:: 5/2015

Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe in Baden‑Württemberg und der EU

Eine Arbeitsstunde im Verarbeitenden Gewerbe kostete im Jahre 2012 in Baden‑Württemberg rund 40 Euro. Nur in Belgien, Dänemark und Schweden war der Faktor Arbeit für die Unternehmen teurer als hierzulande. In allen übrigen Ländern der Europäischen Union lagen die Arbeitskosten zum Teil erheblich niedriger. Trotzdem ist das Verarbeitende Gewerbe in Baden‑Württemberg sehr konkurrenzfähig, weil Produktivität und Produktqualität hoch sind und baden-württembergische Produkte weltweit nachgefragt werden.

Alle 4 Jahre findet in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eine Arbeitskostenerhebung statt. Die Erhebung der Daten erfolgt dabei in allen Ländern nach den internationalen Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Europäischen Union, sodass ein Vergleich der Ergebnisse zwischen den Mitgliedsstaaten möglich ist. Die Arbeitskostenerhebung sammelt Informationen über die Höhe und Struktur der Arbeitskosten. Allgemein werden zu den Arbeitskosten alle Kosten gezählt, die für den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern anfallen. Die letzte Erhebung zu den Arbeitskosten wurde für das Berichtsjahr 2012 durchgeführt.

Rückläufige Lohnstückkosten trotz gestiegener Arbeitskosten

Im Verarbeitenden Gewerbe werden Grundstoff- und Produktionsgüter, Investitionsgüter sowie Verbrauchsgüter hergestellt. Auch das Nahrungs- und Genussmittelgewerbe ist Bestandteil der verarbeitenden Industrie. Mehr als die Hälfte des Umsatzes im Verarbeitenden Gewerbe wird mit Kunden aus dem Ausland getätigt. Trotz der relativ hohen Arbeitskosten im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist die baden-württembergische Industrie im internationalen Wettbewerb sehr erfolgreich. Eine hohe Arbeitsproduktivität sorgt für konkurrenzfähige Lohnstückkosten. Die qualitativ hochwertigen Produkte aus Baden‑Württemberg lassen sich erfolgreich in Europa und der übrigen Welt verkaufen.

Für die baden-württembergischen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes beliefen sich die durchschnittlichen Arbeitskosten1 pro Jahr auf gut 64 000 Euro je vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer. Umgerechnet auf eine geleistete Stunde entspricht dies etwa 40 Euro2. Verglichen mit dem Berichtsjahr 2008 haben sich die Arbeitskosten je Arbeitnehmer um 9,4 % erhöht.

Das ist ein deutlich stärkerer Anstieg als im Zeitraum von 2004 bis 2008, als der Zuwachs 6,4 % betrug. Die Lohnstückkosten, definiert als Quotient aus Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer und Arbeitsproduktivität3, haben sich von 2008 bis 2012 leicht erhöht, während sie im vorangegangenen Zeitraum noch deutlich rückläufig waren. Betrachtet man die Entwicklung über 8 Jahre von 2004 bis 2012, zeigt sich, dass die Lohnstückkosten um nicht ganz 5 % zurückgegangen sind, obwohl die Arbeitskosten je Vollzeitbeschäftigten um mehr als 16 % zugenommen haben. Die Rationalisierungseffekte im baden-württembergischen Verarbeitenden Gewerbe haben trotz gestiegener Arbeitskosten zu sinkenden Lohnstückkosten geführt. Dass von 2008 auf 2012 ein leichter Anstieg der Lohnstückkosten zu beobachten ist, dürfte vor allem dem starken Rückgang des Bruttoinlandsprodukts 2009 geschuldet sein. Ursächlich für die Krise der Realwirtschaft 2009 war letztendlich die Bankenkrise in Europa, die bekanntlich durch den Zusammenbruch des Immobilienmarkts in den USA ausgelöst wurde.

Bruttoverdienste sind entscheidend für die Höhe der Arbeitskosten

Die Kosten für den Faktor Arbeit werden durch die Addition der verschiedenen Kostenarten ermittelt, die bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern ausgabenrelevant sind. Knapp 79 % der Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe entfielen 2012 in Baden‑Württemberg auf die Position »Bruttoverdienste«. Hinzu kommen die sogenannten »Sozialbeiträge der Arbeitgeber«, die gut 20 % der Arbeitskosten des Wirtschaftsabschnitts umfassten. Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung, Anwerbungskosten, vom Arbeitgeber gestellte Berufskleidung sowie die Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz sind ebenfalls Teil der Arbeitskosten. Mit einem Anteil von weniger als 1 % waren diese Kostenarten eher von untergeordneter Bedeutung. Insgesamt entfielen im Verarbeitenden Gewerbe rund 21 % auf die sogenannten Lohnnebenkosten.

Bruttoverdienste umfassen nicht nur das laufend gezahlte Entgelt, sondern auch Sonderzahlungen. Außerdem gehören vermögenswirksame Leistungen, die Vergütung für nicht gearbeitete Tage und Sachleistungen zu den Bruttoverdiensten. Zu den Sonderzahlungen zählen Gratifikationen, die von den persönlichen Leistungen der Arbeitnehmer oder vom Unternehmenserfolg abhängen.

Da die Bruttoverdienste im Wesentlichen für die Höhe der Arbeitskosten entscheidend sind, führen hohe Löhne auch zu entsprechend hohen Arbeitskosten.

Große Unterschiede nach Branchen und Unternehmensgröße

Die Arbeitskosten je geleisteter Stunde in den verschiedenen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes klaffen zum Teil sehr stark auseinander. So variierten diese 2012 im Land von rund 24 bis knapp 54 Euro je geleisteter Stunde. Die höchsten Arbeitskosten wurden für die Mineralölindustrie ermittelt. Am unteren Ende der Skala rangieren die Arbeitskosten der Nahrungs- und Futtermittelindustrie.

Für die Höhe der Arbeitskosten ist auch die Größe eines Unternehmens von Bedeutung. Mit zunehmender Unternehmensgröße nehmen die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe in der Regel zu. In kleinen Unternehmen (10 bis 49 Beschäftigte) kostete die Arbeitsstunde weniger als 28 Euro, während große Unternehmen mit über 1 000 Beschäftigten rund 52 Euro je geleisteter Arbeitsstunde aufwenden mussten. Der Anteil der Lohnnebenkosten nimmt mit der Unternehmensgröße ebenfalls zu. Dies liegt vor allem daran, dass Unternehmen ab 500 Mitarbeiter überproportional höhere Leistungen für die betriebliche Altersversorgung aufwenden, während bei kleinen Unternehmen zum Beispiel Firmenwagen, die als Sachleistungen Teil des Bruttoverdienstes sind, einen bedeutenderen Anteil der Arbeitskosten ausmachen. In absoluten Zahlen und auf das Jahr gesehen, ergibt sich bei der betrieblichen Altersvorsorge ein klares Bild zugunsten der Mitarbeiter von großen Unternehmen. Für diese Leistung wendeten Unternehmen mit 1 000 und mehr Beschäftigten rund 3 400 Euro je Vollzeitbeschäftigten und Jahr auf, wogegen in Unternehmen mit 10 bis 49 Beschäftigten nur knapp 500 Euro für diese wichtige Säule der Altersvorsorge bereitgestellt wurde. Für Firmenwagen, die den Beschäftigten auch für private Zwecke zur Verfügung standen, wurden für Unternehmen mit 10 bis 49 Beschäftigten knapp 380 Euro je Vollzeitbeschäftigten und Jahr errechnet, während in großen Unternehmen mit 1 000 und mehr Beschäftigten nur etwas mehr als 300 Euro je Vollzeitbeschäftigten und Jahr die Kosten für den Faktor Arbeit steigerten.

Vorzeigebranchen im Südwesten

Die größte Anzahl von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe weist der Maschinenbau auf. An zweiter Stelle folgen Autobauer und Zulieferer. In den beiden größten Branchen arbeiten im Land zusammen fast eine halbe Million Menschen. Auch die Arbeitskosten sind hier überdurchschnittlich hoch. Vor allem die Herstellung von Kraftwagen bzw. Teilen von Kraftwagen steht mit rund 52 Euro je umgerechneter Vollzeitstelle mit an der Spitze der Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe. Allerdings zeigt sich auch in diesen baden-württembergischen Vorzeigebranchen, dass der Unterschied zwischen großen und kleinen Betrieben beträchtlich ist. Auffällig ist auch ein deutliches Gefälle innerhalb der Kfz-Industrie zwischen Zulieferern und Autobauern. In den Maschinenbaubetrieben mit 1 000 und mehr Beschäftigten lagen die Arbeitskosten 2012 bei rund dem 1,8-fachen dessen, was in den Kleinbetrieben (10 bis 49 Beschäftigte) an Arbeitskosten ermittelt wurde. In der Autoindustrie lag diese Relation sogar bei dem 2,5-fachen. Vor allem kleinere Unternehmen, die häufig Zulieferer für die Schwergewichte dieser Branche sind, hatten 2012 vergleichsweise niedrige Arbeitskosten. In den Branchen des Landes, die üblicherweise als Hochlohnbranchen bezeichnet werden, gibt es durchaus auch – meist kleinere – Unternehmen, deren Arbeitskosten sich nicht wesentlich vom europäischen Durchschnitt im Verarbeitenden Gewerbe unterscheiden. Kleine Unternehmen sind offensichtlich deutlich mehr dem europäischen und internationalen Wettbewerb ausgesetzt als die Schwergewichte in den Vorzeigebranchen des Landes.

Im EU-weiten Vergleich der Arbeitskosten der Automobilbranche wird dies deutlich. In zahlreichen Staaten Europas lagen die Arbeitskosten 2012 bei Unternehmen bis 249 Beschäftigten zum Teil deutlich über den Werten des Hochlohnlandes Baden‑Württemberg. Dagegen befanden sich die Arbeitskosten für Unternehmen mit 250 bis 999 Beschäftigten bereits in der Spitzengruppe. Bei Unternehmen mit 1 000 und mehr Beschäftigten, also den Schwergewichten der Branche, waren die Arbeitskosten deutlich höher als in allen anderen europäischen Staaten. Selbst in Schweden, dem europäischen Land – abgesehen von Deutschland – mit den höchsten Arbeitskosten in der Automobilindustrie, lagen die Arbeitskosten noch rund 18 % niedriger als in Baden‑Württemberg.

Arbeitskosten in der EU höchst unterschiedlich

Die Arbeitskosten im gemeinsamen Wirtschaftsraum der Europäischen Union unterscheiden sich teilweise beträchtlich. Im Verarbeitenden Gewerbe schwankten die Arbeitskosten pro Stunde 2012 zwischen rund 3 Euro (Bulgarien) und 42 Euro (Belgien). Baden‑Württemberg befand sich mit gut 40 Euro auf Platz 4. Selbst im Euroraum betrug die Spannweite zwischen den höchsten Arbeitskosten in Belgien und den geringsten in Portugal über 31 Euro pro Stunde. In Baden‑Württemberg waren die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe mehr als zweieinhalb Mal so hoch wie in Griechenland.

Europaweit lagen die Arbeitskosten im Land mit rund 52 Euro je geleisteter Stunde in der Automobilbranche an der Spitze. Hierzulande waren die Kosten für den Produktionsfaktor Arbeit in dieser Schlüsselindustrie verglichen mit dem »Schlusslicht« Bulgarien 2012 siebzehn Mal höher und zum Beispiel mehr als doppelt so hoch wie in Spanien. Auch im Maschinenbau waren die durchschnittlichen Arbeitskosten im Land höher als in allen anderen Ländern der Europäischen Union. Es gibt aber durchaus auch Wirtschaftszweige, bei denen die baden-württembergischen Arbeitskosten nicht an der Spitze liegen. Bei der Getränkeherstellung etwa nahm Baden‑Württemberg den 9. Rang und bei der Futtermittelherstellung den 8. Rang ein.

Die durchschnittlichen Arbeitskosten im Euroraum sind deutlich höher als in den übrigen Ländern der Europäischen Union. Die günstigsten Arbeitskosten weisen die ost- und südosteuropäischen Länder auf. Im Vergleich dazu sind die Arbeitskosten in den Eurokrisenländern trotz aller Reformen zum Teil deutlich höher. Da die Arbeitskosten maßgeblich durch die Bruttoverdienste determiniert sind, können die Arbeitskosten letztendlich nicht unabhängig vom Lebenshaltungsniveau des jeweiligen Landes sein. Und das ist in den Euroländern des Südens deutlich höher als in den Nichteuroländern des Ostens und Südostens. Die Aufnahme neuer Länder in Ost- und Südosteruropa hat die Wettbewerbsposition vieler Südeuropäer verschlechtert.

Fazit

Im europäischen Vergleich ist Baden‑Württemberg eine Region mit zumindest im Durchschnitt relativ hohen Verdiensten. Da die Verdiensthöhe maßgeblich die Höhe der Arbeitskosten bestimmt, sind auch die Arbeitskosten im Land hoch. Dies gilt insbesondere für das Verarbeitende Gewerbe mit den Vorzeigebranchen Maschinenbau und Autoindustrie. Allerdings sind die Unterschiede bezüglich der Arbeitskosten je nach Unternehmensgröße beträchtlich. Durch die Marktmacht der großen Unternehmen, auch im Verhältnis zu ihren Zulieferern, können offensichtlich hohe Löhne bezahlt und damit hohe Arbeitskosten wirtschaftlich verkraftet werden, während kleine Unternehmen sehr viel stärker dem Wettbewerb, auch innerhalb der Europäischen Union, ausgesetzt sind. Kleine Unternehmen können im Wettbewerb nur erfolgreich bestehen, wenn die Höhe der Arbeitskosten sich im Rahmen einer bestimmten Größenordnung bewegt. Nur Unternehmen, die in ihrem Marktsegment über eine entsprechende Marktposition verfügen und bzw. oder durch Rationalisierung die Stückkosten gering halten, können dauerhaft relativ hohe Arbeitskosten verkraften.

Ob solch gravierende Kostenunterschiede in einem einheitlichen Wirtschaftsraum auf Dauer Bestand haben, darf bezweifelt werden. Auch wenn derzeit gute Rahmenbedingungen für eine positive konjunkturelle Entwicklung sprechen und die Löhne kräftig steigen, werden sich die Arbeitskosten in der Europäischen Union mittelfristig voraussichtlich angleichen, was letztlich vor allem über die Bruttoverdienste geschehen wird.

1 Nettoarbeitskosten = Bruttoarbeitskosten – Lohnsubventionen

2 Nettoarbeitskosten je geleisteter Stunde der Beschäftigten (ohne Auszubildende).

3 Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt, verkettet) je Erwerbstätigen.