:: 7/2014

Zensus 2011: Was uns der Zensus über die kulturelle Vielfalt in Baden‑Württemberg verrät

Bei der ersten Veröffentlichung zentraler Zensusergebnisse am 31. Mai 2013 stand die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen für die Gemeinden im Vordergrund. Nachdem weitere Aufbereitungsarbeiten abgeschlossen wurden, liegen nun die endgültigen Ergebnisse zu Merkmalen wie der Staatsangehörigkeit oder dem Migrationshintergrund vor. Im nachfolgenden Beitrag werden diese beiden demografischen Merkmale auf Land-, Kreis- und Gemeindeebene für Baden‑Württemberg beleuchtet.

Jeder Zehnte in Baden‑Württemberg ohne deutsche Staatsangehörigkeit

Im Rahmen des Zensus 2011 wird zwischen deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit unterschieden. Als Ausländerinnen und Ausländer1 gelten dabei alle Personen, die am 9. Mai 2011 keine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Dazu zählen auch Staatenlose und Personen ohne Angaben zur Staatsangehörigkeit. In Baden‑Württemberg lebten demnach zum Zensusstichtag gut 1,1 Mill. Ausländer (fast 11 %). Nur die Stadtstaaten Hamburg (nahezu 13 %), Berlin und Bremen (jeweils leicht über 11 %) sowie das Flächenland Hessen (rund 11 %) hatten im Vergleich zu Baden‑Württemberg einen höheren Ausländeranteil. In allen anderen Bundesländern lag der Ausländeranteil hingegen unter 10 %.

Ein tendenziell höherer Ausländeranteil in urbanen Strukturen bestätigt sich beim Vergleich der Ausländerquoten in den Stadt- und Landkreisen. Mit 21 % lag der Ausländeranteil in den Stadtkreisen fast doppelt so hoch gegenüber den knapp 12 % in den Landkreisen Baden‑Württembergs. Die höchsten Ausländeranteile betrachtet nach Kreisen waren in den Stadtkreisen Stuttgart (21 %), Mannheim (19 %) und Heilbronn (19 %) zu verzeichnen. Das untere Ende der Rangliste belegten die Landkreise Main‑Tauber (4 %), Biberach (5 %) und Neckar‑Odenwald (über 5 %).

In Baden‑Württemberg lebten mit knapp 123 000 Personen die meisten Ausländer in der Landeshauptstadt Stuttgart. Dennoch hatte Stuttgart einen geringeren Ausländeranteil (21 %) als die Gemeinde Büsingen am Hochrhein, welche – als deutsche Exklave umgeben von Schweizer Hoheitsgebiet – eine besondere geografische Lage einnimmt und mit 30 % den mit Abstand höchsten Ausländeranteil unter den baden‑württembergischen Gemeinden besaß. Vergleichsweise hohe Ausländeranteile hatten darüber hinaus auch die Gemeinden in den Verdichtungsräumen Rhein‑Neckar und Stuttgart (Schaubild 1). Einen Ausländeranteil von jeweils knapp über 20 % wiesen allerdings nur Gemeinden im Verdichtungsraum Stuttgart auf, so neben der Landeshauptstadt auch Kirchheim am Neckar (21 %), Magstadt (21 %) und Sindelfingen (20 %).

Nach Definition des Zensus 2011 hatte jeder Vierte einen Migrationshintergrund

Wesentlich weiter als die Staatsangehörigkeit ist die Merkmalsausprägung Migration gefasst. Neben den Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit werden als Personen mit Migrationshintergrund im Zensus auch deutsche Staatsbürger definiert, wenn diese nach 1955 aus dem Ausland zugewandert waren oder mindestens ein nach 1955 zugewandertes ­Elternteil2 und damit keine eigene Migrationserfahrung3 haben (Übersicht).

In Baden‑Württemberg lebten am Zensusstichtag, dem 9. Mai 2011, knapp 2,7 Mill. Personen mit Migrationshintergrund. Damit hatte insgesamt jeder Vierte (26 %) einen Migrationshintergrund vorzuweisen. Die Mehrzahl (knapp 1,7 Mill.) unter ihnen hatte eine eigene Migrationserfahrung. Allein in den 1990er Jahren kam ein Drittel der Personen mit eigener Migrationserfahrung nach Deutschland. 42 % der Menschen waren in den 4 Jahrzehnten davor, also zwischen 1956 und 1989 zugewandert, zwischen 2000 und 2011 waren es 20 %.

Ohne eigene Migrationserfahrung und damit ohne Zuzug waren gut 1 Mill. Menschen, von denen knapp 69 % eine deutsche und etwa 31 % eine ausländische Staatsangehörigkeit besaßen. Bei ihnen ist nach 1955 mindestens ein Elternteil in das Gebiet der Bundesrepublik zugewandert. Ein beidseitiger Migrationshintergrund, das heißt sowohl Mutter als auch Vater sind zu­gezogen, bestand bei rund der Hälfte (348 000) der gut 692 000 Deutschen ohne eigene Migrationserfahrung.

Personen mit Migrationshintergrund sind im Schnitt jünger

Deutlich mehr Personen ohne Migrationshintergrund waren im Vergleich zu denjenigen mit Migrationshintergrund 65- jährig und älter und gehörten damit der Rentnergeneration an, vor allem bei den Frauen. Ein Viertel (25 %) der Frauen ohne Migrationshintergrund hatte bereits das 65. Lebensjahr erreicht, bei den Frauen mit Migrationshintergrund waren dies erst 11 %. Etwas geringer fielen die Unterschiede in dieser Altersklasse bei den Männern aus. Im Seniorenalter waren bei den Männern ohne Migrationshintergrund zum Stichtag 20 %, bei denjenigen mit Migrationshintergrund 10 % (Schaubild 2).

Das Durchschnittsalter4 der Personen mit Migrationshintergrund im Land lag bei 36 Jahren. Damit waren sie 8 Jahre jünger als die Personen ohne Migrationshintergrund mit durchschnittlich 44 Lebensjahren. Gut jeder Fünfte mit Migrationshintergrund hatte am 9. Mai 2011 das Erwachsenenalter von 18 Jahren noch nicht erreicht, hingegen nur gut jeder sechste Einwohner ohne Migrationshintergrund. Besonders viele junge Menschen wurden bei den Deutschen mit Migrationshintergrund erfasst. Knapp 11 % unter ihnen waren noch im Vorschulalter (unter 6 Jahre). Ausländerinnen und Ausländer in diesem Alter hatten einen vergleichsweise geringen Anteil von jeweils 2 %. Mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren waren Ausländer unter den Menschen mit Migrationshintergrund die jüngste Personengruppe.

Durch die vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund ergeben sich positive Effekte hinsichtlich des demografischen Wandels und der damit verbundenen Alterung der Gesellschaft im Land. Nach Ergebnissen des Zensus 2011 schlagen diese Effekte in den Stadtkreisen Baden‑Württembergs stärker zu Buche als in den Landkreisen. Mit knapp 36 % lag der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund in den Stadtkreisen fast 13 Prozentpunkte über dem Anteil in den Landkreisen.

Die landesweit höchsten Anteile an Personen mit Migrationshintergrund ergaben sich für die Stadtkreise Pforzheim (rund 47 %), Heilbronn (gut 44 %) und Stuttgart (rund 39 %). Die niedrigsten Anteile wurden in den Landkreisen Emmendingen (fast 16 %), Main-Tauber (rund 17 %) und Breisgau-Hochschwarzwald (rund 18 %) nachgewiesen. Bezogen auf die Landkreise lebten mit einem Anteil von jeweils rund 31 % die meisten Migranten in den Kreisen Tuttlingen und Böblingen (Schaubild 3).

Die meisten besitzen einen europäischen Migrationshintergrund

Die meisten Personen mit Migrationshintergrund in Baden‑Württemberg, nämlich 77 %, stammten aus Europa. Etwa 39 % hatten im Rahmen der Zensusbefragung einen der 27 EU‑Mitgliedstaaten (Stand 2011) als Bezugsland angegeben. Aus den anderen Staaten Europas waren etwa 38 % zugewandert oder besaßen mindestens ein nach 1955 zugewandertes Elternteil. Die übrigen rund 23 % gaben ein Bezugsland außerhalb Europas an. Für die Klassifikation ist dabei nicht die Staatsangehörigkeit das ausschlaggebende Kriterium, sondern das Bezugs- bzw. Herkunftsland, aus dem die Migration nach Deutschland erfolgte.

Die größte Personengruppe unter den Menschen mit Migrationshintergrund in Baden‑Württemberg war diejenige aus der Türkei. Mit fast 18 % standen die 471 000 Baden‑Württembergerinnen und Baden‑Württemberger mit türkischen Wurzeln an erster Stelle, gefolgt von den 243 000 Personen (gut 9 %) mit italienischem und rund 230 000 (fast 9 %) mit kasachischem Bezug. Die Türkei, Italien und Kasachstan stellten damit die drei Hauptbezugsländer der in Baden‑Württemberg lebenden Personen mit Migrationshintergrund. Beim Vergleich der zehn häufigsten Herkunftsländer nach Ausländern und Deutschen ergab sich ein äußerst differenziertes Bild. Während es bei den Herkunftsländern Italien, Kroatien und vor allem Griechenland relativ viele Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit gab, hatte die Mehrheit mit kasachischem, russischem und polnischem Bezug eine deutsche Staatsangehörigkeit (Schaubild 4). Dies ist vermutlich auf die deutschstämmigen Spätaussiedler zurückzuführen, die bei ihrer Einreise nach Deutschland in der Regel einen deutschen Pass erhielten. Am Beispiel von Kasachstan wird dies am deutlichsten. Von den knapp 230 000 Menschen mit kasachischem Bezug besaßen gut 221 000 die deutsche und nur rund 8 000 Menschen die kasachische Staatsangehörigkeit, fast 1 000 hatten eine andere nicht deutsche Staatsangehörigkeit.

Freiburg besonders bei Menschen mit französischer und rumänischer Herkunft beliebt

Für einzelne Stadtkreise wich die Rangfolge bezüglich des Bezugslandes stark ab. So waren beispielsweise im Stadtkreis Freiburg die Personen mit Migrationshintergrund aus Rumänien mit mehr als 5 000 Personen (fast 9 %) die stärkste Bevölkerungsgruppe. Darüber hinaus spielten in Freiburg die Grenzverflechtungen zum Nachbarland Frankreich eine maßgebliche Rolle. Fast 7 % der Personen mit Migrationshintergrund hatten hier als Bezugsland den Nachbarstaat angegeben, während in Baden‑Württemberg insgesamt nur 2 % der Menschen mit Migrationshintergrund französische Wurzeln hatten.

Das Bezugsland Türkei lag in Freiburg hingegen nur an sechster Stelle. Anders in den Stadtkreisen Heilbronn, Mannheim, Ulm und Stuttgart. Dort stammten zwischen 19 % und 26 % der Personen mit Migrationshintergrund aus der Türkei.

Neben der Türkei, Italien und Kasachstan gehörten nur die Russische Föderation und Polen in allen Stadtkreisen des Landes zu den zehn häufigsten Bezugsländern. Griechenland erreichte hingegen lediglich im Stadtkreis Stuttgart mit mehr als 17 000 Personen (rund 8 %) einen größeren Anteil an den Personen mit Migrationshintergrund, in allen anderen Stadtkreisen lag deren Anteil deutlich darunter.

Ins Auge fällt darüber hinaus auch, dass Menschen mit einem US‑amerikanischen oder einem britischen Hintergrund gerne in Heidelberg leben. Nur hier zählten die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich zu den zehn häufigsten Bezugsländern. Nicht zuletzt das bisherige US‑amerikanische Hauptquartier für Europa in Heidelberg sorgte zum Zensusstichtag für einen hohen Anteil dort lebender Menschen mit amerikanischem Hintergrund.

Fazit

Der Zensus 2011 hat für Baden‑Württemberg im Vergleich zu Deutschland einen relativ hohen Anteil an Personen mit Migrationshintergrund nachgewiesen. Unter ihnen befanden sich im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt auch mehr Personen mit Migrationshintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit. Die starke Präsenz der Personen mit Migrationshintergrund in Baden‑Württemberg ist dabei auch für das schulische und berufliche Bildungssystem von Bedeutung. Mit Bezug auf zukünftige bildungspolitische Entscheidungen können die Zensusergebnisse wichtige Informationen liefern. Aus diesem Grund widmet sich ein weiterer Artikel im Monatsheft mit dem Thema: »Was uns der Zensus über den Bildungsstand in Baden‑Württemberg verrät« der im Zensus festgestellten schulischen und beruflichen Qualifikation der Bevölkerung.

1 Um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, wird im Folgenden in der Regel auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Ausdrucksweisen verzichtet.

2 Einseitiger Migrationshintergrund: Zuzug eines Elternteils; beidseitiger Migrationshintergrund: Zuzug beider Elternteile.

3 Als Menschen mit eigener Migrationserfahrung werden im Zensus 2011 Ausländer oder Deutsche bezeichnet, die nicht in Deutschland geboren und in das Bundesgebiet zugezogen sind.

4 Das Durchschnittsalter wurde auf Basis der im Zensus 2011 berechneten Einzelaltersjahre ermittelt.