:: 4/2015

Zukunftsorientiertes Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung

Einblick in die Informations- und Beratungspraxis des Kompetenzzentrums Beruf & Familie Baden‑Württemberg

Der demografische und soziale Wandel beeinflusst und verändert die Arbeitswelt, weil er zu einem Wandel in der Zusammensetzung des Arbeitskräfteangebots führt und damit öffentliche wie private Arbeitgeber vor große Herausforderungen stellt: Mit welchen Instrumenten können neue Fachkräfte im In- und Ausland rekrutiert werden? Wie können Motivation, Leistungsfähigkeit und Wissen der Beschäftigten lebensphasenorientiert erhalten und gefördert werden? Wie kann schließlich das Ausscheiden aus dem Berufsleben begleitet und das Wissen in der Organisation rechtzeitig gesichert werden?

Die öffentliche Verwaltung steht bei diesen Fragen vor besonderen Herausforderungen, da sie ihre Angebote und Dienstleistungen an die veränderten Bedürfnisse einer sich wandelnden Bevölkerung anpassen und zugleich darauf reagieren muss, dass die eigene Belegschaft älter, bunter und weiblicher wird. Hin­zu kommt, dass öffentliche Arbeitgeber in Zukunft stärker mit der Privatwirtschaft um qualifizierte Fachkräfte konkurrieren müssen. Viele Verwaltungen haben bereits heute Schwierigkeiten, Stellen im technischen Bereich oder im Gesundheits- und Sozialwesen adäquat zu besetzen, da geeignete Kandidat/-innen fehlen oder die Privatwirtschaft mit attrak­tiveren Angeboten wirbt.1

Eine aktuelle Befragung2 zeigt, dass das Thema »Modernisierung des Personalmanagements« als Zukunftsthema der Personalentwicklung den Verantwortlichen in der öffentlichen Verwaltung präsent ist. Die Herausforderungen in Verbindung mit dem demografischen Wandel werden von ihnen als eine der drei wichtigs­ten Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung in den nächsten 5 Jahren benannt.3

Zahlreiche Studien und Projekte der letzten Jahre widmen sich der Positionierung der öffentlichen Verwaltung im demografischen Wandel. Im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung wurde 2012 die Arbeitsgruppe »Der öffentliche Dienst als attraktiver und moderner Arbeitgeber« unter Federführung des Bundesinnenministeriums eingesetzt. Dort sind neben Vertreter/-innen von Bundesministerien zwei Repräsentant/-innen der Länder4 und für die Kommunen der Landkreistag beteiligt. Themen, die für die Arbeitsgruppe im Mittelpunkt stehen, sind Personalbedarfsanalyse und Wissensnachschub, Ausbau familienfreundlicher Arbeitsmodelle sowie Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten.5

Modernes Personalmanagement: Erfolgsfaktor im demografischen Wandel

Auch in Baden‑Württemberg widmen sich öffentliche Arbeitgeber diesen Fragestellungen und entwickeln eigene Handlungsansätze. Der Gemeindetag Baden‑Württemberg gab 2009 ein Papier »Führungsaufgabe Personalentwicklung« mit Empfehlungen zu Personalentwicklung, Personalmarketing und Ausbildung heraus und wirkte 2012 an der Dokumentation »Demografiefeste Personalverwaltung« des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit. Die Duale Hochschule Baden‑Württemberg hat Demografiemanagement als Schwerpunktthema in ihren Rahmenstudienplan der Studienrichtung BWL-Personalmanagement aufgenommen. Vermittelt werden personalwirtschaftliche Handlungsfelder wie zum Beispiel Altersstrukturanalyse, Wissensmanagement, Mitarbeiterbindung, alternsgerechte Organisationsgestaltung und Gesundheitsmanagement. Die Robert Bosch Stiftung rief 2012 das Förderprogramm »Die Kommunalverwaltung Baden‑Württemberg im Zeichen des demographischen Wandels« ins Leben. Ziel des Förderprogramms ist es, baden-württembergische Kommunen dabei zu unterstützen, in Zeiten von älter werdenden Belegschaften, Arbeitsverdichtung und komplexeren Prozessen leistungsfähig zu bleiben und zugleich ein attraktiver Arbeitgeber für qualifizierten Nachwuchs zu sein.6 Auch die baden-württembergische Landesregierung unterstützt öffentliche und private Arbeitgeber mit Beratungsangeboten wie dem Kompetenzzentrum Beruf & Familie Baden‑Württemberg (siehe i-Punkt »Kompetenzzentrum Beruf & Familie«).

Mehr Frauen, mehr Teilzeitbeschäftigte, mehr Ältere: Trends im öffentlichen Personalmanagement in Baden‑Württemberg

Warum ein zukunftsorientiertes Personalmanagement insbesondere familienbewusst und demografieorientiert gestaltet werden muss, zeigt ein Blick auf die Personalstandstatistik 2013 für die öffentliche Verwaltung in Baden‑Württemberg. Der Frauenanteil ist seit dem Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen, auf kommunaler Ebene von 61 % auf 63 %, auf Landesebene von 49 % auf 58 %. Besonders hoch ist der Frauenanteil an den Nachwuchskräften unter 25 Jahren. Bei den Gemeinden/Gemeindeverbänden sind drei von vier Beschäftigten dieser Altersgruppe weiblich, bei den Landesbehörden und -betrieben 65 %.

Ein weiterer Trend ist die verstärkte Inanspruchnahme von Teilzeitmodellen. Mitte 2013 arbeiteten auf kommunaler Ebene 41 % der Beschäftigten in Teilzeit, auf Landesebene 37 %. Im Jahr 2000 lag der Anteil an Teilzeitbeschäftigten mit 34 % auf kommunaler und 29 % auf Landesebene noch deutlich darunter. Nach wie vor nehmen überwiegend Frauen Teilzeitmodelle in Anspruch. Im Jahr 2013 waren im kommunalen Bereich 59 % der weiblichen Beschäftigten in Teilzeit beschäftigt, bei den Männern lag dieser Anteil nur bei 11 %. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf Landesebene. Hier arbeiteten 52 % der Frauen und 16 % der Männer in Teilzeit.

Eine weitere wichtige Perspektive ergibt sich bei der Betrachtung der Altersstruktur in den Verwaltungen. Im Jahr 2000 lag das Durchschnittsalter der Beschäftigten auf kommunaler Ebene bei 41,2 Jahren und auf Landesebene bei 43 Jahren, Mitte 2013 bereits bei 44,9 Jahren auf kommunaler und bei 43,6 Jahren auf Landesebene. Bei den Gemeinden/Gemeindeverbänden war die Altersgruppe der 45- bis 55-Jährigen mit 35 % die mit Abstand größte Beschäftigtengruppe. Insgesamt waren 58 % der Beschäftigten 45 Jahre und älter. Die Gruppe der Nachwuchskräfte unter 35 Jahre ist mit 22 % deutlich kleiner. Auf Landesebene zeigt sich diesbezüglich ein etwas ausgeglicheneres Bild, wenngleich der Anteil der älteren Beschäftigten auch hier deutlich zugenommen hat.

Mehr Väter in Elternzeit, höhere Vereinbarkeitsanforderungen, mehr Pflegebedürftige: Soziale und gesellschaftliche Trends

Weitere Herausforderungen im Personalmanagement und in der Personalführung ergeben sich durch die zunehmende Inanspruchnahme von Elternzeiten seitens der Väter, durch wachsende Anforderungen von Frauen und Männern an eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, durch Fachkräfteengpässe in ausgewählten Branchen und Regionen sowie durch den steigenden Anteil von Beschäftigten mit Pflegeverantwortung.7 Viele Personalverantwortliche im öffentlichen Dienst suchen daher tragfähige Konzepte, um ihre Beschäftigten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen – zum Beispiel mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer teamorientierten Arbeitsorganisation oder mit Prozessstandards für Elternzeiten und Wiedereinstieg. Entsprechende Kontakthalteprogramme zum Beispiel mit Weiterbildungsmöglichkeiten während der Elternzeit erfahren zunehmend Aufmerksamkeit.

Aufgrund ihres hohen Anteils älterer Mitarbeiter/-innen beschäftigen sich öffentliche Arbeitgeber aber auch intensiv mit der Frage, wie sich Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten mit zunehmendem Alter verändern und wie ein entsprechend alternsgerechtes und lernförderliches Arbeitsumfeld aussehen kann. Bei vielen öffentlichen Arbeitgebern zeigt sich, dass insbesondere auf den Führungsebenen »Verrentungswellen« eintreten werden. Dies wirft die Frage auf, wie relevantes Wissen innerhalb einer Organisation gehalten und weitergegeben werden kann. Zudem spielt eine wichtige Rolle, wie öffentliche Arbeitgeber attraktiv für junge Nachwuchskräfte sein und ihr Arbeitgebermarketing entsprechend gestalten können.

Systematische Bestandsaufnahme: Handlungsfelder einer zukunftsorientierten Personalpolitik

Eine zukunftsorientierte Personalpolitik hat viele Facetten. Im Kern geht es für Arbeitgeber darum, demografische Aspekte und veränderte Vereinbarkeitsanforderungen bei ihrem Personalmanagement und ihrer Personalführung verstärkt und systematisch zu beachten, zum Beispiel mit einer gezielten bedarfsorientierten Unterstützung der Mitarbeiter/-innen in ihren jeweiligen Karriere- und Familienphasen8. Konkrete Ansatzpunkte können sich – in Abhängigkeit der jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort – in nachfolgenden Handlungsfeldern eröffnen:

Führung: Eine wertschätzende und mitarbeiterorientierte Führungskultur sowie die aktive Einbindung der Führungskräfte sind Erfolgsfaktoren für eine zukunftsorientierte Organisationsentwicklung. An der Schnittstelle zwischen Leitung und Belegschaft sind Führungskräfte die zentralen Weichensteller/-innen einer familienbewussten und demografieorientierten Personalpolitik. Ihnen kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen, das Leistung und Motivation der Belegschaft bis zum Renteneintritt fördert. Damit Führungskräfte dieser anspruchsvollen Rolle gerecht werden können, muss ihnen das nötige Wissen und Instrumentarium für »gute Führung« an die Hand gegeben werden. Dazu zählen gezielt aufbereitete und regelmäßige Informationen zu bestehenden Angeboten in der Organisation ebenso wie regelmäßige und professionelle Sensibilisierungs-, Reflektions- und Austauschverfahren zum eigenen Führungsverhalten. Besonders wichtig sind Formate, in denen praxistaugliche Führungs- und Kommunikationstechniken zur mitarbeiterorientierten Führung erlernt werden und Führungskräfte sich über ihre Erfahrungen austauschen können (beispielsweise in Feedback-Prozessen, Coachings, Fortbildungen). Weitere Maßnahmen, die Arbeitgeber ergreifen, um eine mitarbeiterorientierte Führungskultur zu fördern, sind unter anderem die Erarbeitung verbindlicher Führungsleitlinien unter Beteiligung der Führungskräfte oder eine offizielle Positionierung der Hausspitze, um die Relevanz des Themas für die Organisation zu unterstreichen.

Arbeitszeit und -organisation: Flexible Arbeitszeitmodelle sind aus Sicht der Beschäftigten eine wichtige Stärke der öffentlichen Verwaltung, denn Zeitsouveränität ist ein zentrales Element für Mitarbeiterzufriedenheit. Egal, ob Beschäftigte Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder ob sie ihr Privatleben aus anderen Gründen besser mit dem Beruf vereinbaren möchten. Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmodelle wurden in den letzten Jahren erheblich flexibilisiert und ausgeweitet: Gleitende Arbeitszeiten, Homeoffice-Regelungen und Telearbeitsplätze sind in vielen Behörden vorhanden und werden weiter ausgebaut.9 In der Praxis zeigt sich, dass flexible Arbeitsmodelle nur dann für Beschäftigte (aller Hierarchiestufen) attraktiv sind, wenn sie durch eine ermöglichende Organisationskultur mit Fokus auf Aufgaben- und Ergebnisorientierung getragen sind. Zudem muss die Arbeits(um)organisation bezüglich Aufgabenzuschnitt, Erreichbarkeit, Kommunikationsfluss, Zuständigkeits- und Vertretungsregelungen klar definiert sein, damit den Beschäftigten aus der tatsächlichen Inanspruchnahme keine Nachteile erwachsen.

Personalentwicklung: Eine zukunftsorientierte Personalentwicklung hat zum Ziel, Strukturen, Weiterbildungs-, Wiedereinstiegs- und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten so zu gestalten, dass die Beschäftigten ein Umfeld vorfinden, in dem Leistungsfähigkeit, Motivation und Gesundheit bis zum Renten- und oder Pensionseintritt erhalten und gefördert werden.

Eine differenzierte Blickweise auf das Alter(n) in Verwaltungen ist angesichts einer alternden Belegschaft zentral. Ältere Arbeitnehmer/-innen sind nicht weniger, sondern anders leistungsfähig als jüngere. Leistungsfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Kommunikations-, Innovations- und Lernfähigkeit sind in hohem Maße von Reizen abhängig, denen die Beschäftigten im Laufe ihres Berufslebens ausgesetzt sind. Diese können durch gezielte Maßnahmen in den Bereichen Prävention, betriebliche Gesundheitsförderung und Arbeitsorganisation (Altersteilzeit, generationenübergreifende Teams, Lerntandems, Mentoring) erhalten, gefördert und auch erweitert werden.10

In Anbetracht der erwarteten Altersabgänge besteht in diesem Bereich Handlungsbedarf für Verwaltungen insbesondere bei der Organisation eines systematischen Wissenstransfers. Wiederbesetzungssperren und kaum überlappende Nachbesetzungen erschweren diese Aufgaben. Bislang gibt es noch nicht viele Arbeitgeber, die ein systematisches Vorgehen etabliert haben, zum Beispiel um relevantes Wissen zu definieren und in strukturierten Gesprächen oder Dokumenten weiterzugeben. Die Polizei Baden‑Württemberg hat 2012 angesichts der hohen Zahl anstehender Ruhestandseintritte eine Projektgruppe »Wissens- und Erfahrungstransfer« eingerichtet, die unter wissenschaftlicher Begleitung ein fünfstufiges Modell erarbeitet hat, mit dem vorhandenes Wissen und Erfahrungen systematisch gesichert werden können. Nach einer Pilotphase wird dieses Modell nun landesweit umgesetzt.11

Diversity: Durch Diversity-Management werden Personalpolitik und Personalprozesse von Organisationen so gestaltet, dass die Beschäftigtenstruktur die personelle und kulturelle Vielfalt der Bevölkerung widerspiegelt und alle Mitarbeitenden Chancengleichheit und Wertschätzung erfahren. Der Fokus auf das Thema Vielfalt hilft Organisationen zum einen dabei, neue Bewerbergruppen (ältere Arbeitnehmer/-innen, internationale Fachkräfte, Fachkräfte mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, Teilzeitbeschäftigte, Frauen) in den Blick zu nehmen und vergrößert damit den Bewerberkreis. Zum anderen sorgt Diversity-Management dafür, die eigene Vielfalt in der Verwaltung zu erkennen und noch stärker als bisher wertzuschätzen.12

Um den Erwerb interkultureller Kompetenzen zu fördern, hat das baden-württembergische Ministerium für Integration ein Schulungsangebot für Ministerialverwaltungen, Regierungspräsidien und Landkreise entwickelt. Auf kommunaler Ebene bietet das Integrationsministerium zusammen mit dem Volkshochschulverband Baden‑Württemberg Workshops zum Erwerb interkultureller Kompetenzen an.13

Im zunehmenden Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte sind Konzepte zur Fachkräftesicherung ohne Etablierung einer Willkommenskultur kaum noch zukunftsfähig. Deswegen hat die IHK Ostwürttemberg gemeinsam mit einigen größeren Unternehmen und in Kooperation mit den Städten Aalen, Heidenheim und Schwäbisch-Gmünd den »Internationalen Club Ostwürttemberg« gegründet, der die Willkommenskultur für ausländische Fach- und Führungskräfte verbessern soll.14 Auch andere Regionen in Baden‑Württemberg, zum Beispiel der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, gehen das Thema mit einem breiten Bündnis von Akteuren an.15

Gesundheitsmanagement: Angesichts älter werdender Belegschaften und insgesamt längerer Lebensarbeitszeiten hat das Engagement für den Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der eigenen Mitarbeiter/-innen einen besonderen Stellenwert. Maßnahmen zur Gesunderhaltung sollten bereits präventiv und zu einem frühen Zeitpunkt ansetzen. Insbesondere chronische Erkrankungen ergeben sich durch eine einseitige Ausübung von Tätigkeiten, ein belastendes Arbeitsumfeld und/oder eine ungesunde Lebensführung. Gesundheitszirkel, Gesundheitskurse, Kooperationen mit Fitness- und Gesundheitseinrichtungen, berufsgruppenspezifische Gesundheitsvorsorge, Arbeitsplatzanalysen, Schulungen und sensibilisierende Gesundheitsaktionen sowie die Prüfung der Führungs- und Organisationskultur sind Maßnahmen, die bei vielen Arbeitgebern auf der Agenda stehen.16

Neben Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der physischen ist die psychische Gesundheit im Rahmen des Gesundheitsmanagements aktuell besonders relevant. Während psychische Erkrankungen vor 20 Jahren noch nahezu bedeutungslos waren, sind sie heute die zweithäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibung bzw. Arbeitsunfähigkeit und die häufigste Frühverrentungsursache. Psychische Krankheitsbilder sind in der öffentlichen Verwaltung besonders häufig. Laut DAK-Gesundheitsreport liegt der Krankenstand – bezogen auf psychische Erkrankungen – in der öffentlichen Verwaltung ein Drittel über dem Durchschnitt.17 Umstrukturierungen, Personalverknappung und Arbeitsverdichtung sowie ungewisse Aufstiegsperspektiven haben die Arbeitssituation in den letzten Jahren in vielen Behörden verschärft. Gefragt sind betriebliche Lösungen, die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz verändern und die Resilienz der Beschäftigten sowie der Organisation stärken.

Um die Situation für die eigene Organisation besser einschätzen und passgenaue Maßnahmen ergreifen zu können, führt das Landratsamt Biberach derzeit eine Analyse psychosozialer Gefährdungen am Arbeitsplatz durch, die auf einer Mitarbeiterbefragung beruht und bereichsspezifisch ausgewertet wird18. Weitere Maßnahmen sind Seminare und Coachings zu Stress- und Zeitmanagement und Entspannungsmethoden sowie Schulungen für Führungskräfte zum Erhalt der psychischen Mitarbeiter/-innen-Gesundheit sowie zum Erkennen und Umgang mit Überlastungssituationen.

Services: Betriebliche Angebote zur Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie tragen zur Reduktion von Fluktuation und Fehlzeiten und zum Erhalt der Gesundheit bei. Neben der Unterstützung bei der Kinderbetreuung (beispielsweise bei der Notfall- und Ferienbetreuung) rückt in diesem Handlungsfeld bei Verwaltungen verstärkt die Unterstützung der Beschäftigten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in den Vordergrund.

Die Praxis zeigt, dass für pflegende Angehörige die Unterstützung in Form von schneller und konkreter Auskunft über betriebliche und externe Möglichkeiten und Angebote vor Ort hilfreich ist. Im Verbund mit anderen Arbeitgebern qualifizieren das Finanzamt und das Landgericht Heidelberg Mitarbeiter/-innen, die als Pflegelotsen für das Thema im Betrieb ansprechbar sind. Im Bedarfsfall können sie als erste Anlaufstelle für Betroffene fungieren und eine wertvolle Lotsenfunktion übernehmen. Sie bündeln wichtige Informationen zum Thema Beruf und Pflege, sind Kontaktperson für Beschäftigte in der Pflegezeit und fördern dadurch eine familienfreundliche Unternehmenskultur.19

Kommunikation: Öffentliche Arbeitgeber stehen zunehmend im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft. Daher ist es für öffentliche Verwaltungen notwendig zu überlegen, welche Punkte die eigene Arbeitgeber-Attraktivität im Einzelnen ausmachen. Dazu zählen beispielsweise ein sicheres Einkommen, lebenslange Weiterbildungsmöglichkeiten, flexible Arbeitsmodelle oder eine sinnorientierte Tätigkeit. In einem nächsten Schritt müssen diese Attraktivitätsmerkmale offensiv nach innen und außen kommuniziert werden. Oft sind zwar gute Angebote vorhanden, aber im Haus nicht so recht bekannt, weil Informationen nicht weitergegeben werden oder es nicht die richtigen Kommunikationswege gibt. Hier empfiehlt es sich, regelmäßig mehrere Kanäle zu »bespielen«, wie das Intranet, das Schwarze Brett oder die Mitarbeiterzeitung. Zusätzlich sollten Informationen stets auch mündlich weitergegeben werden. Eine wichtige Rolle spielt zudem, ob Personalabteilungen serviceorientiert und proaktiv auf Beschäftige zugehen.

Was die Kommunikation nach außen betrifft, so schöpfen öffentliche Arbeitgeber nicht alle Möglichkeiten aus, sich in Stellenanzeigen oder auf der Internetseite mit ihren mitarbeiterorientierten Angeboten als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Einige Verwaltungen nutzen Zertifizierungsmaßnahmen, um sich als familienbewusster Arbeitgeber zu positionieren, vernetzen sich mit anderen Arbeitgebern und lokalen Akteuren zum Erfahrungsaustausch und zum Aufbau von Kooperationen. Sie sind auch auf Job- und Karrieremessen präsent, arbeiten mit Schulen, Fachhochschulen und Universitäten im Rahmen von Projekten, Lehrveranstaltungen, Praktika oder Diplom- und Doktorarbeiten zusammen. Die Stadt Mannheim hat sich umfassend mit dem Thema Arbeitgebermarketing befasst und das Projekt »Employer Branding – die Entwicklung einer einprägsamen Arbeitgebermarke STADTMANNHEIM²« initiiert. Unter wissenschaftlicher Begleitung wurde zunächst das interne und externe Image erhoben und analysiert. Darauf aufbauend wurde eine zielgruppenspezifische Werbestrategie entwickelt, die nun unter anderem für Stellenausschreibungen genutzt wird.20

Es entstehen Daueraufgaben, aber es lohnt sich: das »Programm familienbewusst und demografieorientiert«

Basierend auf den Informations- und Beratungserfahrungen des Kompetenzzentrums Beruf & Familie Baden‑Württemberg ist ein Konzept zur umfassenden Prozessbegleitung von Arbeitgebern entstanden: Das »Programm familienbewusst & demografieorientiert« ist ein mehrstufiges Verfahren zur Organisationsentwicklung. Es richtet sich an Arbeitgeber, die ihre Personalpolitik und Personalführung weiterentwickeln und dabei einen besonderen Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie auf die Gestaltung alternsgerechter Arbeitsbedingungen richten wollen. Im Programm durchlaufen Arbeitgeber insgesamt sechs Phasen: Die Gesamtdauer des Programms – vom Erstgespräch bis zum Bilanzworkshop – beträgt durchschnittlich 1,5 bis 2 Jahre.

Seit Anfang 2013 durchlaufen sechs Arbeitgeber das Programm (Fotocollage): Das Landratsamt Göppingen als Modellstandort (900 Beschäftigte) hat den Prozess bereits erfolgreich abgeschlossen. Die Stadtverwaltung Waldkirch (350 Beschäftigte), das Landratsamt Ravensburg (1 100 Beschäftigte), die Energieversorgung Filstal GmbH & Co.KG (200 Beschäftigte), das Landratsamt Böblingen mit Abfallwirtschaftsbetrieb (1 900 Beschäftigte) und das Regierungspräsidium Stuttgart (2 700 Beschäftigte) befinden sich in der Umsetzungsphase.21

Als Modellstandort konnte das Landratsamt Göppingen die Wiederbesetzungssperre aufheben, die bis dahin zu erheblichen Belastungssituationen der Beschäftigten führte. Für die Führungskräfte fanden spezielle Fortbildungsveranstaltungen zum Thema statt, die auch dazu dienten, das bestehende Leitbild des Landratsamts um einen entsprechenden Baustein zu ergänzen. Darüber hinaus verbesserte das Landratsamt den Planungsprozess bei Elternzeit und Wiedereinstieg von Beschäftigten, organisierte Ferienbetreuungsangebote zusammen mit lokalen Partnern und führte eine Veranstaltungsreihe zu »Beruf und Angehörigenpflege« durch. »Unsere Erfahrung ist: Durch das Programm entstehen viele Daueraufgaben, die viel Einsatz erfordern, aber es lohnt sich!«, so Hauptamtsleiterin Brigitte Kreß vom Landratsamt Göppingen beim 1. Netzwerktreffen der Programmstandorte im November 2014 in Stuttgart.

Fazit

Angesichts von Belegschaftsalterung, drohendem Wissensverlust und verschärftem Wettbewerb um Fachkräfte ist die Modernisierung der Personalpolitik in der öffentlichen Verwaltung eine große Herausforderung. Zukunftsthemen, die die Personalverantwortlichen heute und in den nächsten Jahren beschäftigen, sind unter anderem die Entwicklung einer mitarbeiterorientierten Personalpolitik, Arbeitgebermarketing, alternsgerechte Arbeitsbedingungen, Gesundheitsförderung sowie internes Wissens- und Übergangsmanagement.

Da jede Verwaltung jedoch von den Konsequenzen des demografischen und sozialen Wandels in unterschiedlicher Art und Weise betroffen ist, basiert eine erfolgreiche Strategie auf einer differenzierten Betrachtung der eigenen Ausgangssituation. Dazu ist es zunächst notwendig, sich Daten und Informationen über demografische und soziale Veränderungsprozesse zu beschaffen bzw. zu generieren und diese Informationen zu analysieren. Auf dieser Grundlage können schließlich passende Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden.

Die Erfahrung der Projektbegleitung zeigt, dass ein solcher Organisationsentwicklungsprozess dann erfolgversprechend ist, wenn dieser von der Hausspitze getragen, dialogorientiert angelegt ist und transparent kommuniziert wird. Führungskräfte und Belegschaft sollten aktiv beteiligt und nach den eigenen Bedürfnissen und Vorschlägen für konkrete Handlungsansätze gefragt werden. Die Beteiligung hilft, die Belegschaft für anstehende Veränderungen zu motivieren. Voraussetzung für den Erfolg ist zu guter Letzt eine realistische Ressourcenplanung. Aussichtsreich sind Handlungskonzepte dann, wenn möglichst konkrete Ziele und Maßnahmen formuliert und verantwortliche Akteure benannt sind, ein genauer Umsetzungszeitraum definiert ist und der Projektfortschritt regelmäßig evaluiert wird. Da bei kleineren Organisationen häufig zusätzliche Ressourcen für eine differenzierte Analyse der Ausgangssituation und Maßnahmenentwicklung fehlen, kann hier eine externe Begleitung sinnvoll sein.

Der vorliegende Beitrag wurde im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins (NDV 2015, S. 115–121) erstveröffentlicht und für das Statistische Monatsheft Baden‑Württemberg redaktionell bearbeitet.