:: 9/2015

Wanderungen von Ost nach West – und wieder zurück?

Zum Wanderungsgeschehen zwischen Baden‑Württemberg und den neuen Bundesländern

Die Zuwanderung nach Baden‑Württemberg hat zuletzt ein Niveau erreicht, das noch Ende des vergangenen Jahrzehnts für kaum vorstellbar gehalten wurde. Zogen 2008 und 2009 per Saldo lediglich jeweils 3 000 bis 4 000 Personen in den Südwesten, waren es im vergangenen Jahr bereits rund 90 000 Personen!1 Noch erheblich höher war der Wanderungsgewinn allerdings 1990, also im Jahr der Wiedervereinigung, als per Saldo 182 000 Menschen nach Baden‑Württemberg zuzogen. Darunter waren allein in jenem Jahr immerhin 49 000 Personen, die aus den fünf neuen Bundesländern gekommen sind. Rund 5 000 Personen zogen 1990 aus dem Südwesten nach Ostdeutschland.

Anlässlich der Wiedervereinigung vor einem Vierteljahrhundert soll das Wanderungsgeschehen zwischen Baden‑Württemberg und den neuen Bundesländern näher analysiert werden. Dabei soll zunächst deutlich werden, dass – zumindest zeitweise – auch bereits vor 1989 eine starke Wanderungsverflechtung zwischen dem Südwesten und der ehemaligen DDR bestand. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt allerdings auf dem Wanderungsgeschehen seit dem Jahr 1990. Hierbei wird unter anderem auch der Frage nach der alters- und geschlechtsspezifischen Zusammensetzung der Zu- und Fortziehenden nachgegangen. Abschließend soll gezeigt werden, dass die einzelnen Stadt- und Landkreise Baden‑Württembergs für »Zuzügler« aus den neuen Bundesländern sehr unterschiedlich attraktiv sind.2

Ein Blick zurück: Wanderungsverflechtung mit der ehemaligen DDR

Bereits vor dem »Mauerfall« im Jahr 1989 gab es zeitweise bedeutsame Wanderungsverflechtungen zwischen der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR. Nach der Staatsgründung 1949 verließen in den 1950er-Jahren jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen die DDR in Richtung Bundesrepublik. Einen ersten Höhepunkt der Abwanderungswelle wurde 1953, im Jahr des Volksaufstands vom 17. Juni, mit 331 000 Flüchtlingen erreicht.3 Noch höher lag die Zahl der Zuziehenden aus der ehemaligen DDR im Jahr 1957 mit knapp 419 0004 – und damit jeweils mehr als im Jahr des »Mauerfalls« und der Wiedervereinigung! Von 1958 bis einschließlich 1961 wanderten dann nochmals über 900 000 Personen aus der seinerzeit im Westen als sowjetische Besatzungszone benannten DDR in die Bundesrepublik Deutschland ab.5 Diese massenhafte »Abstimmung mit den Füßen« wurde schließlich zum existenziellen Problem für die DDR, das von der Staatsführung ab August 1961 durch die strikte Abriegelung der Grenzen »gelöst« wurde.6 Danach ging die Abwanderung in den Westen auf etwa ein Zehntel zurück und lag in den 2 folgenden Jahrzehnten »nur« noch in einer Größenordnung von etwa 20 000 Personen jährlich.7

Diesen Verlauf im Wanderungsgeschehen der 1950er- und 1960er-Jahre zwischen der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR spiegelt sich erwartungsgemäß in den entsprechenden Ergebnissen für Baden‑Württemberg wider: Enorme Wanderungsgewinne insbesondere in den Jahren 1953 bis 19578, ein deutlicher Rückgang in den Folgejahren und einen »Einbruch« nach dem Mauerbau mit der Folge, sodass von 1962 bis 1983 im Jahresdurchschnitt per Saldo lediglich noch knapp 2 000 Personen aus der ehemaligen DDR zuzogen.

Im Jahr 1984 stiegen die Zuzüge in den Südwesten sprunghaft auf über 7 000 Personen an. Ursächlich für diesen Anstieg waren die Bewilligungen von länger vorliegenden Anträgen durch die DDR-Behörden, wodurch zum Beispiel neben Rentnerinnen und Rentnern zahlreichen »nicht systemkonformen« Personen die Ausreise gestattet wurde.9

Auffällig ist, dass bis Ende der 1970er-Jahre zwei von drei der Zu- bzw. Fortgezogenen Frauen waren; erst ab Mitte der 1980er-Jahre war das Geschlechterverhältnis ausgeglichen.

Phasen der Zuwanderung seit 1989

Seit dem »Fall der Mauer« sind insgesamt rund 650 000 Menschen aus den fünf neuen Bundesländern nach Baden‑Württemberg gezogen; etwas mehr als 310 000 Personen sind aus dem Südwesten nach Ostdeutschland (zurück-)gezogen, so dass Baden‑Württemberg per Saldo ca. 340 000 Einwohner hinzugewonnen hat. Dieses Wanderungsgeschehen verlief aber sehr unterschiedlich und kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden:

Phase: 1989 bis 1990Nach dem »Fall der Mauer« am 9. November 1989 konnten diejenigen, die bereits seit langer Zeit eine Ausreise ersehnt hatten, ihren Wunsch nach Übersiedlung in den Westen verwirklichen.10 Allein in den Jahren 1989 und 1990 sind per Saldo annähernd 750 000 Personen in die alten Bundesländer gezogen, darunter über 100 000 nach Baden‑Württemberg.

Phase: 1991 bis 1996/97Ab 1991 bis etwa Mitte der 1990er-Jahre schwächte sich die Zuwanderung aus den neuen Bundesländern stetig ab. Zogen 1991 noch rund 42 000 Personen aus Ostdeutschland nach Baden‑Württemberg, waren es 1997 nur noch 18 000. Parallel hierzu stieg der Fortzug aus dem Südwesten von knapp 12 000 im Jahr 1991 auf über 14 000 an, so dass der Wanderungsgewinn Baden‑Württembergs im Jahr 1997 bei lediglich knapp 4 000 Personen lag. Als ursächlich für diese sich abschwächende Migrationsbewegung von Ost nach West wurden unter anderem der Anstieg der ostdeutschen Löhne sowie die abnehmende Anzahl an Arbeitsmöglichkeiten in den alten Bundesländern ab 1992 angesehen.11

Phase: 1998 bis 2001Im Zeitraum 1998 bis 2001 stieg dann aber die Zuwanderung aus den neuen Bundesländern erneut an und erreichte im Jahr 2001 mit knapp 38 000 Personen einen zwischenzeitlichen Höchststand; gleichzeitig gingen die Fortzüge nach Ostdeutschland leicht zurück. Für diesen neuerlichen Anstieg wurden insbesondere drei Gründe angeführt: Die Lohnangleichung zwischen Ost und West war zum Stillstand gekommen; die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern stieg weiter an, während sich die westdeutsche Arbeitsmarktlage verbessert hat.12

Phase: seit 2002Die Jahre seit 2002 sind durch einen fast stetigen Rückgang der Ost-West-Migration gekennzeichnet. Im Jahr 2013 lag die Zuwanderung aus den neuen Bundesländern nur noch bei knapp 14 000 Personen und in den ersten 3 Quartalen des Jahres 2014 sogar nur noch bei rund 10 000. Da andererseits die Wanderung in die Gegenrichtung einen leicht steigenden Verlauf genommen hat, lag die Zuwanderung aus Ostdeutschland per Saldo zuletzt so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung (800). Dieser Trend ist sicherlich auch auf altersstrukturelle Effekte zurückzuführen. Denn die Besetzungsstärken der »wanderungsaktiven« Bevölkerung sind in den neuen Bundesländern zurückgegangen.

Mehr Frauen als Männer …

Von den seit 1990 insgesamt annähernd 590 000 Zugezogenen aus den neuen Bundesländern waren knapp 48 % Frauen. Geringer war der Frauenanteil bei den Fortzügen nach Ostdeutschland (44,5 %). Dies führt zu einem auf den ersten Blick überraschenden Saldo, wonach rechnerisch etwas mehr Frauen als Männer nach Baden‑Württemberg gezogen sind (51,7 %).

Im Zeitablauf zeigt sich, dass sich die Geschlechterproportion der Zu- und Fortziehenden im vergangenen Vierteljahrhundert verändert hat. So lag der Anteil der Frauen, die aus den neuen Bundesländern zugezogen sind, an allen Zuzügen von dort 1990 lediglich bei 40 %. In den Jahren 1993 bis 1996 sind mehr Frauen als Männer aus den neuen Bundesländern zugezogen; seither lag der Anteil der zuziehenden Frauen mit stetig abnehmender Tendenz bei jeweils unter 50 %.

Bei den Fortzügen waren die Frauen allerdings noch etwas stärker unterrepräsentiert als bei den Zuzügen. In allen Jahren seit der Wiedervereinigung bis 2006 war der Fortzugsanteil der Frauen in jedem Jahr geringer als der jeweilige Zuzugsanteil. Seit 2007 hat sich dies aber – mit Ausnahme des Jahres 2009 – umgekehrt. Das hat dazu geführt, dass in 2013 nur noch 17 % des Wanderungsgewinns gegenüber den neuen Bundesländern auf Frauen entfiel.

Eine Erklärung dafür, dass zeitweise per Saldo mehr Frauen als Männer aus Ostdeutschland zugezogen sind, könnte in den geschlechtsbezogenen Unterschieden bei den Arbeitslosenquoten zu finden sein. Während es in den ersten 10 Jahren nach der Wiedervereinigung in Westdeutschland nur geringe Unterschiede zwischen der Arbeitslosenquote von Männern und Frauen gab, war der damalige Unterschied in den neuen Bundesländern wesentlich größer.13 Frauen waren damit auf dem schwierigen ostdeutschen Arbeitsmarkt noch schlechter gestellt als Männer.14 Zwischenzeitlich ist es dagegen so, dass die Arbeitslosenquote von Frauen in allen Bundesländern – mit Ausnahme Baden‑Württembergs – jeweils niedriger ist als die der Männer.15

… und vor allem junge Erwachsene zogen per Saldo zu

Der Wanderungssaldo Baden‑Württembergs gegenüber den östlichen Bundesländern war und ist wie bei den meisten großräumigen Wanderungsströmen sehr altersselektiv: Die Wanderungsgewinne konzentrieren sich auf die jungen Erwachsenen. Annähernd die Hälfte des positiven Wanderungssaldos seit 1990 entfiel auf die Altersgruppe der 18- bis unter 30-Jährigen. Dagegen spielt das Wanderungsgeschehen der Senioren praktisch keine Rolle für das Gesamtergebnis. Seit 1990 sind lediglich knapp 19 000 Personen im Alter von 65 und mehr Jahren nach Baden‑Württemberg zu- und etwas mehr als 15 000 in die neuen Bundesländer fortgezogen. Der Anteil des Wanderungsgewinns dieser Altersgruppe lag damit bei nur 1,3 % des Gesamtsaldos.

Schaubild 3 zeigt, dass der Wanderungsgewinn der weiblichen Bevölkerung in allen Altersgruppen jeweils höher als der der Männer war. Auffällig ist zudem, dass der Anteil der Frauen am Wanderungsplus umso höher lag, je älter die Altersgruppe war.

»Zuzügler« sind überdurchschnittlich gut ausgebildet …

Die amtliche Wanderungsstatistik liefert zwar Ergebnisse zu den Zu- und Fortzügen differenziert nach Alter und Geschlecht, nicht aber zum schulischen oder beruflichen Qualifikationsniveau der Migranten. Befragungen und Auswertungen kommen jedoch einhellig zu dem Ergebnis, dass überdurchschnittlich oft gut Qualifizierte aus den neuen Bundesländern in den Westen zugezogen sind. So ergab eine repräsentative Studie des Statistischen Landesamtes Sachsen, dass überwiegend Personen mit höherem Schulabschluss den Freistaat verlassen haben.16 Während fast 37 % der Fortgezogenen über die Fachhochschul- oder Hochschulreife verfügen, waren es bei der erwachsenen sächsischen Bevölkerung »nur« knapp 18 %. Und auch das berufliche Ausbildungsniveau der Fortgezogenen lag überdurchschnittlich hoch.17 Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studie für Sachsen-Anhalt.18

Aber: Nicht nur die Zuziehenden aus den neuen Bundesländern sind besonders qualifiziert, sondern auch die dorthin Fortziehenden. Dadurch konnten nach Ergebnissen des Sozioökonomischen Panels die Abwanderungsverluste hinsichtlich hoher Schul- bzw. Berufsabschlusse zumindest teilweise ausgeglichen werden.19

… und kommen vor allem wegen besserer Arbeitsmarktchancen

Die bereits beschriebenen Phasen der Zuwanderung aus den neuen Bundesländern in Verbindung mit deren Altersselektivität deuten darauf hin, dass diese vor allem arbeitsmarktbedingt ist. Mithilfe der amtlichen Wanderungsstatistik lässt sich diese Vermutung aber nicht verifizieren, da bei einem Umzug nicht nach den Wanderungsmotiven gefragt wird. Allerdings kam die bereits zitierte Studie des Statistischen Landesamtes Sachsen zu dem Ergebnis, dass der Hauptgrund für gut 40 % für einen Umzug nach Westdeutschland tatsächlich die Arbeitsaufnahme war. Der Nachzug zum Ehepartner sei – bedingt durch diesen Umstand – ein weiteres wichtiges Fortzugsmotiv. Außerdem spiele der höhere Verdienst am neuen Arbeitsort eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schließlich ergab die Studie, dass viele junge Erwachsene den Freistaat Sachsen wegen der besseren Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten in Richtung Westen verlassen haben.20

Knapp 40 % der »Zuzügler« stammen aus dem Freistaat Sachsen

Der Wanderungsgewinn Baden‑Württembergs gegenüber den neuen Bundesländern, also die Differenz zwischen Zu- und Fortzügen, lag seit 1990 bei über 270 000 Personen. Annähernd 40 % hiervon entfielen auf ein Wanderungsplus gegenüber Sachsen. In diesem hohen Anteil spiegeln sich – da der Bevölkerungsanteil des Freistaats an den neuen Bundesländern deutlich geringer ist – sicherlich auch spezifische Präferenzen und die geografischen Gegebenheiten wider. Fortziehende aus Mecklenburg-Vorpommern bevorzugen beispielsweise dagegen Hamburg und Niedersachsen als Zielgebiet.21 Im zeitlichen Verlauf zeigt sich allerdings, dass der Anteil der Zuzüge aus Sachsen an allen Zuzügen aus Ostdeutschland tendenziell zurückgegangen und der Thüringens angestiegen ist.

Geschlechtsspezifisch gab es kaum Unterschiede bei der Wanderungsverflechtung zwischen ­Baden‑Württemberg und den einzelnen Bundesländern. Einzige Ausnahme: Beim Wanderungsgewinn gegenüber Mecklenburg-Vorpommern war der Frauenanteil im Gegensatz zu den anderen neuen Bundesländern geringer als der der Männer.

Zuziehende zieht es häufig nach Stuttgart, relativ selten nach Freiburg im Breisgau

Von Zuzügen aus den fünf neuen Bundesländern haben per Saldo alle Stadt- und Landkreise Baden‑Württembergs profitiert – allerdings in sehr unterschiedlichem Umfang.22 Die höchsten Wanderungsgewinne von jeweils mindestens 10 000 Personen seit dem Jahr 1990 haben der Stadtkreis Stuttgart und die Landkreise Ludwigsburg, Esslingen, Heilbronn sowie der Rhein-Neckar- und der Ortenaukreis erzielt. Am geringsten waren die Gewinne in den Stadtkreisen Baden-Baden und Freiburg im Breisgau sowie in den Landkreisen Emmendingen und Heidenheim.

Wird neben dem Wanderungssaldo auch die jeweilige Einwohnerzahl eines Kreises berücksichtigt, so haben »Zuzügler« aus den neuen Bundesländern am häufigsten eine neue Heimat in den Stadtkreisen Heilbronn und Pforzheim sowie in den stärker ländlich geprägten Gebieten wie dem Hohenlohekreis und dem Landkreis Schwäbisch Hall gefunden. Inwieweit hierfür in diesen Kreisen ein überdurchschnittlicher Arbeitskräftebedarf, die regionale Branchenstruktur, relativ geringe Wohnungskosten oder aber andere Faktoren für die starke Zuwanderung ursächlich sind, muss offen bleiben.

Freiburg im Breisgau war und ist eine der Großstädte Baden‑Württembergs mit einer besonders hohen Attraktivität für Zuziehende. Seit 1990 zählt der gesamte Wanderungsgewinn der Universitätsstadt im Breisgau – also gegenüber dem übrigen Bundesgebiet und dem Ausland – zu den zehn höchsten der 44 Stadt- und Landkreise im Südwesten. Im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2014 belegte Freiburg im Breisgau sogar den dritten Platz in der »Wanderungsrangfolge«, hinter den Stadtkreisen Stuttgart und Karlsruhe.

Dies spiegelt sich aber nicht in den Ergebnissen zu den Zuziehenden aus den neuen Bundesländern wider. Der Wanderungsgewinn für Freiburg im Breisgau gegenüber Ostdeutschland war im Betrachtungszeitraum mit 14 je 1 000 Einwohnern niedriger als in allen anderen Kreisen. Wiederum kann über die Gründe hierfür nur spekuliert werden. Einen Erklärungsansatz liefert aber möglicherweise die Branchenstruktur. Eine ältere Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat nämlich unter anderem ergeben, dass viele der aus Ost­deutschland zugezogenen Arbeitskräfte – wohl aufgrund der wirtschaftsfachlichen Strukturen der Berufstätigen in der ehemaligen DDR – in Westdeutschland im Verarbeitenden Gewerbe arbeiten. Relativ wenige sind dagegen im Öffentlichen Dienst beschäftigt.23 In Freiburg ist aber das Verarbeitende Gewerbe eindeutig unterrepräsentiert und der öffentliche Dienst dagegen stark vertreten.

Die Zuziehenden aus Ostdeutschland haben also deutliche Präferenzen, wohin sie im Südwesten ziehen wollen; diese Präferenzen unterscheiden sich aber kaum zwischen den einzelnen Herkunftsländern. Auffällig ist allenfalls, dass Mannheim für Zuzügler aus Mecklenburg-Vorpommern besonders attraktiv war und dafür relativ wenige Personen aus Sachsen in die »Quadratestadt« gezogen sind. Letzteres gilt auch für Heidelberg und den Main-Tauber-Kreis; in diese Kreise zogen dagegen überdurchschnittlich oft Personen aus Thüringen.

Ebenso gibt es kaum regionale Besonderheiten bezüglich der geschlechtsspezifischen Zuzugsstruktur. Allenfalls fällt auf, dass überdurchschnittlich oft Frauen in die universitär geprägten Kreise Heidelberg, Freiburg und Tübingen zogen, während sie vor allem in ländlich strukturierten Kreisen, aber auch in Stuttgart, Ulm und Karlsruhe unterrepräsentiert sind. Letzteres könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass dort an den eher technisch ausgerichteten Universitäten mehr Männer als Frauen studieren.

Fazit und Ausblick

25 Jahre nach der Wiedervereinigung hat sich das Wanderungsgeschehen zwischen den neuen Bundesländern und Baden‑Württemberg von quasi einer »Einbahnstraße« hin zu einer annähernd ausgeglichenen Wanderungsbilanz entwickelt. In den ersten 9 Monaten des vergangenen Jahres lag das Wanderungsplus nur noch bei knapp 800 Personen, 1990 waren es noch fast 44 000. Gegenüber drei Bundesländern – Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen – war der Wanderungssaldo in 2014 sogar bereits leicht negativ. Die nun annähernd ausgeglichene Wanderungsbilanz ist dabei nicht auf einen deutlichen Anstieg der Fortzüge in die neuen Bundesländern zurückzuführen, sondern resultiert vor allem aus einem gesunkenen Zuzugsniveau aus Ostdeutschland. Nach Ergebnissen des Sozio-ökonomischen Panel handelte es sich hierbei in etwa der Hälfte der Fortzüge um Rückkehrer von gebürtigen Ostdeutschen (i-Punkt).

Bessere Arbeitsmarktchancen, der Nachzug zum Ehepartner sowie höhere Verdienstmöglichkeiten wurden als Hauptmotive für einen Zuzug aus Ostdeutschland genannt. Die Entwicklung hin zu einer beinahe ausgeglichenen Wanderungsbilanz könnte deshalb dahingehend interpretiert werden, dass es kaum mehr wirtschaftliche Diskrepanzen zwischen den neuen und den alten Bundesländern gibt. Dies ist sicherlich nur teilweise der Fall. Vielmehr dürfte dieser Trend hin zu einer annähernd ausgeglichenen Wanderungsbilanz vor allem auch demografisch bedingt sein: Die Besetzungsstärken der »wanderungsaktiven« Bevölkerung sind in den neuen Bundesländern zurückgegangen und werden wohl auch in den nächsten Jahren weiter zurückgehen.

Der Südwesten hat zweifelsohne in den vergangenen Jahren von der Zuwanderung aus Ostdeutschland profitiert. Zum einen deshalb, weil oftmals gut ausgebildete Kräfte zugezogen sind; zum anderen aber auch in demografischer Hinsicht: Da die Zuziehenden deutlich jünger sind als die Einheimischen, konnte die Alterung der Bevölkerung zumindest etwas abgeschwächt werden. Baden‑Württemberg besitzt wohl auch deshalb nach Berlin und Hamburg die drittjüngste Bevölkerung, während das Durchschnittsalter in den neuen Bundesländern zum Teil nicht unerheblich über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Welches künftige Ost-West-Wanderungsgeschehen ist zu erwarten? Die vergangene Entwicklung hat gezeigt, dass hierfür die weiteren Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklungen entscheidend sein dürften. Konkret: Wird sich das weiterhin bestehende Ost-West-Gefälle verringern oder aber wieder vergrößern? Während einige Ökonomen ein wieder zunehmendes Gefälle prognostizieren, gehen andere Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass Ostdeutschland die wirtschaftliche Talsohle inzwischen erreicht hat und künftig wieder an Wirtschaftskraft im Vergleich zu Westdeutschland gewinnen wird.24 Zumindest die wohl auch künftig zahlenmäßig zurückgehende Bevölkerung im besonders wanderungsaktiven Alter spricht dafür, dass in den nächsten Jahren nicht mit einer nennenswerten Zuwanderung aus Ostdeutschland gerechnet werden kann.

1 Schätzung, da das Jahresergebnis der Wanderungsstatistik für 2014 bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag.

2 Die umfangreichen Sonderauswertungen für diesen Beitrag wurden im Referat »Zentrale Anwenderbetreuung, DV-Produktion und Anwendungsentwicklung« von Stefan Henkel durchgeführt.

3 Martens, Bernd: Zug nach Westen – Anhaltende Abwanderung, Bundeszentrale für politische Bildung, 2010; www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47253/zug-nach-westen?p=all (Abruf am 10.08.2015).

4 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 1, Reihe 1 – Gebiet und Bevölkerung, 1998, S. 39.

5 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 1, Reihe 1 – Gebiet und Bevölkerung, 1998, S. 39.

6 Martens, Bernd: Zug nach Westen – Anhaltende Abwanderung, Bundeszentrale für politische Bildung, 2010; www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47253/zug-nach-westen?p=all (Abruf am 10.08.2015).

7 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 1, Reihe 1 – Gebiet und Bevölkerung, 1998, S. 39.

8 In den Jahren 1952 bis 1954 sind die Zuzüge aus und die Fortzüge in die DDR allerdings überhöht, da darin auch diese aus bzw. nach Westberlin enthalten sind.

9 Werz, Nikolaus: Abwanderung aus den neuen Bundesländern von 1989 bis 2000, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 39 – 40/2001, S. 23.

10 Dienel, Christiane: Abwanderung aus Ostdeutschland – vom Wendephänomen zum langfristigen Trend? in: Hufnagel, Rainer/Simon, Titus: Problemfall Deutsche Einheit, 2004, S. 94, zitiert aus: Wolff, Sascha: Ost-West-Wanderung im wiedervereinten Deutschland – Erfahrungen und Perspektiven; Dissertation, 2010, S. 88.

11 Heiland, Frank: Trends in East-West German Migration from 1989 to 2002, in: Demographic Research, 2004, Vol. 11, S. 176, zitiert aus: Wolf, Sascha: Ost-West-Wanderung im wiedervereinten Deutschland – Erfahrungen und Perspektiven; Dissertation, 2010, S. 90.

12 Wolf, Sascha: Ost-West-Wanderung im wiedervereinten Deutschland – Erfahrungen und Perspektiven; Dissertation, 2010, S. 91f.

13 WSI GenderDatenPortal: Ähnliche Arbeitslosenquoten von Frauen und Männern; www.boeckler.de/41752.htm (Abruf am 10.08.2015).

14 Stange, Christopher: Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland seit 1990, Universität Trier, 2004, S. 11.

15 Bundesagentur für ­Arbeit (Hrsg.): Arbeitsmarktberichterstattung, Juli 2014: Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Frauen und Männer am Arbeitsmarkt im Jahr 2013, S. 19; http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/generische-Publikationen/Frauen-Maenner-Arbeitsmarkt-2014-07.pdf (Abruf am 10.08.2015).

16 Gosch, Sabine: Ergebnisse der Sächsischen Wanderungsanalyse, in: Statistisches Monatsheft des Freistaates Sachsen, Heft 3/2003, S. 61.

17 Gosch, Sabine: Ergebnisse der Sächsischen Wanderungsanalyse, in: Statistisches Monatsheft des Freistaates Sachsen, Heft 3/2003, S. 62.

18 Friedrich, Klaus/Schultz, Andrea: Mit einem Bein noch im Osten? Abwanderung aus Ostdeutschland in sozialgeographischer Perspektive, in: Dienel, Christiane (Hrsg.): Abwanderung, Geburtenrückgang und regionale Entwicklung, 2005, S. 210.

19 Beck, Grit: Wandern gegen den Strom – West-Ost-Migration in Deutschland seit 1990, Dissertation, 2011, S. 59.

20 Gosch, Sabine: Ergebnisse der Sächsischen Wanderungsanalyse, in: Statistisches Monatsheft des Freistaates Sachsen, Heft 3/2003, S. 62.

21 Friedrich, Klaus: 16 Jahre innerdeutsche Ost-West-Migration – eine Einführung in die Transformation eines geschlossenen Migrationsregimes in die Postmoderne, in: Friedrich, Klaus u.a.: Brain drain oder brain circulation? Leibniz-Institut für Länderkunde (Hrsg.), 2008, S. 16.

22 Eine detaillierte Auswertung war für die Landkreise Freudenstadt und Rastatt allerdings nicht für den Zeitraum 1990 bis 2014 möglich: Bis zum Jahr 2000 war nämlich die Zahl der Fortzüge aufgrund der dort ansässigen Zentralen Aufnahmestellen für Spätaussiedler deutlich überhöht. Eine Auswertung für die Jahre seit 2001 ergab, dass der Wanderungsgewinn gegenüber den neuen Bundesländern je 1 000 Einwohner sowohl im Landkreis Freudenstadt als auch im Landkreis Rastatt leicht über dem Landesdurchschnitt lag.

23 Dietz, Frido u.a.: Ostdeutsche Arbeitskräfte in Westdeutschland, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4/1992, S. 508.

24 Bickenbach, Franz, u.a.: Ostdeutschland vor der wirtschaftlichen Renaissance?, in: Ökonomiestimme vom 15.03.2013; www.oekonomenstimme.org/artikel/2013/03/ostdeutschland-vor-der-wirtschaftlichen-renaissance/ (Abruf am 10.08.2015).