:: 8/2015

Hausschlachtungen – früher normal, heute die Ausnahme

Früher hatten die Hausschlachtungen im Vergleich zu heute einen sehr hohen Stellenwert. Gerade in ländlichen Gebieten war die Versorgung mit Fleisch für die überwiegende Anzahl der dort lebenden Menschen einzig und allein durch selbst aufgezogene Schweine, Rinder, Geflügel, Ziegen, Kaninchen und Schafe möglich. Traditionell wurden in fast allen Haushalten auf dem Land Schweine gehalten und zur Selbstversorgung geschlachtet.

Ein wichtiger Beitrag zur Selbstversorgung

Sowohl Jäger und Sammler als auch Ackerbauern betrieben in historischen Kulturen Subsistenzwirtschaft. Der marginale Tauschhandel beschränkte sich hauptsächlich auf Güter, die über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgingen. Bis zur industriellen Revolution war die Selbstversorgung wichtig, erst dann änderte sich die grundsätzliche Versorgungslage in den Städten. Auf dem Land blieb die Selbstversorgung für breite Bevölkerungsschichten weiterhin selbstverständlich. Da jedoch im Europa des 19. Jahrhunderts die Vergütung der Erwerbsarbeit in der Industrie am Rande und unterhalb des Existenzminimums lag, wurden von sozialreformerisch eingestellten Politikern ergänzende Formen der Versorgung gesucht. Möglichkeiten, wie die lohnabhängigen Schichten ihre Lebensmittel selbst produzieren konnten, waren die Haltung von Schlachttieren und die Einrichtung von Kleingärten. So wurden die Hausschlachtungen zu einem wichtigen Bestandteil der Nahrungsversorgung für viele Menschen.

Im Großherzogtum Baden wurden 1912 rund 209 000 Schweine zur Selbstversorgung zu Hause geschlachtet, das waren gut 29% aller in diesem Jahr geschlachteten Schweine. Im Königreich Württemberg entsprachen im gleichen Jahr 183 000 Hausschlachtungen mehr als 35% der dort geschlachteten Schweine. Im gesamten Deutschen Kaiserreich wurden 1912 mehr als 5,780 Mill. Schweine durch Hausschlachtungen der menschlichen Ernährung zugeführt. Bei damals rund 14 347 000 Haushalten im Deutschen Reich bedeutete dies – unter der Annahme, dass in den Haushalten im Verlauf eines Jahres zwei Schweine geschlachtet wurden –, dass in einem Fünftel aller Haushalte die Hausschlachtungen zur Selbstversorgung der Familie beitrugen.

Aus hygienischer Sicht war eine Fleischverarbeitung in der Winterzeit sehr vorteilhaft. Die Hausschlachtungen von Schweinen fanden von September bis April statt. Diese alte Bauernregel fand strikte Beachtung. Bevorzugt wurden die kalten Wintermonate. So wurde im Regelfall das erste Schwein Ende November und das zweite Ende Januar geschlachtet. Die Schlachtungen führte ein Hausschlachter durch. Dies war ein Nebenerwerb, der oft von Landwirten, Maurern oder Malern ausgeübt wurde, weil diese in der kalten Jahreszeit ansonsten weitgehend beschäftigungslos waren.

Der Schlachtvorgang

Der Schlachtvorgang eines Schweines wurde in allen Regionen Deutschlands mit marginalen Abweichungen nach dem gleichen Verfahren abgewickelt. Nachdem der Schlachttermin vereinbart war, begannen bereits morgens die Vorbereitungen. Die Hausfrau musste dafür sorgen, dass rund 100 Liter heißes Wasser zur Verfügung standen. Dazu diente oft der große Waschkessel, der in den meisten Häusern vorhanden war. Nach der Begutachtung durch den örtlichen Fleischbeschauer und dessen Einverständniserklärung wurde das Schwein aus dem Stall geführt. Vor den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts betrug das Lebendgewicht eines Schlachtschweines im Schnitt 150 kg. Der Schlachter erschoss das Tier dann mit einem Bolzenschussapparat. Mit einem besonders scharfen Messer wurde die Halsschlagader durchtrennt, um das Blut in einem Eimer aufzufangen und so lange umzurühren, bis es erkaltet war. Danach wurde das Schwein mit kochend heißem Wasser abgebrüht, um die Borsten und andere nicht verwertbare Teile des Schlachttieres sauber entfernen zu können. Das saubere Tier wurde mit den Hinterbeinen an einer Leiter befestigt, die man schräg gegen eine Hauswand lehnte. Anschließend wurde das Schwein vom Schlachter aufgebrochen, um die Innereien herauszunehmen. Danach teilte der Hausschlachter mit dem Schlachtbeil das Tier in zwei Hälften, sodass der Körper auskühlen konnte. Im Anschluss daran mussten noch die Därme, der Magen und die Blase gesäubert werden. Sie wurden für die Wurst gebraucht. Jetzt war der Zeitpunkt für den zweiten Teil der Fleischbeschau. Die vorgeschriebenen Gewebeproben wurden entnommen und unter dem Mikroskop analysiert. Waren sie beanstandungsfrei, konnte das geschlachtete Schwein freigestempelt werden. Damit war es auch zur Wurstverarbeitung freigegeben.

Nun begann der Prozess der Fleischzerlegung und Wurstzubereitung. Dafür wurden die Schweinehälften auf einen Tisch gelegt, sodass die Schinken gelöst und die Bratenstücke, Kotelettstränge und Speckseiten zurechtgeschnitten werden konnten. Das Fleisch für Wurst wurde von der Hausfrau ausgewählt. In vielen Haushalten gab es einen besonderen Holzbottich zum Salzen der Schinken, des Specks und des Bauchfleischs. Bratenstücke oder Kotelettstränge wurden angebraten und in Gläsern oder Dosen eingemacht. Alles weitere zum Wursten vorgesehene Fleisch kam zum Kochen in einen großen Kessel. Nach dem Kochvorgang wurde das Fleisch für die Würste zuerst geschnitten, dann in einer Wanne mit Salz, Pfeffer und anderen Gewürzen vermischt. Danach musste das zubereitete Wurstfleisch durch den Fleischwolf gedreht und abschließend mit der Wurstmaschine in die Därme, den Magen und die Blase gefüllt werden. Alle Würste im Darm wurden, um sie haltbar zu machen, im großen Kessel noch einmal gekocht, wobei etliche zerplatzten und damit die Qualität der Wurstbrühe verbesserten.

Nach dem Abkühlen kam die Wurst in den Räucherschrank. Damit war die Arbeit für den Schlachter getan. Die Schinken lagen nun rund 4 bis 5 Wochen im Salz, danach wurden sie entwässert und geräuchert. Seinen Abschluss fand der Schlachttag gegen Abend mit einem gemeinsamen Essen. Alles, was an diesem Tag hergestellt wurde, kam auf den Tisch. Neben der frischen Blut- und Leberwurst, Kesselfleisch sowie gebratenem Schweinemett und Wurstbrühe gab es als Beilagen Kartoffeln und Sauerkraut. Zum guten Brauch gehörte es auch, den Nachbarn einen Topf Wurstbrühe, Wellfleisch sowie je einen kleinen Ring Blut- und Leberwurst zu bringen. Dadurch hatte man Gelegenheit, selbst häufiger frisch Geschlachtetes essen zu können, denn geschlachtet wurde in vielen Haushalten.

In der Notzeit …

Die Bezeichnung Selbstversorger erlangte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und in den Folgejahren in Deutschland eine spezifische Bedeutung. Selbstversorger in der Lebensmittelbewirtschaftung waren in der Regel die Landwirte, die keinen Anspruch auf Lebensmittelkarten hatten. Daneben gab es Teilselbstversorger. Das waren zum Beispiel Personen, die durch eine Landwirtschaft im Nebenerwerb Zuteilungen nur für solche Waren bekamen, die sie nicht selbst erzeugen konnten. Einen nicht unerheblichen Beitrag zur Selbstversorgung in diesen Zeiten leisteten die Hausschlachtungen. Gerade in ländlichen Regionen wurden noch relativ viele Hausschlachtungen in landwirtschaftlichen Voll- und Nebenerwerbsbetrieben durchgeführt. So gab es im Jahr 1952 in der gesamten Bundesrepublik Deutschland rund 8 025 000 gewerbliche und 4 381 000 Hausschlachtungen. In Baden‑Württemberg waren es im gleichen Jahr annähernd 660 000 Hausschlachtungen. Bereits gegen Ende dieses Jahrzehnts zeichnete sich in Baden‑Württemberg ein Rückgang der Hausschlachtungen ab. 1959 wurden noch rund 592 000 Hausschlachtungen registriert. Die Gründe hierfür lagen wohl in der wirtschaftlichen Erstarkung der Bundesrepublik Deutschland und einem damit einhergehenden veränderten Konsum- und Versorgungsverhalten.

… und die Zukunft?

Aktuell werden in Baden‑Württemberg nur wenige Hausschlachtungen durchgeführt. 2014 gab es rund 12 000 Fälle im Vergleich zu knapp 5 Mill. Schweineschlachtungen insgesamt.1 Hausschlachtungen unterliegen in der heutigen Zeit einer Vielzahl von strengen gesetzlichen Vorgaben, beispielsweise in der Verordnung zur Regelung bestimmter Fragen der amtlichen Überwachung des Herstellens, Behandelns und Inverkehrbringens von Lebensmitteln tierischen Ursprungs (Tierische Lebensmittel-Überwachungsverordnung, (siehe i-Punkt).

Im Rahmen der vielschichtigen Diskussionen um nachhaltiges Wirtschaften spielt der Aspekt der Selbstversorgung mit Lebensmitteln durchaus eine Rolle. Angesichts der einerseits strengen gesetzlichen Auflagen und des andererseits – wie ebenfalls beschrieben – aufwändigen Schlachtvorgangs ist aus heutiger Sicht aber nicht erkennbar, ob der Selbstversorgung in Form von Hausschlachtungen jemals wieder ein größerer Stellenwert zukommen wird.