:: 12/2015

Arbeitsmarkt im Umbruch

Formen der Beschäftigung in Baden‑Württemberg und Deutschland 1996 und 2013

Der Arbeitsmarkt hat sich in Baden‑Württemberg in den letzten Jahren positiv entwickelt: Mehr Personen sind in Beschäftigung, weniger Personen sind arbeitslos. Gleichzeitig haben neben dem bisherigen Normalarbeitsverhältnis andere Beschäftigungsformen an Bedeutung gewonnen. Neben der abhängigen Beschäftigung mit mindestens 35 Wochenstunden, unbefristet und sozialversicherungspflichtig stehen vor allem befristete und zeitlich verkürzte Arbeitsverhältnisse. Besonders für Frauen, jüngere Erwerbstätige bis 29 Jahren und beruflich Geringqualifizierte gelten diese befristeten und zeitlich verkürzten Beschäftigungen heute als normal. Die Perspektiven für die künftige Entwicklung des Arbeitsmarktes können kaum unterschiedlicher sein. Sie reichen von einer nahen Vollbeschäftigung bis hin zu einem Arbeitsmarkt, auf dem es als Folge des technischen Fortschrittes und der Globalisierung für einzelne Beschäftigtengruppen nur noch wenig Platz geben könnte.

Schöne neue Arbeitswelt?

Seit Jahren steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von einem Rekordhoch auf das nächste. Immer weniger Menschen sind arbeitslos gemeldet. Die Arbeitslosenquote hat sich seit ihren Höchstständen in den 1990er- und 2000er-Jahren nahezu halbiert. Selbst der Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit bröckelt zeitweilig.1 Die Erwerbsbeteiligung der Frauen nimmt stetig zu. Die Erwerbsquote der Frauen im Alter zwischen 30 und 48 Jahren beträgt in Deutschland mittlerweile beinahe 90 %. Bei den älteren Personen schwächt die sogenannte »Rente mit 63« den generellen Anstieg der Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe allenfalls ab. Auch 2015 dürfte die Erwerbsbeteiligung Älterer wieder gestiegen sein.2 Hinzu kommt: Immer mehr ältere Menschen arbeiten länger, als sie müssten. In der Altersgruppe zwischen 65 und 69 Jahren hat sich der Anteil der Erwerbstätigen innerhalb eines Jahrzehnts sogar von 6 % auf 14 % mehr als verdoppelt.3 Mittlerweile scheint selbst das Ziel der Vollbeschäftigung in Deutschland zwar noch fern, aber erreichbar. In einzelnen Regionen, vornehmlich in Süddeutschland, sind bereits heute Arbeitslosenquoten im Bereich der Vollbeschäftigung möglich.4

Der Arbeitsmarkt scheint im Umbruch zu sein. Zwar nimmt das Erwerbspersonenpotenzial aufgrund der Zuwanderung noch zu, dennoch dürfte sich in den nächsten Jahren die demografische Entwicklung selbst bei stärkerer Zuwanderung durchsetzen und das Erwerbspersonenpotenzial verringern.5 In den kommenden 2 Jahrzehnten werden sehr geburtenstarke Jahrgänge – die Babyboomer – aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden. Es kann dann zu einer Verknappung der Arbeitskraft kommen, in deren Folge die Arbeitslosigkeit weiter abnimmt, die Verhandlungspositionen der Arbeitnehmer sich verbessern und die Löhne kräftiger steigen könnten. Enthält diese Vorstellung den Beginn einer »schönen« neuen Arbeitswelt oder ist sie doch nur Utopie?

Es gibt weitere Entwicklungen, die zur heutigen Arbeitswelt gehören und das schöne Bild von ihr zum Teil trüben dürften. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ging vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts spürbar zurück. In Deutschland sank sie seither kaum noch, in Baden‑Württemberg zog sie zwischen 2010 und 2014 zeitweise sogar leicht wieder an.6 Im Niedriglohnbereich hat sich ein Sockel verfestigt mit geringer gewordenen Aufstiegschancen in der Lohnhierarchie.7 Das Arbeitsvolumen stieg nicht in dem Maße an, wie die Zahl der Erwerbstätigen zunahm. Mehr Erwerbstätige leisten heute je Person im Schnitt weniger Arbeitsstunden als die Erwerbstätigen in den vergangenen 2 Jahrzehnten.

Hervorzuheben ist das veränderte Verhältnis von Arbeitsvolumen und Zahl der Erwerbstätigen, da hinter ihm eine Entwicklung steht, die vornehmlich die heutige Arbeitswelt prägen dürfte. Die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts durchgeführten Arbeitsmarktreformen führten zu einer teilweisen Flexibilisierung der Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Reformen bewirkten nicht nur eine stärkere Integration von Arbeitslosen und eine steigende Erwerbsbeteiligung auch von Geringqualifizierten, sondern zudem eine »Ausdifferenzierung von Arbeitsverhältnissen in Form von kürzeren Arbeitszeiten, befristeten Verträgen, freiberuflichen Tätigkeiten oder der Anstellung bei einem Leiharbeitsunternehmen«.8 Diese Arbeitsverhältnisse können einhergehen mit niedrigen Einkommen und fehlender oder unzureichender rechtlicher Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit und Alter.

Im Mittelpunkt des Folgenden steht deshalb die Ausdifferenzierung der Arbeitsverhältnisse in Deutschland und Baden‑Württemberg. Wie haben sich verschiedene Beschäftigungsformen auch im Vergleich zu Arbeitslosigkeit und beruflicher Inaktivität, also weder erwerbstätig noch arbeitslos, entwickelt? Zu den Beschäftigungsformen gehören neben »Normalbeschäftigungsverhältnis« und »Selbstständigkeit« weitere vier Arten »atypischer« Beschäftigung: befristete Beschäftigungsverhältnisse, Soloselbstständigkeit sowie substanzielle und marginale Teilzeitarbeit (siehe i-Punkt). Verglichen werden die Jahre 1996 und 2013. Da sich die Ausdifferenzierung der Arbeitsverhältnisse ungleich zwischen den erwerbsfähigen Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren entwickelt haben dürfte, werden diese getrennt nach Geschlecht, Alter und Bildung betrachtet.

Höhere Erwerbsbeteiligung besonders der Frauen in befristeten und zeitlich verkürzten Beschäftigungsverhältnissen

Die Erwerbsbeteiligung war 2013 höher als 1996. In Baden‑Württemberg stieg sie von 67 % auf 76 % und in Deutschland von 64 % auf 73 %. Gleichzeitig änderte sich die Struktur der Erwerbsbeteiligung. Jenseits des Normalarbeitsverhältnisses haben befristete und zeitlich verkürzte Beschäftigungen an Bedeutung gewonnen. Beide Veränderungen, die quantitative wie die strukturelle, zeigen sich vor allem bei den Frauen.

In Baden‑Württemberg standen 2013 rund 26 % der Frauen in einem Normalarbeitsverhältnis, weitere 17 % gingen einer substanziellen und 14 % einer marginalen unbefristeten Teilzeitarbeit nach. Neben diesen drei häufigsten Arbeitsverhältnissen spielten für Frauen befristete Beschäftigungen (insgesamt 9 %) und Formen der Selbstständigkeit (insgesamt 5 %) eher eine untergeordnete Rolle. Nicht erwerbstätig waren 28 %. Die Mehrheit von ihnen war beruflich inaktiv, 3 % waren arbeitslos.9 Vornehmlich jüngere Frauen dürften beruflich inaktiv sein und an einer Aus- oder Weiterbildung teilnehmen.

Im Vergleich zu den Beschäftigungsverhältnissen 1996 waren Frauen 2013 deutlich häufiger beruflich aktiv. Die höhere Erwerbsbeteiligung beschränkt sich jedoch fast ausschließlich auf die Zunahme befristeter und zeitlich verkürzter Beschäftigungen. Frauen in einem Normalbeschäftigungsverhältnis waren 2013 sogar etwas seltener als 1996.

Den vergleichsweise großen Veränderungen bei der Erwerbsbeteiligung der Frauen steht die weitgehende Konstanz der Erwerbsbeteiligung der Männer gegenüber. Auffällig sind zudem die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei den Beschäftigungsverhältnissen, die sich sogar gegenüber 1996 noch vergrößert haben. Die Männer waren 2013 wie 1996 nicht nur deutlich häufiger erwerbstätig, sondern standen auch häufiger in einem Normalbeschäftigungsverhältnis als Frauen. Unbefristete und befristete Teilzeitarbeit sind eine Ausnahme geblieben.

Die Struktur der Erwerbsbeteiligung der Frauen und Männer in Baden‑Württemberg unterscheidet sich kaum von der in Deutschland insgesamt. Auch sind die Veränderungen in den Beschäftigungsverhältnissen zwischen 1996 und 2013 ähnlich. Gegenüber Baden‑Württemberg waren in Deutschland 2013 die Männer etwas häufiger beruflich inaktiv oder arbeitslos. Entsprechend seltener waren sie in einem Normalarbeitsverhältnis beschäftigt.

Die strukturellen Veränderungen 2013 gegenüber 1996 bei den Arbeitsverhältnissen belegen, dass »normal« für Frauen etwas anderes bedeutet als für Männer. Neben der bislang als Normalarbeitsverhältnis definierten abhängigen Beschäftigung, sozialversicherungspflichtig und unbefristet mit mindestens 35 Arbeitsstunden in der Woche, gehörten 2013 – gemessen an der Häufigkeit – zu den »normalen« Arbeitsverhältnissen der Frauen auch unbefristete marginale und substanzielle Teilzeitarbeit.10

Normalarbeitsverhältnisse: Rückgang bei den Jüngeren, Anstieg bei den Älteren

Um fast 50 % erhöhte sich die berufliche Aktivität der Personen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren in Baden‑Württemberg und in Deutschland. Damit gehört diese Altersgruppe neben den Frauen zu den Antreibern einer höheren Erwerbsbeteiligung. In Baden‑Württemberg waren 2013 drei von vier Personen dieser Altersgruppe beruflich aktiv. Von allen älteren Personen standen 42 % in einem Normalarbeitsverhältnis, gingen 21 % einer unbefristeten Teilzeitbeschäftigung nach und waren 10 % Selbstständige oder Soloselbstständige. Kaum einer aus dieser Altersgruppe war befristet beschäftigt.

Am höchsten ist die berufliche Aktivität in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen (81 %), am geringsten bei den 15- bis 29-Jährigen (60 %). In der jüngeren Altersgruppe waren in Baden‑Württemberg 2013 rund 30 % beruflich inaktiv und nahmen an einer Aus- oder Weiterbildung teil. Vergleichsweise selten waren die Jüngeren in einem Normalarbeitsverhältnis tätig (27 %), vergleichsweise oft war ihre Beschäftigung befristet (23 %). Selbstständige Tätigkeiten übten die Jüngeren nur äußerst selten aus.

Die Veränderung in der Erwerbsbeteiligung 2013 gegenüber 1996 in der jüngsten und die in der ältesten Altersgruppe könnten in mancher Hinsicht kaum gegensätzlicher sein. In der jüngsten Altersgruppe blieb der Anteil der beruflich Aktiven – im Gegensatz zu den beiden älteren Altersgruppen – nahezu unverändert, gleichzeitig verringerte sich der Anteil der Jüngeren mit Normalarbeitsverhältnissen von 37 % auf 27 % und erhöhte sich der ohnehin vergleichsweise große Anteil der befristetet Beschäftigten. Außerdem nahm die Teilzeitarbeit zu. In der höchsten Altersgruppe stieg nicht nur die Erwerbsbeteiligung am stärksten. Mit dem Anstieg nahm auch der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse von 35 % auf 42 % zu. Zudem verdoppelte sich nahezu der Anteil der unbefristet marginalen und substanziellen Teilzeittätigen von 11 % auf 21 %.

In den Grundzügen unterscheiden sich die Strukturen und Entwicklungen der Erwerbsbeteiligung in den drei Altersgruppen in Baden‑Württemberg nicht von denen in Deutschland. In Deutschland ist besonders in den beiden jüngeren Altersgruppen die Arbeitslosigkeit höher, in der älteren Altersgruppe – ausgehend von einem niedrigeren Niveau – die Zunahme der Erwerbsbeteiligung stärker.

Die Entwicklungen in der jüngsten Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen besonders hin zu vermehrter befristeter Beschäftigung und marginaler Teilzeit sind alles andere als widerspruchsfrei mit Blick auf stabile und auskömmliche Erwartungen an Beruf und Verdienst als Erfordernisse für eine Familiengründung. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels mit dem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in dieser Altersgruppe und der Diskussion um einen Fachkräftemangel ist es zudem fraglich, ob mit diesen Ausdifferenzierungen des Arbeitsmarktes der Nachwuchsmangel behoben werden kann.

Höhere Erwerbsbeteiligung besonders bei Personen ohne beruflichen Bildungsabschluss

Die höhere Erwerbsbeteiligung 2013 gegenüber 1996 in Baden‑Württemberg und Deutschland ist auch eine Folge der stärkeren Integration von beruflich geringqualifizierten Personen in den Arbeitsmarkt. Ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt stieg in Baden‑Württemberg um 10 Prozentpunkte, und damit stärker als bei Personen mit mittlerer und hoher beruflicher Qualifikation; hier waren es 7 Prozentpunkte bzw. 1 Prozentpunkt. Dennoch waren Personen ohne beruflichen Bildungsabschluss weiterhin seltener erwerbstätig (53 %) als Personen mit mittlerer (84 %) und hoher (88 %) beruflicher Qualifikation. Außerdem arbeitete die Mehrheit der beruflich geringqualifizierten Erwerbstätigen in befristeten Arbeitsverhältnissen oder in marginaler Teilzeit. Vergleichsweise selten (17 %) waren 2013 Geringqualifizierte in einem Normalarbeitsverhältnis beschäftigt. Im Gegensatz zu ihnen war bei erwerbstätigen Personen mit höherer beruflicher Qualifikation das Normalarbeitsverhältnis eher die Regel, gefolgt von der substanziellen Teilzeit. Je höher die berufliche Qualifikation, desto eher arbeiteten die Personen selbstständig. Personen mit hohen beruflichen Bildungsabschlüssen waren mit rund 7 % vergleichsweise oft als Soloselbstständige tätig.

Die Veränderungen bei den Arbeitsstrukturen 2013 gegenüber 1996 waren am geringsten bei Personen mit hoher beruflicher Qualifikation und am stärksten bei Personen mit niedriger beruflicher Qualifikation. Dies gilt sowohl für den Rückgang der Normalarbeitsverhältnisse wie für die Zunahme befristeter oder zeitlich verkürzter Beschäftigung. So gründet der Anstieg der Erwerbsbeteiligung bei den beruflich niedrig Qualifizierten vor allem auf einer Zunahme bei der befristeten Beschäftigung und bei der marginalen Teilzeit.

Die Personen mit den entsprechenden beruflichen Bildungsabschlüssen stehen in Deutschland ähnlich häufig in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen wie die Personen in Baden‑Württemberg. Auch in der Entwicklung unterscheidet sich Deutschland kaum vom Südwesten. Erwähnenswert bleibt, dass die berufliche Inaktivität und Arbeitslosigkeit bei Personen mit niedriger und mittlerer beruflicher Qualifikation in Deutschland weiterhin höher ist als in Baden‑Württemberg.

Befristete und zeitlich verkürzte Beschäftigungen sind nicht in jedem Fall prekäre, also ungeschützte und unsichere Arbeitsverhältnisse. Gerade um Zeitkonflikte im Alltag von Familien zu entschärfen, unterstützt die Familienpolitik in Deutschland beispielweise durch den »Partnerschaftsbonus« im Elterngeld Plus die gleichzeitige Teilzeit beider Eltern zwischen 25 und 32 Wochenstunden. Zur Diskussion steht die Ausgestaltung eines neuen Normalarbeitsverhältnisses mit Arbeitszeiten, die sich an Lebensphasen der Frauen und Männer orientieren. Lebensphasenorientierte Arbeitszeiten sollen es Beschäftigten ermöglichen, ihre Arbeitszeit in bestimmten Lebensphasen, zum Beispiel während der Familiengründung oder einer Weiterbildung, zu verringern, um die verschiedenen Zeitbedürfnisse besser miteinander vereinbaren zu können.11 Jedoch vornehmlich bei beruflich Geringqualifizierten gehen befristete und zeitlich verkürzte Beschäftigungen überwiegend einher mit einem nicht existenzsichernden Einkommen, Beschäftigungsrisiken, fehlender kurz- und langfristiger sozialer Sicherung und geringen Aussichten auf ein existenzsicherndes Beschäftigungsverhältnis.12 Zu den Geringqualifizierten mit prekärer Beschäftigung gehören im jungen Erwerbsalter vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und im mittleren Erwerbsalter besonders Frauen.13

Zwischen Utopie und Dystopie

Wer in die Zukunft blickt, sieht sich an der Schwelle einer neuen Arbeitswelt stehen, in der immer bessere, billigere Roboter, immer leistungsfähigere Computer und hochintelligente Maschinen Arbeiten der Menschen übernehmen werden und in der der Mensch den Wettlauf gegen die Maschine verlieren könnte. Zu den Verlierern könnten dann nicht nur die Geringqualifizierten oder Menschen in befristeter und zeitlich verkürzter Beschäftigung gehören, sondern auch vermehrt Menschen, die bislang mit mittlerer und hoher beruflicher Qualifikation in Normalarbeitsverhältnissen standen.

Im Gegensatz zu der utopischen Vorstellung einer möglichen Vollbeschäftigung in Deutschland sieht Aleksandar Kocic, Managing Director der Deutschen Bank in New York, eine dystopische Zukunft des Arbeitsmarktes.14 Seine überwiegend durch Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in den USA begründeten Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Zukunft gehörten am ehesten »Tätigkeiten, die komplexe Wahrnehmung, Handhabung und Bearbeitung beinhalten oder auf kreativer oder sozialer Intelligenz beruhen«.15 Es seien manuelle und kognitive Tätigkeiten, die persönliche Fähigkeiten erforderten und nicht vollautomatisch erfolgen könnten. Hierzu gehörten nicht nur Erfinder oder Lehrende, sondern auch beispielsweise Servicekräfte im Hotel- und Gaststättengewerbe, Pflegekräfte und Krankenschwestern. Höherqualifizierte von ihnen wären in der Lage, auch höhere Gehälter durchzusetzen. Dagegen wären besonders gefährdet Menschen mit Routinetätigkeiten, selbst wenn diese technische und geistige Fähigkeiten erfordern, zum Beispiel Zahntechniker, Piloten, Ökonomen oder PC-Programmierer.16 Diese Menschen stünden nach Kocic vor einer trostlosen Zukunft. Sie seien austauschbar, und in ihren prekären Arbeitsverhältnissen würden lediglich die geleisteten Arbeitsstunden vergütet. Am Ende der Entwicklung stünden vielleicht »Auktionen, auf denen beispielsweise ein befristeter 200-Stunden-Job meistbietend versteigert wird«, auf denen diese Arbeiter »mit minimaler Verhandlungsmacht« ihre reine Arbeitskraft versteigern. »Vermittler würden Heerscharen von Bewerbern mit Standardqualifikationen verwalten, für die es nur noch Teilzeitstellen gibt«. Der Extremfall wäre das Verschwinden des Arbeitsmarktes und die Verwirklichung des »Marktindividuums« (Ulrich Beck) zum Arbeitgeber. Es wäre eine Arbeitswelt, in der jeder »sein eigener Herr ist« und nur noch für sich selbst arbeitet, jedoch zu längeren Arbeitszeiten und schlechten Löhnen.

Wie die zukünftige Arbeitswelt im Einzelnen aussehen wird, bleibt trotz dieser dystopischen Erwartungen offen. Der Mensch nimmt an Wahlen teil und bestimmt die Politiker und Politikerinnen; der Rechts- und Sozialstaat kann dafür sorgen, dass die Zukunft nicht, wie prognostiziert, eintreten wird.

1 Siehe Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden‑Württemberg, Pressemitteilung, Nr. 20/2015 – 29. Oktober 2015.

2 Fuchs, Johann et al. (2015): Der Arbeitsmarkt bleibt auf Erfolgskurs. IAB-Kurzbericht Nr. 7.

3 Statistisches Bundesamt (2015): Die Generation 65+ in Deutschland, Wiesbaden.

4 Weber, Enzo (2014): Vollbeschäftigung in Deutschland: Fern, aber erreichbar. IAB-Kurzbericht Nr. 15.

5 Fuchs, Johann; Weber, Enzo (2014): Längerfristige Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials: Einschätzung im Hinblick auf die aktuelle Zuwanderungsentwicklung. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hrsg.), Nürnberg, 2 S, (Abruf: 31.07.2015).

6 Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden‑Württemberg (Hrsg.) (2015): Langzeitarbeitslosigkeit in Baden‑Württemberg, Arbeitsmarkt Dossier, Nr. 02, S. 4. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sank im Laufe des Jahres 2015 wieder, siehe Fußnote 1.

7 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2012): Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Jahresgutachten 2012/2013, Wiesbaden, S. 340.

8 Schmeißer, Claudia/ Stuth, Stefan/Behrend, Clara/ Budras, Robert/ Hipp, Lena/ Leuze, Kathrin/ Giesecke, Johannes (2012): Atypische Beschäftigung in Europa 1996 – 2009, WZB Discussion Paper P 2012-00, Berlin, S. 9. Diese Studie bildet, vor allem bei den Differenzierungen und Definitionen, die Grundlage für die vorliegende Untersuchung.

9 Als arbeitslos gelten hier Personen, die erwerbslos sind oder arbeitssuchend nichterwerbstätig, siehe i-Punkt.

10 Das Statistische Bundesamt zählt mittlerweile zu den Normalarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern alle abhängig Beschäftigten mit einer unbefristeten und voll sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, die eine wöchentliche Arbeitszeit von über 20 Stunden umfasst. Damit gehören zu den Normalarbeitsverhältnissen Teilzeitarbeit mit mehr als 20 Stunden und Vollzeitbeschäftigung mit mindestens 35 Stunden, siehe Statistisches Bundesamt: Normalarbeitsverhältnisse nehmen an Bedeutung zu, Pressemitteilung vom 21. August 2015 – 301/15.

11 Eine denkbare Option einer vollzeitnahen Teilzeit oder »kleinen Vollzeit« ist die »Familienarbeitszeit«, bei der beide Partner einer Erwerbstätigkeit mit substanzieller Wochenstundenzahl nachgehen und sich die familialen Aufgaben teilen, siehe Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2015): Grünbuch – Arbeit weiter denken. Arbeit 4.0, Berlin.

12 Siehe Statistisches Bundesamt: Höhere Armutsgefährdung von gering Qualifizierten als 2005, Pressemitteilung vom 27. August 2015 – 311/15.

13 Siehe Internationales Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES) (2013): Prekäre Beschäftigung in Baden‑Württemberg, Gutachten im Auftrag des DGB-Bezirks Baden‑Württemberg sowie Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (2014): Nutzung atypischer Beschäftigungsformen in Baden‑Württemberg, Tübingen.

14 Kocic, Aleksandar (2015): Arbeit in der Krise – Arbeitsmärkte im Umbruch, in: Deutsche Bank Research, Konzept, Nr. 5, Juni 2015, S. 58–65.

15 Möller, Joachim (2015): Verheißung oder Bedrohung? Die Arbeitsmarktwirkungen einer vierten industriellen Revolution, IAB Discussion Paper, 18, S. 13.

16 Siehe dazu auch die Übersicht über bedrohte und kaum ersetzbare Berufe aus einer Studie der University of Oxford bei Astheimer, Sven: Digitalisierung der Wirtschaft. Niemand ist unersetzlich, Frankfurter Allgemeine vom 6.8.2015. Nach Möller (siehe Fußnote 13) gibt es unter den Höherqualifizierten gefährdete Tätigkeiten etwa durch Ferndiagnosen im Medizinbereich und die Auslagerung von komplexer Programmiertätigkeit in Niedriglohnländer.