:: 7/2015

Zur Entwicklung der Ehescheidungen in Baden‑Württemberg

Weniger Heiraten – weniger Scheidungen?

In den vergangenen 10 Jahren ist die Zahl der jährlich geschiedenen Ehen leicht rückläufig. Ein kleiner Teil dieser Entwicklung beruht auf den seit Beginn der 1990er-Jahre rückläufigen Eheschließungszahlen. Überwiegend spielt hier jedoch das Scheidungsverhalten der Ehepaare eine Rolle. Von den 1990 geschlossen Ehen werden aus heutiger Sicht rund 40 % vor einem Familiengericht enden. Für jüngere Heiratsjahrgänge zeichnet sich gegenwärtig eher eine Stabilisierung der Scheidungshäufigkeit auf diesem Niveau ab als eine weitere deutliche Zunahme, wie sie bei den vor 1990 geschlossenen Ehen zu beobachten war.

Eheschließungen und Ehelösungen

Die Zahl der jährlich geschiedenen Ehen in Baden‑Württemberg hat sich nach der grundlegenden Reform des Scheidungsrechts im Jahre 1977 in der Folgezeit deutlich nach oben bewegt. Mit rund 25 000 Fällen wurden 2004 die bislang meisten Ehescheidungen im Land registriert. Das waren etwa 50 % mehr als 1990 und fast doppelt so viele wie 1980. Nach 2004 haben sich die jährlichen Scheidungszahlen mit kleinen Schwankungen tendenziell rückläufig entwickelt. Im Jahr 2014 waren es mit rund 20 300 Fällen nahezu 20 % weniger als im Rekordjahr 2004. Unter den möglichen Gründen für diese Entwicklungen spielen im Hintergrund auch die jährlichen Eheschließungszahlen bzw. die Zahl der jeweils bestehenden Ehen eine Rolle.1 Hier zeigt sich, dass die Zahl der Heiraten seit Anfang der 1990er-Jahre von rund 60 000 pro Jahr auf nunmehr knapp 49 000 gesunken ist – ein Minus von rund 20 % –, sich aber seit einigen Jahren auf diesem Niveau stabilisiert hat.

Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Zahl der Eheschließungen jedoch Jahr für Jahr kleiner als die Gesamtzahl der gerichtlichen Ehelösungen plus den Ehelösungen durch Tod eines Ehepartners, deren Zahl sich in den vergangenen 3 Jahrzehnten relativ stabil in einer Größenordnung von 40 000 Fällen pro Jahr bewegt hat. Dadurch reduziert sich die Zahl der jeweils bestehenden Ehen – abgesehen von den Zu- und Fortzügen Verheirateter. In den vergangenen 10 Jahren belief sich der Negativsaldo der Ehelösungen gegenüber den Eheschließungen im Land auf durchschnittlich rund 13 000 Fälle pro Jahr.

Welchen quantitativen Einfluss haben die unterschiedlich stark besetzten Heiratsjahrgänge auf die Entwicklung der Scheidungszahlen? Erste Einsichten bietet die Differenzierung der Scheidungszahlen nach dem Heiratsjahr der geschiedenen Ehen, aus dem zugleich die jeweilige Ehedauer bis zur Scheidung abgeleitet wird.

Weniger Eheschließungen – weniger Ehescheidungen?

Der Anstieg der Scheidungszahlen in Baden‑Württemberg bis zum Jahr 2004 ergab sich maßgeblich daraus, dass – beispielsweise im Vergleich zu 1994 – erheblich mehr Ehen nach einer Ehedauer von 5 und mehr Jahren geschieden wurden. Demgegenüber beruhten die im Vergleich zu 2004 insgesamt niedrigeren Scheidungszahlen des Jahres 2014 nahezu vollständig darauf, dass deutlich weniger Ehen mit einer Ehedauer bis zu 17 Jahren gerichtlich beendet wurden. Bei Ehen mit einer höheren Ehedauer (bis zu 30 Ehejahren) lagen die Zahlen 2014 nur wenig höher als 2004.

Hinter diesen Scheidungszahlen stehen jedoch unterschiedlich stark besetzte Heiratsjahrgänge. Die im Jahr 2004 nach einer Ehedauer von beispielsweise 5 Jahren geschiedenen Ehen beziehen sich auf den Heiratsjahrgang 1999 (mit rund 56 000 Eheschließungen), während die nach gleicher Ehedauer im Jahr 2014 geschiedenen Ehen aus dem Heiratsjahrgang 2009 (mit etwa 48 000 Eheschließungen) stammen. Daher ist es zweckmäßig, diesen »Mengeneffekt« durch die Berechnung von jahrgangs- bzw. ehedauerbezogenen Scheidungshäufigkeiten zu eliminieren. Diese Scheidungshäufigkeiten lassen sich dann als statistischer Indikator für das Scheidungsverhalten (»Scheidungsbereitschaft«, »Scheidungsneigung«) verwenden.2

Die ehedauerbezogenen Scheidungshäufigkeiten des Jahres 2004 zeigen, dass die Scheidungsbereitschaft in den Ehen mit 4- und mehr­jähriger Dauer deutlich höher ausfiel als bei den 1994 geschiedenen Ehen. Bei den Ehen mit einer Ehedauer von 4 bis 12 Jahren lagen die Scheidungshäufigkeiten 2004 im Durchschnitt um knapp 20 % höher als 1994, bei denen mit einer Ehedauer von 13 bis 30 Jahren sogar um fast die Hälfte höher. Demgegenüber hat sich bis 2014 die Scheidungshäufigkeit insbesondere kürzer bestehender Ehen sichtbar verringert. Die Bereitschaft von Ehepaaren, sich nach einer Ehedauer von bis zu 10 Jahren scheiden zu lassen, war 2014 durchschnittlich um etwa ein Viertel niedriger als 2004. Hingegen wiesen die Ehen mit einer Ehedauer von 20 bis 30 Jahren jeweils in etwa gleich hohe Scheidungshäufigkeiten auf.

Aus diesen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass sowohl der Anstieg der jährlichen Scheidungszahlen bis 2004 wie auch die tendenziell rückläufige Entwicklung seit 2005 stark vom Scheidungsverhalten der Ehepaare im Land beeinflusst wurden. Mithilfe von Modellrechnungen3 kann gezeigt werden, dass rund drei Viertel des Rückgangs der Scheidungszahlen zwischen 2004 und 2014 auf dieser Verhaltenskomponente beruhen, das übrige Viertel auf den gesunkenen Eheschließungszahlen. Im Vergleich dazu war der Anstieg der Scheidungszahlen zwischen Anfang der 1990er-Jahre bis 2004 nahezu ausschließlich auf verhaltensbedingte Faktoren zurückzuführen.

Scheidungsverlauf ausgewählter Heiratsjahrgänge

Konkretere Einsichten in den Verlauf des Scheidungsverhaltens von Ehepaaren erhält man bei der Betrachtung einzelner Heiratsjahrgänge. Dabei geht es um die Frage, wie viele der zum Beispiel im Jahr 1980 geschlossenen Ehen (Heiratsjahrgang 1980) im Laufe der hier betrachteten 30-jährigen Ehedauer geschieden worden sind. Schaubild 4 zeigt diese Verläufe für ausgewählte Heiratsjahrgänge von 1960 bis 2000, soweit sie bis zum Jahr 2014 zu beobachten waren. Auch wenn diese jahrgangsbezogenen Verläufe optisch denen aus der berichtsjahrbezogenen Betrachtung ähneln, so enthalten sie zum Teil wesentlich darüber hinausgehende Informationen.4

So wird deutlich, dass mit jedem jüngeren Heiratsjahrgang insbesondere die Bereitschaft, sich nach relativ kurzer Ehedauer – etwa nach 3 bis 6 Jahren – scheiden zu lassen, angestiegen ist. Durchschnittlich lagen die Scheidungshäufigkeiten in diesem Ehedauerbereich beim Heiratsjahrgang 1990 um etwa 18 % höher, beim Jahrgang 2000 waren sie dort sogar um rund ein Drittel höher als beim Jahrgang 1980.5 Darüber hinaus haben bei denjenigen, die bis Ende der 1980er-Jahre geheiratet hatten, im Vergleich zu jeweils früheren Heiratsjahrgängen auch die Scheidungshäufigkeiten nach längerer Ehedauer zugenommen. Diese Entwicklung hat sich bei den Heiratsjahrgängen nach 1990 nicht mehr – zumindest nicht mehr durchgängig – fortgesetzt, wie auch der Scheidungsverlauf bei den im Jahr 2000 geschlossenen Ehen nach dem 7. Ehejahr anzeigt.

Nachdem die zwischen 2001 und 2007 in Baden‑Württemberg geschlossenen Ehen bis zum Jahr 2014 nunmehr 7 bis 14 Jahre bestanden haben (das Jahr der Eheschließung mitgezählt), lässt sich feststellen, dass ihre Scheidungshäufigkeiten gegenüber denen des Jahrgangs 2000 bis zur jeweils vergleichbar langen Ehedauer nicht mehr angestiegen, tendenziell sogar ein wenig rückläufig sind. Möglicherweise deutet sich hiermit eine gewisse Stabilisierung auf dem erreichten Niveau an.

Höchstes »Scheidungsrisiko« nach 4 bis 6 Ehejahren

Für die meisten Heiratsjahrgänge seit Beginn der 1980er-Jahre ergaben sich die höchsten Scheidungsrisiken bei einer Ehedauer von 4 bis 6 Jahren. Bei einzelnen Jahrgängen aus den 1990er-Jahren lag die »kritische« Ehedauer bei 5 bis 7 Ehejahren. Jeweils etwa 7 % bis 8 % der Ehen der Heiratsjahrgänge ab 1990 wurden allein in den 3 Ehejahren mit den jeweils höchsten »Scheidungsrisiken« gerichtlich beendet. Da dieses zeitliche Muster recht regelmäßig bei allen einzelnen Heiratsjahrgängen zu beobachten ist, spiegelt es sich auch – mit kleinen jährlichen Schwankungen – in den berichtsjahrbezogenen Querschnittsergebnissen der Scheidungshäufigkeiten wider. Generell ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Zerwürfnis der Ehepaare in der Regel deutlich früher eingetreten sein dürfte – mindestens 1 Jahr früher. Denn in den meisten Fällen – 2014 waren es rund 80 % – werden die Scheidungen dem geltenden Scheidungsrecht entsprechend erst nach einer 1-jährigen Trennungsfrist ausgesprochen. Bei einem weiteren, in den vergangenen Jahren zunehmenden Anteil (2014 rund 17 %) erfolgt die Scheidung auch erst nach 3-jähriger Trennungszeit.

Die Frage nach der »Haltbarkeit« von Ehen wird statistisch im Allgemeinen mit Hilfe der durchschnittlichen oder mittleren (Median) Ehedauer der geschiedenen Ehen zu beantworten versucht. Da die Beobachtungsreihen für die einzelnen Heiratsjahrgänge für diesen Zweck nicht ausreichend lang sind, erfolgt die Berechnung auf Basis der Ehen, die in einem bestimmten Berichtsjahr geschieden wurden. Auf diese Weise lässt sich zeigen, dass die mittlere Ehedauer bis zur gerichtlichen Trennung mit Beginn der 2000er-Jahre deutlich zugenommen hat. Während die Hälfte der 1994 geschiedenen Ehen bis zu rund 10 Jahren gedauert hatte (die andere Hälfte mehr als 10 Jahre), lag die mittlere Ehedauer der 2004 geschiedenen Ehen bei fast 12 Jahren. Sie ist bis 2014 auf nahezu 14 Jahre angestiegen. Diese Zunahme ist vermutlich teilweise auf den gewachsenen Anteil der Ehen zurückzuführen, die erst nach einer 3- statt 1-jährigen Trennungsdauer geschieden wurden. Weitere Gründe – insbesondere ob hierin eine größere »Haltbarkeit« von Ehen zum Ausdruck kommt – lassen sich nicht ableiten.

Perspektive: Stabilisierung der Scheidungshäufigkeit bei rund 40 %

Soweit man die Scheidungshäufigkeit der Heiratsjahrgänge von 1950 bis 1990 bislang nachzeichnen kann, wird mit jedem jüngeren Jahrgang eine wachsende Scheidungsneigung erkennbar. Über eine Ehedauer von 30 Jahren gesehen waren von den 1950 geschlossenen Ehen rund 10 % von einem Familiengericht beendet worden. Beim Heiratsjahrgang 1970 traf dies bereits auf rund ein Viertel zu und beim 1980er-Jahrgang auf etwa ein Drittel. Von den Ehepaaren, die 1990 den Bund der Ehe geschlossen hatten, wurden bis zum Jahr 2014 (24 Ehejahre) rund 37 % geschieden, nach 30 Ehejahren dürften es etwa 40 % sein.

Dieser starke Anstieg der Scheidungsneigung hat sich mit den nach 1990 geschlossenen Ehen nicht mehr fortgesetzt. Soweit bis zum Jahr 2014 zu beobachten, liegen die Scheidungshäufigkeiten der Ehejahrgänge 1990 bis 2000 eng beieinander. So war nach einer Ehedauer von 14 Jahren jeweils etwa ein Viertel aller zwischen 1990 und 2000 geschlossenen Ehen gerichtlich getrennt worden. Insofern lässt sich auch hieraus eher eine Stabilisierung der Scheidungshäufigkeit »jüngerer« Heiratsjahrgänge erkennen – allerdings auf dem bislang höchsten Niveau von rund 40 %6 – als ein weiterer Anstieg.

1 Bei kurzfristigen Vergleichen (insbesondere Vorjahresvergleiche) können auch die Arbeitsrhythmen und unterschiedlichen Arbeitskapazitäten der Familiengerichte einen wesentlichen Einfluss haben. Durch längerfristig angelegte Vergleiche lassen sich gleichwohl Erkenntnisse über Einflussgrößen wie etwa das Scheidungsverhalten der Ehepaare ableiten. Allerdings bezeichnet »Scheidungsverhalten« dabei das vielfältige Geflecht aus individuellen Motivationen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als Gesamtkomplex, ohne dass mit Hilfe der vorliegenden Daten die Verhaltensfaktoren im Einzelnen differenziert werden können.

2 Bei dieser Sichtweise handelt es sich um eine sogenannte Querschnittsbetrachtung. Das Scheidungsverhalten bezieht sich auf die Verhältnisse des Jahres, in dem die Scheidungen vollzogen werden (Berichtsjahr). Auf diese Weise wird lediglich das Ergebnis von Entscheidungsprozessen der Ehepaare dokumentiert, die – nach unterschiedlich langer Ehedauer – zur Scheidung im jeweiligen Berichtsjahr geführt haben. Statistisch gesehen werden die in Baden‑Württemberg ausgesprochenen Scheidungen auf die im Land geschlossenen Ehen bezogen. Dabei gehen Scheidungen von Ehen in die Rechnung mit ein, die nicht im Land geschlossen wurden, sondern bei denen die Ehepaare durch Zuzug nach Baden‑Württemberg gekommen sind. Umgekehrt werden Scheidungen von hierzulande geschlossenen Ehen, die außerhalb Baden‑Württembergs erfolgen, nicht berücksichtigt.

3 Hierbei werden Erwartungswerte berechnet, die die Frage beantworten, wie viele Scheidungen sich ergeben hätten, wenn sich zwar die ehedauerbezogenen Scheidungshäufigkeiten (das Scheidungsverhalten) im Lauf der Zeit verändert hätten, die Zahl der Eheschließungen jedoch konstant geblieben wäre. Aus dem Vergleich von hypothetischen Scheidungszahlen mit den tatsächlich beobachteten lässt sich rechnerisch bestimmen, welcher Teil der Veränderungen auf die Verhaltenskomponente (vgl. Fußnote 1) zurückgeführt werden kann und welcher Teil auf den Mengeneffekt (Zahl der Eheschließungen bzw. bestehenden Ehen). Vgl. auch Grünheid, Evelyn: Ehescheidungen in Deutschland: Entwicklung und Hintergründe; BIB Working Paper 1/2013, Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, S. 10.

4 Es gelten auch hier die in Fußnote 2 genannten methodischen Besonder­heiten. Gleichwohl ergibt sich aus dieser Berechnung ein aussage-fähiger Indikator zur Scheidungshäufigkeit der einzelnen Heiratsjahrgänge.

5 Auch im Vergleich zu älteren Heiratsjahrgängen (zum Beispiel aus den 1960er- und 1970er-Jahren) ist die Zunahme der Scheidungsbereitschaft deutlich erkennbar. Dabei ist allerdings zu beachten, dass für sie bis Mitte 1977 andere scheidungsrechtliche Regelungen galten. Das zum 1. Juli 1977 geänderte Scheidungsrecht unter anderem mit der Einführung von Trennungsfristen hatte deutliche Auswirkungen auf die Scheidungsverläufe der Heiratsjahrgänge. Dies zeigt sich beispielsweise sehr eindrucksvoll in dem kurzfristigen Einbruch der Scheidungshäufigkeit des Ehejahrgangs 1970 zwischen dem 7. und 8. Ehejahr, ebenso beim Jahrgang 1960 zwischen dem 17. und 18. Ehejahr.

6 Dieser Anteil stellt eine Untergrenze für die Ehen dar, die letztendlich vor dem Familiengericht enden, da in der vorliegenden Analyse die Beobachtungsreihe auf eine Ehedauer von 30 Jahren begrenzt wurde. Aus den darüber hinaus verfügbaren Daten lässt sich ableiten, dass sich die Scheidungshäufigkeit bezogen auf einen Heiratsjahrgang um schätzungsweise 3 Prozentpunkte erhöht, wenn man die Scheidungen nach mehr als 30 Ehejahren mit berücksichtigt.