:: 9/2015

Konjunkturgespräch 2015 – Prognostiker treffen Praktiker

Wirtschaftsprognosen stellen einen wichtigen Bestandteil der Konjunkturbeobachtung im Statistischen Landesamt Baden‑Württemberg dar. Aber nicht immer kann das Konjunkturteam des Landesamtes die Signale aus den Prognosemodellen eindeutig interpretieren. Umso wichtiger ist es daher, das Prognoseergebnis einem Praxistest zu unterwerfen und mit Hintergrundinformationen aus den einzelnen Branchen der baden-württembergischen Wirtschaft zu unterfüttern. Dieser Praxistest findet seit mittlerweile 10 Jahren in Form eines gemeinsamen Konjunkturgesprächs der IHK Region Stuttgart und des Statistischen Landesamtes statt. Ein Impulsvortrag stellte die gesamtwirtschaftlichen Daten vor ihrem branchenspezifischen Hintergrund vor und lieferte wertvolle Erkenntnisse aus der Konjunkturberichterstattung des Statistischen Landesamtes.

Wie geht es nach dem sehr dynamischen Jahr 2014 konjunkturell weiter?

Die Wirtschaftsentwicklung in Baden‑Württemberg verlief 2014 sehr dynamisch. So stieg das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,4 % verglichen zum Vorjahr. Dieser Zuwachs lag damit deutlich über der bundesdeutschen Wachstumsrate von 1,6 %. Doch wie wird die Wirtschaftsentwicklung 2015 ausfallen? In der Juli-Ausgabe der Publikation »Konjunktur Südwest« steht die Jahresprognose für Baden‑Württemberg im Vordergrund. Diese fußt auf zwei Säulen: zum Ersten dem Gesamtkonjunkturindikator (GKI) des Statistischen Landesamtes, der produktionsnahe Daten und Stimmungsindikatoren kombiniert und der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung vorausläuft. Die wirtschaftliche Entwicklung 2015 wird gemäß des GKI in der 2. Jahreshälfte an Dynamik gewinnen. Basis hierfür sind ein stabiler Auftragseingang aus dem Ausland, eine – gemessen am inländischen Auftragseingang – langsam anspringende Binnenwirtschaft, und die zuletzt sehr günstigen Finanzierungsbedingungen für Unternehmen. Die quantitative Prognose übernimmt ein zeitreihenökonometrisches Modell und stellt die zweite Säule der Konjunkturberichterstattung dar. Auf Basis der beiden Säulen wird mit knapp 2 % eine ähnlich hohe Wachstumsrate prognostiziert, wie es die meisten Forschungsinstitute für die Bundesrepublik erwarten.

Wachstumstreiber 2015: Ein weiterhin starker Außenhandel …

Baden‑Württemberg startet mit konjunkturellem Rückenwind ins Jahr 2015, welcher sich aus dem statistischen Überhang errechnet.1 Dieser liegt im Südwesten mit 0,7 % etwas höher als im Bundesdurchschnitt (0,5 %). Zusätzliche konjunkturelle Impulse kommen vom weiter starken Außenhandel, der im 1. Quartal um 5,6 % zulegen konnte. Besonders dynamisch entwickelte sich der US-amerikanische Markt, welcher ein Exportplus von 20 % verzeichnete und bereits im Gesamtjahr 2014 zweistellig wuchs. Eher verhalten verlief das Geschäft im Europäischen Raum genauso wie in den BRIC-Staaten.2 Letztere werden von China dominiert, welches mit 3,4 Mrd. Euro im 1. Quartal 2015 knapp 70 % des Gesamtexportvolumens dieser Ländergruppe ausmachte.

Exportgüter aus Baden‑Württemberg sind aktuell nicht nur wegen ihrer hohen Qualität im Ausland gefragt. Die Wechselkursentwicklung im 1. Quartal 2015 begünstigt die rege Nachfrage noch zusätzlich von der preislichen Seite. So konnten die Südwest-Produzenten ihre Waren alleine dank des gesunkenen Euro-Wechselkurses handelsgewichtet3 um durchschnittlich etwa 7 % günstiger anbieten als noch im Vorjahresquartal. Auch die Wachstumsaussichten in den Hauptexportregionen hellen sich 2015 tendenziell wieder auf, was auf zusätzliche Nachfrage für den Investitionsbereich und langlebige Konsumgüter hoffen lässt. Die BRIC-Staaten stehen hierbei mit Wachstums-prognosen von über 5 % wieder an der Spitze und die Konjunkturexperten der OECD sehen die USA als den Hauptmarkt für baden-württembergische Exporte mit 2 % wachsen. Auch die europäische Konjunktur sollte 2015 ihre Talsohle verlassen und expandiert mit einer erwarteten Jahresrate von gut 1,5 %. Wird die außenwirtschaftliche Entwicklung im 1. Quartal zur Grundlage genommen, so sollte vom Außenhandel ein positiver Grundimpuls für das Gesamtjahr ausgehen.

… und anspringende Binnennachfrage

Allmählich spielen auch die binnenwirtschaftlichen Faktoren eine wichtigere Rolle für die wirtschaftliche Dynamik. So entwickelte sich mit einem arbeitstäglich bereinigten Zuwachs von 3,5 % in den ersten 5 Monaten des Jahres 2015 der inländische Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe positiv, der auf Impulse bei Investitionen im Gesamtjahr 2015 hoffen lässt. Zusätzlich unterstützen hohe Reallohnabschlüsse und eine mit 0,4 % im 2. Quartal sehr niedrige Inflationsrate die Binnenkaufkraft, welche zu zusätzlichen Konsumausgaben in Baden‑Württemberg führen dürfte. Ein gemischtes Bild liefert die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe. Zwar zog diese Größe in den ersten 5 Monaten um 2,4 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum an, allerdings liegt das Niveau immer noch deutlich unterhalb des Vorkrisenjahres 2008.

Arbeitsmarkt zeigt sich auch in 2015 in blendender Verfassung

Nachdem die Zahl der Erwerbstätigen in Baden‑Württemberg bereits 2013 mit 1,1 % gegenüber dem Vorjahr anstieg, wurde im Jahr 2014 mit einem Plus von 1,3 % der höchste Anstieg aller Flächenbundesländer erzielt. Die Zahl der Arbeitslosen sank 2014 um 1,5 % gegenüber dem Vorjahr und auch im 1. Halbjahr 2015 setzte sich der Rückgang der Arbeitslosenzahlen fort. Die Arbeitslosenquote lag mit 3,7 % im Juni 2015 so niedrig wie zuletzt vor 3 Jahren. Von der steigenden Erwerbstätigkeit profitierte vor allem die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. So lag diese im Jahr 2014 um 2 % höher als 2013. Zwischen 2008 und 2014 stieg die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter um 9 %. Überdurchschnittlich stark nahm die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich zu und darunter insbesondere in den wissensintensiven Dienstleistungen (15,2 %). Die Beschäftigung in der Industrie war in diesem Zeitraum annähernd konstant. Lediglich die forschungs- und entwicklungsintensiven Industriebranchen konnten einen Zuwachs von 5,1 % erzielen. Bei den nicht-FuE-intensiven Industriebranchen ging die Beschäftigung sogar um 2,8 % zurück.

In den letzten Jahren ist zudem ein Trend zu mehr Teilzeitbeschäftigung festzustellen. Im Jahr 2002 arbeiteten in Baden‑Württemberg rund 630 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Teilzeit, ein Anteil von gut 16 %. Rund 3,2 Mill. Beschäftigte, also knapp 83 %, waren in Vollzeit angestellt. Bis 2014 erhöhte sich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten auf 1,03 Mill., was einem Anteil von 24 % entsprach. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten nahm dagegen kaum zu.

Die Arbeitslosigkeit in Baden‑Württemberg befindet sich seit 2011 auf einem relativ niedrigen Niveau. Um ein Bild von der Struktur der Arbeitslosigkeit zu bekommen, wurde diese differenziert nach Personengruppen für den Zeitraum 2007 bis zum 1. Halbjahr 2015 betrachtet. Baden‑Württemberg weist traditionell eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit auf. Diese konnte seit 2010 sogar noch weiter reduziert werden. Waren 2010 noch etwa 10 % aller Arbeitslosen im Alter von 15 bis 24 Jahren, waren es im 1. Halbjahr 2015 nur noch 8 %. Allerdings stieg der Anteil der 55- bis 64-jährigen Arbeitslosen im Zeitraum 2007 bis 2011 von 13 % auf 21 % an und verharrt seitdem auf diesem Niveau. Neben der demografischen Entwicklung, dürfte dies unter anderem auch damit begründet werden, dass ältere Arbeitslose nur schwer wieder eine Stelle finden. So sind auch fast die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen 50 Jahre und älter. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen liegt seit 2012 um die 30 %.

Ein Blick auf die Beschäftigungserwartungen der Unternehmen und Betriebe in den Wirtschaftsbereichen Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Einzel- und Großhandel zeigt, dass sich etwa seit Jahresbeginn 2012 die Pläne eines Personalaufbaus mit denen eines Personalabbaus ungefähr die Waage halten. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass zunehmend ein Sättigungsniveau der Beschäftigung erreicht ist. Dies zeigt sich auch in den Beschäftigungs- und Arbeitsmarktprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und der Deutschen Bundesbank. Für 2016 wird demnach in Deutschland nur noch mit einem Zuwachs der Erwerbstätigkeit von 0,5 % gegenüber dem Vorjahr gerechnet. In der Gemeinschaftsdiagnose vom Frühjahr 2015 wird zudem eine deutliche Verlangsamung des Aufbaus an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erwartet. 2016 soll diese nur noch um 1 % gegenüber 2015 steigen. Die Arbeitslosigkeit würde sich auch 2016 weiter verringern.

Wie kann der geldpolitische Kurs nach dem September 2016 aussehen? Bis zu diesem Zeitpunkt läuft das Aufkaufprogramm der EZB, bei dem sie monatlich Staatsanleihen und besicherte Wertpapiere am Sekundärmarkt für 60 Mrd. Euro erwerben wird. Nach Abschluss des Programms wird die EZB-Bilanz mit 3 Bill. Euro das Niveau von 2012 erreicht haben. Die Inflationserwartungen dürften die zentrale Größe sein ob die EZB ihr Programm zeitlich ausweitet oder dieses sogar frühzeitig beendet.

Auch der Strukturwandel wird nicht spurlos an der baden-württembergischen Industrie vorübergehen. Die eingeschlagene deutsche Energiewende und die Elektromobilität stellen die Südwest-Industrie vor enorme Herausforderungen, auch dies kann Anpassungsprozesse in etablierten Industriezweigen erfordern. Allerdings entstehen auch neue Tätigkeitsfelder, für die Baden‑Württemberg mit seinen hochqualifizierten Arbeitnehmern und findigen Unternehmern bestens aufgestellt ist.

1 Der statistische Überhang für 2015 beschreibt den Basiseffekt, wenn sich das reale saisonbereinigte BIP im Gesamtjahr 2015 auf dem Niveau des 4. Quartals 2014 bewegt. Somit errechnet sich eine Maßzahl, wie hoch das Wirtschaftswachstum 2015 ohne zusätzliche Wachstumsimpulse ausfallen würde.

2 Die BRIC-Staaten setzen sich aus den Ländern Brasilien, Indien, Russland und China zusammen.

3 Beim handelsgewichteten Wechselkurs werden die nominalen Wechselkurse der wichtigsten Handels­partner Baden‑Württembergs mit deren Anteil am Außenhandel gewichtet. Unterhält Baden‑Württemberg zu einem Land rege Wirtschaftsbeziehungen, so spielt dieser bilaterale Wechselkurs für den Außenhandel eine größere Rolle und erhält somit ein höheres Gewicht im Währungskorb als ein Land, mit dem Baden‑Württemberg nur wenig Handel treibt.