:: 2/2016

Aktualisierte Bevölkerungsvorausrechnung für Baden‑Württemberg 2014 bis 2060

Hohe Zuwanderung schwächt künftigen Alterungsprozess der baden-württembergischen Bevölkerung etwas ab

Das Statistische Landesamt Baden‑Württemberg veröffentlichte im Sommer 2014 Ergebnisse der Bevölkerungsvorausrechnungen auf Basis des Jahres 2012. Bereits für diese Vorausrechnungen wurden die Annahmen zur Zuwanderung gegenüber denjenigen der Vorausrechnungen aus dem Jahr 2009 deutlich erhöht, um die seinerzeit aktuellen Wanderungstendenzen zu berücksichtigen. Seit Mitte des vergangenen Jahres zeichnet sich ab, dass – aus heutiger Sicht – die unterstellten Wanderungsgewinne vor dem Hintergrund des enormen Zuzugs von Flüchtlingen nochmals höher anzusetzen sind. Deshalb entschloss sich das Statistische Landesamt im Spätherbst 2015, neue Vorausrechnungen durchzuführen, um diesem aktuellen Trend Rechnung zu tragen. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass die Festlegung der Annahmen mit deutlich größeren Unsicherheiten behaftet ist als in »ruhigeren« Zeiten.

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse dieser neuen Vorausrechnungen für Baden‑Württemberg auf Basis des 31. Dezember 2014 vorgestellt. Dabei soll insbesondere verdeutlicht werden, dass der Alterungsprozess der Gesellschaft auch bei veränderten Rahmenbedingungen – ähnlich wie in früheren Vorausrechnungen ermittelt – ablaufen wird. Konkret bedeutet das, dass auch eine stärkere Zuwanderung den demografischen Wandel nicht stoppen, sondern lediglich abmildern kann.

Einwohnerzahl könnte noch bis 2024 ansteigen

Vor dem Hintergrund der derzeit bestehenden besonders großen Unsicherheiten im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Zuwanderung wurden drei Vorausrechnungsvarianten erstellt,1 die sich ausschließlich hinsichtlich der getroffenen Wanderungsannahmen unterscheiden.2

Nach der sogenannten Hauptvariante, die auch in den kommenden Jahren von einer relativ hohen Zuwanderung ausgeht, könnte die Einwohnerzahl des Landes noch bis zum Jahr 2024 um rund 420 000 auf dann 11,14 Mill. ansteigen. Anschließend ist mit einem Bevölkerungsrückgang zu rechnen, weil sich das bestehende Geburtendefizit (weniger Geburten als Sterbefälle) aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung stetig vergrößern wird. Dieses Defizit kann aller Voraussicht nach nicht mehr durch die Zuwanderung ausgeglichen werden. Dennoch könnte die Einwohnerzahl im Südwesten auch im Jahr 2060 noch leicht über der Ende 2014, dem Basisjahr der Vorausrechnungen, liegen.

Nach der Unteren Variante, die auf längere Sicht von deutlich geringeren Wanderungsgewinnen ausgeht, würde der Bevölkerungsrückgang bereits im Jahr 2023 einsetzen. Im Jahr 2060 könnte die Einwohnerzahl um rund 340 000 Personen unter dem heutigen Niveau liegen. Dagegen würde die Einwohnerzahl nach der Oberen Variante noch bis zum Jahr 2041 ansteigen. Baden‑Württemberg hätte im Jahr 2060 rund 11,54 Mill. Einwohner – immerhin knapp 800 000 mehr als im Basisjahr der Vorausrechnung.

Diese Entwicklungen werden ganz entscheidend von den vorgegebenen Wanderungsgewinnen bestimmt. Daneben spielen selbstverständlich auch die getroffenen Annahmen zur Geburtenhäufigkeit und zur Lebenserwartung, die im Folgenden etwas näher beleuchtet werden, eine wichtige Rolle.

Zahl der Geborenen geht erst mittelfristig zurück

Sowohl die Geborenenzahl als auch die Geburtenrate ist in den vergangenen Jahren in Baden‑Württemberg angestiegen. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau lag im Jahr 2014 mit 1,46 so hoch wie seit 1997 nicht mehr. Zwischenzeitlich war sie auf 1,34 Kinder je Frau im Jahr 2006 gesunken. Ursächlich für diesen Anstieg könnte unter anderem die deutlich verbesserte Kinderbetreuung im Land sein.3 Des Weiteren dürften hierfür auch die in letzter Zeit hervorragenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem Höchststand an Erwerbstätigen und einer relativ geringen Arbeitslosenquote im Land eine Rolle spielen.

Die Geborenenzahl könnte vor allem aufgrund der vorübergehend steigenden Zahl an Frauen im gebärfähigen Alter noch bis Anfang des kommenden Jahrzehnts weiter ansteigen. Ab dem Jahr 2022 ist dann aber von einem Rückgang der Geborenenzahl auszugehen und zwar von annähernd 104 000 auf knapp 87 000 bis zum Jahr 2060.4

Die Zahl der Gestorbenen wird sich – trotz der Annahme einer auch künftig weiter steigenden Lebenserwartung – relativ stetig bis zum Jahr 2050 von gegenwärtig etwas mehr als 100 000 auf dann knapp 130 000 erhöhen. Danach könnte deren Zahl – wiederum aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung – auf rund 125 000 im Jahr 2060 zurückgehen.

Das Geburtendefizit, also die Differenz zwischen Geborenen und Gestorbenen, wird sich dadurch in den nächsten Jahrzehnten relativ stetig erhöhen. Im Jahr 2025 könnte dieses Defizit erstmals höher als der angenommene Wanderungsgewinn ausfallen, mit der Folge, dass die Einwohnerzahl zurückgeht. Für die 2050er-Jahre wurde ermittelt, dass die Zahl der Sterbefälle sogar um annähernd 40 000 Personen pro Jahr über der Geburtenzahl liegen wird.

Immer mehr ältere Menschen

Mindestens ebenso bedeutsam wie die Entwicklung der Bevölkerungszahl insgesamt sind die Veränderungen in der Altersgliederung der Bevölkerung. Denn die Besetzungsstärken der einzelnen Altersjahrgänge wirken sich auf nahezu alle Gesellschaftsbereiche aus, sei es im Kinderbetreuungs- und im Bildungsbereich, sei es für den Arbeitsmarkt oder auf das umlagefinanzierte Rentensystem.

Heute leben in Baden‑Württemberg sowohl rund 2,1 Mill. unter 20-Jährige als auch etwa 2,1 Mill. 65-Jährige und ältere. Damit liegt der Anteil dieser Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung bei jeweils knapp 20 %. Künftig wird es aber deutlich weniger Jüngere als Ältere geben: Der Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird sich bis zum Jahr 2060 – relativ moderat – auf dann nur noch etwas mehr als 17 % verringern. In einer gegenläufigen Entwicklung dürfte dagegen der Bevölkerungsanteil der 65-Jährigen und älteren bis zum Jahr 2060 deutlich und zwar auf 30 % ansteigen.

Zahl der Kindergartenkinder: Rückgang erst nach 2025

Ende 2014 gab es rund 329 000 Kinder im Kindergartenalter in Baden‑Württemberg. Die Zahl der Kindergartenkinder wird noch bis Mitte des kommenden Jahrzehnts auf etwa 372 000 ansteigen, weil sich aller Voraussicht nach die Geburtenzahlen in den nächsten Jahren erhöhen werden. Danach könnte die Zahl der Kindergartenkinder aber stetig zurückgehen; sie läge dennoch am Ende des Vorausrechnungszeitraums mit knapp 320 000 nur geringfügig unter dem heutigen Wert.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter, hier die 6- bis unter 18-jährigen, wird nach diesen Berechnungen bis zum Jahr 2020 um rund 40 000 auf 1,22 Mill. zurückgehen. Ab dem Jahr 2021 könnte deren Zahl aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung aber vorübergehend ansteigen und danach erneut absinken. Anstelle von heute 1,26 Mill. Kindern und Jugendlichen im Schulalter würde diese Bevölkerungsgruppe im Jahr 2060 nur noch 1,14 Mill. Personen umfassen.

Überdurchschnittlicher Anstieg der Zahl hochbetagter Menschen

Für sozial- und speziell altenpolitische Planungen ist es von besonderer Bedeutung, dass künftig die Zahl älterer und vor allem hochbetagter Menschen deutlich ansteigen wird. Immer mehr Männer und Frauen erreichen ein hohes Alter. Innerhalb der nächsten knapp 3 Jahrzehnte dürfte sich ihre Zahl verdoppeln. Dann wären rund 550 000 Einwohner des Landes 85 Jahre oder älter. Bereits etwas mehr als 1 Jahrzehnt später, Mitte der 2050er-Jahre, würde sich ihre Zahl im Vergleich zu heute sogar verdreifachen. Es gäbe dann mehr als 800 000 Hochbetagte in Baden‑Württemberg. Da es sich hierbei um eine Bevölkerungsgruppe mit einem hohen Pflegerisiko handelt, dürfte künftig auch die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich ansteigen.

Starke Zuwanderung schwächt Alterungsprozess ab

Langfristig immer weniger junge und immer mehr ältere Menschen – diese Entwicklung hin zu einer im Schnitt immer älteren Bevölkerung ist bereits heute »vorprogrammiert«, weil insbesondere nach 2020 die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er-Jahren in die Altersphase der 60-Jährigen und älteren hineinwachsen. Schaubild 3 zeigt unter anderem, wie sich die »Babyboomer«, also die heute etwa 45- bis 55-Jährigen, in den kommenden Jahrzehnten in die höheren Altersgruppen »verschieben« werden.

Bereits von 1950 bis zum Jahr 2014 ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung um rund 9 Jahre gestiegen – von etwa 34 Jahre auf 43 Jahre. Und dieser Alterungsprozess wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Bis zum Jahr 2060 ist mit einem weiteren Anstieg des Durchschnittsalters um 5 Jahre auf dann 48 Jahre zu rechnen. Dennoch: Die hohe Zuwanderung hat und wird auch künftig einen »dämpfenden« Einfluss auf die Alterung der Gesellschaft haben. Denn ohne Berücksichtigung der Zuwanderung wären die Baden‑Württemberger im Jahr 2060 im Schnitt sogar 51 Jahre alt.

Fazit: Möglichkeiten und Grenzen von Vorausrechnungen

Bei der Bewertung der vorgestellten Ergebnisse ist zu bedenken, dass sicherlich niemand eine Prognose abgeben kann, wie viele Menschen im kommenden Jahr, geschweige denn im Jahr 2060 in Baden‑Württemberg wirklich leben werden. Allerdings können Aussagen darüber getroffen werden, wie sich die Bevölkerung unter der Zugrundelegung bestimmter Annahmen zur künftigen Geburtenrate, zur Lebenserwartung und zum Wanderungsgeschehen entwickeln wird. Entsprechende Vorausrechnungen werden seitens des Statistischen Landesamtes Baden‑Württembergs bereits seit Ende der 1960er-Jahre in Form von »Wenn-Dann«-Aussagen durchgeführt. Wenn also die getroffenen Annahmen so eintreffen werden, dann wird die demografische Entwicklung so verlaufen, wie sie in der Bevölkerungsvorausrechnung dargestellt ist.

Bevölkerungsvorausrechnungen bedürfen der laufenden Anpassung und Aktualisierung. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Trends der die Bevölkerungsentwicklung bestimmenden Faktoren gravierend geändert haben. Für die momentane Situation trifft dies zweifelsohne deshalb zu, weil sich das Wanderungsgeschehen insbesondere aufgrund des Zustroms an Flüchtlingen seit dem vergangenen Jahr erheblich verändert hat.

Auch wenn offen ist, wie sich insbesondere der Flüchtlingszustrom in Zukunft entwickeln wird, ist die Durchführung von Vorausrechnungen auch heute sinnvoll und nützlich: Zum einen, weil – wie beschrieben – Vorausrechnungen laufend anzupassen und auf den neuesten Stand zu bringen sind. Zum anderen, weil sie zumindest aufzeigen können, dass die Alterungsprozesse der Gesellschaft auch bei veränderten Rahmenbedingungen ähnlich ablaufen werden. So wird die enorme Zuwanderung den demografischen Wandel nicht stoppen, sondern lediglich abmildern können.

Alles in allem gilt, dass Bevölkerungsvorausrechnungen – insbesondere was die Entwicklung der Einwohnerzahlen betrifft – nicht als »Vorhersagen« missverstanden werden dürfen. Sie stellen aber (zumindest) eine wichtige Orientierungshilfe dar. Vorausrechnungen haben nämlich dann ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie die Basis für Analysen und Planungen der Entscheidungsträger beisteuern, mögliche (Fehl-)Entwicklungen aufzeigen und so die Unsicherheit über die Zukunft verringern helfen. Lösungen können von ihnen dagegen nicht erwartet werden.

1 Die Berechnungen wurden von Ingolf Girrbach mit dem Prognosemodell SIKURS durchgeführt.

2 Die Annahmen dieser Vorausrechnungen sind in diesem Heft im Beitrag von Dr. Bernhard Hochstetter und Werner Brachat-Schwarz näher beschrieben.

3 So hat sich die Betreuungsquote der Kinder im Alter von unter 3 Jahren von 8,8 % im Jahr 2006 auf 27,8 % im Jahr 2015 mehr als verdreifacht.

4 Sofern nichts anderes angegeben wird, beziehen sich die Angaben auf die sogenannte Hauptvariante.