:: 12/2014

Migrationsspezifische Analysen in kleinräumigen Kontexten

Differentielle Beschreibungsmuster der Wohnbevölkerung Ostwürttembergs nach bildungsrelevanten Altersgruppen und regionalen Verteilungsmustern

Kommunale Bildungs- und Integrationsmonitoringprozesse verfolgen die Zielsetzung, auf Basis empirischer Einsichten steuerungsrelevantes Wissen vor Ort bereitzustellen (vgl. zum Beispiel Gehrmann/Pelzmann 2010). Im Hinblick auf migrationsspezifische Fragen stellt sich die Datenlage hierzu jedoch in kleinräumigen Kontexten lückenhaft dar. So erfasste die Schulstatistik bis vor Kurzem noch lediglich die Staatsangehörigkeit von Schülern1. Informationen hinsichtlich der Abschätzung der Größenordnung und des Charakters der mit Migration verbundenen Aufgaben für die Bildungspolitik und pädagogische Praxis sind auf dieser Grundlage nur bedingt aussagekräftig. Im Gegenteil wird eher die faktische Situation von Migranten verdeckt, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung mittels Erhebungen des Mikrozensus bundesweit auf etwa ein Fünftel beziffert wird bzw. sich bei der Altersgruppe der unter 25-Jährigen auf rund ein Viertel beläuft. Seit dem Schuljahr 2013/14 wird der Migrationshintergrund zwar schulstatistisch erfragt, allerdings findet dabei ein anderes Konzept Verwendung als im Mikrozensus. Das in diesem Beitrag vorgestellte Verfahren zur Berechnung des Migrationshintergrunds schließt diese Informationslücke mithilfe von Vollerhebungen aus den kommunalen Einwohnermelderegistern und zeigt exemplarisch Ergebnisse aus einer Region Baden-Württembergs.

Einleitung und Problemstellung

Mit dem ersten Integrationsgipfel 2006 einigten sich Bund, Länder und Kommunen unter Beteiligung von Migrantenverbänden und -organisationen erstmals auf gemeinsame Leitlinien einer neuen Integrationspolitik. Ergebnis dieser Bemühungen war der im Jahr 2007 verabschiedete Nationale Integrationsplan (NIP). Integration wird damit zu einer »Aufgabe von nationaler Bedeutung« (NIP 2007, S. 1), bei der die Rolle von gelingenden Bildungsprozessen in deren Zentrum rückt und sich datenbasiert mit regelmäßigen indikatorengestützten Berichterstattungen evaluieren lässt (vgl. ebd., S. 3 f.). Vor diesem Hintergrund erschien 2009 der Erste Integrationsindikatorenbericht »Integration in Deutschland«, der anhand von 100 Indikatoren in 14 Handlungsfeldern die Situation der Migranten anschaulich beschrieb.

Damit folgt die Integrationspolitik einem in der Bildungspolitik bereits länger anhaltenden Trend der indikatorengestützten Berichterstattung, die ihrerseits migrationsspezifische Analysen zum Schwerpunktthema ihres ersten nationalen Berichts 2006 erhob (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2006). Die Bildungsberichterstattung ist vielfach auf der Ebene von Ländern, Regionen, Landkreisen und Städten angekommen (vgl. Deutscher Städtetag 2009) und integrativer Bestandteil der Qualitätssicherung und -entwicklung von Bund und Ländern (vgl. KMK 2006).

In Anbetracht der skizzierten zunehmenden (bildungs-)politischen Fokussierung von Migration und damit assoziierten Integrationsprozessen sind belastbare Informationen darüber, zumindest auf regionaler und kommunaler Ebene, wider Erwarten nur lückenhaft verfügbar. Das bislang gängige – wenn auch zuletzt heftiger Kritik ausgesetzte – Ausländerkonzept war nicht in der Lage, aussagekräftige Informationen hinsichtlich der Abschätzung der Größenordnung und des Charakters der mit Migration verbundenen Aufgaben für die Bildungspolitik und pädagogische Praxis bereitzustellen. Im Gegenteil verdeckt es die faktische Situation von Migranten, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung mittels Erhebungen des Mikrozensus in Baden-Württemberg auf mittlerweile (2011) etwas mehr als ein Viertel beziffert wird bzw. sich bei der Altersgruppe der unter 25-Jährigen auf rund ein Drittel beläuft (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013, S. 26). Trotz vielfacher Bestrebungen änderte sich daran bis vor Kurzem vor allem in der Schulstatistik nur wenig (vgl. zum Beispiel Statistisches Landesamt Baden-Württemberg/Landesinstitut für Schulentwicklung 2011). Erst seit dem Schuljahr 2012/13 wird der Migrationshintergrund der Schüler an den öffentlichen und seit 2013/14 auch an den privaten Schulen erfasst. Allerdings folgt diese Erhebung dem von der Kultusministerkonferenz vorgegebenem Konzept und nicht dem Konzept des Mikrozensus.2

Aufgrund des prognostizierten demografischen Wandels, des damit verbundenen Mangels an qualifiziertem Nachwuchs für das Beschäftigungssystem, aber auch im Kontext von Fragen der sozialen Integration, sind migrationsbezogene Informationsbedürfnisse längst auch in den Fokus der Aufmerksamkeit aktueller Bildungs- und Integrationspolitik in Landkreisen und Kommunen gerückt.

Da sich die Ergebnisse des Mikrozensus aufgrund dessen Erhebungscharakters aber nur eingeschränkt für regionale, nicht aber für kommunale oder gar kleinräumige Analysen auf der Ebene von Stadtteilen und -vierteln mittelgroßer und kleiner Städte und Gemeinden verwenden lassen, soll im vorliegenden Beitrag eine Methode zur Ermittlung des Migrationshintergrunds und deren Ergebnisse für den peripheren Raum am Beispiel der Region Ostwürttemberg vorgestellt werden (siehe i-Punkt »Ostwürttemberg als Bildungsregion«).

Zunächst sollen derzeit diskutierte Migrationskonzepte besprochen, das methodisch-technische Vorgehen konkretisiert sowie zentrale Ergebnisse vorgestellt werden. Ob und in welchem Umfang diese so gewonnenen Informationen für sich genommen tatsächlich steuerungsrelevant sind, wird in einer abschließenden Diskussion erörtert.

Migrationskonzepte

Die statistische Erfassung des Migrationshintergrunds erfolgt durchaus inkonsistent in Abhängigkeit der erhebenden Institution und unter pragmatischen Aspekten, sodass es aus Gründen der Vergleichbarkeit geboten ist, bei Angaben zum Migrationshintergrund gleichsam die hierfür definierten Variablensets zu benennen. Während die Schulleistungsstudien PISA und IGLU, die Kinder- und Jugendhilfestatistik und seit dem vorletzten Schuljahr auch die Schulstatistik des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg die Merkmale Migrationshintergrund der Eltern, Geburtsort im Ausland und die zu Hause überwiegend gesprochene Sprache als Migrationsindikatoren heranziehen, verwenden der Mikrozensus und das Einwohnermelderegister3 zusätzlich Informationen zur Staatsangehörigkeit, Optionsregelung und Einbürgerung, allerdings ohne Hinweise auf das Sprachverhalten zu erzeugen (vgl. zum Beispiel Autorengruppe regionale Bildungsberichterstattung Berlin-Brandenburg 2008, S. 40). Hinzu kommen erhebungsmethodische Unterschiede. Während der Mikrozensus eine Repräsentativbefragung darstellt, stellt die Ableitung des Migrationshintergrunds aus dem Einwohnermelderegister eine Vollerhebung dar, die es unter Berücksichtigung des Datenschutzes ermöglicht, auch für kleinräumige Kontexte – bis hin zur Baublockseite – valide Ergebnisse zur Verfügung zu stellen.

Der Vorteil der Einbeziehung möglichst vieler migrationsrelevanter Variablen liegt in der differenzierteren Aussagekraft der Ergebnisse begründet. So werden nicht nur (Pass-)Ausländer erfasst, sondern auch Eingebürgerte, Doppelstaatler und (Spät-)Aussiedler mit Zuwanderungsgeschichte (erste Generation), deren Kinder (zweite Generation) und Kindeskinder (dritte Generation). Die Identifikation des Geburtsortes lässt indessen Rückschlüsse auf die regionale Herkunft von Migranten zu und gibt damit Auskunft über die Heterogenität der untersuchten Population. Die PISA-Studien zeigen in diesem Kontext, dass sowohl die persönliche Migrationsgeschichte als auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Migrantengruppe Einfluss auf die Schulleistung der Schüler mit Migrationshintergrund haben (vgl. zum Beispiel Müller/Stanat 2006).

Anders als für die bundesweite Bildungs- und Integrationsberichterstattung und auch im Gegensatz zum baden-württembergischen Landesbildungsbericht (2011) bezieht sich die in diesem Beitrag vorgestellte Methode nicht auf Daten des Mikrozensus, sondern auf ein Analyseverfahren der kommunalen Einwohnermelderegister der Städte und Gemeinden der Region Ostwürttemberg.

Methodische Implikationen und technisches Vorgehen

Aufgrund der beschriebenen, bislang nur beschränkten Aussagekraft der amtlichen Bevölkerungs- und Schulstatistik im Hinblick auf das tatsächliche Migrationsvorkommen sowie den statistischen Restriktionen bei der Verwendung von Mikrozensusdaten in kleinräumigen Kontexten, war es zur Darstellung des Migrationshintergrunds der Bevölkerung in den beiden Landkreisen Ostwürttembergs geboten, ein alternatives Verfahren zu dessen Rekonstruktion zu wählen. Hierbei war es einerseits von Bedeutung, eine dem Mikrozensus kongruente Migrationsdefinition anzulegen, um bei der Interpretation der Ergebnisse in einem gültigen Referenzrahmen argumentieren zu können, andererseits spielte die Darstellung der Ergebnisse bis auf die Ebene von Stadtvierteln für differenzierte Aussagen vor Ort eine Schlüsselrolle.

Vor diesem Hintergrund erschien es adäquat, den so definierten Anforderungen mithilfe der vom KOSIS4-Verbund, genauer dessen Arbeitsgemeinschaft HHSTAT5, entwickelten Software MigraPro gerecht zu werden. Die einzelnen Einwohnermelderegister der Städte bzw. Gemeinden der Region lieferten die zur Rekombination des Migrationshintergrunds notwendigen, personenbezogen Daten in verschlüsselter Form. Aufgrund datenschutzrechtlicher Vor­gaben ist dies allerdings nicht ohne das Einverständnis der betroffenen Gebietskörperschaften möglich. Bevor jedoch der Migrationshintergrund mit MigraPro abgeleitet werden kann, müssen zuvor sämtliche Einwohnermelderegister in eine standardisierte Einwohnerbestandsdatei (E6S) transferiert werden, die dem Statistikdatensatz Bevölkerungsbestand des Deutschen Städtetags (DST) entspricht (vgl. DST 2009). Die Standardisierung der Einwohnermeldedaten erfolgte für den Landkreis Ostalbkreis durch die Kommunale Informationsverarbeitung Reutlingen-Ulm (KIRU), für den Landkreis Heidenheim in Kooperation mit Fachinformatikern der Landkreisverwaltung. Auf diese Weise konnte für alle Städte und Gemeinden die zur Weiterverarbeitung mit MigraPro notwendige Einwohnerbestandsdatei generiert werden.

Nachdem im Melderegister allerdings zunächst nur Ausländer dokumentiert sind, leistet MigraPro durch die Ableitung der Variablen Zuzugsherkunft (W406), weitere Staatsangehörigkeit (P07), Art der deutschen Staatsangehörigkeit (P09) und Geburtsort bzw. Geburtsland (P10) zusätzlich die Identifikation von (Spät-)Aussiedlern und Eingebürgerten (siehe i-Punkt »Ableitung des Migrationshintergrunds«). Sofern die Kinder von Zuwandererfamilien noch im Haushalt ihrer Eltern wohnen, werden sie als zweite Zuwanderergeneration ebenfalls ausgewiesen. Heimatvertriebene und Flüchtlinge im Kontext des Zweiten Weltkriegs wird kein Migrationshintergrund zugewiesen, ebenso kann aufgrund der Datenlage nicht zwischen Aussiedlern und Spätaussiedlern unterschieden werden. MigraPro definiert somit drei Personengruppen als Migranten: Ausländer, (Spät-)Aussiedler und Eingebürgerte/Doppelstaatler. Dabei wird darüber hinaus das Bezugsland, aus dem die Zuwanderer bzw. deren Eltern nach Deutschland migrierten, ebenso erfasst wie die dichotome Kategorisierung des Migrationshintergrunds nach Ein- oder Zweiseitigkeit. Beide Spezifizierungen spielen für die Leistungserbringung in der Schule eine erhebliche Rolle (vgl. zum Beispiel Konsortium Bildungsberichterstattung 2006).

In Ostwürttemberg fast ein Viertel der Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Für die Region Ostwürttemberg gesamt ergaben die Analysen mit einem Migrantenanteil an der Bevölkerung von 24,6 % einen fast identischen Wert im Vergleich mit den Ergebnissen, die der Mikrozensus 2009 (25,4 %) hierfür liefert (vgl. Landesinstitut für Schulentwicklung/Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2011, S. 365). Damit einhergehend zeigt sich somit die Validität des verwendeten Verfahrens im Hinblick auf den nahezu mit dem Mikrozensus kongruenten Wert.

Die Übersicht zeigt das zugrunde liegende Migrationskonzept, die in die Analyse einbezogene Wohnbevölkerung (Ausschöpfungsquote 96 %7) Ostwürttembergs und deren quantitative Differenzierung in Deutsche ohne Migrationshintergrund und die in sich nochmals in Eingebürgerte/Doppelstaatler, (Spät-)Aussiedler und Ausländer diversifizierte Bevölkerung mit Migrationshintergrund.

Im Vergleich zum in der Bevölkerungsstatistik erfassten Passstatus »Ausländer« (7,9 %) ist der ermittelte Wert der Menschen mit Migrationshintergrund in Ostwürttemberg damit dreimal so hoch.

Die Auswertungsergebnisse für die beiden Landkreise stellen sich wie folgt dar: In der Auswertung für den Landkreis Ostalbkreis konnten 306 3258 Personen mit Haupt- oder Erstwohnsitz berücksichtigt werden (Ausschöpfungsquote: 98,1 %), von denen 67 392 einen Migrationshintergrund aufwiesen (22,0 %). Die Bevölkerung setzt sich dabei zu 8,9 % aus (Spät-) Aussiedlern, 7,4 % Ausländern und 5,7 % Eingebürgerten/Doppelstaatlern zusammen. Mit einer Ausschöpfungsquote von 92,0 % bzw. 121 243 Personen waren für den Landkreis Heidenheim etwas weniger Einwohner in die Auswertung ein­bezogen. Dabei konnte für 37 820 Personen (31,2 %) ein Migrationshintergrund festgestellt werden, der sich zu 11,0 % aus (Spät-) Aussiedlern, 10,8 % Eingebürgerten/Doppelstaatlern und 9,4 % Ausländern ergibt.

Im Ostalbkreis fast ein Drittel der unter 10-Jährigen mit Migrationshintergrund

Da für den Ostalbkreis sowohl eine höhere Ausschöpfungsquote als auch eine deutlich bessere Datenqualität vorliegen, die es erlauben, tiefergehende Analysen zu berechnen, werden die Auswertungen für diesen Landkreis nachfolgend detaillierter vorgestellt.9 Mit seinen über 300 000 Einwohnern ist der Ostalbkreis einer der größten Landkreise Baden-Württembergs, bestehend aus 42 Städten und Gemeinden mit den drei Großen Kreisstädten Aalen, Ellwangen und Schwäbisch Gmünd. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund variiert in den Städten und Gemeinden von 34,2 % bis hin zu 5,9 %, wobei die Städte sich tendenziell im oberen Drittel der Häufigkeitsverteilung befinden, während die kleineren, ländlich geprägten Gemeinden bisweilen nur Migrantenanteile im einstelligen Prozentbereich aufweisen. Diese Tendenz lässt sich empirisch anhand korrelativer Zusammenhänge der Wohnbevölkerung mit deren Migrantenanteilen in den einzelnen Städten und Gemeinden nachweisen. Interessant ist hierbei, dass sich die drei Migrantengruppen hinsichtlich ihrer Ortswahl zu unterscheiden scheinen. Während Ausländer (r=0.6510) und Eingebürgerte (r=0.54) eher dazu neigen bevölkerungsreichere Gebiete zu bewohnen, gibt es hierfür bei (Spät-)Aussiedlern (r=0.14) keine Anzeichen.11

Bei der kreisweiten Betrachtung der Migrationsanteile nach Altersgruppen können erhebliche Differenzen konstatiert werden, die aber erkennbar einem Trend folgen: Je älter die Einwohner sind, desto weniger Migranten befinden sich in unter ihnen. Die drei für unter 10-Jährige gebildeten Altersgruppen weisen einen durchschnittlichen Migrantenanteil von ca. einem Drittel auf, wohingegen sich in der Altersgruppe der 10- bis unter 20-Jährigen deren Anteil auf rund ein Viertel reduziert. Anders formuliert bedeuten diese Befunde, dass im Elementar- und Primarbereich ungefähr jedes dritte Kind einen Zuwanderungshintergrund besitzt, während dies in der Sekundarstufe I und II für jeden vierten Schüler zutrifft.

Mit zunehmendem Alter sinkt der Migrantenanteil und erreicht bei Personen, die älter als 81 Jahre sind, seinen Tiefststand von 11,4 %. Bei spezifischer Betrachtung des Migrationshintergrunds ist ferner der sukzessive Rückgang von in der Einwohnermeldestatistik verzeichneten Ausländern zu erkennen, wogegen insbesondere der Anteil von Eingebürgerten und Doppelstaatlern deutlich ansteigt. Dieses Phänomen ist zunächst nicht verwunderlich, da es im Zuge der Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 mit der Implementierung des Geburtsortsprinzips (ius soli) zusammenhängt. Dennoch zeigt diese quasilängsschnittliche Betrachtung die faktisch unzulängliche statistische Erfassung von Migranten allein über das Merkmal Staatsangehörigkeit, da der Anteil an Ausländern so zwar vermeintlich sinkt, der real existierende Migrationshintergrund damit aber deutlich und vor allem prospektiv unterschätzt wird.

Der Anteil der Migranten ist in Städten höher als in kleineren Gemeinden

Ein in diesem Kontext vergleichbares Bild eröffnet der Blick auf die einzelnen Städte und Gemeinden des Landkreises, wobei sich die Städte mit erheblich höheren Prozentwerten im Hinblick auf ihren Migrantenanteil insgesamt – besonders aber im Elementar- und Primarbereich – deutlich von den Gemeinden abheben. Beispielsweise liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund unter 3 Jahren in den Städten Schwäbisch Gmünd, Heubach und Bopfingen bei ca. 50 %, während er sich in den ländlichen Gemeinden Eschach, Ellenberg und Neuler auf rund 10 % beziffert.

In absehbarer Zeit werden sich damit besonders die schulischen Bildungseinrichtungen in den Städten auf weiter steigende Migrantenzahlen einstellen müssen – eine Tatsache, die im frühkindlichen Bildungsbereich und in der Wirtschaft längst angekommen ist und in den Kommunen zu erheblichen Veränderung im alltäglichen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsgeschehen (zum Beispiel Sprachförderung, Qualifikation des pädagogischen Personals, Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf) führt (vgl. zum Beispiel Bildung in Schwäbisch Gmünd 2010, S. 35 ff.; Handlungskonzept der BildungsRegion Ostalb 2012, S. 23 f.).

Auf dem im Zusammenhang dieser Analysen niedrigsten Aggregationsniveau, der Stadtteilebene, sollen die Ergebnisse für die Stadt Schwäbisch Gmünd beispielhaft dargestellt werden. Hier zeigt sich, dass der Anteil der Migranten sukzessive mit der Annäherung an das Gebiet der Kernstadt ansteigt, in der 45,4 % der Einwohner einen Migrationshintergrund aufweisen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich dieser in den Altersgruppen des vorschulischen Bildungsbereichs nochmals sichtbar vergrößert. So konnten dort 66,6 % der unter 3-Jährigen als Kinder mit Migrationshintergrund identifiziert werden.

Hinsichtlich der Zuzugsherkunft lässt sich für den Ostalbkreis eine starke Heterogenität der Herkunftsgebiete erkennen. Die größte Gruppe ist aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zugewandert.12 Gemessen an der Gesamtbevölkerung beträgt ihr Anteil knapp über 6 % bzw. bezogen auf die Bevölkerung mit Migrationshintergrund 28 %. Ebenfalls häufig vertreten sind türkischstämmige Zuwanderer (4 % bzw. 19 %) und Migranten aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens (2 % bzw. 10 %). Für alle weiteren Zuzugsgebiete ergaben sich, gemessen an der Kreisbevölkerung, nur noch Prozentwerte von unter einem Prozent, die hier nicht näher diversifiziert werden sollen. Insgesamt konnten mindestens13 162 verschiedene Zuzugsstaaten nachgewiesen werden.

Zusammenfassung und Diskussion

Das in diesem Beitrag vorgestellte Verfahren zur Berechnung des Migrationshintergrunds ermöglicht es, auch differenzierte Aussagen in kleinräumigen Kontexten zur Zusammensetzung der Bevölkerung vor Ort zu generieren, wobei die hierzu erfassten Variablen kongruent zu denen des Mikrozensus sind. Indes zeigen die hier vorgelegten Auswertungen, dass Migration nicht nur ein urbanes Phänomen in Ballungszentren darstellt, sondern durchaus auch in eher ländlich geprägten Regionen evident ist. Vor allem in den Kreisstädten wie zum Beispiel Schwäbisch Gmünd ist der Migrantenanteil bei unter 3-Jährigen mit 51,6 % vergleichbar mit Großstädten wie Köln oder Stuttgart, für die der Mikrozensus 2008 Prozent­werte von 53,0 % bzw. 57,5 % ermittelte.

Die Herausforderungen des demografischen Wandels potenzieren sich im ländlichen Raum damit in doppelter Hinsicht. Bei deutlich größeren Bevölkerungsrückgängen steigt die Diversität der Bevölkerung und damit nicht zuletzt der Anspruch an die ansässigen Bildungseinrichtungen, die nachwachsende Generation möglichst optimal zu fördern, um dem Bedarf an adäquat qualifizierten Fachkräften in der Region gerecht zu werden. Der Mehrwert von kommunalen (Bildungs-) Monitoringprozessen zeigt sich vor allem mit der versachlichenden, auf Fakten beruhenden Offenlegung migrationsspezifischer, differenziert dargestellter Gegebenheiten vor Ort. Die Kategorisierung der Bevölkerung in bildungsrelevante Altersgruppen und lokale Gebietseinheiten ermöglicht dabei zumindest eine approximative Darstellung der Situation in den Bildungseinrichtungen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass statistisch erfasste Bezirke mit dem Einzugsbiet der entsprechenden Bildungseinrichtungen identisch sind und es keine Wahlmöglichkeiten deren Besucher gibt (wie zum Beispiel zurzeit noch im baden-württembergischen Primarbereich).

Hierbei werden zugleich die Restriktionen des Verfahrens ersichtlich, das aus pragmatischen und datenschutzrechtlichen Gründen eben nicht institutionen-, sondern bevölkerungs- und gebietsbezogen angelegt ist. Damit sind weitere – im Hinblick auf die Verwendung und Aussagekraft der vorgelegten Daten – assoziierte Probleme angesprochen. Aussagen zum Migrationshintergrund sind für sich genommen nun zwar personenbezogen bzw. individualstatistisch möglich, doch lassen sich diese Informationen nicht mit dem Output – zum Beispiel den erworbenen Kompetenzen oder Abschlüssen der Schüler – einzelner Bildungseinrichtungen oder sozioökonomischer Kontextvariablen in Verbindung bringen. Eine kausal-analytisch begründete direkte Ableitung von Handlungsmaßnahmen erscheint somit aufgrund der Datenlage (noch) nicht möglich und eine zielgerichtete Erreichung der bildungs- und integrationspolitischen Leitziele der Chancen- und Leistungsgleichheit14 für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund noch als eine zukünftige Herausforderung.

Eine Möglichkeit, den erwähnten gesamtgesellschaftlichen Zielen näherzukommen, wäre in diesem Zusammenhang womöglich eine Verantwortungsverlagerung auf die regionale oder kommunale Ebene unter Offenlegung der notwendigen Datenquellen.15 Kommunale Bildungsmonitoringprozesse können auf diese Weise als datenbasierte Grundlage für die Diskussion um Handlungsstrategien vor Ort unter Beteiligung der dort agierenden Akteure (zum Beispiel Schule, Schulaufsicht, Schulträger etc.) dienen. Sie assoziieren spezifische Ergebnisse in einem breiteren Kontext, sodass Zusammenhänge auch zwischen verschiedenen Bildungsbereichen deutlich werden.

Ob dann allerdings tatsächlich konkrete Handlungsmaßnahmen eingeleitet und auch implementiert werden oder ob evidenzbasierte Steuerungsvorstellungen durch Bildungsmonitoringprozesse lediglich eine »expressive Funktion« (Drewek 2009, S. 185) beschreiben, die bestenfalls ein Problembewusstsein für bestehende Defizite schaffen und die Suche nach Lösungskonzepten anregen, ist vor dem Hintergrund der »historischen Trägheit der institutionellen Makroebene und der strategischen Flexibilität auf der Interaktions- und Akteursebene« (ebd.) zu diskutieren. Um diese Herausforderung zu lösen, ist es geboten die vor Ort beteiligten Akteure in Bildungsmonitoringprozesse von Anfang an bis zur Planung und Umsetzung konkreter Projekte miteinzubeziehen.

1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird das inkludierende Maskulinum verwendet.

2 Nach dem Konzept der Schulstatistik hat einen Migrationshintergrund, wer mindestens eines der folgenden Merkmale erfüllt: keine deutsche Staatsangehörigkeit; nichtdeutsches Geburtsland; nichtdeutsche Verkehrssprache in der Familie bzw. im häuslichen Umfeld (auch wenn der Schüler die deutsche Sprache beherrscht). Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland – Kommission für Statistik: Definitionenkatalog zur Schulstatistik 2012, S. 29.

3 Der Migrationshintergrund wird hier zwar nicht ausgewiesen, dennoch liegen dort die zu dessen Rekombination notwendigen Variablen vor.

4 Kommunales Statistisches Informationssystem.

5 Koordinierte Haushalte- und Bevölkerungsstatistik.

6 Die Bezeichnungen entsprechen der Nomenklatur der Bevölkerungsbestandsstatistik des Deutschen Städtetags 2010.

7 Die Differenz zur vollständigen Erfassung der gesamten Bevölkerung lässt keine systematische Verzerrung der Ergebnisse erwarten, da sich die Missings (zufällig) aufgrund technischer Aufbereitungsprobleme der Ausgangsdatensätze ergaben.

8 Ableitungsstichtag ist jeweils der 31.12.2009.

9 Weitere und detailliertere Ergebnisse sowie Schaubilder und Tabellen zu den Ausführungen finden sich im Bildungsbericht des Landkreises (vgl. Bildung im Ostalbkreis 2011, S.24 ff.).

10 Signifikanzniveau jeweils p<0.01.

11 Auch eine Clusteranalyse des spezifischen Migrationshintergrunds nach Gebietseinheiten replizierte diese Befunde.

12 Zur Gruppenbildung vgl. Bildung im Ostalbkreis 2001, S. 179.

13 Bei 1 522 Einwohnern waren hinsichtlich der Zuzugsherkunft keine Angaben vorhanden, weshalb hier von mindestens gesprochen werden muss, 39 Einwohner gaben an staatenlos zu sein, bei weiteren 144 konnte aufgrund unklarer Angaben des Wohnorts das Zuzugsgebiet nicht eindeutig nachgewiesen werden.

14 Bei Kontrolle sozioökonomischer Hintergrundvariablen.

15 Ein möglicher Ansatz wäre hierfür zum Beispiel die Implementierung einer Schülerindividualstatistik unter Einbeziehung von Angaben zum Migrationshintergrund.