:: 6/2016

Tourismus 2015: Fortsetzung der vorherrschenden Trends

Erneut Rekordergebnis bei den Übernachtungen im Land

Die heimische Tourismusbranche kann 2015 zum sechsten Mal in Folge auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Erstmals buchten mehr als 20 Mill. Gäste mindestens eine Übernachtung im Land, und die Übernachtungen übertrafen mit 50,8 Mill. erstmals die Schwelle von 50 Mill. Dabei schlugen sich zwei bundesweit zu beobachtende Trends der letzten Jahre, erneut auch im Landesergebnis nieder: eine zunehmende Bedeutung sowohl des Städtetourismus als auch von ausländischen Gästen. Eine Betrachtung der längerfristigen Entwicklung auf Kreisebene zeigt einerseits, dass übergreifende Trends vor dem Hintergrund der strukturellen Gegebenheiten vor Ort auch regional durchschlagende Wirkung haben können. Andererseits können regionale Besonderheiten auch zu einer Verstärkung oder zur Neutralisierung übergreifender Entwicklungen führen.

Wechselhafte Entwicklung mündet in stetigem Aufschwung seit 2010.

Ein Blick auf die Übernachtungszahlen in den heimischen Beherbergungsbetrieben1 seit 1995 zeigt bis weit in das neue Jahrtausend eine durchaus wechselvolle Entwicklung. Nach einem Rückgang bereits 1996 markierte das Jahr 1997 einen deutlichen Einschnitt. Durch einen kräftigen Wiederanstieg bis 2000 bzw. 2001 konnten die Rückgänge aber mehr als kompensiert werden. Eine schwächere Entwicklung in den Folgejahren wurde ab 2005 durch einen Anstieg abgelöst, der 2008 in einem neuen Rekordergebnis bei der Übernachtungszahl mündete. Der konjunkturelle Abschwung im Zusammenhang mit der damaligen Finanzkrise schlug sich 2009 auch negativ im Übernachtungsergebnis des Landes nieder. Ab 2010 setzte eine Aufschwungsphase ein, die ab 2011 jährlich zu stets neuen Spitzenergebnissen führte. Eine ähnlich lange Aufwärtsentwicklung im Tourismus des Landes hatte es zuletzt in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre gegeben.

Die geschilderte Entwicklung lässt sich in abgeschwächter Form auch bei den Gästen aus Deutschland nachvollziehen. Allerdings entwickelten sich Übernachtungen von Auslandsgästen über nahezu den gesamten Zeitraum seit 1995 jeweils positiver als die von Inlandsgästen. Deutliche Ausnahmen bildeten die Jahre 2001 und 2009, als Krisen (2001 Terroranschläge in den USA, 2009 Finanzkrise) die internationalen Reiseaktivitäten vorübergehend eindämmten. Obwohl nach wie vor der Löwenanteil der Übernachtungen im Land auf deutsche Gäste entfällt, hat sich der Übernachtungsanteil der Auslandsgäste seit 1995 bis 2015 von 12,2 % auf 21,9 % nahezu verdoppelt.

Landesentwicklung folgt deutschlandweiten Tendenzen

Einen ersten Einblick in die Hintergründe der längerfristigen Entwicklung in Baden-Württemberg bietet ein Vergleich mit bundesweiten Entwicklungslinien. Schaubild 2 zeigt Veränderungsraten der Übernachtungen in den beiden Phasen von 1995 bis 2005 und 2005 bis 2015 jeweils insgesamt sowie getrennt nach In- und Auslandsgästen. Zur Abbildung innerdeutscher Entwicklungen wurden die Bundesländer zusammengefasst zu den Stadtstaaten (Berlin, Bremen und Hamburg) sowie den Flächenländern im nördlichen (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein), im östlichen (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) sowie im südlichen (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland) Bereich. Im Zeitraum von 1995 bis 2005 wurden auch in Deutschland insgesamt deutlich schwächere Übernachtungszuwächse erzielt als von 2005 bis 2015. Während sich bereits damals die Übernachtungen von Auslandsgästen um über ein Drittel erhöhten, stagnierten die Übernachtungen von Inlandsgästen nahezu. Der Zuwachs bei den Übernachtungen insgesamt um gut 6 % nimmt sich im Vergleich zur Erhöhung um über ein Viertel in der nachfolgenden 10-Jahres-Spanne sehr bescheiden aus.

Gekennzeichnet war diese Periode zudem durch deutliche innerdeutsche Verschiebungen sowohl hin zu den Stadtstaaten, die ihr Übernachtungsergebnis um drei Viertel steigern konnten, als auch zu den östlichen Flächenländern. Hier schlug sich der schrittweise Aufbau einer touristischen Infrastruktur nach der deutschen Wiedervereinigung in einem Übernachtungsplus von 43 % nieder. Dies ging zulasten der Flächenländer im früheren Bundesgebiet, die sich bei den Übernachtungen insgesamt wie auch Baden-Württemberg leicht im Minus wiederfanden. Dabei verdankten die östlichen Flächenländer ihren Zuwachs in der Phase von 1995 bis 2005 schwerpunktmäßig den Gästen aus Deutschland. Zwar wurde auch bei den Auslandsgästen ein Übernachtungszuwachs um ein Drittel erzielt. Dies war aber weniger als bei den Gästen aus Deutschland. Zudem waren die Auswirkungen auf das Gesamtergebnis auch deshalb gering, weil hier der Übernachtungsanteil der Auslandsgäste weit unter dem Bundesdurchschnitt lag. In den nördlichen und südlichen Flächenländern konnten Zuwächse bei den Auslandsgästen die Rückgänge bei den Inlandsgästen im Gesamtergebnis zwar nicht kompensieren, aber zumindest abmildern. Mit relativ geringen Abweichungen ordnete sich die Entwicklung in Baden-Württemberg voll in die der Flächenländer im früheren Bundesgebiet ein. In den Stadtstaaten haben sich die Übernachtungen von Auslandsgästen 2005 gegenüber 1995 mehr als verdoppelt. Da hier ausländische Gäste seit jeher eine vergleichsweise starke Rolle spielen, trug dies maßgeblich zur Steigerung der Übernachtungen insgesamt bei.

Vor dem Hintergrund der insgesamt günstigeren Entwicklung waren die Zuwächse in den Stadtstaaten im Zeitraum von 2005 bis 2015 nochmals höher. Übernachtungsanstiege um 160 % bei den Auslandsgästen und um drei Viertel bei den Inlandsgästen sorgten dafür, dass sich die gesamten Übernachtungen verdoppelten. Die Flächenländer verbesserten ihr Übernachtungsergebnis – nicht zuletzt dank erneut überdurchschnittlicher Zuwächse bei den Auslandsgästen – um etwa ein Fünftel. Im Gegensatz zur vorherigen Periode ordneten sich die östlichen Flächenländer nahtlos in die Entwicklung in den Flächenländern im alten Bundesgebiet ein. Die Nachholphase scheint also abgeschlossen zu sein. Anders ausgedrückt ist der Tourismus in den Flächenländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR inzwischen in Deutschland angekommen. Wie in der Periode zuvor entsprach die Entwicklung in Baden-Württemberg auch im Zeitraum von 2005 bis 2015 weitgehend der in den – diesmal bundesweiten – Flächenländern. Bemerkenswert ist allerdings ein mit knapp 70 % überdurchschnittlicher Zuwachs bei den Auslandsgästen.

Bedeutung des Kurwesens vor allem im Land rückläufig

Noch nicht erklärt wurde bisher die Ursache für den Einschnitt bei den Übernachtungen der Inlandsgäste 1997 in Baden-Württemberg, der sich in ähnlicher Form auch in den Flächenländern des früheren Bundesgebietes erkennen lässt. Dieser hing maßgeblich mit den damaligen Sparmaßnahmen im Kurbereich2 zusammen, die in Baden-Württemberg und bundesweit bei den Vorsorge- und Reha-Kliniken3 1997 zu einem Übernachtungsrückgang gegenüber 1996 um mehr als ein Viertel führte. Zwar begann danach eine Erholungsphase, die nach dem Jahr 2000 aber nicht weiter Bestand haben sollte. Auch die erneute Aufwärtsbewegung ab 2007 erwies sich in der Folgezeit als eher labil. Bundesweit wurde trotz Zunahmen in den Jahren 2014 und 2015 das Spitzenniveau bei den Übernachtungen aus dem Jahr 1995 lediglich zu knapp 90 % erreicht. Die Entwicklung in Baden-Württemberg folgte zwar in den einzelnen Jahren dem Verlaufsmuster auf Bundesebene. Das Niveau hat sich aber zunehmend von der deutschlandweiten Entwicklung abgekoppelt. In den Jahren seit 2012 lag das Niveau im stationären Kurbereich im Land nahezu konstant bei 6,6 Mill. Übernachtungen. Gemessen am Höchstwert von 10,2 Mill. im Jahr 1995 entspricht dies 65 % bzw. einem dauerhaften Übernachtungsrückgang um über ein Drittel. Eine Erklärung für die unterdurchschnittliche Entwicklung könnte darin liegen, dass das Kurwesen im »Bäderland« Baden-Württemberg traditionell einen relativ hohen Stellenwert hatte und es sich häufiger um ältere Einrichtungen handelte. Diese schienen dem Konkurrenzdruck gegenüber neueren Einrichtungen insbesondere in den östlichen Bundesländern nicht immer gewachsen zu sein.

Angesichts der zuletzt deutlich expansiven Übernachtungsentwicklung insgesamt hat der touristische Stellenwert der Vorsorge- und Reha-Kliniken in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg deutlich abgenommen. So sank der Anteil an den gesamten Übernachtungen von 1995 bis 2015 auf Bundesebene von 16 % auf 11 %. Im Südwesten hat sich der Anteil im gleichen Zeitraum von knapp 25 % auf zuletzt 13 % sogar nahezu halbiert und lag damit nur noch wenig über dem Bundeswert.

Starke Entwicklungsunterschiede auf Kreisebene

Abgesehen von den Besonderheiten im Kurwesen hat sich die touristische Entwicklung in Baden-Württemberg in den vergangenen 20 Jahren relativ gut in diejenige strukturell vergleichbarer Bundesländer einfügt. Die Sonderrolle der Stadtstaaten liefert jedoch einen Hinweis auf deutliche Entwicklungsunterschiede zwischen städtisch und ländlich geprägten Gebieten. Gleichwohl mögen die doch sehr ausgeprägten Entwicklungsdifferenzen innerhalb Baden-Württembergs auf Kreisebene überraschen.

Im Zeitraum von 1995 bis 2005 reichte die Spanne von einem Übernachtungsminus um 34 % im Landkreis Waldshut bis zu einem Übernachtungsplus von 61 % im Hohenlohekreis. 17 Kreise verzeichneten einen Rückgang. Darunter befand sich mit Baden-Baden ein einziger Stadtkreis, der als Besonderheit unter den Stadtkreisen das Prädikat eines Mineral- und Moorbads führt und über Vorsorge- und Reha-Kliniken verfügt. Auch unter den 16 Landkreisen mit einem Übernachtungsminus zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zur Entwicklung im Kurwesen, denn in der Hälfte dieser Kreise hatten die Vorsorge- und Reha-Kliniken 1995 einen überdurchschnittlichen Übernachtungsanteil. In lediglich drei Landkreisen mit einem jeweils relativ geringen Übernachtungsrückgang war diese Betriebsart nicht vertreten. Unter der Mehrheit von 27 Kreisen mit einem Übernachtungszuwachs 2005 gegenüber 1995 finden sich alle Stadtkreise mit Ausnahme Baden-Badens im oberen Bereich der Zuwachsraten. Deutlich aus dem Rahmen fällt dagegen der Hohenlohekreis, der seinen starken Zuwachs vor allem einem Zuwachs um mehrere Betriebe verdankt, die damals unter der aktuell nicht mehr geführten Kategorie Erholungs-, Ferien- und Schulungsheime erfasst wurden. Auf diese Ursache lassen sich auch die relativ starken Übernachtungszuwächse von 1995 bis 2005 im Zollernalbkreis sowie im Alb-Donau-Kreis zurückführen.

2015 verfehlten lediglich drei Landkreise ihr Übernachtungsergebnis von 2005 nur knapp, nämlich der Schwarzwald-Baar-Kreis sowie die beiden im Nordschwarzwald gelegenen Landkreise Freudenstadt und Calw. Bereits in den 10 Jahren zuvor hatten diese drei Kreise deutlich an Übernachtungen eingebüßt. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von Kureinrichtungen mitbestimmt, die sukzessive vom Markt verschwanden. Auch ansonsten finden sich die meisten Kreise mit deutlicheren Rückgängen von 1995 bis 2005 ebenso im Zeitraum 2005 bis 2015 in der Rangliste der Veränderungsraten im unteren Bereich. Auf der anderen Seite hat der Landkreis Esslingen 2015 sein Übernachtungsergebnis gegenüber 2005 nahezu verdoppelt. Dabei spielt ein kräftiger Kapazitätsausbau insbesondere im Umfeld des überwiegend im Kreis Esslingen gelegenen Stuttgarter Flughafens eine wesentliche Rolle. Auch der Landkreis Heidenheim verdankt seinen Übernachtungszuwachs um 56 % einer Kapazitätsausweitung vor allem im Hotelbereich. Trotz dieses Zuwachses war der Landkreis Heidenheim mit 224 000 Übernachtungen 2015 weiterhin der baden-württembergische Kreis mit dem geringsten Übernachtungsaufkommen. Auch im Zeitraum von 2005 bis 2015 verzeichneten alle Stadtkreise bis auf Pforzheim, diesmal aber einschließlich Baden-Baden, überdurchschnittliche Übernachtungszuwächse. Dass der Trend zum Städtetourismus auch auf benachbarte Gebiete ausstrahlen kann, belegen deutlich überdurchschnittliche Übernachtungszuwächse in den an Stadtkreise angrenzenden Landkreisen Ludwigsburg und Heilbronn sowie im Alb-Donau-Kreis.

1 Erfasst wurden ursprünglich Beherbergungsstätten ab neun Betten sowie Campingplätze (ohne Dauercamping) ab drei Stellplätzen. 2012 wurde die Abschneidegrenze auf zehn Betten bzw. Stellplätze erhöht. Die Auswirkungen dieser Änderung auf die Übernachtungen war jedoch so gering, dass die Darstellung einer durchgehenden Zeitreihe gerechtfertigt erscheint.

2 Neben weiteren Maßnahmen wurde die Regelkurdauer von 4 auf 3 Wochen reduziert.

3 In der Tourismusstatistik werden nur diejenigen Vorsorge- und Reha-Kliniken erfasst, deren Patienten in der Lage sind, die örtliche Infrastruktur in Anspruch zu nehmen. Aufgrund eines Wechsels der Wirtschaftszweig-Systematik sind ab 2009 Sucht-Kliniken nicht mehr berücksichtigt. Durch diesen methodisch bedingten Rückgang wird die generelle Tendenz jedoch nur geringfügig beeinflusst.