:: 4/2015

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Flächenerhebung mit neuer Datengrundlage »ALKIS«

Die baden-württembergische Vermessungsverwaltung brachte 2014 eines ihrer größten Projekte der letzten 30 Jahre zum Abschluss. Die bisher getrennten Verfahrenslösungen für den Nachweis raumbezogener geometrischer Daten (Automatisierte Liegenschaftskarte – ALK) und für beschreibende nicht raumbezogene Daten (Automatisiertes Liegenschaftsbuch – ALB) wurden mit Ausnahme einiger weniger Gemeinden in das Amtliche Liegenschaftskatasterinformationssystem ALKIS mit einem bundesweit einheitlichen Datenmodell überführt. ALKIS löst damit das ALB als Datengrundlage für die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung ab. Im Heft 8/2013 dieser Schriftenreihe wurden die Auswirkungen auf die Flächenerhebung infolge der Umstellung des Liegenschaftskatasters bereits unter inhaltlich-fachlichen Gesichtspunkten thematisiert. Dieser Beitrag wird im Folgenden um Erfahrungen aus der Migration der Datenbestände selbst ergänzt.

Was ändert sich künftig für die Nutzer der amtlichen Flächenstatistik? Rein äußerlich zunächst wenig. Denn bis zur endgültigen Umstellung des Katasters in allen Bundesländern1 werden die Ergebnisse der Flächenerhebung bundesweit nach wie vor in der bisherigen ALB-Nomenklatur veröffentlicht. Es ist vorgesehen, die Zahlen in der neuen ALKIS-Nomenklatur erstmals zum Stand 31. Dezember 2015 darzustellen. Da zwei Datenbestände aus Kapazitätsgründen nicht parallel vorgehalten und gepflegt werden konnten und können, heißt dies für die Vermessungsverwaltung aber nichts anderes, als dass die jetzt in ALKIS geführten Daten in die alten ALB-Strukturen zurück zu übersetzen sind. So paradox es auch klingen mag: Auf die Migration folgt die Rückmigration, die an der einen oder anderen Stelle (meist marginale) Einschränkungen hinsichtlich der Datenvergleichbarkeit zur Folge hat.

Verschiebungen bei einzelnen Nutzungsarten infolge Migration/Rückmigration

Bei der Migration der Vermessungsdaten von ALB/ALK nach ALKIS wurden in Baden‑Württemberg die Nutzungsarten der ALB-10er-Ebene eins zu eins nach ALKIS übersetzt. In ALKIS erhalten sie neue Schlüsselnummern und zum Teil neue Bezeichnungen. So wird zum Beispiel aus ALB 130 Gebäude- und Freifläche Wohnen in ALKIS 11 000 Wohnbaufläche, ohne dass sich an den Inhalten und an der Flächengröße etwas änderte.

Aber getreu dem Grundsatz »keine Regel ohne Ausnahmen« wird zum Beispiel aus der ALB-Nutzung 110 Gebäude- und Freifläche öffentliche Zwecke die Unternutzung 118 Friedhof – dahinter verbergen sich baulich geprägte Flurstücke, auf denen zum Beispiel Friedhofskapellen oder Aussegnungshallen stehen – ausgegliedert und in ALKIS der Nutzung 19 000 Friedhof zugeordnet. Vor diesem Hintergrund ist die Zunahme der Friedhofsfläche um 191 Hektar (ha) im Zeitraum 31. Dezember 2012 bis August 2014 zu sehen. Nach Schätzungen des Statistischen Landesamtes entfallen dabei ca. 160 ha auf oben beschriebenen Umstellungseffekt und nur rund 30 ha auf die tatsächliche Ausweitung der Friedhofsareale.

Des Weiteren wird aus der ALB-Nutzung 280 Gebäude- und Freifläche Erholung die Unternutzung 284 Kur ausgegliedert und in ALKIS der Nutzung 17 100 Öffentliche Zwecke zugeordnet. Bei 284 Kur handelt es sich um baulich geprägte Flurstücke, auf denen Kurgebäude, Kur- oder Reha-Kliniken stehen. Im Zeitraum 31. Dezember 2012 bis August 2014 hat die Gebäude- und Freifläche Erholung um 88 ha abgenommen. Das Minus durch die oben beschriebenen Umstellungseffekte dürfte sich auf ca. 140 ha bis 150 ha belaufen. Überlagert wird die sich in den Zahlen widerspiegelnde Entwicklung von einem Zuwachs bei anderen Flächennutzungen wie etwa Sporthallen und anderen Gebäuden für die Freizeitgestaltung, sodass im oben angegebenen Zeitraum bei der ALB-Nutzung 280 Gebäude- und Freifläche Erholung eigentlich ein Zuwachs von rund 60 ha zu verzeichnen wäre.

Ein weiterer Umstellungseffekt ist der Tatsache geschuldet, dass die Flächen anderer Nutzung (ALB 900)2 nicht in das neue ALKIS-Gliederungsschema passen. Im Vorfeld der jetzigen Umstellung wurden diese Kategorien von den Katasterbehörden bereits in den vergangenen Jahren sukzessive aufgelöst und anderen Nutzungsarten, insbesondere der Landwirtschafts- und der Waldfläche zugeordnet. So war Übungsgelände (ALB 910) ausgehend von 5 217 ha im Jahre 2000 rückläufig. Ein Teil der Entwicklung steht auch im Zusammenhang mit der Auflösung von Kasernen. Von den derzeit verbliebenen 380 ha befinden sich rund 330 ha in Gemarkungen, deren Flächennachweisungen 2014 noch nicht auf ALKIS umgestellt waren. Zudem wurde aus ALB 910 Übungsgelände die Unternutzung 912 Dressurplatz/Freizeitanlage (rund 50 ha) ausgeklammert und ALKIS 18 200 Freizeitanlage zugeordnet. Die Schutzfläche (ALB 920) hat im gleichen Zeitraum von ehemals 4 064 ha auf nun 15 ha abgenommen. Diese restlichen 15 ha liegen in Gemarkungen, die 2014 noch nicht auf ALKIS umgestellt waren.

Definitorische Änderungen bei der Siedlungs- und Verkehrsfläche

Der Flächenverbrauch, definiert als die tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche zwischen den Stichtagen zweier aufeinanderfolgender Erhebungen, ist seit vielen Jahren als Nachhaltigkeitsindikator etabliert. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche wiederum setzt sich aus den ALB-Nutzungsarten Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche (ohne Abbauland), Verkehrsfläche, Erholungsfläche und Friedhof zusammen. Die oben beschriebenen Verschiebungen bei Friedhof und Kur vollziehen sich innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsfläche und bleiben somit ohne Einfluss auf den Indikator selbst.

Nach Umstellung auf ALKIS ist es aber für einige Bundesländer nicht mehr möglich, die im ALB bisher geführten Nutzungsarten Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche und Erholungsfläche auf dem Wege der Rückmigration zu rekonstruieren. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche wird deshalb auf ALKIS-Basis neu definiert als Summe aus Siedlung ohne Bergbaubetrieb, ohne Tagebau, Grube, Steinbruch (früher Abbauland) plus Verkehr. Diese Größe wird derzeit bis zur bundesweiten ALKIS-Umstellung in die ALB-Welt zurück übersetzt.

Im Nutzungsartenbereich 10 000 Siedlung sind damit nun zusätzlich die Positionen 17 300 Historische Anlage und 18 200 Freizeitanlage enthalten. Mit landesweit 153 ha bzw. 52 ha fallen diese beiden Nutzungen bei einer Siedlungs- und Verkehrsfläche in Baden‑Württemberg von insgesamt 513 000 ha allerdings kaum ins Gewicht. Darüber hinaus handelt es sich sowohl bei Historische Anlagen als auch Freizeitanlage um Nutzungsarten, die kaum Entwicklungsdynamik haben und sich somit bei der Berechnung des täglichen Flächenverbrauchs nicht bemerkbar machen.

Flächenerhebung 2014: Keine Datenlieferung zum Stichtag 31. Dezember 2013

Aktuell werden im Liegenschaftskataster knapp 8 Mill. Flurstücke allein im Zuständigkeitsbereich der 35 Landkreise geführt (siehe i-Punkt). In den stark normalisierten ALKIS-Strukturen wird das Liegenschaftskataster nun in ca. 240 Mill. Objekten abgebildet, die sich auf 93 Objektarten verteilen. Angesichts eines Datenumfangs von etwa 500 Gigabyte, der umfangreichen und komplexen Rechenprozesse und dem Umstand, dass die Migration ab der Freigabe der ersten Gemarkung unter laufendem Betrieb stattfinden musste, war eine gründliche Vorbereitung des Migrationsprozesses zwingend erforderlich.3 Am Ende standen weit mehr als 12 000 Testmigrationen zu Buche. Die große Anzahl an Migrationen war eine nicht zu unterschätzende Belastung für das Personal nicht nur beim Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung (LGL), sondern auch bei den Unteren Vermessungsbehörden. Denn zunächst galt es, Mängel im ALB und in der ALK zu beseitigen. Diese Arbeiten brachten aber noch vor der ALKIS-Einführung eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der Datenqualität des Liegenschaftskatasters. Trotz alledem betrug die reine Rechenzeit für die erfolgreiche Migration einer durchschnittlichen Gemarkung 1,5 Stunden. Bei 3 250 migrierten Gemarkungen bedeutet dies einen Rechenaufwand von 4 875 Stunden oder mehr als 200 Tagen rund um die Uhr. Wohlgemerkt ohne die fehlerhaften oder mit Fehlern abgebrochenen Migrationsläufe.

Das Statistische Landesamt erhält für Zwecke der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung aber keine flurstücksbezogenen Einzelangaben, sondern gemarkungsweise aggregierte Summendatensätze aller Nutzungsarten. Was bislang im Automatisierten Liegenschaftsbuch über viele Jahre reibungslos durch einfache Addition funktionierte, muss nun in ALKIS durch rechenintensives Verschneiden der Flurstücke mit den tatsächlichen Nutzungen ermittelt werden. Am Ende sollte die Summe der Nutzungsartenflächen einer Gemarkung exakt mit der Summe der amtlichen Flächen aller Flurstücke einer Gemarkung übereinstimmen. Dies hat der »nagelneuen« ALKIS-Software noch im Jahr 2014 etliche Probleme bereitet.

Schlussendlich lagen die Daten des LGL für rund 3 300 Gemarkungen, ausgeliefert in fünf Tranchen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, im August 2014 vor. Einige Städte mit eigenen kommunalen Vermessungsämtern lieferten ihre Katasterauszüge fristgerecht bereits Anfang März, allerdings auf ALB-Basis. Das heißt, die Migration nach ALKIS stand den betreffenden Kommunen noch bevor, was für die Belange der Flächenerhebung insofern kein Beinbruch war, weil bundeseinheitlich die Ergebniserstellung noch in der »alten« ALB-Nomenklatur erfolgt.

Die Aufbereitung und Ergebnisdarstellung zum Erhebungsstichtag 31. Dezember 2013 war aufgrund der dargelegten Schwierigkeiten und Problemstellungen ebenso wenig möglich wie zu einem anderen einheitlichen Zeitpunkt. Mit den vorliegenden Zahlen können damit auch keine sinnvollen und aussagekräftigen Zeitvergleiche vorgenommen werden. Insbesondere die Berechnung des Flächenverbrauchs, definiert als die tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche, ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Erst mit der nächsten turnusmäßigen Datenlieferung aus ALKIS mit Stand 31. Dezember 2014 liegen dann wieder voll mit den Vorjahren vergleichbare Zahlen vor.

Diese Datenlieferung ist zwischenzeitlich während des üblichen Zeitfensters erfolgt. Dank der engen und kooperativen Zusammenarbeit zwischen dem LGL und dem Statistischen Landesamt ist es gelungen, die Auswerteprozesse in ALKIS beim LGL zu konsolidieren und zu optimieren. Wie erste Untersuchungen und Analysen des Datenmaterials zeigen, scheint die Rückkehr zur Normalität gelungen zu sein. Zur Stunde ist geplant, die neuen Ergebnisse zum Flächenverbrauch im August vorzustellen.

Stand August 2014: 14,3 % der Landesfläche für Siedlung und Verkehr

Zum Stand August 2014 bezifferte sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Baden‑Württemberg auf 512 944 ha. Dies entspricht einem Anteil von 14,3 % an der Landesfläche (3,575 Mill. ha). Vor 10 Jahren lag dieser Wert noch bei 13,2 %. Aktuell entfallen 196 932 ha oder knapp 40 % auf Verkehrsflächen, das heißt Straßen, Wege, Plätze, den Schienen- und den Luftverkehr. Bei 276 608 ha oder 53,9 % der Siedlungs- und Verkehrsfläche handelt es sich um Gebäude- und Freifläche, bei weiteren 31 258 ha (6,1 %) um Erholungsfläche. Zu beachten gilt hierbei, dass die Siedlungs- und Verkehrsfläche in erheblichem Umfang auch Grün- und Freiflächen umfasst. Nach Schätzungen des Statistischen Landesamtes sind landesweit in Baden‑Württemberg knapp die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsfläche, etwa 237 031 ha oder 6,6 % der Landesfläche, tatsächlich versiegelt.

Der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Bodenfläche insgesamt differiert bei regionaler Betrachtung sehr stark. In den Verdichtungsräumen des Landes erreicht die Siedlungs- und Verkehrsfläche mit durchschnittlich 27 % Flächenanteil erwartungsgemäß deutlich höhere Werte als in den Randzonen (16 %), den Verdichtungsbereichen im Ländlichen Raum (17 %) oder im Ländlichen Raum im engeren Sinne mit 10 %. Somit kommt in den eher ländlich geprägten Landkreisen Freudenstadt, Sigmaringen, Waldshut, Ravensburg, Breisgau-Hochschwarzwald oder Neckar-Odenwald-Kreis die Siedlungs- und Verkehrsfläche auf Anteilswerte innerhalb einer Bandbreite von 9,7 bis 10,7 %. In den verdichteten Gebieten wie dem Rhein-Neckar-Kreis sowie den Landkreisen Böblingen, Ludwigsburg und Esslingen dagegen besitzt sie deutlich höhere Anteile von 19,6 bis 24,7 %. In den Stadtkreisen nimmt die Siedlungs- und Verkehrsfläche zwischen 30,1 % (Heidelberg) und 58,2 % (Mannheim) der Flächen ein. Eine Sonderstellung unter den Stadtkreisen kommt Baden-Baden mit »nur« 14,7 % zu.

1 Dies wird voraussichtlich im Jahre 2015 der Fall sein.

2 Umfasst Übungsgelände (910), darunter Freizeitanlage (912), Schutzfläche (920), Historische Anlage (930), Friedhof (940) und Unland (950).

3 Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung (Hrsg.): Die Einführung von ALKIS – der baden-württembergische Weg, www.lgl-bw.de/lgl-internet/opencms/de/05_Geoinformation/AAA/index.html