:: 12/2014

Die Linse – Renaissance einer Hülsenfrucht in Baden-Württemberg

Auf der Schwäbischen Alb bedingten die geologischen Besonderheiten auch die landwirtschaftliche Entwicklung. Ludwig Uhlands literarischer Spruch »Viel Steine gab’s und wenig Brot« sagt einiges aus über die kargen Böden der Schwäbischen Alb. So machten es Klima, Boden, Wasser und Wind den Menschen hier schon immer schwer, die Landschaft zu bewirtschaften. Die Erträge waren gering, hier gediehen vor allem anspruchslose Pflanzen wie Linsen. Da Linsen darüber hinaus einen hohen Nährwert besitzen, waren dies wohl die entscheidenden Gründe für die Bauern vergangener Zeiten, hier Linsen anzubauen. Nachdem der Anbau von Linsen während des 20. Jahrhunderts komplett eingestellt wurde, erlebt er auf der Schwäbischen Alb seit 1985 im kleinen Rahmen eine wahre Renaissance.

Ein Schmetterlingsblütler

Die Linse ist eine Pflanzenart aus der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler innerhalb der Familie der Hülsenfrüchte. Sie wächst als einjährige krautige Pflanze und erreicht eine Wuchshöhe von 10 bis 50 cm. Linsen stammen vermutlich aus dem Mittelmeerraum oder Kleinasien. Bereits im antiken Ägypten gehörten sie zu den Grundnahrungsmitteln. Als Volksnahrungsmittel waren Linsen in den alten Kulturen in Mesopotamien und Persien sehr beliebt. Eine erste große literarische Würdigung erhält die Linse im Alten Testament, in dem dargestellt wird, wie Esau sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkauft. Die heute angebauten Linsensorten stammen alle von der Wildlinse lens orientalis ab. Im Gegensatz zu anderen Hülsenfrüchten wie Erbsen oder Bohnen sind Linsen leichter zu verdauen und haben einen sehr hohen Eiweißanteil von ca. 25 bis 30 % in der Trockenmasse. Die in rohen Linsen enthaltenen unbekömmlichen und schädlichen Inhaltsstoffe (zum Beispiel Lektine) werden durch das Kochen unschädlich gemacht. Der heutige Anbau von Linsen erfolgt zumeist in Mischkultur zusammen mit Getreide, das die nötige Rankhilfe bietet. Geerntet wird mit Mähdreschern. Anschließend wird das Erntegut, das aus einer Mischung von Getreidekörnern und Linsen besteht, in einem technisch sehr aufwändigen Verfahren getrennt. Die Erträge der heute angebauten Linsen schwanken von 850 kg pro Hektar (ha) in einem sehr guten Jahr bis hin zu unter 500 kg pro ha in klimatisch schlechteren Jahren, sind aber viel konstanter als vor hundert Jahren.

Die Anbaugebiete für Linsen im Königreich Württemberg konzentrierten sich fast nur auf den Bereich der Schwäbischen Alb. Im Jahr 1864 wurden dort noch auf über 4 500 ha, im gesamten Deutschen Kaiserreich zu dieser Zeit auf mehreren zehntausend Hektar Anbaufläche Linsen kultiviert. So geht aus den Statistiken des Deutschen Reiches zu den Hauptergebnissen der Anbau- und Ernteermittlung 1878 hervor, dass seinerzeit auf annähernd 40 000 ha Fläche Linsen angebaut wurden. Der Ertrag lag im gleichen Jahr bei mehr als 116 000 Dezitonnen (dt). Mitte des letzten Jahrhunderts kam der Linsenanbau auf der Schwäbischen Alb aufgrund der schwankenden Erträge und des sehr hohen Arbeitsaufwandes bei der Trocknung und Reinigung nach der Ernte praktisch zum Erliegen. Zuletzt wurden auf weniger als 200 ha noch Linsen angebaut.

Seit 1985 ist der Anbau von Alblinsen wieder aufgekommen. Der Neubeginn war schwierig, weil die ursprünglich angebauten Linsensorten als Saatgut nicht mehr zu finden waren. So verwendete man zur Aussaat eine Sorte aus dem französischen Zentralmassiv. Dies war ein Glücksgriff, denn diese Linsensorte passte gut zu den rauen Standortverhältnissen auf der Schwäbischen Alb. Da Linsen buschig wachsen, werden sie auch heute wieder auf der Schwäbischen Alb in einer traditionellen Mischkultur mit Hafer oder Gerste angebaut. Durch einen glücklichen Zufall wurden im Jahre 2006 in der Genbank des Sankt Petersburger Wawilow-Institutes die ursprünglich auf der Alb angebauten Sorten wiederentdeckt. Das in einer kleinen Menge zur Verfügung gestellte Saatgut wurde in den Folgejahren in mühevoller Arbeit vermehrt. Zuerst im Gewächshaus, dann unter Hagelschutznetzen und schließlich im Freiland. Als Resultat all dieser Bemühungen wurden und werden von einer Erzeugergemeinschaft neben der französischen Sorte auch die ursprünglichen Alblinsensorten wieder im Ertragsanbau auf der Alb angebaut. Seit 2011 werden diese Linsensorten auch wieder im Handel angeboten. Neben der Schwäbischen Alb gibt es derzeit in Deutschland nur ein erwähnenswertes Anbaugebiet in Bayern.

Dem Linsenanbau auf der Schwäbischen Alb ist hoffentlich eine erfolgreiche Zukunft beschieden. Zumal Linsen ein Hauptbestandteil des »Schwäbischen Nationalgerichtes« Linsen, Spätzle und Saitenwürstle sind (siehe i-Punkt). Der Bedarf der in Deutschland und somit auch in Baden-Württemberg verzehrten Linsen muss nach wie vor hauptsächlich über Exporte befriedigt werden. Weltweit die größten Anbauländer sind aktuell Indien, Kanada, die Türkei und Syrien. In Europa gibt es hauptsächlich in Spanien, Italien und Frankreich bedeutende Anbaugebiete.