung des G‑DRG‑Systems (German‑DRGs) dauerte insgesamt 7 Jahre. Seit 2010 müssen alle Krankenhäuser in Deutschland ihre Leistungen nach dem G‑DRG‑System abrechnen.1

Die Erlöse, die von einem Krankenhaus erzielt werden können, entsprechen dabei im Wesentlichen der Summe der Fallpauschalen für die in einem Jahr behandelten Fälle.2 Rechnerisch ergeben sich die Erlöse im G‑DRG‑System als Produkt aus der Leistungsmenge und einem Preisfaktor. Der Preisfaktor entspricht dem (bislang noch) länderspezifischen »Landesbasisfallwert«, der den Wert einer Mengeneinheit in Geldeinheiten beziffert. Für Baden‑Württemberg beträgt der Landesbasisfallwert im Jahr 2013 rund 3 114 Euro und liegt damit um rund 50 Euro über dem Durchschnittswert für den Bund. Die Leistungsmenge eines Krankenhauses wird durch eine Punktesumme gemessen, die als »Casemix« (CM)3 bezeichnet wird. Der Casemix ist die Summe der Punkte, die durch Leistungen für die Behandlungsfälle eines Jahres erworben wurden. Die Punktezahl für den einzelnen Behandlungsfall ist die effektive Bewertungsrelation (BR) und ergibt sich zum einen aus den Merkmalen (Diagnosen, Behandlungsverfahren, Eigenschaften des Patienten) des Falls und zum anderen aus dem Behandlungsverlauf im Krankenhaus. Unterschreitet beispielsweise die tatsächliche Behandlungsdauer die Untergrenze der üblichen Behandlungsdauer, dann führt dies zu Abschlägen bei der Punktezahl (und damit bei dem Vergütungsbetrag). Die Überschreitung einer Obergrenze hat dagegen Zuschläge zur Folge. Durch die Abschläge soll einem verminderten Behandlungsaufwand, durch die Zuschläge einem zusätzlichen Behandlungsaufwand, der dem Krankenhaus durch die kürzere bzw. längere Behandlungsdauer entsteht, Rechnung getragen werden.

Das G‑DRG‑System

Die noch nicht durch Zuschläge oder Abschläge modifizierten Bewertungsrelationen (auch als Relativgewichte bezeichnet), die Untergrenzen und Obergrenzen der durchschnittlichen Behandlungsdauern sowie die damit verbundenen tagesbezogenen Punktabschläge und -zuschläge werden jedes Jahr im Rahmen des G‑DRG-Systems neu festgelegt. Das G‑DRG‑System ist nichts anderes als ein Patientenklassifikationssystem. Der Fallpauschalen-Katalog 2013 umfasst annähernd 1 200 abrechenbare diagnosebezogene Fallgruppen (DRGs) (Übersicht 1). Unterscheiden sich die Fallgruppen lediglich durch den Schweregrad, dann werden sie auf einer übergeordneten Stufe zu einer einzigen Basis‑Fallgruppe (ADRG, adjacent DRG, »adjacent«: benachbart) zusammengefasst. Eine Basis‑Fallgruppe beinhaltet damit alle DRGs mit der gleichen, die Behandlung veranlassenden Diagnose. Bei einer großen Zahl der insgesamt rund 550 Basis-Fallgruppen wird jedoch keine Unterscheidung nach Schweregraden vorgenommen. In diesen Fällen entspricht die ADRG der im Hinblick auf die Vergütung relevanten DRG.

Die oberste Stufe des hierarchisch aufgebauten G-DRG-Systems bilden 23 Hauptdiagnosegruppen (MDC, Major Diagnostic Category), die sich an den Kapiteln der »Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« (ICD 10) orientieren. Sie werden durch eine sogenannte Prä‑MDC und eine Fehler‑MDC ergänzt. Erstere umfasst Fallgruppen mit besonders hohen Bewertungsrelationen wie beispielsweise Transplantationen und Beatmungen, letzterer werden Fälle mit widersprüchlichen Merkmalszuordnungen zugeschlagen.

Als weitere Hierarchiestufe, die zwischen den Hauptdiagnosegruppen und den Basisdiagnosegruppen angesiedelt ist, fungieren die sogenannten »Partitionen«, die auf einer Kategorisierung der zur Anwendung kommenden Behandlungsverfahren beruhen. Jede Hauptdiagnosegruppe kann in bis zu drei Partitionen untergliedert werden. Dabei wird zwischen der »operativen« Partition, der »medizinischen« Partition sowie der »anderen« Partition unterschieden. Die operative Partition umfasst alle Basisdiagnosegruppen einer MDC, bei denen ein operativer Eingriff vorgenommen wird. Der »anderen« Partition werden dagegen ADRGs mit nichtoperativen Eingriffen (beispielsweise Darmspiegelungen) zugeordnet, während die medizinische Partition aus ADRGs mit nichtinvasiven Behandlungsverfahren besteht. Der Fallpauschalen-Katalog 2013 weist insgesamt über 70 einzelne, das heißt MDC-bezogene Partitionen aus.

Das Konzept der Komponentenzerlegung am Beispiel der Casemix-Entwicklung

Die im Rahmen des G-DRG-Systems anfallenden Abrechnungsdaten werden vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK, www.g-drg.de) und vom Statistischen Bundesamt aufbereitet und veröffentlicht (Fachserie 12, Reihe 6.4). Die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik bildet das G‑DRG‑System in großer Tiefe ab. Aus gesundheitsökonomischer Sicht sind insbesondere die aufwandsbezogenen Kennzahlen und deren Entwicklung von Bedeutung. Im Mittelpunkt stehen der Casemix, dessen Höhe unmittelbar die Ausgaben für die in den Krankenhäusern erbrachten Gesundheitsleistungen bestimmt, sowie die durchschnittliche Zahl der Casemix‑Punkte je Behandlungsfall, der sogenannte Casemix‑Index (CMI). Dieser ist ein Maß für den durchschnittlichen Behandlungsaufwand je Fall und ist für die Gesamtzahl der Fälle, aber auch für einzelne Fallgruppen wie beispielsweise einzelne MDCs berechenbar.

Die Veränderung dieser Kennzahlen kann durch sogenannte Wachstumsziffern beschrieben werden. Diese entsprechen dem Quotienten aus dem Wert für ein Berichtsjahr und dem Wert für ein Basisjahr.

Die Wachstumsziffern für den Casemix, den Casemix‑Index und die Fallzahl ergeben sich als:

ICM = CM(Berichtsjahr) ∕ CM(Basisjahr)

ICMI = CMI(Berichtsjahr) ∕ CMI(Basisjahr)

IFZ = Fallzahl(Berichtsjahr) ∕ Fallzahl(Basisjahr)

Ein Indexwert größer als 1 gibt eine Zunahme, ein Indexwert kleiner als 1 eine Abnahme der Kennzahl im Berichtsjahr gegenüber dem Basisjahr wieder.

Da es sich beim (umfassenden) Casemix‑Index um den Quotienten aus Casemix und der gesamten Fallzahl handelt, lässt sich die Wachstumsziffer des Casemix auch als Produkt der Wachstumsziffern von Fallzahl und Casemix‑Index darstellen:

ICM = IFZ × ICMI

Eine Zunahme des Casemix lässt sich damit rechnerisch auf zwei Faktoren zurückführen: die Zunahme der Fallzahl und/oder die Zunahme der durchschnittlichen Casemix‑Punktezahl je Fall. Bereits auf dieser hochaggregierten Ebene kann damit eine Zerlegung der Casemix‑Veränderung in einzelne Komponenten vorgenommen werden. Aber auch die Veränderung des Casemix‑Index lässt sich weiter aufgliedern, und zwar in einen Index, der die Entwicklung der DRG-spezifischen (effektiven) Bewertungsrelationen wiedergibt (IBR), und in die sogenannte Strukturkomponente (IS).

Für die Wachstumsziffer des Casemix folgt daraus:

ICM = IFZ × IBR × IS

Damit lassen sich bereits drei Komponenten der Veränderung des Casemix identifizieren.4

Die Zusammensetzung der Strukturkomponente

Die Strukturkomponente bildet die Grundlage für die weitere Komponentenzerlegung entlang der hierarchischen Struktur des G-DRG-Systems. Sie beschreibt die Veränderung des Casemix, die sich ausschließlich aus der Verschiebung der Leistungsstruktur ergibt. Dabei ist unter der Leistungsstruktur die Zusammensetzung der gesamten Fallzahl nach DRGs zu verstehen.

Nimmt man beispielsweise an, dass es zu einer »Verlagerung« von Behandlungsfällen von einer niedriger bewerteten DRG zu einer höher bewerteten DRG kommt und die Fallzahlen der übrigen DRGs sowie die Gesamtzahl der Behandlungsfälle unverändert bleiben, dann ergibt sich daraus eine Zunahme des Casemix aufgrund des Struktureffekts. Bei einer Leistungsverlagerung hin zu einer niedriger bewerteten DRG kommt es dagegen zu einem negativen Struktureffekt. In der Realität wird natürlich immer ausschlaggebend sein, ob es per Saldo zu einer Verlagerung zu »teureren« oder zu »günstigeren« Fallgruppen kommt. Wichtig ist jedoch, dass der Struktureffekt rechnerisch bereinigt wurde um den Effekt, der von einer Veränderung der Gesamtzahl der Fälle ausgeht.

Struktureffekte durch die Verlagerung von Behandlungsfällen in andere DRGs können eine Vielzahl von Ursachen haben. Der Aufbau des G‑DRG‑Systems bewirkt jedoch zwingend, dass es sich bei diesen Verlagerungen entweder um Verschiebungen zwischen DRGs innerhalb einer Basisfallgruppe oder um Leistungsverlagerungen zwischen DRGs unterschiedlicher ADRGs, unterschiedlicher Partitionen oder unterschiedlicher MDCs handelt. Je nachdem, auf welcher Stufe des G‑DRG‑Systems der Struktureffekt angesiedelt ist, lassen sich andere Rückschlüsse auf die Ursachen der Leistungsverlagerungen ziehen.

Um die Stärke des Struktureffekts auf den einzelnen Stufen bestimmen zu können, muss die globale Strukturkomponente zerlegt werden. Grundlegend für das Vorgehen dabei ist, dass auf jeder Ebene des G-DRG-Systems eine Komponente bestimmt wird, die den Casemixeffekt der Verlagerung von Behandlungsfällen zwischen den einzelnen Einheiten dieser Ebene beschreibt. Es wird also eine Inter-MDC-Komponente, eine Inter‑Partition-Komponente, eine Inter‑ADRG‑Komponente und eine Inter‑DRG‑Komponente berechnet. Als Komplement zu diesen Inter‑Komponenten lässt sich außerdem auf jeder Ebene, außer auf der niedrigsten Stufe zwischen DRGs, eine »Intra-Komponente« bestimmen, die die Casemix‑Effekte von Leistungsverschiebungen innerhalb der Einheiten der jeweiligen Ebene beschreibt.

In der Regel werden lediglich folgende Komponenten dargestellt:

  • Intra‑ADRG‑Komponente
  • Intra‑Partition‑Komponente
  • Inter‑Partition‑Komponente
  • Inter‑MDC‑Komponente

Die drei zuletzt genannten Komponenten zusammen entsprechen der Inter‑ADGR‑Komponente. Der kombinierte Effekt von Intra‑ADRG‑Komponente und Inter-ADRG-Komponente ist wiederum äquivalent zum Casemix‑Effekt der Strukturkomponente, die auf globaler Ebene bestimmt wurde (Übersicht 2).

Ergebnisse: Fallzahlentwicklung und Leistungsverlagerungen tragen maßgeblich zur Erhöhung der Krankenhausleistungen bei

Für die baden-württembergischen Krankenhäuser liegt bislang noch keine Komponentenzerlegung des Casemix vor. Deshalb sollen im Folgenden die Ergebnisse einer für den Casemix von 1 146 deutschen Krankenhäusern vorgenommenen Komponentenzerlegung dargestellt werden.5 Betrachtet wird die Veränderung von 2010 auf 2011, wobei für beide Jahre der sogenannte »vereinbarte« Casemix herangezogen wird. Dabei handelt es sich um die Leistungsmenge, die alljährlich im Rahmen der Budgetplanung zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen vereinbart wird. Die tatsächlich abgerechneten Casemix‑Werte weichen zwar von den vereinbarten Werten ab, trotzdem ist die Analyse der vereinbarten Casemix‑Werte aufschlussreich, denn die Krankenhäuser reagieren mit ihren Leistungen nicht nur auf eine quasi exogen vorgegebene Nachfrage. Sie können vielmehr bis zu einem gewissen Grad Art und Umfang der erbrachten Leistungen selbst steuern. Die strategische Ausrichtung der Krankenhäuser und die Anreizwirkungen des G‑DRG‑Systems treten dadurch möglicherweise bei den vereinbarten Casemix-Summen deutlicher zu Tage als bei den tatsächlich abgerechneten Werten.

Die Zunahme der vereinbarten Casemix‑Summe im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr beträgt 2,6 % und liegt damit über der vom Statistischen Bundesamt ausgewiesenen Steigerung des tatsächlich abgerechneten Casemix in Deutschland in Höhe von 1,6 % (Tabelle).6 Der größte Teil der Zunahme des vereinbarten Casemix lässt sich auf die Erhöhung der Fallzahlen zurückführen. Die vereinbarte Zahl der Behandlungsfälle steigt um 1,9 % und bewirkt eine Zunahme der vereinbarten Leistungsmenge in gleichem Umfang. Die Erhöhung der mittleren Fallschwere, also des Casemix‑Index, führt demgegenüber lediglich zu einer Steigerung des Leistungsvolumens um 0,7 % (Übersicht 3).

Die Zunahme des Casemix‑Index (CMI) fällt aber auch deshalb so gering aus, weil die effektiven Bewertungsrelationen, die für die einzelnen DRGs abgerechnet werden, sinken. In dem Rückgang der effektiven Bewertungsrelationen (BR) um 0,4 % dürfte implizit zum Ausdruck kommen, dass von einer weiteren Verkürzung der mittleren Verweildauer ausgegangen wird.

Zwar ist auch die CMI‑Komponente eine Art Strukturkomponente, denn sie beschreibt die Veränderung des Casemix, bereinigt um den Effekt der Fallzahlveränderung. Zur Strukturkomponente im eigentlichen Sinn gelangt man aber über die Bereinigung der CMI‑Komponente um die BR‑Komponente. Nach der Neutralisierung des BR‑Effekts zeigt sich, dass Verschiebungen in der Leistungsstruktur den Casemix um 1,1 % steigen lassen. Der durch die vereinbarten Leistungsmengen implizierte Struktureffekt trägt damit spürbar zur Erhöhung des Casemix bei.

Bemerkenswerterweise ist jedoch nur rund ein Viertel des Struktureffekts bei der vereinbarten Casemix-Entwicklung auf die vermehrte Eingruppierung von Behandlungsfällen in höhere Schweregrade (DRGs) einer Basis‑Diagnosegruppe zurückzuführen. Dieser Effekt wird durch die Intra‑ADRG‑Komponente abgebildet und beträgt lediglich 0,3 %. Allerdings wird üblicherweise davon ausgegangen, dass die Intra-ADRG-Komponente durch das Kodierverhalten in den Krankenhäusern maßgeblich bestimmt wird, sodass die tatsächliche Intra‑ADRG‑Komponente über diesem hypothetischen Wert gelegen haben dürfte.

Verlagerungen zwischen den A‑DRGs, die Partitionsgrenzen überschreiten (Inter‑Partition‑Komponente) oder die zwischen einzelnen MDCs stattfinden (Inter‑MDC‑Komponente), spielen mit einem Casemixeffekt von jeweils 0,2 % ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Am stärksten ins Gewicht fallen Leistungsverschiebungen zwischen den Basisfallgruppen innerhalb der einzelnen Partitionen. Dieser Struktureffekt wird durch die Intra-Partition‑Komponente abgebildet und lässt die vereinbarte Casemix‑Summe um 0,5 % steigen.

Deutliche Verlagerung hin zu höherwertigen Leistungen bei Krankheiten des Kreislaufsystems

Die vom Wissenschaftlichen Institut der AOK vorgenommene Komponentenzerlegung zeigt, dass die Erhöhung der vereinbarten Casemix‑Summe in erster Linie auf die Zunahme der Fallzahlen und, im Rahmen der Leistungsverlagerung, auf Verschiebungen zwischen den Basis-Diagnosegruppen innerhalb der Partitionen zurückzuführen ist. Die (globale) Intra‑Partition-Komponente stellt dabei einen Mittelwert über alle Struktureffekte dar, die durch Leistungsverschiebungen innerhalb der einzelnen Partitionen bewirkt werden. Nachdem durch die globale Analyse festgestellt wurde, auf welcher Stufe des G‑DRG‑Systems der Struktureffekt am stärksten wirkt, können deshalb innerhalb dieser Stufe die Einheiten bestimmt werden, die am meisten zur Intra-Partition-Komponente beitragen.

Im Krankenhaus-Report 2013 wird die operative Partition der MDC 5 (Krankheiten und Störungen des Kreislaufsystems) als eine der Partitionen identifiziert, bei der die Intra‑Partition‑Komponente am höchsten ausfällt. Sie erreicht einen Wert von 1,4 % und trägt damit zu rund einem Fünftel zum gesamten Casemix‑Anstieg in der Partition in Höhe von 6,1 % bei. Über die Veränderung der Fallzahl werden die Basis-Diagnosegruppen mit den stärksten Beiträgen zur Intra‑Partition-Komponente ermittelt. Die größte Steigerung der vereinbarten Fallzahlen findet in den ADRGs F98, F51, F02 und F19 statt. Die drei erstgenannten Basis-Diagnosegruppen weisen dabei einen überdurchschnittlichen Casemix‑Index auf. In ihnen werden Behandlungsfälle erfasst, bei denen Herzklappen oder Stents, also Gefäßstützen, implantiert werden oder bei denen ein Aggregatwechsel an implantieren Defibrillatoren vorgenommen wird.

Das G-DRG-System dürfte generell die Fallzahlen steigen lassen

Die Stärke eines deskriptiven statistischen Verfahrens, wie es die Komponentenzerlegung darstellt, liegt darin, dass sich die Analyse der Entwicklung des gesamten Casemix bruchlos mit der Einzelfallanalyse, wie hier der Untersuchung einer einzelnen Partition, kombinieren lässt. Auch die globale Fallzahlenkomponente kann in Fallzahlenveränderungen der einzelnen Einheiten des G‑DRG‑Systems zerlegt werden.

Gerade auf der Suche nach den Ursachen des Fallzahlenanstiegs, der ja eine noch größere Bedeutung für die Zunahme des Casemix hat als der Struktureffekt, stößt diese deskriptive Vorgehensweise aber an Grenzen. Eine Leistungsverlagerung ist auf einzelne Anreize zurückzuführen, die durch Unterschiede bei den DRG-spezifischen Bewertungsrelationen entstehen. Der Fallzahlenzunahme in einer DRG steht dann die Fallzahlenabnahme in einer anderen DRG gegenüber. Die generelle Zunahme der Fallzahl lässt sich durch solche relativen Bewertungsunterschiede jedoch nicht erklären. Ihre Ursachen liegen entweder außerhalb des G‑DRG‑Systems oder sie wirken, wenn sie systemimmanent sind, über alle Fallgruppen hinweg mehr oder weniger in die gleiche Richtung.

In beiden Fällen müssen inferenzstatistische Analyseverfahren angewendet werden. Dabei wird untersucht, ob die über alle Untersuchungseinheiten hinweg zu beobachtenden Effekte einzelner Einflussgrößen signifikant von Zufallseffekten verschieden sind. So wurden zur Untersuchung des Einflusses von krankenhausspezifischen Strukturmerkmalen auf die Fallzahlenentwicklung Variablen zur geographischen Lage, Trägerschaft, Einrichtungsgröße, Kostenstruktur, Wirtschaftlichkeit und Spezialisierung sowie zur regionalen Wettbewerbssituation des Krankenhauses herangezogen.7 Allerdings konnte für die Jahre 2008 bis 2010 kein signifikanter Einfluss dieser Variablen auf die Entwicklung der vereinbarten Fallzahlen festgestellt werden. Dieses Ergebnis ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass es doch ein systematischer Effekt des G‑DRG‑Systems ist, der zur Erhöhung der Fallzahlen beiträgt. Für die Jahre 2008 bis 2010 lässt sich ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Landesbasisfallwert und der (realisierten) Zahl der Behandlungsfälle nachweisen.8 Anders als bei der Strukturkomponente, die auf relative Unterschiede bei den DRG‑spezifischen Bewertungsrelationen zurückzuführen ist, stellt für diesen systematischen Effekt des G‑DRG‑Systems auf die Fallzahl der Landesbasisfallwert der relevante »Preis« dar. Der positive Zusammenhang dürfte darauf beruhen, dass durch die Fallpauschalen im G‑DRG‑System eine Vollkostendeckung erreicht werden soll. Die Fallpauschale liegt damit häufig über den tatsächlichen Kosten, die mit der Behandlung eines zusätzlichen Falles verbunden sind. Dadurch entsteht ein Anreiz zur Erhöhung der Fallzahlen.

Fazit

Die vom Wissenschaftlichen Institut der AOK für Deutschland durchgeführte Zerlegung der zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen vereinbarten Casemix‑Entwicklung gibt einen Hinweis darauf, wie groß die Bedeutung der Leistungsverlagerung zwischen den Kategorien des Fallpauschalensystems für die Erhöhung der Casemix‑Summe bei den deutschen Krankenhäusern ist. Schließlich lässt sich durch den Struktureffekt fast die Hälfte der Zunahme der vereinbarten Casemix‑Summe vom Jahr 2010 auf das Jahr 2011 erklären. Darüber hinaus lässt sich mit Hilfe der Komponentenzerlegung bestimmen, auf welcher Ebene des hierarchischen G‑DRG‑Systems die größten Leistungsverlagerungen stattgefunden haben. Bemerkenswert ist, dass der Verlagerung in Fallgruppen (DRGs) mit höherem Schweregrad (und damit höherer Vergütung) aber gleichem Behandlungsanlass eine vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt. Wichtiger ist die Leistungsverschiebung hin zu Diagnosegruppen (ADRGs) innerhalb einer Partition mit einem höher bewerteten Behandlungsanlass. Diese Entwicklung wird maßgeblich durch den medizinisch‑technischen Fortschritt unterstützt, der den Einsatz immer komplexerer Diagnose- und Behandlungsmethoden möglich macht.

1 Nicht davon betroffen sind bislang Krankenhäuser im Straf- oder Maßregelvollzug, Polizeikrankenhäuser, Krankenhäuser in Trägerschaft der allgemeinen Rentenversicherung oder gesetzlichen Unfallversicherung sowie Krankenhäuser, die nicht durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz gefördert werden (wie zum Beispiel Rehakliniken). Psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen sind ab 2015 dazu verpflichtet, über Fallpauschalen abzurechnen. Seit 2013 kann dies optional erfolgen.

2 In Deutschland betrug der Anteil des DRG‑Budgets an dem Gesamtbudget der Krankenhäuser rund 96 %. Darin enthalten sind sogenannte Zusatzentgelte für Sonderleistungen, die allerdings nur knapp 3 % des Gesamtbudgets ausmachten. Vergleiche: Mostert, Carina/Leclerque, Gregor/Friedrich, Jörg: Eckdaten der Leistungsentwicklung im Krankenhausmarkt 2011, in: Klauber, Jürgen/Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/ Wasem, Jürgen (Hrsg.): Krankenhaus‑Report 2013, Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen? Stuttgart, 2013, S. 22.

3 Der Begriff wird in der Regel nicht übersetzt. Da es sich um eine Punktesumme handelt, dürfte die Übersetzung als »Fallmenge« in Abgrenzung zur »Fallzahl« am sinnvollsten sein.

4 Bei IBR und IS handelt es sich nicht um einfache Wachstumsziffern sondern um Indizes, bei denen eine strikte Trennung zwischen einer Mengenentwicklung (hier Behandlungsfälle) und einer »Preis« Entwicklung (hier effektive Bewertungsrelationen) vorgenommen wird. Das gilt auch für die weiteren Komponenten, die im Rahmen der Zerlegung der Strukturkomponente ermittelt werden. Vergleiche: Friedrich, Jörg/Günster, Christian: Determinanten der Casemixentwicklung in Deutschland während der Einführung von DRGs (2002 bis 2004), S. 163. in : Klauber Jürgen/Robra, Bernt‑Peter/Schellschmidt Henner (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2005, Stuttgart, S. 153–204.

5 Mostert, Carina/Leclerque, Gregor/Friedrich, Jörg: Eckdaten der Leistungsentwicklung im Krankenhausmarkt 2011, in: Klauber, Jürgen/ Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/ Wasem, Jürgen (Hrsg.): Krankenhaus‑Report 2013, Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen? Stuttgart, 2013, S. 21–47.

6 Bei den vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Werten handelt es sich um unbereinigte Werte, die Daten des Wido‑Instituts (Wissenschaftliches Institut der AOK) sind altersstandardisiert und um den sogenannten Katalogeffekt bereinigt. Dieser entsteht durch die Aufnahme oder Streichung von DRGs bei der jährlichen Festlegung des neuen Fallpauschalenkatalogs.

7 Lüngen, Markus/ Büscher, Guido: Mengensteigerungen in der stationären Versorgung: Wo liegt die Ursache? In: Klauber, Jürgen/ Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/ Wasem, Jürgen (Hrsg.): Krankenhaus‑Report 2013, Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen?, Stuttgart, 2013, S. 83–94.

8 Felder, Stefan/Mennicken, Roman/Meyer, Stefan: Die Mengenentwicklung in der stationären Versorgung und Erklärungsansätze, in: Klauber, Jürgen/Geraedts, Max/Friedrich, Jörg/ Wasem, Jürgen (Hrsg.): Krankenhaus‑Report 2013, Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen?, Stuttgart, 2013, S. 95–109.