:: 4/2016

Segen und Fluch der Dampfmaschinen

Dampfkesselexplosionen in Baden und Württemberg

Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert ist ohne die Dampfmaschine unvorstellbar. Erst durch die Dampfmaschinen wurden viele neue Produktions- und Fertigungstechniken ermöglicht. Insofern war die Dampfmaschine ein Segen, machte sie doch viele Arbeitsvorgänge leichter und schneller und entlastete dadurch die Menschen im Produktionsprozess. Sie konnte aber auch gleichzeitig ein tödlicher Fluch für viele Menschen sein und zwar immer dann, wenn es zu Störungen bis hin zu Explosionen kam. Nicht wenige Menschen fanden bei Dampfkesselexplosionen den Tod. Viele Tausende wurden verletzt. All diese Ereignisse führten auch zu einer Resonanz in der amtlichen Statistik Deutschlands und damit auch der Länder Baden und Württemberg.

Voraussetzung für die industrielle Revolution

In den Wissenschaften wird heute die tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und während des 19. Jahrhunderts als industrielle Revolution bezeichnet. Sie begann in Europa und griff von dort aus auf die USA und Japan über. In weltgeschichtlicher Perspektive wird der industriellen Revolution eine ähnliche Bedeutung zugemessen wie dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit im Neolithikum. Ihren Ursprung hatte die industrielle Revolution in England.

Als wichtigste Maschine der Industriellen Revolution und zugleich als ihr Symbol wird die Dampfmaschine angesehen. Mit der Zeit ersetzte sie weitgehend die wesentlich unbeständigeren und leistungsärmeren herkömmlichen Antriebskräfte, die auf dem Einsatz von Menschen und Tieren sowie auf der Nutzung von Wind und Wasser beruhten. Die allmählich in dieser Zeit entwickelten Dampflokomotiven, die eine enorme Effizienzsteigerung im Transportwesen ermöglichten, waren ebenfalls sehr wichtig. Erst durch Dampflokomotiven wurde der Transport von Waren beschleunigt und erheblich verbilligt. Die flächenmäßige Verbreitung der Dampfmaschine sowie die bessere Verfügbarkeit von Rohstoffen führten zu einer Intensivierung der Industrieproduktion.

Die erste verwendbare Dampfmaschine wurde 1712 von Thomas Newcomen konstruiert und diente zur Wasserhebung in englischen Bergwerken. James Watt, dem oft die Erfindung der Dampfmaschine zugeschrieben wird, verbesserte den Wirkungsgrad der Newcomenschen Dampfmaschine erheblich. Das von ihm erfundene Wattsche Parallelogramm sorgte für die geradlinige Auf- und Abwärtsbewegung der Kolbenstange bei den Dampfmaschinen.

Mit zunehmender Anzahl und Leistungsfähigkeit der Dampfmaschinen in der Zeit der Industrialisierung gab es immer mehr Unfälle durch explodierende Dampfkessel. In der Mannheimer Aktienbrauerei explodierte 1865 ein Dampfkessel mit weitreichenden Folgen. Bei dem Unglück wurde eine Person getötet und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt. Dem »Mannheimer Journal« war diese Dampfkesselexplosion nur einige Zeilen wert. »Möge kein Kesselbetreiber vergessen, dass er in jedem Dampfkessel einen unheilschwangeren Vulkan in seinem Haus besitzt«, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht; »möge er stets bedenken, dass er mit dem Dampf einen gewaltigen Dämon in seine Dienste genommen hat, der ihm zwar alle Arbeiten willig verrichtet, solange man ihn bezähmt, der aber unablässig bemüht ist, seine eisernen Fesseln plötzlich zu sprengen und Tod und Verderben um sich zu schleudern«. Die Mannheimer Explosion rüttelte die staatlichen Stellen in Baden wach. Der zuständige Minister übte gegenüber den Dampfkesselbetreibern der Stadt Mannheim enormen Druck aus, sodass Anfang 1866 viele von ihnen eine »Gesellschaft zur Überwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit Sitz in Mannheim« gründeten.

In den nächs­ten Jahren schlossen sich immer mehr Fabrikbesitzer in »Dampfkessel-Überwachungsvereinen« zusammen, um ihre Anlagen von Fachleuten in einer regelmäßigen und amtlich beglaubigten Prüfung testen zu lassen.

Eine Kesselexplosion – auch Kesselzerknall genannt – bezeichnet das Platzen eines Dampfkessels und ist eine Form der physikalischen Explosion. Die häufigsten Ursachen für die Explosion eines Kessels sind Wassermangel, zu hoher Dampfdruck und mangelhafte oder fehlende Wartung. Sie kann verheerende Folgen haben. Oftmals kamen bei diesen Explosionen Menschen zu Tode oder wurden schwer verletzt. Auch der materielle Schaden nach einer Explosion war beträchtlich, denn er verhinderte oftmals die weitere Produktion in der betroffenen Industrieanlage.

Der Beginn der statistischen Erfassung und technischen Überwachung

Durch die allgemeine Entwicklung der Technik kam es in Deutschland zunehmend zu Dampfkesselexplosionen. 1836 erstellte man in Preußen bereits die erste deutsche Dampfmaschinenstatistik. In den 1870er-Jahren explodierten sowohl in Bad Cannstatt als auch im Stuttgarter Stadtteil Heslach Dampfkessel und richteten erhebliche Schäden an. Dies waren keine Einzelfälle. Auch in anderen Teilen des Deutschen Reiches kam es immer wieder zu Dampfkesselexplosionen. Das führte dazu, dass es zu einem reichsweiten Beschluss kam, Dampfkessel und erfolgte Explosionen statistisch zu erfassen. Zwischen 1877 und 1905 gab es in ganz Deutschland annähernd 670 Verwundete und über 320 Todesfälle durch Dampfkesselexplosionen.

Die konsequent wahrgenommenen Dampfkesselüberwachungen führten zu einem Rückgang der Explosionen. So kam es 1903 im Großherzogtum Baden nur noch zu einer Explosion. Auch im Königreich Württemberg explodierte 1906 noch ein einzelner Kessel einer Brennerei in Kleinheppach.

Was daraus wurde

Die private Dampfkesselüberwachung, die in Mannheim begann, war zusammen mit den staatlich erfolgten statistischen Überwachungen sehr erfolgreich. Denn schnell entstanden auch in anderen Regionen Überwachungsvereine, denen die zunehmende Technisierung immer neue Tätigkeitsfelder erschloss. Aus den Dampfkesselüberwachungsvereinen wurden die Technischen Überwachungsvereine oder umgangssprachlich ausgedrückt der TÜV.