:: 6/2016

Preisbereinigte Verdienstentwicklung

Reallöhne stiegen 2015 um 2,3 %

In den 25 Jahren seit der deutschen Vereinigung ist der Reallohnindex in Baden-Württemberg insgesamt nur um 7,8 % angestiegen. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die reale Lohnentwicklung jedoch günstiger entwickelt. Allein 2015 gab es ein reales Plus von 2,3 %. Hier wirkte sich die im vergangenen Jahr sehr niedrige Inflation von 0,2 % aus. Die Verdienste von Frauen haben sich seit 2007 stärker erhöht als die der Männer. Trotzdem bleibt der Verdienstunterschied weiterhin hoch, was vor allem auf unterschiedliche Verdienstniveaus in »Frauen-« und »Männerbranchen« zurückzuführen ist.

Mit der Novellierung des Verdienststatistikgesetzes 2007 wurden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um die Verdienste abhängig Beschäftigter in Deutschland für nahezu alle Wirtschaftszweige erheben zu können. Ausgenommen von der Erhebung sind nur Beschäftigte im Agrarbereich und Privathaushalten. Bis 2006 lag der Schwerpunkt der Verdienststatistik im Produzierenden Gewerbe. Dienstleistungen wurden bis dahin nur teilweise in die Erhebung einbezogen, da deren wirtschaftliche Bedeutung bei der ursprünglichen Konzeption der Statistik bei Weitem nicht so groß war wie heute. Die als »Laufende Verdiensterhebung für das Produzierende Gewerbe, Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe« bezeichnete Statistik wurde seit 1952 in vierteljährlichen Abständen für die Monate Januar, April, Juli und Oktober durchgeführt. Bis 2006 wurden die Verdienste jeweils für Arbeiter und Angestellte getrennt ermittelt. Seit 2007 ist diese Unterscheidung in Verdienststatistiken wie auch in den Tarifverträgen aufgegeben worden und die Verdienstentwicklung wird nur noch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermittelt.

Verdienstentwicklung seit der deutschen Vereinigung

Durch die notwenige Anpassung der Verdienststatistik an die wirtschaftliche Realität ist die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen vor 2007 nicht mehr uneingeschränkt möglich. Um trotzdem eine längere Entwicklung der Verdienste insgesamt darstellen zu können, wurde vom Statistischen Bundesamt die Veränderung des Nominallohnindex1 rückwirkend durch Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer auf der Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verlängert. Der Nominallohnindex ist als Kettenindex definiert, indem der jeweiligen Indexberechnung für 4 Quartale des aktuellen Jahres die Beschäftigungsstruktur des Vorjahres zugrunde gelegt wird. Im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden die Bruttolöhne und -gehälter ohne Unterscheidung nach Vollzeit-, Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten ermittelt. Ein getrennter Nachweis von Lohnsonderzahlungen2 wird für Zwecke der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ebenfalls nicht benötigt, sodass rückwirkend nur der Nominallohnindex mit Sonderzahlungen direkt aus den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelt werden kann. Seit 1990 ist der Nominallohnindex (mit Sonderzahlungen) bis heute (Stand: 2015) um knapp 67 % angestiegen. Wird dieser Wert um die Preissteigerung bereinigt, ergibt sich der reale Verdienstzuwachs, der bei rund 7,8 % liegt. Das entspricht einer durchschnittlichen Wachstumsrate in den letzten 25 Jahren von jährlich real 0,3 %. Betrachtet man die jährlichen Veränderungsraten des Reallohnindex, ist er im Laufe von 25 Jahren 13-mal gefallen und zwölfmal gestiegen. In den letzten Jahren hat sich diese Relation deutlich verbessert. Von 2010 bis heute gab es fünfmal Zuwächse des Reallohnindex und nur einen Rückgang im Jahre 2013. Im vergangenen Jahr stieg der Reallohnindex in Baden-Württemberg um 2,3 %. Dieser kräftige reale Verdienstzuwachs ist der Tatsache zu verdanken, dass im Jahre 2015 die Inflationsrate mit 0,2 % so niedrig war wie seit Jahren nicht mehr.

Frauen holen bei Verdiensten auf

Nach wie vor besteht ein Unterschied bei den Durchschnittsverdiensten von Männern und Frauen. Besonders in Baden-Württemberg ist dieser Unterschied auffällig hoch. Das ist jedoch nicht weiter überraschend, da Frauen stark überproportional in Branchen tätig sind, in denen schon immer relativ schlecht gezahlt wurde. Im Gegensatz dazu führt der hohe Anteil von männlichen Beschäftigten in den baden-württembergischen Vorzeigebranchen zu höheren Durchschnittsverdiensten. Neun von zehn Beschäftigten in der Kfz-Industrie sind Männer. Diese verdienten 2015 im Durchschnitt ohne Sonderzahlungen pro Monat als angelernte Arbeitnehmer gut 4 100 Euro3. Im Unterschied dazu sind 63 % der Beschäftigten im Gesundheitswesen Frauen. Dort verdienten die angelernten weiblichen Beschäftigten im Durchschnitt etwas weniger als 2 300 Euro pro Monat4. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Sonderzahlungen bei den weiblichen (angelernten) Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen durchschnittlich nur etwa ein Fünftel5 dessen betragen, was Männer in der Kfz-Industrie bei vergleichbarer Einstufung erhalten. Verdienstunterschiede bei gleicher Qualifikation zeigen nicht nur die Diskriminierung von Frauen, sondern vor allem auch die höchst unterschiedliche Bezahlung nach Branchen. Der »Gender Pay Gap«6 ist in Baden-Württemberg vor allen Dingen ein »Branchen Pay Gap«. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft Baden-Württembergs lag der Bruttostundenlohn vollzeitbeschäftigter Frauen (19,01 Euro) auch 2015 deutlich niedriger als der männlichen Beschäftigten (24,41 Euro). Allerdings zeigt die Entwicklung der Indexzahlen, dass die weiblichen gegenüber den männlichen Beschäftigten allmählich aufholen. Im Durchschnitt sind die Reallöhne von Frauen im Beobachtungszeitraum um 8,7 % bei Bruttomonats- und um 8,4 % bei Bruttostundenverdiensten angestiegen. Im Vergleich dazu waren die realen Zuwächse bei den männlichen Vollzeitbeschäftigten um 1,8 bzw. 1,7 Prozentpunkte geringer. Frauen haben demnach seit 2007 im Durchschnitt über alle Branchen hinweg einen um rund 25 % höheren Lohnzuwachs verglichen mit ihren männlichen Kollegen zu verzeichnen.

Reale Lohnentwicklung in einzelnen Branchen?

Mit der vierteljährlichen Verdiensterhebung stellt die amtliche Statistik laufend Daten zur Verfügung, die sowohl die Beschreibung der Verdienstentwicklung unterjährig als auch längerfristig nach Branchen ermöglicht. Für die laufende Berichterstattung werden Branchenindizes auf Abschnittsebene der Wirtschaftszweigsystematik7 bereitgestellt. Grundlage der Indexberechnungen sind durchschnittliche Bruttostunden- oder Bruttomonatsverdienste, die ebenfalls veröffentlicht werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick der verfügbaren Verdienstgrößen aus den Ergebnissen der Vierteljährlichen Verdiensterhebung am Beispiel vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese Zusammenstellung enthält eine Aufgliederung nach der Branchenzugehörigkeit entsprechend der Gliederung für die auch quartalsweise Kettenindizes berechnet werden.

Die höchsten durchschnittlichen Stundenlöhne für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land wurden in der vorliegenden Gliederungstiefe 2015 im Wirtschaftsabschnitt »Information und Kommunikation« bezahlt. An zweiter Position folgte der Bereich Energiewirtschaft. Am wenigsten wurde im Gastgewerbe verdient. Im Durchschnitt kam demzufolge eine vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin bzw. ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Gastgewerbe auf rund 44 % des mittleren Stundenverdienstes8 eines Vollzeitbeschäftigten im Wirtschaftsabschnitt »Information und Kommunikation«. Die Indexzahlen erlauben eine Aussage darüber, ob sich die Branchenverdienste in den vergangenen Jahren tendenziell ähnlich entwickelt haben, angeglichen haben oder eher auseinandergelaufen sind. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft sind die Bruttostundenverdienste ohne Sonderzahlungen um real 7 % angestiegen. Dabei reicht die Spanne von einem Plus von real 19 % im Wirtschaftsabschnitt »Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen« bis zum »Gastgewerbe« oder dem »Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen« mit einem Zuwachs von etwa 2,2 % bzw. 1,9 %. Von den vier Branchen, in denen durchschnittlich im vergangenen Jahr mehr als 26 Euro pro Stunde9 verdient wurde, hat sich nur die Finanzbranche überdurchschnittlich entwickelt. Zwei weitere Branchen haben ebenfalls einen deutlich überproportionalen Verdienstzuwachs seit 2007 zu verzeichnen. Das Baugewerbe sowie der Wirtschaftsabschnitt »Gesundheits- und Sozialwesen« haben mit einem Plus von 13,6 % bzw. 11,8 % seit 2007 preisbereinigt deutlich stärker zugelegt als die Wirtschaft insgesamt. Trotzdem blieb die Verdienstsituation gemessen am Bruttostundenverdienst in diesen Wirtschaftszweigabschnitten unterhalb des Landesdurchschnittes.

Unterschiede nach Leistungsgruppen

Eine grobe Einteilung der abhängig Beschäftigten nach der Qualifikation lässt sich über die Leistungsgruppendefinitionen vornehmen. Insgesamt werden fünf Leistungsgruppen unterschieden. Die Leistungsgruppe 1 bilden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis. Diese Gruppe wird von Personen gebildet, die in der Regel über eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügen. Im Berichtsjahr 2015 lag der durchschnittliche Verdienst dieses Personenkreises bei über 40 Euro pro Stunde10. Seit 2007 sind die Bruttostundenverdienste ohne Sonderzahlungen um rund 21 % angestiegen. Wenn die jährliche Preissteigerungsrate herausgerechnet wird, verbleibt in der Leistungsgruppe 1 ein realer Zuwachs von 9 % von 2007 bis 2015.

Zur Leistungsgruppe 2 zählen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit sehr schwierigen bis komplexen oder vielgestaltigen Tätigkeiten, für die in der Regel nicht nur eine abgeschlossene Berufsausbildung, sondern darüber hinaus mehrjährige Berufserfahrung und spezielle Fachkenntnisse erforderlich sind, betraut sind. Die Verdienstentwicklung für diese Personengruppe unterscheidet sich nur wenig von der in der Leistungsgruppe 1 (realer Zuwachs + 8,3 %), wobei das Verdienstniveau mit rund 27 Euro pro Stunde deutlich niedrigerlag.

Der reale Verdienstzuwachs in den übrigen Leistungsgruppen 3 bis 5 war im Vergleich dazu deutlich niedriger. Beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung (Leistungsgruppe 3) und Angelernte (Leistungsgruppe 4) hatten durchschnittlich 5,8 % bzw. 5,6 % real mehr als 2007. Pro Stunde verdienten die diesen Leistungsgruppen zugeordneten Personen 19,47 bzw. 16,02 Euro. Der durchschnittliche Verdienst einer ungelernten Arbeitnehmerin bzw. eines ungelernten Arbeitnehmers (Leistungsgruppe 5) betrug im vergangenen Jahr annähernd 14 Euro pro Stunde. Für Beschäftigte der untersten Leistungsgruppe ergab sich mit 6,8 % ein höherer Anstieg als bei den Leistungsgruppen 2 und 3. Die etwas günstigere Entwicklung in der Leistungsgruppe 5 könnte durch die Einführung des Mindestlohnes zumindest teilweise erklärbar sein.

Verdienstindizes in unterschiedlicher Gliederung verfügbar

Ab dem Berichtsjahr 2007 kann die Verdienstentwicklung nahezu für die gesamte Wirtschaft mithilfe der Vierteljährlichen Verdiensterhebung beschrieben werden. Hierzu berechnen die Statistischen Ämter quartalsweise Verdienstindizes in unterschiedlicher Gliederung und für verschiedene Verdienstgrößen11. Unterschiede zwischen diesen Größen ergeben sich dadurch, dass Monatsverdienste nicht nur von den Stundenverdiensten, sondern auch von den gearbeiteten Stunden abhängen. Im Krisenjahr 2009 wird dies deutlich. Während der Index der Bruttostundenverdienste die Krise nicht anzeigt, ist dies beim Lohnindex von Monatsverdiensten durchaus der Fall. Die Kurzarbeit, die zwar die realen Auswirkungen der Bankenkrise durch die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit für viele Beschäftigte abmilderte, führte zu deutlich sinkenden Monatsverdiensten, sodass der Lohnindex für Bruttomonatsverdienste 2009 rückläufig war. Der Reallohnindex sank damals in Baden-Württemberg um 1,7 %. Diese nominalen Verdienstindizes können um die Preissteigerung bereinigt werden, sodass auch die reale Lohnentwicklung dargestellt werden kann. Seit 2007 sind die Löhne preisbereinigt zwischen 7 % und 8 % je nach Verdienstgröße angestiegen. Dieser Zuwachs beruht zur Hälfte etwa auf der Entwicklung der beiden vergangenen Jahre. Ohne die äußerst moderate Preisentwicklung insbesondere im Jahre 2015 wäre dies nicht möglich gewesen.12

1 Laspeyres-Kettenindex des Bruttomonatsverdienstes mit Sonderzahlungen.

2 Urlaubs-, Weihnachtsgeld, Leistungsprämien etc.

3 Vollzeitbeschäftigte.

4 Vollzeitbeschäftigte.

5 Vollzeitbeschäftigte.

6 Diese Kennzahl beschreibt, um wie viel Frauen im Durchschnitt prozentual weniger verdienen als Männer.

7 Klassifikation der Wirtschaftszweige, Statistisches Bundesamt, 2008.

8 Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen.

9 Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen.

10 Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen.

11 Bruttomonats- und Bruttostundenverdienste mit und ohne Sonderzahlungen.

12 Interessierte finden auf der Homepage des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg (www.statistik-bw.de) laufend aktuelle Zahlen, welche die Verdienstentwicklung in Baden-Württemberg beschreiben.