:: 5/2016

Weltweit höchste Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg

Niemandem fällt es leicht, seine Heimat zu verlassen. Doch weltweit befanden sich Ende 2014 rund 59,5 Mill. Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Gewalt, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Und ihre Zahl wächst rasant: 2015 wird sie nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR1 die 60-Millionengrenze deutlich überspringen. Verantwortlich dafür sind die zahlreichen Krisen vom Nahen Osten über Afrika bis hin zur Ukraine.

Die dramatische Entwicklung begann 2011 mit dem Ausbruch des Krieges in Syrien, der mittlerweile weltweit die größten Fluchtbewegungen verursacht. Rechnerisch betrachtet waren bis Ende 2015 täglich weltweit durchschnittlich 165 000 Menschen auf der Flucht. Dies entspricht in etwa der Einwohnerzahl Heidelbergs.

Der jüngste Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR2 zeigt auf, dass in allen Regionen sowohl die Zahl der Flüchtlinge als auch der Binnenvertriebenen innerhalb der jeweiligen Länder steigt. In den letzten 5 Jahren sind mindestens 15 neue Konflikte ausgebrochen oder wieder aufgeflammt: acht davon in Afrika, unter anderem an der Elfenbeinküste, in Libyen, Mali und Burundi, drei im Nahen Osten (Syrien, Irak und Jemen), drei in Asien (Kirgisistan und in einigen Gebieten von Myanmar und Pakistan) und einer in Europa (Ukraine). Nur wenige Krisen konnten beigelegt werden, die Mehrzahl verursacht weiterhin Flucht und Vertreibung. So konnten nach Angaben des UNHCR in den ersten 6 Monaten des Jahres 2015 auch nur ca. 84 000 Vertriebene zurück in ihre Heimat. »Wer heutzutage ein Flüchtling wird, hat schlechtere Chancen in seine Heimat zurückzukehren als zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 30 Jahren«, so das Flüchtlingshilfswerk.

Der Krieg in Syrien, der nach Angaben des Syrischen Zentrums für Politikforschung (SCPR) direkt oder indirekt bereits mindestens 470 000 Todesopfer gefordert hat, zwang bis Mitte 2015 weltweit die meisten Menschen zur Flucht, und zwar sowohl innerhalb (7,6 Mill. Binnenvertriebene) als auch außerhalb des eigenen Landes (4,2 Mill. Flüchtlinge). Es folgen Afghanistan mit 2,6 Mill. Flüchtlingen und knapp 1 Mill. Binnenvertriebenen sowie Somalia mit 1,1 Mill. Flüchtlingen und in etwa gleich vielen Binnenvertriebenen.

Nachbarstaaten der Konfliktregionen tragen die Hauptlast

Selbst in Zeiten stark ansteigender Zahlen sind Flüchtlinge global sehr ungleich verteilt. Den Großteil der Verantwortung für die Aufnahme tragen die Länder, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen. In absoluten Zahlen hat die Türkei bis 30. Juni 2015 mit gut 1,8 Mill. die meisten Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat aufgenommen. Es folgen Pakistan mit über 1,5 Mill. und der Libanon mit knapp 1,2 Mill. Flüchtlingen. Dagegen halten sich die drei Weltmächte USA, China und die Russische Föderation mit der Aufnahme von Flüchtlingen eher zurück. Mit jeweils rund 300 000 aufgenommenen Flüchtlingen gehören die drei Großräume nicht zu den führenden Aufnahmeländern. Nach Angaben der UNHCR haben rund zwei Drittel der 194 Staaten der Welt bis zur Jahresmitte 2015 jeweils weniger als 10 000 Flüchtlingen Schutz geboten, darunter auch die reichen arabischen Golfstaaten. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl war der Libanon Mitte 2015 mit 209 Flüchtlingen pro 1 000 Einwohner das Land mit der größten Dichte an Flüchtlingen. Es folgt mit großem Abstand Jordanien mit rund 90 Flüchtlingen je 1 000 Einwohner.

EU: Mehr als jeder 3. Asylantrag wurde in Deutschland gestellt

Ein im weltweiten Vergleich kleiner, aber wachsender Anteil der Flüchtlinge sucht Schutz in der EU. Rund 1,3 Mill. haben nach Angaben des Europäischen Statistikamts Eurostat 2015 in einem EU-Mitgliedstaat Asyl beantragt. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zu 2014 mehr als verdoppelt. Allerdings gibt es einige EU-Länder, die vergleichsweise wenige Flüchtlinge aufgenommen haben. In absoluten Zahlen hat alleine Deutschland über ein Drittel aller Asylbewerber in der EU aufgenommen. Mit deutlichem Abstand folgen Ungarn (13,4 %), Schweden (12,3 %), Österreich (6,7 %) und Italien (6,4 %). Zusammen haben diese fünf Staaten im Jahr 2015 rund 75 % aller Asylbewerber in der EU Schutz gewährt. Im Vergleich dazu, war die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge in den sieben EU-Staaten Kroatien (210), Estland (230), Slowenien (275), Litauen (315), Lettland (330), der Slowakei (330) und Portugal (855) gering. Bezogen auf die Einwohnerzahl waren die Belastungen unter den EU-Ländern in Ungarn mit 18 und Schweden mit 17 Asylbewerbern je 1 000 Einwohnern im Jahr 2015 am höchsten.

1,1 Mill. Flüchtlinge 2015 in Deutschland registriert

Die allein in Deutschland im Jahr 2015 gestellten 477 000 Asylanträge – die höchste Zahl, die je in Deutschland verzeichnet worden ist – geben jedoch nur bedingt Auskunft über die Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Die Zahl der tatsächlichen Einreisen von Asylsuchenden lag 2015 weit höher, da die formale Asylantragstellung teilweise erst zeitlich deutlich verzögert möglich war. So wurden im EASY-System (siehe i-Punkt) im Jahr 2015 bundesweit etwa 1,1 Mill. Zugänge von Asylsuchenden registriert. Knapp 40 % waren Syrer, gut 14 % Afghanen und rund jeder zehnte Flüchtling kam aus dem Irak.

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kamen von den 477 000 im Jahr 2015 gestellten formellen Asylanträgen 163 000 aus Syrien. Das waren 34 % aller Asylanträge in Deutschland. Unter den zehn Hauptherkunftsländern finden sich zudem vier aus der Balkanregion: Albanien (54 762 Asylanträge), Kosovo (37 095 Asylanträge), Serbien (26 945 Asylanträge) und Mazedonien (14 131 Asylanträge). Zuzüglich der Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina und Montenegro kamen im Jahresdurchschnitt etwa 30 % aller Asylbewerber aus den sechs Staaten des Westbalkans. Allerdings verringerte sich deren Anteil in der 2. Jahreshälfte kontinuierlich und lag im Monat Dezember 2015 nur noch bei 8 % aller Asylbewerber.

Im Jahr 2015 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deutschlandweit knapp 283 000 Asylanträge abschließend bearbeitet. Das waren mehr als doppelt so viele wie noch 2014. Fast die Hälfte der 137 000 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus laut Genfer Konvention bzw. waren asylberechtigt nach Artikel 16a des Grundgesetzes und dürfen damit mindestens für 3 Jahre in Deutschland bleiben. Rund 92 000 Personen wurden abgelehnt. Anderweitig entschieden – zum Beispiel durch das Dublin-Verfahren (siehe i-Punkt) – wurden die Anträge von über 50 000 Personen.

Flüchtlinge in Baden-Württemberg

Im Laufe des Jahres 2015 sind insgesamt rund 185 0000 Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes angekommen. Davon haben knapp 98 000 einen Antrag auf Asyl gestellt. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt des Jugoslawienkrieges im Jahr 1992 flohen 52 000 Menschen in den Südwesten Deutschlands.

Über drei Viertel der Antragsteller kamen aus den drei Bürgerkriegsländern Syrien (34 %), Afghanistan und dem Irak (jeweils 21 %). Die Zahl der Antragsteller aus den westlichen Balkanländern lag im Jahresdurchschnitt 2015 bei 17 % und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr in etwa halbiert.

Die Flüchtlinge werden innerhalb Deutschlands nach dem »Königsteiner Schlüssel« verteilt. Die Quote richtet sich nach den Steuereinnahmen (2/3 Anteil bei der Bewertung) und der Bevölkerungszahl (1/3 Anteil bei der Bewertung) der einzelnen Bundesländer. Sie wird jährlich neu ermittelt. So hat im laufenden Jahr 2016 Nordrhein-Westfalen (NRW) die höchste und Bremen die niedrigste Zahl an Asylsuchenden aufzunehmen. Baden-Württemberg liegt 2016 mit einer Quote von 12,9 % an dritter Stelle nach NRW (21,2 %) und Bayern (15,5 %).

1 United Nations High Commissioner for Refugees.

2 Vgl. UNHCR, Mid-Year Trends 2015. Genf, 2015.