:: 6/2016

Die große Entscheidung: Bleibt das Vereinigte Königreich in der EU?

Das Vereinigte Königreich wird am 23. Juni 2016 in einem Referendum darüber abstimmen, ob es Mitglied in der Europäischen Union bleibt oder nicht. Über die Folgen eines Austritts, auch als »Brexit« bezeichnet, wird viel spekuliert. Der Ausgang des Referendums gilt als offen. Der britische Premierminister David Cameron wirbt für den Verbleib in der EU. Dazu wurde an alle Haushalte im Vereinigten Königreich eine Broschüre ausgegeben und online gestellt.1 Das Statistische Landesamt legt keine Szenarien über die möglichen Auswirkungen eines Brexit vor. Es kann aber unterschiedlichste Fragen beantworten. Zum Beispiel: Wie haben sich die Wirtschaftsbeziehungen Baden-Württembergs mit dem Vereinigten Königreich in den letzten Jahren entwickelt? So hat der Südwesten seine Exporte auf die britische Insel in den vergangenen Jahren deutlich stärker ausbauen können als das Vereinigte Königreich seine Exporte nach Baden-Württemberg. 2015 wurden Waren im Wert von 12,3 Mrd. Euro in das Vereinigte Königreich exportiert. 4,4 Mrd. Euro betrugen im Gegenzug die Importe von den Britischen Inseln nach Baden-Württemberg.

Amtliche Fakten und Informationen aus anderen Quellen zu den Beziehungen beider Länder hat Dr. Carmina Brenner im März 2016 auf einer Veranstaltung im Statistischen Landesamt vorgestellt. Wir veröffentlichen einen Auszug des Vortrages »Die Wirtschaftsbeziehungen von Baden-Württemberg, dem Vereinigten Königreich und Kanada«. Rund 80 Gäste und Mitglieder der Britischen Handelskammer in Deutschland sowie des Deutsch-Kanadischen Wirtschaftsclubs Stuttgart e.V. nutzen die Auswertungen aus der amtlichen Statistik, um sich aus erster Hand zu informieren.

… Ich möchte Ihnen heute aus erster Hand ausgewählte Fakten zu den Handelsbeziehungen zwischen Baden-Württemberg, dem Vereinigten Königreich und Kanada vorstellen. Dabei werde ich diese Beziehungen mit der Entwicklung der Weltexporte insgesamt vergleichen und die Global Player mit einbeziehen: die USA und China. Sie erhalten die Informationen aus erster Hand, weil das Statistische Landesamt den gesetzlichen Auftrag hat, rund 280 Statistiken zu erheben, aufzubereiten und zu veröffentlichen. Die Informationen zum Außenhandel mit allen Ländern der Welt bereiten wir zum Beispiel monatsaktuell auf. Auch die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erstellen die Statistischen Ämter der Länder und des Bundes für Deutschland. Diese sind international vergleichbar. Die amtliche Statistik hat den gesetzlichen Auftrag, dies neutral, objektiv und wissenschaftlich unabhängig durchzuführen.

USA: Unser wichtigstes Exportland

Zu den Fakten: Wichtigster Handelspartner Baden-Württembergs bei der Ausfuhr waren die USA. 25,9 Mrd. Euro betrug der Wert der Exporte aus Baden-Württemberg in die USA 2015. Erst mit deutlichem Abstand folgten Frankreich, China sowie die Schweiz. Für alle Länder, in die exportiert wurde, gilt: Exportschlager aus dem Südwesten waren Autos und Maschinen. Das Vereinigte Königreich war 2015 auf Platz 6 unserer wichtigsten Exportländer. 2015 legten die Ausfuhren auf die britische Insel mit einem Plus von 13 % auf 12,3 Mrd. Euro besonders stark zu. Mit Exporten im Wert von 14,5 Mrd. Euro war Frankreich 2015 weiterhin unser wichtigster Abnehmer von Produkten in Europa. Baden-Württemberg konnte 2015 insgesamt einen neuen Exportrekord verbuchen. Waren im Wert von 195 Mrd. Euro wurden exportiert. Das ist ein Plus von 7,8 % gegenüber dem Vorjahr.

Bei den Importen nach Baden-Württemberg zeigt sich ein anderes Bild. Von der Schweiz und den Niederlanden importierte Baden-Württemberg die meisten Waren, für die Niederlande ist hier allerdings der sogenannte Rotterdam-Effekt zu beachten. Das heißt, Waren, die über die EU-Außengrenze Rotterdam eingeführt werden, werden zolltechnisch den Niederlanden zugeschlagen. Zum Vergleich der wichtigsten Importeure: Italien auf Platz 4 unserer wichtigsten Importeure lieferte mit 11,5 Mrd. Euro rund dreimal mehr Waren nach Baden-Württemberg als das Vereinigte Königreich mit 4,4 Mrd. Euro. Der Jahresvergleich 2015 zeigt auch: Alle wichtigen Länder haben 2015 mehr nach Baden-Württemberg exportiert als 2014 – außer das Vereinigte Königreich und Kanada. Hier gingen die Exporte aktuell zurück. Das Minus betrug im Vereinigten Königreich über 10 %. Das ist deutlich, aber in einer Jahresstatistik nicht unüblich. Der langfristige Vergleich zeigt hier aber einen eindeutigen Trend in den Außenhandelsbeziehungen beider Länder: Seit 2010 legten die Exporte Baden-Württembergs in das Vereinigte Königreich jährlich deutlich zu. Gleichzeitig geht das Niveau der Exporte des Vereinigten Königreichs nach Baden-Württemberg zurück.

Um sich ein Bild von der Wirklichkeit machen zu können, sind immer zwei Darstellungen wichtig: Die Absolutzahlen und die Prozentzahlen. Die Größenverhältnisse des Vereinigten Königreichs und Baden-Württembergs zeigen:

  • Es ist siebenmal so groß wie Baden-Württemberg.
  • Es hat gut fünfmal mehr Erwerbspersonen.
  • Die Wirtschaftsleistung (BIP) ist gut fünfmal größer.

Welche waren die wichtigsten Waren, die von Baden-Württemberg in das Vereinigte Königreich exportiert werden? Allein 31 % der Exporte waren Kraftwagen und Kraftwagenteile. Maschinen folgten mit 16 %.

Das Vereinigte Königreich war bei seinen Exporten nach Baden-Württemberg dagegen mit deutlich mehr Einzel-Warengruppen beteiligt. Auch der Anteil der »Übrigen Waren« hatte hier mit 31 % ein großes Gewicht. »Chemische Erzeugnisse« waren mit 16 % die stärkste Warengruppe. Die Autoindustrie hatte nur einen Anteil von 10 % an den Exporten des Vereinigten Königreichs nach Baden-Württemberg.

Wir können heute sagen: Die Globalisierung hat nicht nur zu einer starken Expansion des internationalen Handels geführt, sondern auch zu einer Internationalisierung der Produktionsprozesse. Dies gilt insbesondere bei der Herstellung komplexer Produkte wie beispielsweise in der Pharmaindustrie. Hier spielen globale Wertschöpfungsketten eine immer größere Rolle.

Waren und Dienstleistungen

Zu beachten ist aber: Die Außenhandelsstatistik kann nur die Waren und deren Wert abbilden. Für Dienstleistungen, die exportiert werden, liegen keine amtlichen Statistiken vor. Dazu gehören nicht nur Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. So haben zum Beispiel Unternehmen Wartungsverträge für Maschinen und Anlagen im Ausland oder Architekten entwerfen und bauen Gebäude im Ausland. Nach Angaben der Welthandelsorganisation (WTO) soll der internationale Dienstleistungsverkehr rund ein Viertel des Warenverkehrs betragen.

Das Vereinigte Königreich hat bei den Dienstleistungen eine herausgehobene Position aufgrund des Finanz- und Dienstleistungszentrums London. Fakten zur Wertschöpfung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche können dazu auf verschiedenen Ebenen in Europa, aber auch weltweit verglichen werden. Der Anteil der Finanz- und Versicherungsdienstleister an der Bruttowertschöpfung 2014 betrug danach:

  • im Vereinigten Königreich insgesamt 8,4 %,
  • in der Region London 18,9 %,
  • in Deutschland insgesamt 4,1 %,
  • in Baden-Württemberg 3,7 %.

Was zeigt uns der langjährige Vergleich der Außenhandelsbeziehungen? Baden-Württemberg konnte seine Exporte in das Vereinigte Königreich von knapp 7 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 12,3 Mrd. Euro im Jahr 2015 steigern. Rasant ist die Entwicklung mit Blick auf China: Die Exporte hatten im Jahr 2000 noch einen Wert von 1,4 Mrd. Euro, 2015 waren es 14 Mrd. Euro. Im Gegenzug haben aber auch die Importe aus China nach Baden-Württemberg am stärksten von allen Ländern zugelegt. Im Jahr 2000 betrugen diese noch gut 1,8 Mrd. Euro. 2015 waren es 10,4 Mrd. Euro. Spitzenreiter bei den Importen nach Baden-Württemberg war die Schweiz mit 14,8 Mrd. Euro im Jahr 2015, gefolgt von den Niederlanden mit 13,1 Mrd. Euro und den Vereinigten Staaten von Amerika mit 12,9 Mrd. Euro. Italien, Frankreich und China belegten die Plätze 4 bis 6. Das Vereinigte Königreich lag auf Platz 12.

Weltexporte mehr als verdoppelt

Die Entwicklung der Weltexporte zeigt: Das Volumen hat sich zwischen 2000 und 2015 auf Eurobasis mehr als verdoppelt (119 %). Baden-Württemberg hatte im Jahr 2000 einen Anteil von 1,4 % an den Weltexporten. Im Jahr 2015 betrug dieser 1,3 % und ist damit nahezu konstant geblieben. Vom Volumen entspricht dies in etwa einer Verdopplung der Exporte in diesem Zeitraum. Das Vereinigte Königreich mit einem Plus von 34,6 % und Kanada mit einem Plus von 23,3 % konnten ihre Exporte von 2000 bis 2015 deutlich weniger steigern. Ihr Anteil an den Weltexporten ist 2015 auf 2,7 % und 2,4 % zurückgegangen. Die Ökonomen gehen davon aus, dass der Welthandel in Zukunft nicht mehr so stark wachsen wird wie in der Vergangenheit. Grund hierfür ist unter anderem die konjunkturelle Schwäche der Schwellenländer. Aber es gibt auch strukturelle Ursachen. So scheint die Intensivierung von Wertschöpfungsketten, die seit den 1990er-Jahren für sehr hohe Exportzuwächse gesorgt hat, sich nicht mehr in gleichem Tempo wie bisher fortzusetzen.

Die Bedeutung des Außenhandels

Baden-Württemberg hat nach China die höchste Industriequote. Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung der Wirtschaft beträgt rund 40 %. Daher profitiert bei einer guten weltweiten Konjunktur der Südwesten überproportional von der Nachfrage. Sollte es eine Rezession geben, wie zum Beispiel im Jahr 2009, dann hat dies aber auch besonders starke Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft. Damals ging die Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs insgesamt um 9 % zurück. Nur eine Kennzahl aus der Industrie in Baden-Württemberg zeigt, wie eng wir mit der Welt verbunden sind und welche Bedeutung die Industrieproduktion für die Wirtschaft im Südwesten hatte: Der Umsatz der Industrieunternehmen ging 2009 um gut 25 % gegenüber 2008 zurück. Produktion, Umsatz, Beschäftigte oder Auftragseingänge liefern uns die auskunftspflichtigen Industrieunternehmen über ein automatisiertes Verfahren jeden Monat. Wir erstellen dann dazu eine Monatsstatistik. Viele weitere Angaben zur Konjunktur im Land haben wir in einem Konjunkturspiegel auf unserer Homepage zusammengestellt. Dort ist auch angegeben, zu welchen Terminen neue Konjunkturangaben erscheinen.

Wer investiert wo?

Die Direktinvestitionen der baden-württembergischen Unternehmen im Ausland betrugen 2013 rund 185,6 Mrd. Euro. Im Gegenzug betrugen die Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Baden-Württemberg 36,2 Mrd. Euro. Den größten Anteil investierten Unternehmen aus dem Südwesten in den USA (36,8 %), auf Platz 2 folgte das Vereinigte Königreich mit 16,2 Mrd. Euro (Anteil: 8,8 %). Damit lagen die Investitionen von Unternehmen aus Baden-Württemberg mehr als dreimal so hoch wie die Investitionen von Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich in Baden-Württemberg. Sie betrugen 4,4 Mrd. Euro. Der Blick auf die Jahre 2003 bis 2013 zeigt: Das Volumen der Investitionen aus dem Vereinigten Königreich in Baden-Württemberg hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt, das von Unternehmen aus Baden-Württemberg in dem Vereinigten Königreich ist um gut 50 % gestiegen. Gemeinsame Spitzenreiter bei den ausländischen Unternehmen, die im Südwesten investieren, waren Unternehmen aus den Niederlanden (Anteil: 18,6 %), aus der Schweiz (Anteil: 18,5 %) und aus den USA (Anteil: 18,3 %). Es folgte das Vereinigte Königreich mit 12,4 %. Unternehmen aus den »kleinen« Niederlanden standen bei den Investitionen in Baden-Württemberg an erster Stelle, da die Niederlande wie auch Irland und Luxemburg besonders günstige steuerliche Konditionen für Unternehmen (Konzerne) gewähren. Ein Stichwort ist hier: »Double Irish with a Dutch sandwich«. Dabei werden zwei Gesellschaften in Irland gegründet, die ihre Zinsen, Patent- und Lizenzzahlungen über eine Holding in den Niederlanden laufen lassen, da diese Posten dort fast keiner Besteuerung unterworfen sind.

Entwicklung der Bevölkerung

Eine der wichtigsten Kennzahlen über ein Land ist die Bevölkerungszahl und ihre Veränderung im Vergleich zu anderen Ländern oder Regionen. Der Blick über den eigenen Tellerrand und die Vergleiche von längeren Zeiträumen können hier erstaunliche Unterschiede zeigen, die bei Jahresvergleichen weniger sichtbar werden. Beispielhaft haben wir die Einwohnerzahl von ausgewählten Ländern und die Entwicklung von 1995 bis 2014 nach Auskunft der jeweiligen nationalen Statistischen Ämter zusammengestellt. Die Gründe, warum eine Bevölkerungszahl zunimmt, abnimmt oder in etwa gleich bleibt, können dabei ganz unterschiedlich sein. Dies wäre wieder eine neue Präsentation von Fakten aus der amtlichen Statistik ….

1 www.gov.uk/government (Abruf: 12.05.2016).