:: 10/2014

Rückblick auf das Projekt BÜRGERFORUM Gesundheit

Durch Bürgerbeteiligung sprießen die Ideen

Für die Kommunen in Baden-Württemberg gilt es, dem demografischen Wandel aktiv entgegenzutreten, um auch in Zukunft ein attraktiver Ort für ihre Bevölkerung zu sein. Zur Gestaltung eines lebendigen, gesundheitsförderlichen und sozialen Gemeinwesens ist es ratsam, dass die Kommunen, ihre Bürgerinnen und Bürger so-wie Multiplikatoren vor Ort zusammenarbeiten.

Um diese Vernetzung zu fördern, nachhaltige Strukturen zu etablieren und innovative Projekte anzustoßen, hat die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg das Projekt BÜRGERFORUM Gesundheit ins Leben gerufen und die FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt mit der Durchführung beauftragt. »Seit unserem BÜRGERFORUM Gesundheit hat sich ein Stamm von 15 bis 20 Ehrenamtlichen gebildet, auf die ich mich verlassen kann«, berichtete Werner Somlai, Bürgermeister der am Projekt teilnehmenden Stadt Oberriexingen. Insgesamt zwölf BÜRGERFOREN Gesundheit wurden zwischen Juni 2013 und Februar 2014 durchgeführt.

BÜRGERFOREN sind auf den Bedarf vor Ort ausgerichtet

Die FamilienForschung Baden-Württemberg hat für das Programm BÜRGERFORUM Gesundheit eine strukturierte und zugleich pragmatische Vorgehensweise entwickelt. Die methodische Umsetzung und die inhaltlichen Schwerpunkte variierten jedoch je nach den Voraussetzungen vor Ort. Da jede Kommune vor ihren individuellen Herausforderungen steht, war es besonders wichtig, die Bürgerinnen und Bürger als Experten in eigener Sache von Anfang an in den Gestaltungsprozess einzubinden. So setzte jede Kommune ihre eigenen Themenschwerpunkte. Das generelle Thema Gesundheit wurde dabei allerorts sehr umfassend betrachtet. Für eine gute Gesundheit braucht es mehr als ausreichend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung, auch die emotionale und psychische Gesundheit lag allen Beteiligten sehr am Herzen. Neben den Themen Ernährungs- und Bewegungsangebote wurden deshalb häufig folgende Themen bzw. Fragestellungen für das BÜRGERFORUM formuliert: Wie schaffen wir Raum für Begegnung? Was können die Generationen miteinander aufgreifen und wie können sie voneinander profitieren? Wie können Menschen zum Mitwirken mobilisiert werden?

Oftmals zeigte sich in den Vorbereitungsgesprächen, dass in den Kommunen bereits eine große Fülle an Gesundheitsangeboten vorhanden ist. Es ging häufig auch darum, gesundheitsrelevante Angebote besser bekannt zu machen und übersichtlich darzustellen. Daher war auch der Aspekt Öffentlichkeitsarbeit ein häufig gewähltes BÜRGERFORUMs-Thema. »Wichtig ist, die vorhandenen Angebote zum Thema Gesundheit überhaupt erst einmal zu koordinieren, damit sich die Interessenten nicht überall zusammensuchen müssen, was an einem Wochentag alles bei uns stattfindet«, so der Oberriexinger Bürgermeister Werner Somlai.

Das Projekt BÜRGERFORUM Gesundheit in fünf Phasen

Die BÜRGERFOREN sind überwiegend in fünf standardisierten Phasen abgelaufen, die jedoch stets eine individuelle Ausgestaltung für die jeweilige Gemeinde zuließen:

Phase 1: Die Kommune arbeitet aus, welche Personen und Multiplikatoren in die Planungen des BÜRGERFORUMs miteinbezogen werden sollen. Dies können neben dem Bürgermeister bzw. Kommunalvertretern auch Akteure der Kommunalen Gesundheitskonferenz, Mitglieder des Gemeinde­rates, Vertretungen der Schule, des Sportvereins und der Kirche oder die Sozialstation sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger sein. Die so entstehende Projektgruppe unterstützt die Umsetzung des BÜRGERFORUMs maßgeblich.

Phase 2: Zu den Vorbereitungsgesprächen kommen alle Multiplikatoren an einem Ort zusammen. In diesem Erstgespräch, an welchem zwischen 10 und 25 Personen teilnehmen, findet eine Bedarfsanalyse und darauf aufbauend eine Festlegung der Themenschwerpunkte für das BÜRGERFORUM statt. Neben der inhaltlichen Planung werden organisatorische Dinge wie der Ort und das Datum des BÜRGERFORUMs geklärt.

Phase 3: Das eigentliche BÜRGERFORUM findet statt. Interessierte Bürger/-innen und örtliche Multiplikatoren kommen beim BÜRGERFORUM Gesundheit zusammen. Gemeinsam werden Ziele und Maßnahmen für mehr Gesundheitsorientierung vor Ort entwickelt.

Phase 4: Aus den im BÜRGERFORUM entwickelten Maßnahmen werden die nächsten Schritte im Nachgespräch abgeleitet und konkret geplant. Am Nachgespräch nehmen die Projektgruppenmitglieder sowie weitere engagierte Bürgerinnen und Bürger teil.

Phase 5: Neben den kommunalen Beteiligungsveranstaltungen kommt der Vernetzung zwischen den Kommunen eine besondere Bedeutung zu. In Vernetzungstreffen kommen jeweils drei Kommunen zusammen, um sich über den Prozess BÜRGERFORUM Gesundheit auszutauschen und voneinander zu lernen.

Aufgrund des flexiblen Rahmenkonzepts des Projekts konnten die Besonderheiten vor Ort stets einbezogen werden. In der Regel handelte es sich bei den BÜRGERFOREN um halbtägige Beteiligungsveranstaltungen. Die zwölf Foren wurden in Bad Boll, Oberriexingen, Dürmentingen, in den Stadtteilen Wohlgelegen und Hochstätt (Mannheim), in Filderstadt, Ravenstein, Remseck am Neckar, Bammental, Friesenheim, Tauberbischofsheim und Vaihingen an der Enz durchgeführt.

Beispielhafte Einblicke in den Ablauf eines BÜRGERFORUMs Gesundheit

Nach mehreren Vorbereitungstreffen, moderiert durch die FamilienForschung Baden-Württemberg, war es im Juni 2013 so weit: Bad Boll startete als erste Kommune mit dem Motto »Bewegung und Ernährung für Jung und Alt«. Noch vor der Begrüßung durch Bürgermeister Hans-Rudi Bührle und Birgit Pfitzenmaier, Abteilungsleiterin Gesellschaft und Kultur der Baden-Württemberg Stiftung, stimmten die Schüler der Heinrich-Schickhardt-Schule Bad Boll mit dem »BÜRGERFORUMs Groove« in den Tag ein. Nach einem kurzen Impulsvortrag zu den Themen Bewegung und Ernährung trafen sich die Teilnehmenden auf dem »Marktplatz«. Hier stellten sich verschiedene Projekte, Organisationen und Vereine vor. So wurde über den »laufenden Schulbus« informiert, mit dem die körperliche Bewegung in den Alltag von Schüler/innen integriert und der Schulweg zu Fuß gegangen wird. Als weiteres Beispiel wurde das Projekt »Komm in das gesunde Boot« der Baden-Württemberg Stiftung zur Gesundheitsförderung von Kindergarten- und Grundschulkindern vorgestellt. Hier werden Kinder auf spielerische Art zum Beispiel an gesunde Ernährung herangeführt. Zudem konnten generationsübergreifende Sportgeräte selbst ausprobiert werden.

Nachdem sich die Teilnehmenden des BÜRGERFORUMs mithilfe des »Marktplatzes« einen Überblick darüber verschafft hatten, welche Handlungsansätze und gute Beispiele für mehr Gesundheitsorientierung es bereits gibt, teilten sie sich in vier Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten auf.

Insgesamt gab es zwei Arbeitsgruppenphasen. Die erste Arbeitsgruppenphase umfasste die Bestandsanalyse, in der zunächst das bestehende Angebot bewertet wurde und weitere Verbesserungen zur Diskussion kamen. Auf dieser Grundlage wurden dann Ziele formuliert und von den Teilnehmenden in eine Rangfolge gebracht. In der zweiten Arbeitsgruppenphase entwickelten die Teilnehmenden zu den am höchsten priorisierten Zielen erste Maßnahmen. Darüber hinaus wurde geplant, welche Personen (»Kümmerer«) sich um die Umsetzung der Maßnahmen kümmern sollten.

Anschließend wurden die entwickelten Maßnahmen aus den Arbeitsgruppen im Plenum vorgestellt, sodass jede Gruppe einen Einblick in die weiteren bearbeiteten Themen bekam.

Ein vielfältiges Rahmenprogramm zeichnete die BÜRGERFOREN aus, sorgte für eine angenehme Stimmung und brachte auch Bewegung zu den Teilnehmenden. Beispielsweise ließen die Bad Boller das BÜRGERFORUM mit einem menschlichen Tischkicker ausklingen, in Vaihingen an der Enz konnten die Teilnehmenden ihre Gedächtnisleistung anhand eines mentalen Trainings erproben und nach der ersten Arbeitsgruppenphase sorgte die Wirbelsäulengymnastik für Entspannung und weitere Motivation.

Aus Ideen werden konkrete Projekte

Jedem BÜRGERFORUM folgte ein Nachgespräch, in dem die entwickelten Maßnahmen weiter geplant und – falls noch nicht geschehen – »Kümmerer und Unterstützer« gewonnen wurden. In jedem BÜRGERFORUM wurden ca. 30 Maßnahmen entwickelt. Ein Großteil der Maßnahmen wurde bereits kurzfristig angestoßen oder schon umgesetzt. So wurde in Bad Boll das Projekt »Generationengärtnern« gestartet, bei dem Gartenbesitzer, die ihre Gärten nicht mehr bewirtschaften können, mit Interessenten zusammenkommen, die gerne einen Garten bestellen möchten, jedoch weder ein Grundstück bzw. das nötige Wissen haben. In Friesenheim wurden private Kochrunden initiiert, bei denen fünf bis sechs Personen in einer Wohnung zusammenkommen, kochen und gemeinsam essen. In Bammental wurden Seniorinnen zum Handballnachmittag eingeladen, weil es ein Ziel war, das Miteinander der Generationen zu fördern. Um die vorhandenen Angebote bekannter zu machen, wollen Remseck am Neckar, Vaihingen an der Enz und Oberriexingen eine Broschüre dazu erstellen. In dieser sollen alle Angebote übersichtlich – beispielsweise nach Themenfeldern und Altersgruppen sortiert – aufgelistet werden. In Arbeitsgruppen wird ­bereits an dem Entwurf einer solchen Broschüre gearbeitet.

Austausch zwischen den Kommunen fördert das gemeinsame Lernen

Insgesamt haben neben den zwölf Beteiligungsveranstaltungen vier Vernetzungstreffen stattgefunden, zu denen jeweils drei teilnehmende Kommunen zusammenkamen, um sich über ihre Erfahrungen im Prozess BÜRGERFORUM Gesundheit auszutauschen und voneinander zu lernen. Ein besonderes Anliegen war allen Kommunen die Nachhaltigkeit der Maßnahmen und die Vernetzung bestehender Organisationen wie zum Beispiel Vereine und Altenhilfeeinrichtungen. Wie die Nachhaltigkeit gesichert werden soll, bestimmt jede Kommune selbst. Beispielsweise wurden in Ravenstein kleine Arbeitsgruppen gebildet, die ihr Thema weiter bearbeiten. In Bammental gibt es regelmäßige Treffen, bei denen alle Multiplikatoren zusammenkommen, sich über den Stand der Dinge austauschen und die nächsten Schritte planen. In Vaihingen an der Enz melden Themenverantwortliche regelmäßig einen Zwischenstand an die dortige Projektkoordinatorin. Die Kommune fungiert je nach Maßnahme als Informationsvermittler, Berater und Umsetzer.

90 % der Teilnehmenden waren mit den BÜRGERFOREN sehr zufrieden bzw. zufrieden

Nach jedem BÜRGERFORUM wurden die Teilnehmenden gefragt, wie ihnen die Veranstaltung gefallen hat. Das Schaubild zeigt die Bewertung: 44 % der Teilnehmenden waren sehr zufrieden, 46 % zufrieden.

Angegeben werden konnten auch offene Antworten zu Punkten, die besonders gut waren oder die verbessert werden könnten. Besonders positiv hervorgehoben wurden der »offene Austausch«, »dass jeder zu Wort kommt«, »das Catering«, »die angenehme Atmosphäre« und »die Gespräche zwischendurch«. Als Verbesserungen wurden die stärkere »Mobilisierung der Bürger«, ein »längerer Zeitraum, um Dinge nicht nur anzudiskutieren« und eine noch »bessere Durchmischung der Generationen« genannt.

Fazit

Gesundheitsfördernde Lebensbedingungen entstehen im regionalen Kontext. Das Projekt BÜRGERFORUM Gesundheit der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg bot den Kommunen die Chance, das Thema Gesundheitsförderung voranzutreiben und ihre Attraktivität für die Bevölkerung und für Arbeitgeber zu steigern. Dass die Bemühungen der Kommunen auch belohnt werden, zeigt sich am Beispiel Oberriexingen. Die Stadt wurde im November mit dem »Förderpreis Gesunde Kommune« des Krankenkassenverbands B 52 ausgezeichnet. Das Preisgeld investiert Oberriexingen direkt in die Umsetzung der im BÜRGERFORUM entwickelten Maßnahmen. In den BÜRGERFOREN wurde deutlich, dass es für ein lebendiges Gemeinwesen einer Kultur bedarf, in der bürgerschaftliches Engagement als selbstverständlich angesehen wird. Dies gilt es mit einer entsprechenden Anerkennungskultur zu unterstützen.