:: 6/2014

Spannende Statistik

Carmina Brenner leitet seit 2007 das Statistische Landesamt Baden-Württemberg. Die Horberin studierte in Tübingen und Ann Arbor Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Germanistik. Die im Bereich Wirtschaftsstatistik (Ökonometrie) promovierte Wissenschaftlerin ist auch kommunalpolitisch sehr aktiv und gehört seit 1989 dem Gemeinderat ihrer Heimatstadt an.

Statistisch gesehen entfallen von den Bürokratiekosten, die ein Unternehmen hat, etwa acht Prozent auf die amtliche Statistik. Zugleich nutzt jedes Unternehmen eigene Statistiken zur Unternehmensführung. »Wirtschaft im Profil« sprach mit Dr. Carmina Brenner, der Präsidentin des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, über das spannende Zusammenspiel von Wirtschaft und Wissenschaft.

Das Jahr 2013 war das Internationale Jahr der Statistik. Welche Bedeutung hat Statistik für die Wirtschaft? Wie können Unternehmen von statistischen Erhebungen profitieren?

Jedes Unternehmen führt zunächst mal seine eigenen Statistiken: etwa Aufträge, Umsätze, Personalbewegungen, Energieverbräuche oder eigene Finanzstatistiken. Darüber hinaus sind von den rund 490 000 Unternehmen in Baden-Württemberg branchenabhängig und im Umfang sehr unterschiedliche Auskunftspflichten zu erfüllen. Die Firmen melden dem Statistischen Landesamt monatlich, vierteljährlich oder jährlich verschiedene Kennzahlen. Die Meldepflichten sind gesetzlich vorgegeben.

Wir kommen immer mit den Ergebnissen ins Spiel, wenn es um Vergleiche oder Vorausrechnungen geht. Ein Unternehmen kann fragen: Entwickeln wir uns besser oder schlechter als der Branchendurchschnitt? Wie sind die Arbeitnehmerverdienste im Vergleich? Wie viele junge Menschen wird es in zehn Jahren in der Region geben? Wer macht eine Berufsausbildung, wer studiert eher oder wer macht beides? Für alle Fragestellungen stellen wir Zahlen zur Verfügung. Das meiste kann online und kostenfrei unter www.statistik-bw.de abgerufen werden. Auch dieses Informationsangebot gehört zu unserem gesetzlichen Auftrag.

Beim Zensus 2011 kam der allergrößte Teil der Bevölkerung zum ersten Mal seit den Volkszählungen in der BRD 1987 und der damaligen DDR 1981 wieder mit Statistik in Berührung. Was sind die signifikantesten Ergebnisse des Zensus 2011 für Baden-Württemberg?

Die große Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Inventur nach 25 Jahren wurde als notwendig und angemessen erachtet. Die Bürger haben uns und den Gemeinden, mit denen wir eng zusammengearbeitet haben, vertraut.

Festgestellt wurde, dass wir in Baden-Württemberg 274 000 Einwohner weniger haben als bisher angenommen. Von den 10,5 Millionen Einwohnern in Baden-Württemberg sind über 2 Millionen schon 64 Jahre oder älter.

Ende des Jahres werden wir auf den Zensusergebnissen unsere Vorausrechnungen starten. Wie viele Menschen werden wo im Jahre 2020 oder 2030 leben? Wie werden sich die Schülerzahlen entwickeln.

Einige Gemeinden haben sich entschlossen, gegen den Zensus zu klagen, da sie jetzt weniger Einwohner haben. Wir gehen davon aus, dass diese Klagen erfolglos bleiben werden. Zahlreiche Gemeinden dürften mit niedrigeren Einwohnerzahlen dennoch mehr Geld in der Stadtkasse haben. Der Grund dafür ist: Die Pro-Kopf-Zuweisungen des Landes liegen höher als vor dem Zensus. In meiner Heimatgemeinde Horb ist das zum Beispiel der Fall.

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass jüngere Menschen vermehrt in die Ballungszentren ziehen und die ländlichen Gegenden damit an Einwohnerzahl verlieren. Diese Landflucht gilt beispielsweise auch für die Landkreise Freudenstadt und Calw.

Die demografischen Entwicklungen stellen Unternehmen und Kommunen vor große Herausforderungen, Stichworte »Fachkräftemangel« und »Vereinbarkeit von Beruf und Familie«. Sie starteten im Sommer 2013 zusammen mit Partnern die regionalen Strategiekonferenzen »Familienbewusst Fachkräfte sichern«. Wie ist der Status quo, wo gibt es Lösungsansätze und wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird uns noch lange begleiten. Viele Unternehmen und Gemeinden haben schon eigene Strategien entwickelt. Auch unsere Familien-Forschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt arbeitet dazu mit den Betroffenen in ganz Baden-Württemberg Konzepte aus. Unternehmen, die sich hier engagieren, werden davon stark profitieren und Fachkräfte halten und gewinnen können.

Immer stärker in den Fokus rückt dabei für die mittlere Generation die Pflege ihrer Eltern. Unternehmen müssen sich künftig auch mit Fragen nach Pflegeplätzen und Notfallplänen auseinandersetzen. Das Gehalt ist nicht mehr das alles entscheidende Kriterium, die Work-Life-Balance nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Wir erarbeiten im Auftrag des Sozialministeriums derzeit eine Plattform für dieses Themenfeld.

Der Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder gilt als eine wichtige Voraussetzung, um Paare bei der Realisierung bestehender Kinderwünsche zu unterstützen und Müttern und Vätern bessere Chancen auf Erhalt des Arbeitsplatzes beziehungsweise den Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit zu ermöglichen. Wie ist die momentane Situation in Baden-Württemberg?

Bei den Betreuungsquoten der Kinder unter drei Jahren haben die Gemeinden in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen. 2013 hatten acht Stadt- und Landkreise Betreuungsquoten von 30 oder mehr Prozent, darunter auch Tübingen mit 34 Prozent.

Im März 2014 werden wir die mehr als 8 000 Kindertageseinrichtungen im Land wieder befragen. Wir zählen die belegten Plätze, die Träger vor Ort können zudem sagen, wie groß das Angebot an Plätzen war.

Der Bedarf ist in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich. So stellt sich durchaus die Frage, ob die Betreuungsquote in ländlich geprägten Räumen so hoch sein muss wie in Ballungszentren oder wie viele Einrichtungen Kommunen mit sehr vielen Stadtteilen wie Horb oder Rottenburg vorhalten sollten.

Von den knapp 20 000 Kindern, die Stand 1. März 2013 in öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut wurden, waren knapp die Hälfte jünger als drei Jahre. Betreut wurden die Kinder von insgesamt 6 717 Tagespflegepersonen, darunter 116 Männern. Einen abgeschlossenen Qualifizierungskurs für Kindertagespflege wiesen 95 Prozent von ihnen auf.

Immer mehr junge Menschen studieren auch in Baden-Württemberg. Es gibt neue Immatrikulationsrekorde. Wie ist die momentane Situation an den Hochschulen?

Wir haben an den Hochschulen in Baden-Württemberg aufgrund des doppelten Abiturjahrgangs 2012 immer noch eine Sondersituation. Dies wird sich mittelfristig wieder einpendeln, allerdings auf einem höheren Niveau als vor 2012, da nach Abschaffung der Grundschulempfehlung immer mehr Schüler auf die Gymnasien gehen.

Zum Wintersemester 2013/2014 haben sich fast 350 000 Studierende an baden-württembergischen Hochschulen eingeschrieben, darunter 66 000 Erstsemester. Das sind ein Drittel mehr Studierende als vor zehn Jahren!

Den höchsten Zuwachs erfuhren die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (ehemals Fachhochschulen) mit 6,6 Prozent. An ihnen sind mittlerweile über 100 000 Studierende eingeschrieben. Rund 33 000 Personen gehen auf eine Duale Hochschule. Ein Plus von 5,6 Prozent auf gut 178 000 immatrikulierte Studierende verzeichnen die Universitäten in Baden-Württemberg.

Die Abschaffung der Wehrpflicht, die zunehmende Wechselhäufigkeit der Studenten innerhalb der Bundesländer sowie der Trend, nach dem Abitur ein »Work-and-Travel-Jahr« einzulegen, machen die Planungen für die Hochschulen zunehmend schwieriger.

Das produzierende Gewerbe hat in Baden-Württemberg ein deutlich höheres Gewicht als dies in Deutschland insgesamt der Fall ist. Der Export ist nach wie vor der Wachstumsmotor der hiesigen Wirtschaft. Welche Branchen sind in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald die Wachstumslokomotiven?

Der Maschinenbau und das Gesundheitswesen sind die Branchen mit den meisten Beschäftigten in Baden-Württemberg. In der Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald haben die Landkreise Tübingen und Calw ihre stärksten Branchen im Gesundheitswesen.

Insgesamt dominieren aber auch in diesen Regionen der Maschinenbau (Landkreise Reutlingen, Zollernalbkreis, Landkreis Freudenstadt) und die Branche »Herstellung von Metallerzeugnissen« (Enzkreis).

Landesweit gehen wir bei den Exporten 2013 von einem Rückgang gegenüber 2012 um 3 Prozent aus. Das kann regional unterschiedlicher ausfallen.

Aber wir sprechen hier von einem hohen Niveau, das müssten die Firmen in den genannten Regionen bestätigen können. Seit 2011 liegt der Wert der Ausfuhren jährlich bei mehr als 171 Milliarden Euro.

Baden-Württemberg belegt bei Forschung und Entwicklung (FuE) traditionell einen Spitzenplatz. Wie ist die momentane Situation im »Ländle«, auch im Hinblick auf die enormen Forschungsanstrengungen asiatischer Schwellenländer?

Die FuE-Intensität – der Anteil der FuE-Ausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt – kletterte im Jahr 2011 auf ein neues Rekordniveau von 5,1 Prozent – ein internationaler Spitzenwert. Inzwischen finden über ein Viertel der deutschlandweiten FuE-Aktivitäten in Baden-Württemberg statt.

Innerhalb Baden-Württembergs ist der Wirtschaftssektor mit weitem Abstand der bedeutendste Forschungsträger. Er besaß 2011 einen Anteil von fast 81 Prozent an den gesamten FuE-Ausgaben in Baden-Württemberg.

Auf das Verarbeitende Gewerbe wiederum entfielen 2011 rund 90 Prozent der FuE-Aufwendungen des Wirtschaftssektors in Baden-Württemberg. Dieser hohe Anteil ist insbesondere auf den Wirtschaftszweig Kraftfahrzeugbau zurückzuführen. Zwei weitere bedeutende Branchen des industriellen Forschungsstandortes im Land sind die Elektrotechnik und der Maschinenbau.

Im nationalen und internationalen Vergleich ist Baden-Württemberg Spitze. Die FuE-Intensität von 5,1 in Baden-Württemberg schlägt Deutschland (2,9 Prozent), den EU-Durchschnitt (2 Prozent), die USA (2,8 Prozent), Japan (3,4 Prozent) oder China (1,8 Prozent), wobei die Chinesen deutlich aufholen und beispiels-weise Großbritannien bereits hinter sich gelassen haben. In ähnlichen Gefilden wie die Badener und Württemberger bewegt sich beispielsweise auch Südkorea (4 Prozent).

Wie sind die aktuellen Konjunkturdaten? Wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus? Gibt es Tendenzen für die weitere Entwicklung in 2014?

Das Wirtschaftswachstum dürfte in Baden-Württemberg 2013 bei 0,5 Prozent gelegen haben. Für dieses Jahr gehen wir unter den gegenwärtigen Prämissen von 1,75 Prozent Wachstum aus.

Die Erwerbstätigkeit legte im Jahr 2013 um knapp 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, was rund 50 000 Personen entspricht. Die Anzahl der Erwerbstätigen lag damit im Jahresmittel 2013 bei über 5,8 Millionen, darunter 4,1 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Wir rechnen 2014 landesweit erneut mit einem Anstieg der Erwerbstätigenzahlen um 1 Prozent, was ein neuer Rekord wäre.

Trotz der steigenden Erwerbstätigkeit ist die Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg leicht gestiegen. Beides kann durchaus simultan auftreten, wenn das Erwerbspersonenpotenzial, zum Beispiel durch Zuwanderung, steigt. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote 2013 war 4,1 Prozent (in Deutschland: 6,9 Prozent).

Die insgesamt erfreuliche Situation auf dem Arbeitsmarkt dürfte sich auch positiv auf das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte im Land ausgewirkt haben: Das Arbeitnehmerentgelt stieg im ersten Halbjahr 2013 im Bundesdurchschnitt um 2,8 Prozent.