:: 2/2014

Pflegebedürftigkeit – Migration – Kultursensible Pflege

Wissenschaftliche Aspekte zu den Herausforderungen des sozialen und demografischen Wandels

Der demografische Wandel hat vielfältige Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Gesellschaft in Deutschland und Baden-Württemberg. Die Entwicklung der Bevölkerung, deren Alters- sowie Sozialstruktur werden durch demografische und soziale Veränderungen beeinflusst. Der sozio-demografische Wandel lässt sich mit drei wesentlichen Trends beschreiben: Wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter bzw. vielfältiger. Mit den demografischen Veränderungen wird die pflegerische Versorgung zu einer wesentlichen Herausforderung für Gesellschaft, Familien und Arbeitsmarkt. Neben der allgemeinen Zunahme pflegebedürftiger Menschen wird eine Herausforderung darin bestehen, bedarfsgerechte Angebote für unterschiedliche sozio-kulturelle Bevölkerungsgruppen zu schaffen und kultursensible Pflegeangebote verstärkt zu fokussieren. Kultursensible Pflege zielt darauf ab, »den Menschen anderer Kultur bei der Begegnung in Pflegesituationen zu verstehen und dieses Verstehen in Pflegehandlungen wirksam werden zu lassen«.1 Dabei spielt insbesondere die Beachtung religiöser und kultureller Traditionen und Verhaltensweisen eine relevante Rolle.

Bevölkerungs- und Altersstrukturentwicklung: Wir werden weniger und älter

In den vergangenen Jahren ist in Baden-Württemberg – anders als in einigen anderen (insbesondere ostdeutschen) Ländern der Bundesrepublik – noch ein Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen gewesen. Allerdings ist trotz positiver Wanderungsprognose davon auszugehen, dass die Bevölkerung in Baden-Württemberg (gegenüber dem Berechnungsjahr 2008) bis 2030 um −3,5 % abnehmen wird.2 Der Rückgang der Bevölkerung wird in den einzelnen Regionen sowie Städten und Landkreisen voraussichtlich sehr unterschiedlich ausfallen. Während zum Beispiel im Landkreis Heidenheim ein Bevölkerungsrückgang von −8,8 % und in Mannheim um −5,3 % erwartet wird, sind für Baden-Baden (1,8 %) und Ulm (0,3 %) auf Basis der Wanderungsbewegungen der vergangenen Jahre noch leichte Bevölkerungszuwächse zu erwarten.

Durch den Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung und die weitestgehend konstant niedrige Geburtenziffer wird die Bevölkerung weiter altern. Während Baden-Württembergs Einwohner/-innen 2001 im Durchschnitt noch 40,4 Jahre und 2011 bereits 43 Jahre alt waren, wird sich das Durchschnittsalter bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 3,6 Jahre auf 46,6 Jahre erhöhen. Dann wird die Bevölkerung beispielsweise des Stadtkreises Baden-Baden den Vorausberechnungen zufolge im Durchschnitt 47,8 Jahre alt sein. Während die Bevölkerung im Landkreis Heilbronn 2001 noch ein Durchschnittsalter von 39,1 Jahren aufwies, betrug dieses 2011 bereits 42,4 Jahre und wird 2030 voraussichtlich bei 47 Jahren liegen.

In Baden-Württemberg wird der Anteil der unter 20-Jährigen an der Bevölkerung aus heutiger Sicht bis zum Jahr 2030 um 19 % abnehmen, während der Anteil der 60- bis 85-Jährigen um knapp 31 % und der Anteil der Hochbetagten (ab 85 Jahren) um etwa 85 % zunehmen wird. Die Altersstruktur der Bevölkerung wird sich also zunehmend zugunsten der älteren Jahrgänge verschieben.

Veränderungen der Sozialstruktur und Bevölkerung mit Migrationshintergrund: Wir werden vielfältiger

Seit Mitte der 1980er-Jahre sind in Baden-Württemberg jährlich mehr Zuzüge als Fortzüge und somit positive Wanderungssalden zu verzeichnen. Ein großer Teil der aus dem Ausland zugezogenen Personen kam aus Europa bzw. Mitgliedsländern der Europäischen Union nach Baden-Württemberg. Am 9. Mai 2011 – dem Stichtag des Zensus 2011 – hatte jede/r vierte Einwohner/-in (gut 2,6 von 10,5 Mill. Einwohner/-innen) Baden-Württembergs einen Migrationshintergrund, war also entweder nicht-deutsche/r Staatsbürger/-in, wanderte nach 1955 zu oder hatte mindestens ein nach 1955 zugewandertes Elternteil.3 Die regionale Verteilung der Bevölkerung nach Migrationshintergrund schwankt – durchaus abweichend vom Unterscheidungsmerkmal urbaner und ländlicher Gebiete – innerhalb Baden-Württembergs recht stark. So lag der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zum Erhebungszeitpunkt zum Beispiel in Ulm bei knapp 33 %, in Pforzheim bei ca. 47 %, in Stuttgart bei fast 39 %, im Landkreis Tuttlingen bei nahezu 31 % und dagegen im Landkreis Emmendingen bei etwa 15 %.

Die Altersstruktur der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg unter­scheidet sich deutlich von jener ohne Migrationshintergrund. Während zum Zensusstichtag fast 23 % der Personen mit Migrationshintergrund minderjährig waren, traf dies auf lediglich rund 16 % der Personen ohne Migrationshintergrund zu. Hingegen waren gerade einmal knapp 10 % der Personen mit Migrationshintergrund 65 Jahre und älter, während gut 22 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund dieser Altersgruppe zuzuordnen waren.

Die große Mehrheit der Männer (79 %) und Frauen (78 %) mit Migrationshintergrund lebt bereits seit 10 oder mehr Jahren in der Bundesrepublik. Fast jede zweite Person mit Migrationshintergrund lebt sogar seit mindestens 20 Jahren in Deutschland. Die größte Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund hat türkischstämmige Wurzeln (knapp 18 %), gefolgt von Zuwanderer/-innen bzw. deren Nachkommen aus Italien, Kasachstan (jeweils 9 %), der Russischen Föderation sowie Polen (jeweils 8 %) und Rumänien (7 %). Weiterhin zählen Kroatien (4 %), Griechenland (3 %), Österreich und Frankreich (jeweils 2 %) zu den zehn häufigsten Herkunftsländern von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg.

Die meisten Baden-Württemberger/-innen gehören einer Religion oder Glaubensgemeinschaft an: knapp 38 % sind römisch-katholisch und 34 % evangelisch. Weiterhin sind 8 % Mitglied der Evangelischen Freikirche oder der Orthodoxen Kirche. Zudem sind 5 % der Landesbevölkerung muslimischen Glaubens und 15 % der Einwohner/-innen gehören einer sonstigen oder keiner Glaubensgemeinschaft an. In Anbetracht dieser Befunde wird »mit einer wachsenden ethnischen und kulturellen Differenzierung des Alters gerechnet«.4

Pflegebedürftigkeit und pflegerische Versorgung in Baden-Württemberg

Nach der Definition des Pflegeversicherungsgesetzes waren im Dezember 2011 fast 278 300 Personen in Baden-Württemberg pflegebedürftig.5 Die Pflegequote, also der Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung, lag 2011 in Baden-Württemberg bei 2,6 % und hat damit gegenüber 2009 (2,3 %) sichtbar zugenommen. Im bundesweiten Ländervergleich wies Baden-Württemberg die niedrigste Pflegequote auf. Während insgesamt 3,1 % der Bevölkerung in Deutschland pflegebedürftig waren, lag der Anteil in Mecklenburg-Vorpommern mit 4,1 % am höchsten.

Mit 68 % wurde der Großteil der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg 2011 zu Hause versorgt, und hier insbesondere durch Angehörige (rund 70 %) und zu knapp einem Drittel durch ambulante Pflegedienste (30 %). Die übrigen 32 % der Pflegebedürftigen wurden vollstationär in Pflegeheimen betreut. In den städtischen Gebieten Baden-Württembergs fällt der Anteil der vollstationär versorgten Pflegebedürftigen (36 %) höher aus als in ländlichen Regionen (31 %), wo die häusliche Versorgung ohne professionelle Dienste (49 %) weiter verbreitet ist als in den Städten (44 %).

Mit zwei Dritteln war die Mehrheit der Pflegebedürftigen 2011 in Baden-Württemberg weiblich und gut jede/r dritte Pflegebedürftige war 75 Jahre oder älter. Die Pflegequote steigt mit zunehmendem Lebensalter deutlich an. Unter den Personen zwischen 75 und 79 Jahren waren bereits knapp 8 % pflegebedürftig, in der Altersgruppe der 85- bis 89-Jährigen lag die Pflegequote bei 33 % und in der Bevölkerung ab 90 Jahren war jede/r Zweite von Pflegebedürftigkeit betroffen.

Zunehmende Pflegebedürftigkeit – steigender Bedarf an professioneller Pflegeversorgung

Während im Jahr 2009 der Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung Baden-Württembergs noch 2,3 % betrug und bis 2011 bereits auf 2,6 % gestiegen ist, wird prognostiziert, dass dieser Anteil bis zum Jahr 2030 weiter auf 3,4 % ansteigen wird.6 Den Vorausberechnungen zufolge werden 2030 rund 352 000 Pflegebedürftige in Baden-Württemberg leben – dies entspricht gegenüber 2009 einer Zunahme von 106 300 Pflegebedürftigen (+43 %). Es ist außerdem davon auszugehen, dass sich die bereits abzeichnende Tendenz zur professionellen Pflege weiter fortsetzen wird und im Jahr 2030 knapp 37 % der Pflegebedürftigen vollstationär (gegenüber 2009 rund 34 %) versorgt werden. Hingegen ist nur eine marginale Zunahme des Anteils der durch professionelle ambulante Pflegedienste zu Hause versorgten Pflegebedürftigen auf 21 % (gegenüber 2009 etwa 20 %) zu erwarten. Entsprechend wird der Anteil der ausschließlich durch Angehörige zu Hause versorgten Pflegebedürftigen von fast 46 % (2009) auf voraussichtlich knapp 42 % im Jahr 2030 deutlich zurückgehen.

Pflegebedürftige mit und ohne Migrationshintergrund: Parallelen und Divergenzen

Da die amtliche Pflegestatistik keine Informationen zu Migrationshintergrund und Staatsangehörigkeit erfasst, wird für eine wissenschaftliche Annäherung an die Situation Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund auf eine repräsentative Befragung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (»Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes«) aus dem Jahr 2010 zurückgegriffen und den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt.7 Hierzu liegen ausschließlich Auswertungen vor, die sich auf das gesamte Bundesgebiet beziehen. Demnach wiesen 2010 etwa 8 % der Pflegebedürftigen in Privathaushalten sowie 9 % der vollstationär und 7 % der durch ambulante Dienste versorgten Pflegebedürftigen einen Migrationshintergrund auf. Dabei werden in dieser Studie Personen mit Migrationshintergrund darüber definiert, dass eine ausländische Staatsangehörigkeit vorliegt bzw. die Person selbst oder zumindest ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. Für 2009 ergab sich eine Hochrechnung von insgesamt etwa 192 000 Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund in Deutschland.

Deutliche Unterschiede zwischen den Pflegebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund zeigen sich bei der Verteilung der Pflegestufen.8 Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund sind mit 15 % deutlich häufiger als schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe III) eingestuft als es bei Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund mit 9 % der Fall ist. Während Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) nahezu gleich stark verbreitet ist (mit Migrationshintergrund 31 % bzw. ohne Migrationshintergrund 32 %), sind Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund seltener in Pflegestufe eins (erheblich pflegebedürftig, 54 %) als jene ohne Migrationshintergrund (59 %).

Auch hinsichtlich der Altersstruktur gibt es deutliche Unterschiede zwischen Pflegebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund. Im Durchschnitt sind Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund mit 62,1 Jahren mehr als 10 Jahre jünger als Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund (72,7 Jahre). Der Anteil der Pflegebedürftigen unter 60 Jahren ist unter jenen mit Migrationshintergrund mit 29 % bedeutend höher als unter jenen ohne Migrationshintergrund (17 %). Fast jede/r zweite Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund ist über 80 Jahre alt. Unter den Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund trifft dies lediglich auf 29 % zu.

Des Weiteren unterscheiden sich Pflegebedürftige in Privathaushalten mit und ohne Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer privaten Lebensform. Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund leben beispielsweise seltener alleine (21 %), dafür häufiger gemeinsam mit dem/der Ehepartner/in und weiteren Angehörigen (14 %) und insbesondere häufiger mit Kind(ern) unter 16 Jahren (11 %) zusammen als Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund.

Informationsstand und Versorgungssituation von Pflegebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund

Die bereits skizzierte Diversifizierung der Gesellschaft wird in Verbindung mit einer zunehmenden Zahl pflegebedürftiger Personen mit Migrationshintergrund in Zukunft auch verstärkt eine professionelle und kultursensible Versorgung von Pflegebedürftigen erfordern. Dazu ist die Zugänglichkeit der Versorgungs- und Leistungsangebote für Pflegebedürftige und deren Angehörige von Relevanz. Rund 54 % der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund9 schätzen die Möglichkeit, sich über die Leistungen der Pflegeversicherung zu informieren, als eher gut oder sehr gut ein. Dies trifft auf 64 % der Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund zu. Entsprechend höher ist der Anteil der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund, die angeben, dass die Möglichkeiten, sich über die Pflegeversicherung und deren Leistungsangebot Informationen einzuholen, eher schlecht oder sehr schlecht sind (42 %).10 Doch auch ein Drittel (33 %) der Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund schätzt die individuellen Informationsmöglichkeiten als schlecht oder sehr schlecht ein.

Hinsichtlich des selbst eingeschätzten Informationsstands zu den Leistungsangeboten der Pflegeversicherung zeigen sich vergleichsweise geringe Unterschiede zwischen Pflegebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund. Während 60 % der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund ihren Kenntnisstand als eher gut oder sehr gut einschätzen, liegt der Anteil unter jenen ohne Migrationshintergrund mit 64 % leicht höher. Hingegen sagen 40 % der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund, dass ihr Informationsstand über die Leistungen der Pflegeversicherung eher schlecht oder sehr schlecht sei – dies trifft auf 35 % der Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund zu. Dass diese Unterschiede zusammengefasst aber recht gering ausfallen, dürfte daran liegen, dass etwa zwei Drittel (68 %) der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund Deutsch als Muttersprache angeben.

Sprachliche Hemmnisse beim Zugang zu Informationen über die Leistungen der Pflegeversicherung oder pflegerische Versorgungs- und Unterstützungsangebote im Allgemeinen betreffen damit potenziell nur eine Teilgruppe der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund. Dennoch zeigen sich etwas deutlichere Unterschiede bei der Verteilung der Pflegebedürftigen auf die Antwortkategorien des sehr guten oder sehr schlechten Informationsstands über das Leistungsangebot der Pflegeversicherung nach Migrationshintergrund. Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund geben häufiger (9 %) an, dass ihr Informationsstand sehr schlecht sei, als dies Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund äußern (5 %). Ebenfalls ist der Anteil derer, die ihren Kenntnisstand als sehr gut bezeichnen, unter Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund (17 %) deutlich höher als unter jenen mit Migrationshintergrund (13 %).

Hinsichtlich der Inanspruchnahme von Pflegeversicherungsleistungen zeigen sich Unterschiede zwischen Pflegebedürftigen ohne und mit Migrationshintergrund. Mit 79 % beziehen Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund deutlich häufiger ausschließlich Pflegegeld als dies bei jenen ohne Migrationshintergrund der Fall ist. Andere Leistungsarten wie Sachleistungen, Kurzzeitpflege, Hilfsmittel, häusliche Verhinderungspflege oder Kombinationsleistungen werden hingegen seltener in Anspruch genommen.

Kultursensible Pflege: Spezifische Bedarfe von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund?

Der am häufigsten genannte Grund für die ausschließliche Inanspruchnahme von Geldleistungen seitens Pflegebedürftiger11 besteht sowohl für diejenigen mit (89 %) als auch für diejenigen ohne Migrationshintergrund (83 %) darin, dass das Pflegegeld für die laufenden Pflegeausgaben benötigt wird. Allerdings wird dieser Grund von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund häufiger genannt. Deutlich häufiger wird von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund außerdem angegeben, dass das Pflegegeld für den laufenden Lebensunterhalt benötigt wird. Während dies von 39 % der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund erklärt wird, ist der Anteil unter den Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund gerade einmal halb so hoch (20 %).

Für einen Großteil der Pflegebedürftigen mit und ohne Migrationshintergrund gilt, dass die Pflege durch Fremde abgelehnt wird und deshalb ausschließlich Pflegegeld bezogen wird. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund (66 %) und drei Viertel der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund (75 %) möchten nicht von Fremden gepflegt werden. Die Bevorzugung privater Angehörigenpflege ist also für beide soziale Gruppen von sehr hoher Relevanz und wird von Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund nochmals deutlich häufiger zum Ausdruck gebracht. Weiterhin ist der Wunsch der Hauptpflegeperson, den oder die Angehörige/n nicht von Fremden versorgen zu lassen, für Pflegebedürftige mit und ohne Migrationshintergrund eine häufig genannte Begründung für die ausschließliche Inanspruchnahme von Geldleistungen. Dass bei Pflegediensten kein Einfluss auf die Ausgestaltung der pflegerischen Versorgung genommen werden kann, ist für Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund (47 %) deutlich häufiger ein Grund, ausschließlich Geldleistungen in Anspruch zu nehmen als für Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund (37 %). Kultursensible Pflegedienstleistungen spielen für Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund demnach eine relevante, jedoch beispielsweise gegenüber den finanziellen Faktoren oder dem (allgemeinen) Wunsch, nicht von Fremden versorgt zu werden, vergleichsweise geringe Rolle. So geben rund 24 % der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund an, dass sie aufgrund fehlender Berücksichtigung kultureller und religiöser Belange ausschließlich Pflegegeld in Anspruch nehmen.

Pflegeversorgung gewährleisten – Arbeitskräfteressourcen in der Pflege ausschöpfen und erschließen

Wie gezeigt wurde, wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland und Baden-Württemberg in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Aufgrund eines allgemeinen Trends zur professionellen Pflege und zur zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen, die bislang häufig private Pflege leisten, sowie zur räumlichen Mobilität und zu veränderten Familienstrukturen wird daher auch der Bedarf an professionellen Pflegedienstleistungen steigen. Durch die skizzierten sozialstrukturellen Veränderungen, eine zunehmende Diversifizierung der Bevölkerung und die zunehmende Erwerbsintegration – auch von Frauen mit Migrationshintergrund – zeichnen sich ebenfalls steigende Bedarfe kultursensibler Pflegeangebote ab.

Ausgehend von Prognosen auf Basis des Jahres 2009 werden im Jahr 2030 in Baden-Württemberg 38 000 Pflegekräfte im ambulanten und 125 000 Pflegekräfte im stationären Bereich benötigt.12 Damit wird der Bedarf an Pflegekräften in der ambulanten und stationären Pflege bis zum Jahr 2030 voraussichtlich jeweils auf das 1,5-fache ansteigen. Für Gesamtdeutschland prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) für das Berufshauptfeld »Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpfleger« eine Zunahme des benötigten Arbeitsvolumens bis 2030 (gegenüber 2010) von 1 Mrd. Stunden (von 6,8 auf 7,8 Mrd. Stunden).13 Da Gesundheits- und Sozialberufe durch einen hohen Frauen- sowie Teilzeitanteil geprägt sind, liegen in der Ausweitung der individuellen Arbeitsvolumina häufig relevante Ressourcen zur Abdeckung des Bedarfs an professioneller pflegerischer Versorgung. Dennoch zeigen die Berechnungen auf Stundenbasis durch das IAB, dass sich insbesondere in diesem Berufshauptfeld ein deutlich negatives Verhältnis zwischen dem Arbeitsvolumenpotenzial und dem benötigten Arbeitsvolumen bis zum Jahr 2030 abzeichnet.

Die zunehmende Nachfrage nach professionellen Versorgungsangeboten für Pflegebedürftige stellt damit eine wesentliche Herausforderung des demografischen Wandels dar. Die skizzierten spezifischen Bedarfe an kultursensiblen Pflegedienstleistungen für die voraussichtlich wachsende Gruppe Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund sollten hierbei berücksichtigt werden. Da Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund professionelle Unterstützungsangebote und ambulante wie stationäre Dienstleistungen bislang seltener nutzen als Pflegebedürftige ohne Migrationshintergrund und häufiger ausschließlich Geldleistungen beziehen, gilt es die Zugangs- und Informationswege sowie die Ausgestaltung der Angebote zukünftig verstärkt in den Blick zu nehmen.