:: 5/2014

Berufspendler in Baden-Württemberg

Gegenläufige Entwicklung der Pendelentfernungen in ländlichenRäumen und Verdichtungsräumen zwischen 2009 und 2011

Die Belebung am Arbeitsmarkt zwischen 2009 und 2011 brachte in Baden-Württemberg nicht nur einen deutlichen Zuwachs der Berufspendlerzahlen mit sich. Gleichzeitig entwickelten sich die durchschnittlichen Pendeldistanzen der Erwerbstätigen mit Arbeitsort in den Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen gegenläufig. Der Beitrag untersucht, inwieweit die Gründe hierfür regionale Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung oder geänderte Beziehungen zwischen Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen sein können.

Die Beschäftigung und damit auch die Zahl der Berufspendler in Baden-Württemberg sind im Zuge der guten Konjunkturentwicklung von 2009 bis 2011 deutlich angestiegen. Nach den Ergebnissen der jüngsten Berufspendlerrechnung nahm im Landesdurchschnitt die Zahl der Erwerbstätigen, die über Gemeindegrenzen hinweg zur Arbeit pendeln, erneut stärker zu als die Zahl der Erwerbstätigen, die in derselben Gemeinde wohnen und arbeiten. Dagegen stieg die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde der Berufspendler nicht wie in den Vorjahren weiter an. Bereits in einem früheren Beitrag1 wurde gezeigt, dass sich die Pendeldistanzen zwischen 2009 und 2011 regional unterschiedlich entwickelt haben. In den Gemeindetypen »Großstädte« (Städte mit mindestens 100 000 Einwohnern) und »Umlandgemeinden der Großstädte« sank erstmals die durchschnittliche Distanz zu den Wohnorten der Einpendler, während sie andernorts weiter anstieg. Der Gemeindetyp »Großstädte« weist eine weitere Sonderentwicklung auf: Die Zahl der Erwerbstätigen, die in derselben Gemeinde wohnen und arbeiten, stieg dort zwischen 2009 und 2011 prozentual etwas stärker an als die Zahl der Arbeitsplätze. Der folgende Beitrag untersucht, auf welche Faktoren diese Entwicklun­gen zurückgehen könnten.

Kürzere Wege, aber länger unterwegs?

Neben der Berufspendlerrechnung kann als weitere Informationsquelle zum Pendlerverhalten in Baden-Württemberg der Mikrozensus herangezogen werden. Hier werden alle 4 Jahre – zuletzt im Jahr 2012 – Fragen zur Länge und Dauer des Hinwegs zur Arbeit gestellt. Im Vergleich der Jahre 2008 und 2012 hat sich laut Mikrozensus der Anteil der Pendler2 mit sehr kurzen Wegen unter 10 km von knapp 26 auf 29 % erhöht. Der Anteil der Pendler mit Wegen von 10 bis unter 25 km sank entsprechend von fast 50 auf knapp 46 %. Bei nur sehr geringen Veränderungen der Anteile in den übrigen Entfernungsklassen lässt dies den Schluss zu, dass die landesdurchschnittliche Pendelentfernung von 2008 bis 2012 nicht weiter angestiegen ist und insofern zu den Ergebnissen der Pendlerrechnung für 2009 bis 2011 passt.

Die Länge des Weges zur Arbeit lässt nur begrenzt Rückschlüsse auf die für den Weg benötigte Zeit zu. Dies bestätigen die Ergebnisse des Mikrozensus zum Zeitaufwand für den Hinweg zur Arbeitsstätte eindrücklich, denn die Dauer des Arbeitsweges hat demnach von 2008 bis 2012 tendenziell zugenommen. Der Anteil der Pendler, die weniger als 10 Minuten für den Arbeitsweg benötigen, sank zwischen 2008 und 2012 von 11 auf 8 %. Der Anteil der Pendler mit einem Arbeitsweg von 30 bis unter 60 Minuten stieg von 25 auf 28 %. Die Deutung dieses Sachverhalts bleibt offen. Möglicherweise sind neue Arbeitsplätze dort entstanden, wo die Verkehrsdichte ein schnelles Vorwärtskommen zwischen Wohn- und Arbeitsort nicht erlaubt oder es waren mehr Pendler mit langsameren Verkehrsmitteln unterwegs.

Im Rahmen der Berufspendlerrechnung werden Tagespendlerströme der Erwerbstätigen3 anhand der Angaben »Wohnortgemeinde« und »Arbeitsortgemeinde« geschätzt. Informationen zum gewählten Verkehrsmittel, zur Länge und Dauer des Arbeitsweges liegen nicht vor. Als grober Indikator für die Länge der Arbeitswege und somit für die Mobilität der Pendler wird die Luftlinienentfernung zwischen Wohnort- und Arbeitsortgemeinde4 berechnet. Dieser Indikator sollte aufgrund seiner Ungenauigkeit immer für größere Gruppen von ähnlichen Gemeinden gebildet werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht im Folgenden die Veränderung der durchschnittlichen Luftlinienentfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort, vereinfacht als Veränderung der Pendeldistanz bezeichnet. Sie gibt Hinweise auf Veränderungen der Pendlermobilität.

Verdichtete und ländliche Räume …

Rückgänge der Pendeldistanzen wurden, wie eingangs dargelegt, vor allem in den Großstädten und ihrem Umland festgestellt. Diese werden für die weitere Untersuchung in der Raumkategorie »Verdichtungsräume« abgebildet. Verdichtungsräume laut Landesentwicklungsplan5 sind »großflächige Gebiete mit stark überdurchschnittlicher Verdichtung und intensiver innerer Verflechtung«. Gut die Hälfte der Erwerbstätigen und rund 57 % der Arbeitsplätze befanden sich 2011 in Verdichtungsräumen Baden-Württembergs. Im Vergleich dazu wird die zweitgrößte der vier Raumkategorien des Landes betrachtet, der »Ländliche Raum im engeren Sinn«, im Weiteren als ländliche Räume bezeichnet. Er umfasst die »großflächigeren Gebiete mit meist deutlich unterdurchschnittlicher Siedlungsdichte und hohem Freiraumanteil«. Im Jahr 2011 waren hier 27 % der Erwerbstätigen und 22 % der Arbeitsplätze des Landes zu finden.

… mit unterschiedlicher Bevölkerungsentwicklung

Tabelle 1 gibt einen ersten Überblick über die Entwicklung von Einwohnern, Erwerbstätigen und Arbeitsplätzen in den Raumkategorien zwischen 2009 und 2011. Dabei fallen folgende Punkte auf:

  • In allen Raumkategorien steigt die Zahl der Erwerbstätigen am Wohnort im Wesentlichen durch die Zunahme der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung. Die Einwohnerzahl entwickelt sich schwächer.
  • In den Verdichtungsräumen steigt die Einwohnerzahl, während sie in den übrigen Raumkategorien leicht zurückgeht. Der Anstieg der Bevölkerung in den Verdichtungsräumen um knapp 43 000 kommt etwa zur Hälfte durch Zuwanderung über die Landesgrenze Baden-Württembergs zustande.
  • Der negative Wanderungssaldo der Verdichtungsräume in der Altersgruppe der 35- bis unter 65-Jährigen deutet darauf hin, dass vor allem unter 35-jährige Erwachsene in die Verdichtungsräume zugewandert sind, sei es zu Zwecken der Erwerbstätigkeit oder der Ausbildung. Die ländlichen Räume verzeichnen bei insgesamt abnehmender Bevölkerung einen Wanderungsgewinn bei den 35- bis unter 65-Jährigen von gut 3 000. Dies deutet im Gegensatz zu den Verdichtungsräumen auf eine Verschiebung der Erwerbstätigenstruktur in Richtung höherer Altersgruppen.
  • Die Zahl der Erwerbstätigen am Arbeitsort, die auch als Zahl der Arbeitsplätze interpretiert werden kann, zeigt in den ländlichen Räumen eine höhere Wachstumsrate als in den Verdichtungsräumen.

… und gegenläufigen Entwicklungen der Pendeldistanzen

Die durchschnittliche Pendeldistanz der Pendler mit Arbeitsort in den Verdichtungsräumen (Einpendler) sank zwischen 2009 und 2011 erstmals geringfügig auf 16,8 km ab. Dagegen stieg die mittlere Pendeldistanz der Pendler mit Arbeitsort in den ländlichen Räumen zwischen 2009 und 2011 mit einer ähnlichen Rate wie in den Vorperioden auf 13,5 km weiter an. Aus der Perspektive der Auspendler zeigt sich interessanterweise eine fast entgegengesetzte Konstellation. Die mittleren Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde der Erwerbstätigen mit Wohnort in den ländlichen Räumen stagnierten erstmals, während die Pendeldistanzen der Erwerbstätigen mit Wohnort in den Verdichtungsräumen von 2009 bis 2011 verlangsamt weiter angestiegen sind.

Dies wirft erstens die Frage auf, wie sich Ein- und Auspendler in Tabelle 2 unterscheiden. Zweitens drängt sich die Frage auf, ob der leichte Rückgang der Einpendelentfernung in die Verdichtungsräume und die Stagnation der Auspendelentfernung aus ländlichen Räumen bedeutet, dass 2011 weniger Erwerbstätige mit Wohnort in ländlichen Räumen zur Arbeit in die Verdichtungsräume gependelt sind.

Pendlersaldo der Verdichtungsräume gegenüber den ländlichen Räumen bei 150 000 Erwerbstätigen

Zur ersten Frage: Auf Landesebene handelt es sich bei Ein- und Auspendlern zu über 90 % um dieselben Erwerbstätigen. Rund 2,8 Mill. Erwerbstätige pendelten 2011 zwischen den Gemeinden Baden-Württembergs. Sie zählen in baden-württembergischen Gemeinden, je nach Perspektive, als Ein- und als Auspendler. Die Gesamtzahl der Einpendler in die Gemeinden des Landes ergibt sich durch Hinzufügen von rund 200 000 arbeiten. Da mit den Regionen um Mannheim und Ulm zwei Verdichtungsräume direkt an der Landesgrenze liegen, ist dies nicht weiter verwunderlich.

Die zweite Frage, ob weniger Erwerbstätige aus ländlichen Räumen zur Arbeit in die Verdichtungsräume gependelt sind, lässt sich nach einem Blick auf die Veränderungsraten in Tabelle 3 verneinen. Die Zahl der Pendler zwischen ländlichen Räumen und Verdichtungsräumen hat in beide Richtungen zugenommen. Dabei hat sich gemessen am Pendlersaldo, der Differenz zwischen Ein- und Auspendlern, die Bedeutung der Verdichtungsräume als Standorte der großen Arbeitsmarktzentren sogar verstärkt. Der Pendlersaldo der Verdichtungsräume gegenüber den ländlichen Räumen erhöhte sich 2011 im Vergleich zu 2009 um 2 % auf gut 150 000 Erwerbstätige. Die gegenläufige Entwicklung der Pendeldistanzen ist demnach nicht darauf zurückzuführen, dass die Verdichtungsräume gegenüber den ländlichen Räumen grundsätzlich an Attraktivität verloren hätten.

Einpendlern aus Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. Regional, zum Beispiel auf der Ebene von Raumkategorien, können sich Ein- und Auspendler deutlich stärker voneinander unterscheiden. So hatten 2011 von den 1,8 Mill. Pendlern mit Arbeitsort in den Verdichtungsräumen 1,1 Mill. oder 61 % ihren Wohnort ebenfalls in baden-württembergischen Verdichtungsräumen, 208 000 oder 11 % waren Einpendler aus den ländlichen Räumen. Die komplette Pendlerverflechtung zwischen den Raumkategorien veranschaulicht Tabelle 3. Hier ist auch erkennbar, dass mehr als drei Viertel aller Einpendler aus den benachbarten Bundesländern in den baden-württembergischen Verdichtungsräumen

Neue Arbeitsplätze = Mehr Fernpendler in den ländlichen Räumen und …

Abschließend wird die Entwicklung der Einpendler seit 2005 nach Entfernungsklassen betrachtet. In den Verdichtungsräumen waren 2005 bis 2009 die Zuwachsraten umso höher je größer die Entfernungsklasse war. Zwischen 2009 und 2011 wuchs dagegen die Zahl der Pendler in der zweitniedrigsten Entfernungsklasse stärker. In den ländlichen Räumen war dieser Trend nicht zu beobachten. Am deutlichsten ist der Unterschied zwischen den beiden Raumkategorien bei den Pendlern über sehr lange Entfernungen. Rund 4 % oder 122 000 von gut 3 Mill. Einpendlern in baden-württembergische Arbeitsorte waren 2011 der Entfernungsklasse »50 km und mehr« zuzuordnen. Fast 75 % dieser Pendler waren Einpendler in Verdichtungsräume. Während die Zuwachsraten hier in den Vorperioden bei 7 bzw. 8 % lagen, stagnierte die Zahl der Einpendler in dieser Entfernungsklasse in den Verdichtungsräumen erstmals zwischen 2009 und 2011. In den ländlichen Räumen stieg die Zahl der Einpendler über lange Distanzen 2009 bis 2011 ausgehend von niedrigem Niveau dagegen um 12 % an.

… mehr Zuzüge in die Großstadt?

Als Fazit lässt sich feststellen, dass gegenläufige Bevölkerungsentwicklungen in den Verdichtungsräumen und den ländlichen Räumen die unterschiedliche Entwicklung der Pendeldistanzen mit einiger Wahrscheinlichkeit beeinflusst haben. Zusätzliche Arbeitsplätze wurden zwischen 2009 und 2011 in den Verdichtungsräumen offenbar verstärkt durch ortsansässige bzw. junge zuziehende Erwerbstätige besetzt. Im Gegensatz dazu bewogen zusätzliche Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen die Erwerbstätigen eher dazu, von ihrem angestammten Wohnort weitere Wege zum neuen Arbeitsort in Kauf zu nehmen. Zu untersuchen bleibt, inwieweit sich auch die neu entstandenen Arbeitsplätze in den Raumkategorien unterscheiden. Auch dies könnte die Pendeldistanzen beeinflussen. Die Entwicklung des Arbeitnehmereinkommens je Erwerbstätigen zwischen 2009 und 2011 deutet darauf hin, dass es systematische Unterschiede geben könnte. Zumindest liegen die Stadtkreise mit mindestens 100 000 Einwohnern in der Rangfolge der Stadt- und Landkreise gemessen am Anstieg des Arbeitnehmereinkommens auf den hinteren Plätzen.

1 Winkelmann, Ulrike: »Berufspendler in Baden‑Württemberg: Mobilitätsanstieg verlangsamt?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2013«, S. 25–29.

2 Pendler zwischen Gemeinden des Landes oder über die Landesgrenze. Nur Personen, die von der hiesigen Wohnung zur Arbeitsstätte pendeln.

3 Die Berufspendlerrechnung erfasst sozialver­sicherungspflichtig Beschäftigte, ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte, Selbst­ständige und Beamte.

4 Die tatsächliche Wegstrecke kann je nach Topografie und gewähltem Verkehrsmittel das 1,3 bis 2,3-fache der Luftlinienentfernung betragen.

5 Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg 2002, S.15 ff. Siehe auch www.mvi.bwl.de