:: 8/2016

Warum leben Frauen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald am längsten?

Zu möglichen Ursachen für die regional unterschiedliche Lebenserwartung in Baden-Württemberg

Die Frauen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald weisen nach den aktuellen Sterbetafelberechnungen landesweit die höchste Lebenserwartung auf. Dieser Landkreis liegt auch mit der Lebenserwartung der Männer auf einer Spitzenposition, allerdings noch übertroffen vom Landkreis Böblingen, vom Enz- und vom Bodenseekreis sowie vom Stadtkreis Heidelberg.

Im folgenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, worauf diese regionalen Unter­schiede in der Lebenserwartung zurückgeführt werden können. Zuvor wird aber der Fokus noch auf die Entwicklung der Lebens­erwartung im Land insgesamt gerichtet.

Blick zurück: Um 1880 betrug die Lebenserwartung nur rund 35 Jahre

Über ein Vortragsthema oder einen Artikel mit dem Titel »die alternde Gesellschaft« hätten die Menschen noch am Ende des 19. Jahrhunderts sicherlich nur verständnislos den Kopf geschüttelt. Damals lag das Durchschnittsalter der Bevölkerung im heutigen Baden-Württemberg bei lediglich knapp 28 Jahren, heute sind es dagegen gut 43 Jahre. Ursächlich für diese junge Bevölkerung vor rund 125 Jahren war zum einen die damalig noch sehr hohe Geburtenrate. Eine Frau brachte damals in Deutschland im Schnitt etwa fünf Kinder zur Welt. Zum anderen war die Lebenserwartung vor allem aufgrund der zu dieser Zeit noch extrem hohen Säuglingssterblichkeit sehr gering. Die Lebenserwartung der Frauen betrug beispielsweise im Königreich Württemberg in den Jahren 1876 bis 1880 lediglich knapp 37 Jahre, die der Männer sogar nur rund 34 Jahre.

In den folgenden Jahrzehnten stieg dann aber die Lebenserwartung stetig an. Zum einen ging gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Kindersterblichkeit deutlich zurück. Zum anderen sank in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann auch die Sterblichkeit im mittleren Lebensalter, weil die Lebens- und Arbeitsbedingungen besser wurden und die großen Infektionskrankheiten immer wirksamer bekämpft werden konnten. Zudem konnte die Sterblichkeit im höheren Lebensalter, allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg, durch die Fortschritte der Altersmedizin und die verbesserte finanzielle Versorgung der älteren Menschen entscheidend reduziert werden.1

Die Lebenserwartung der baden-württembergischen Männer bzw. Frauen hatte sich so bis zur Gründung des Südweststaates im Jahr 1952 auf 65 Jahre bei den Männern und knapp 69 Jahre bei den Frauen erhöht. Seither ist sie nochmals um rund 15 Jahre angestiegen, sodass heute ein neugeborener Junge in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 79,4 Jahren und ein neugeborenes Mädchen sogar auf 83,9 Jahre hoffen kann. Dies geht aus den jüngsten Sterbetafelberechnungen des Statisti­schen Landesamtes Baden-Württemberg für den Zeitraum 2012 bis 2014 hervor (i-Punkt »Wie wird die Lebenserwartung ermittelt?«).2 Verglichen mit den Verhältnissen zu Beginn der 1970er-Jahre liegt die Lebenserwartung Neugeborener nun um gut 9 Jahre bei den Frauen bzw. um knapp 11 Jahre bei den Männern höher. Seinerzeit betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt 68,5 Jahre für Jungen und 74,5 Jahre für Mädchen.

Sterblichkeit ist in allen Altersgruppen gesunken

Die Sterblichkeit ist in den vergangenen Jahrzehnten in allen Altersgruppen zurückgegangen. Besonders stark war der Rückgang im Säuglingsalter sowie im Alter bis unter 10 Jahre – seit Anfang der 1970er-Jahre um über 80 %. Aber auch in den meisten anderen Altersgruppen ist die Sterberate in diesem Zeitraum um mehr als die Hälfte zurückgegangen.

Heute sterben drei von 1 000 Neugeborenen im 1. Lebensjahr, 1970/72 waren es dagegen noch etwa 20 von 1 000. 1952 – dem Gründungsjahr des Bundeslandes Baden-Württemberg – lag die Säuglingssterblichkeit bei 44 Fällen auf 1 000 Lebendgeborene, und am Anfang des 20. Jahrhunderts starb sogar noch jedes fünfte Kind vor Vollendung seines 1. Lebensjahres.

Trotz der in den letzten Jahrzehnten enorm gesunkenen Säuglingssterblichkeit liegt heute die Wahrscheinlichkeit, im 1. Lebensjahr zu sterben, mehr als 40-mal so hoch wie die Sterbewahrscheinlichkeit für ein Kind im Grundschulalter. Das Sterberisiko eines Säuglings wird erst wieder im Altersbereich der Anfang 50-Jährigen erreicht. Die geringste Sterblichkeit haben die 4- bis 13-jährigen Mädchen und Jungen; in dieser Altersgruppe stirbt nicht einmal jedes 10 000. Kind.

Aufgrund der stetig sinkenden Sterblichkeit wachsen immer mehr Menschen in ein hohes Alter hinein. So können unter den aktuellen Sterblichkeitsverhältnissen immerhin 87 % der neugeborenen Jungen und sogar 93 % der neugeborenen Mädchen ihren 65. Geburtstag erleben; 1970/72 lagen diese Anteile noch bei 71 % bzw. 83 %. Die Aussicht, das Hochbetagtenalter zu erreichen, also 85 Jahre alt zu werden, haben immerhin 40 % der Männer und sogar 58 % der Frauen. 1970/72 waren es erst 12 % bzw. 23 %.

Die Gründe für die seit Jahrzehnten steigende Lebenserwartung sind vielfältig. Neben der bereits genannten stark gesunkenen Säuglings- und Kindersterblichkeit hat die Sterblichkeit auch im höheren Alter vor allem auch aufgrund der verbesserten gesundheitlichen Vorsorge und der medizinischen Versorgungssituation beträchtlich abgenommen.

Frauen leben im Schnitt deutlich länger als Männer

Frauen in Baden-Württemberg haben im Schnitt eine um 4,5 Jahre höhere Lebenserwartung als Männer. Diese höhere Lebenserwartung ist wohl nur zu einem kleineren Teil biologisch bedingt.3 Ganz überwiegend dürfte sie auf unterschiedliche Verhaltensweisen zurückzuführen sein. Frauen ernähren sich im Schnitt gesünder, sie setzen sich im Alltag weniger Gefahren aus, verüben deutlich seltener Suizid und nehmen häufiger Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen in Anspruch.

Allerdings hat sich der Unterschied in der Lebens­erwartung zwischen Frauen und Männern in den letzten Jahrzehnten etwas reduziert. So lebten Frauen Anfang der 1970er-Jahre im Schnitt nicht »nur« 4,5 sondern sogar noch 6 Jahre länger als Männer. Zu vermuten ist, dass diese Verringerung auf eine Angleichung der Lebensstile zurückzuführen ist. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen, außerdem hat ihr Tabak- und Alkoholkonsum zumindest vorübergehend zugenommen.

Höchste Lebenserwartung in den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald und Böblingen

Die Lebenserwartung der Bevölkerung ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten in allen baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen angestiegen. Im vergangenen Vierteljahrhundert war der Anstieg bei den Frauen in der Stadt Karlsruhe und im Landkreis Biberach mit knapp 5 Jahren am stärksten; bei den Männern lag das Plus gegenüber den Jahren 1987 bis 1989 in Heidelberg mit + 7 Jahren am höchsten.4

Heute weisen die Frauen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald nach den aktuellen Sterbetafelberechnungen landesweit die höchste Lebenserwartung auf, gefolgt vom Bodenseekreis sowie dem Landkreis Tübingen und dem Stadtkreis Heidelberg. Am geringsten ist die Lebenserwartung sowohl der Frauen als auch der Männer im Stadtkreis Mannheim. Am längsten leben Männer derzeit im Landkreis Böblingen, gefolgt von denjenigen im Stadtkreis Heidelberg sowie im Enz- und im Bodenseekreis.

Die Spannweite zwischen dem Kreis mit der höchsten und dem mit der niedrigsten Lebenserwartung beträgt bei den Frauen immerhin 2,5 Jahre, bei den Männern sogar 3,3 Jahre. Als Erklärung für diese regionalen Unterschiede kommen nach verschiedensten Untersuchungen in erster Linie Faktoren in Frage, die insbesondere mit der Höhe des Einkommens, des Bildungsstandes und dem sozialen Status zusammenhängen.5 So weisen Gebiete, in denen die Bevölkerung im Durchschnitt höhere Einkommenspositionen verzeichnet, eine höhere Lebenserwartung auf als einkommensschwächere Gebiete. Es ist zu vermuten, dass sich eine bessere Einkommenssituation und soziale Lage günstig auf die Lebensweise und Lebensumstände auswirken. Dazu gehören ein größeres Gesundheitsbewusstsein, ein leichterer Zugang zu gesundheitlicher Versorgung sowie das Ernährungsverhalten. Für Baden-Württemberg wurden diese Zusammenhänge in einer Untersuchung von Hans-Martin von Gaudecker zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts bestätigt.5

Die Ursachen der regionalen Unterschiede …

Bei der Berechnung der Lebenserwartung in den Stadt- und Landkreisen werden die Verstorbenen sowie die zur Ermittlung der Sterberaten ebenfalls erforderliche Bevölkerung nach Altersjahren und Geschlecht jeweils an ihrem letzten Wohnort gezählt. Seit der Untersuchung durch von Gaudecker aus dem Jahr 2003 hat sich aber die Zusammensetzung der Bevölkerung in Baden-Württemberg sowie in seinen Stadt- und Landkreisen erheblich verändert. Rund 1,2 Mill. Kinder wurden seither geboren und knapp 1,3 Mill. Menschen sind verstorben. Vor allem war aber das seitherige Wanderungsgeschehen beachtlich. Es gab seither über 12 Mill. Umzüge von einer Gemeinde in eine andere des Landes oder über die Landesgrenze hinweg. Damit ist rein rechnerisch jeder Einwohner des Landes (mindestens) einmal in eine andere Kommune umgezogen.

Ziel dieser Analyse war deshalb herauszufinden, ob auch heute noch ein Zusammenhang zwischen den regionalen Sterblichkeitsunterschieden und potentiellen Bestimmungsfaktoren für diese Divergenzen festgestellt werden kann. Hierzu wurde auf die sogenannte Korrelationsanalyse zurückgegriffen (i-Punkt »Was sagen Korrelationskoeffizienten aus?«), wobei kreisbezogene Daten zu möglichen Einflussgrößen unter anderem aus den Bereichen »Bildung«, »Einkommensniveau«, »Arbeitsmarkt«, »Soziales«, »Gesundheitsinfrastruktur« und »Umweltverhältnisse« analysiert wurden. Diese potentiell erklärenden Daten sollten zeitlich möglichst vor dem Zeitraum 2012 bis 2014, also den Jahren, für die die Lebenserwartung berechnet wurde, liegen, weil nur dann Kausalitäten vorliegen können.6

… lassen sich heute nur noch bedingt belegen

Die Korrelationsberechnungen erbrachten unter anderem folgende Ergebnisse:

Es gibt – wie bereits von Gaudecker feststellte – praktisch keinen Zusammenhang zwischen der regionalen Lebenserwartung einerseits und der Gesundheitsinfrastruktur sowie der Luftqualität7 andererseits.

Auch die unterschiedlichen Anteile der Gestorbenen nach ausgewählten Todesursachengruppen korrelieren kaum mit der Lebenserwartung.

Am höchsten sind die positiven Zusammenhänge zwischen der Lebenserwartung einerseits und dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten bzw. der Höhe des verfügbaren Einkommens andererseits, wobei die Korrelation bei den Männern stärker als bei den Frauen ist.

Etwas schwächer, aber immer noch nennenswert (positiv) korreliert sind die Lebenserwartung und der Anteil der Übergänge von Grundschulen auf Gymnasien.

Die stärksten negativen Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Lebenserwartung einerseits und der Höhe der Arbeitslosenquote bzw. dem Anteil der Personen bzw. der Haushalte, die Sozialtransfers erhalten, andererseits.

Die höchsten festgestellten Werte für die Korrelationskoeffizienten liegen um +/– 0,5. Bedeuten diese nun einen hohen oder doch nur schwachen Zusammenhang? Hierzu sind die Einschätzungen in der Literatur uneinheitlich. Ganz überwiegend werden aber Werte um +/– 0,5 als »eher geringe«, allenfalls als »mittlere« Korrelation eingestuft. Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb die Korrelationen nicht höher sind, wo doch mehrere Untersuchungen (siehe oben) einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung einerseits und dem Einkommens- und Bildungsniveau andererseits festgestellt haben. Hierfür kommen folgende Erklärungsansätze in Frage:

Möglicherweise spielen Zufallseinflüsse eine nicht unerheblich Rolle: Zwar werden Sterbetafelberechnungen in der Regel für einen 3-jährigen Zeitraum durchgeführt. Dennoch könnte diese Dauer gerade auch für Kreise mit relativ wenigen Einwohnern und damit verhältnismäßig wenigen Sterbefällen zu kurz sein.8 Aber auch dann, wenn bei den Sterbetafelberechnungen ein doppelt so langer Zeitraum zugrunde gelegt würde (statt 2012 bis 2014 nun 2009 bis 2014), ergäben sich nur für einen Teil der Korrelationskoeffizienten zwar höhere, jedoch nicht entscheidend höhere Werte.

Ebenfalls etwas günstigere Werte zeigen sich, wenn nicht auf die Lebenserwartung der Neugeborenen, sondern auf die der 65-Jährigen abgestellt wird. Bis zum Alter von unter 65 Jahren sterben nämlich relativ wenige Menschen, sodass hier mögliche Zufallseinflüsse besonders groß sein könnten.

Alles in allem dürften damit die ermittelten relativ geringen Korrelationen nur teilweise auf Zufallseinflüsse zurückzuführen sein.

Es könnte sein, dass sich eindeutige(re) Ursachen auch deshalb nicht feststellen lassen, weil – wie bereits angemerkt – die Umzugshäufigkeit der Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten sehr hoch war. Etwa jeder zehnte Einwohner zog bzw. zieht pro Jahr in eine andere Gemeinde um. Bei Sterbetafelberechnungen werden Sterbefälle am letzten Wohnort gezählt, obwohl die Verstorbenen dort oftmals nur eine kurze Zeit gelebt haben. Damit ist aber die Modellierung der Kausalität zwischen Lebenserwartung und möglichen Bestimmungsfaktoren ausgesprochen schwierig, weil das Todesalter Einflüsse im gesamten Leben und damit zurück bis in die Kindheit reflektiert.9

Besonders deutlich wird dieses Problem dann, wenn Menschen pflegebedürftig werden und diese deshalb in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung außerhalb ihres bisherigen Heimatkreises ziehen (müssen). Weil es in den einzelnen Stadt- und Landkreisen – bezogen auf die jeweilige Einwohnerzahl – unterschiedlich viele Plätze in Pflegeheimen gibt, könnte sich dies auch bei der Ermittlung der Lebenserwartung auswirken. Tatsächlich lässt sich ein negativer Zusammenhang feststellen. Dort, wo es überdurchschnittlich viele vollstationär untergebrachte Pflegebedürftige gibt, ist die Lebenserwartung tendenziell geringer.

Schließlich könnte auch eine Rolle spielen, dass Baden-Württemberg zwischenzeitlich ein – bezüglich Einkommen und Bildung – so hohes Niveau erreicht hat, dass sich mög­licherweise die diesbezüglichen regionalen Unterschiede nicht mehr eindeutig in der Lebens­erwartung niederschlagen.

Auch wenn damit ein Zusammenhang zwischen einzelnen Indikatoren und den regionalen Sterblichkeitsunterschieden nur noch bedingt fest­zustellen ist, sind entsprechende Kausalitäten bei einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Indikatoren durchaus belegbar. So ist beispielsweise die Lebenserwartung der Frauen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald wohl deshalb am höchsten, weil – mit einer Ausnahme10 – alle Werte für die untersuchten und in der Tabelle aufgeführten Indikatoren überdurchschnittlich günstig sind. Das heißt, bei denjenigen Indikatoren, die mit der Lebenserwartung positiv korreliert sind, sind die Werte überdurchschnittlich, bei einer negativen Korrelation liegen sie unter dem Landesdurchschnitt. Besonders gut schneidet der Landkreis bei den Schulabgängern mit Abitur ab. Der Breisgau-Hochschwarzwald verfügt von den 35 Landkreisen nach dem Landkreis Tübingen über den zweithöchsten Anteil.

Dagegen sind die Werte für Mannheim, dem Kreis mit der sowohl bei den Frauen als auch Männern niedrigsten Lebenserwartung, vor allem im Vergleich zu den anderen acht Stadtkreisen überwiegend ungünstig. Insbesondere ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in der »Quadratestadt« landesweit am geringsten und die Arbeitslosenquote – nach Pforzheim – am zweithöchsten.

Ausblick: Lebenserwartung wird wahrscheinlich weiter ansteigen

Mit welcher künftigen Entwicklung ist bei der Lebenserwartung in Baden-Württemberg zu rechnen? In der aktuellen Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes wurde für Baden-Württemberg unterstellt, dass die Lebenserwartung auch künftig – etwa durch medizinischen Fortschritte – weiter ansteigen wird. Konkret wurde bis zum Jahr 2060 ein Anstieg um knapp 7 Jahre bei den Männern und annähernd 6 Jahre bei den Frauen angenommen.11 Diese Annahme impliziert allerdings, dass sich der künftige Anstieg bei der Lebenserwartung im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten abschwächen wird.

Wie sich hierbei die Lebenserwartung in den einzelnen Teilräumen des Landes entwickeln wird, ist noch schwieriger abzuschätzen. Konkret: Ist zu erwarten, dass es zu einer regionalen Angleichung der Lebenserwartung kommen wird oder wird sich diese künftig stärker auseinanderentwickeln? Für eine Angleichung spricht, dass sich die Unterschiede in den regionalen Lebensverhältnissen und damit auch die Lebenserwartung aufgrund des enormen Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung verringern könnten. Allerdings war dies in der Vergangenheit kaum zu beobachten. Weder hat sich die Spannweite, also der regionale Unterschied zwischen höchster und geringster Lebenserwartung – entscheidend verringert, noch haben die durchgeführten Korrelationsberechnungen einen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Zuwanderung ergeben.12

Grundsätzlich könnten Wanderungen aber auch selektiv wirken. Zum einen wäre dies dann gegeben, wenn die Zuwandernden im Schnitt überdurchschnittlich ausgebildet sind und damit tendenziell eine höhere Lebenserwartung haben. Zum anderen setzt dies voraus, dass als Ziel der Zuwanderung häufig Regionen mit einem attraktiven Arbeitsplatzangebot gewählt werden. Tatsächlich haben Zielgebiete inter- oder intraregionaler Wanderungen nach Untersuchungen von Luy und Caselli in der Regel eine geringere Sterblichkeit als Abwanderungsgebiete.13 Damit spricht einiges dafür, dass die regionalen Unterschiede in der Lebenserwartung künftig wieder größer werden könnten.14

1 Hradil, Stefan: Deutsche Verhältnisse – eine Sozialkunde; Historischer Rückblick: Lebenserwartung und Sterblichkeit, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), 2012.

2 Der Autor dankt Herrn Sascha Binder, der die regionalisierten Sterbetafelberechnungen durchgeführt hat.

3 Luy, Marc: Warum Frauen länger leben – Erkenntnisse aus einem Vergleich von Kloster- und Allgemeinbevölkerung, in: Materialien zur Bevölkerungswissenschaft des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Heft 106, 2002.

4 Für die Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs wurden für den Zeitraum 1987 bis 1989 erstmals Berechnungen zur Lebenserwartung der Bevölkerung durchgeführt; vergleiche Wolf, Rainer: Der Einfluss verschiedener Todesursachen auf die Lebenserwartung in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs 1987/89, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, 6/1992, S. 256.

5 Vergleiche beispiels­weise Luy, Marc: Differentielle Sterblichkeit: die ungleiche Verteilung der Lebenserwartung in Deutschland, Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels – Diskussionspapier Nr. 6, 2006, S. 11 ff.; Lampert, Thomas/Kroll, Lars Eric.: Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung, in: GBE Kompakt, Robert Koch Institut (Hrsg.), 2/2014, S. 2 ff.; Doblhammer, Gabriele und andere: Lebenserwartung in Deutschland: Trends, Pro­gnose, Risikofaktoren und der Einfluss ausgewählter Medizininnovationen, Abschlussbricht, Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels (Hrsg.), 2008, S. 118 ff.; Kroh, Martin und andere: Menschen mit hohen Einkommen leben länger, in: DIW Wochenbericht, Nr. 38. 2012, S. 6 ff.

6 von Gaudecker, Hans-Martin: »Lebenserwartung in den Kreisen: bis zu drei Jahre Unterschied«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004«, S. 3 ff.

7 Es wurden deshalb über­wiegend Ergebnisse des Jahres 2011 für die potentiellen Bestimmungsfaktoren zugrunde gelegt. Der Rückgriff auf Daten nur für dieses eine Jahr impliziert aller­dings eine Konstanz der regionalen Strukturverhältnisse.

8 Hierzu wurde der sogenannte Langzeit-Luftqualitätsindex (LaQx) der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg für die Jahre 2001 bis 2014 herangezogen, der ein Indikator zur Charakterisierung der durchschnittlichen Luftqualität eines Jahres ist. Er fasst die fünf dafür wesentlichen Komponenten, Stickstoffdioxid NO2, Feinstaub PM10, Ozon O3, Schwefeldioxid SO2 und Benzol zusammen und berücksichtigt deren gesundheitliche Wirkungen. Landesweit gibt es derzeit 43 entsprechende Messstellen, die den jeweiligen Kreisen zugeordnet wurden. In denjenigen Fällen, in denen es mehrere Messstellen in einem Kreis gibt, wurden die Werte gemittelt. Kreise ohne Messstellen blieben bei der Berechnung der Korrelationskoeffizienten außerhalb der Betrachtung.

9 Eine Analyse für Gebiete mit einer höheren Einwohnerzahl, nämlich für die zwölf Regionen des Landes, erschien dennoch nicht opportun, weil diese gerade auch im Hinblick auf die Sterblichkeitsverhältnisse zum Teil sehr heterogen sind.

10 Reil-Held, Annette: Einkommen und Sterblichkeit in Deutschland: Leben Reiche länger?, Universität Mannheim, April 2000, S. 6.

11 Der Anteil der sozial­versicherungspflichtig Beschäftigten mit Fach- bzw. Hochschulabschluss liegt geringfügig unter dem Landesdurchschnitt.

12 Hochstetter, Bernhard/Brachat-Schwarz, Werner: »Schwierige Rahmenbedingung für die neue Bevölkerungsvorausrechnung«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2016«, S. 11 ff.

13 Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass das regionale Wanderungsgeschehen in den vergangenen Jahrzehnten gegenläufig war und sich deshalb mögliche Effekte neutralisiert haben. Bis etwa zum Jahr 2000 war Baden-Württemberg durch Suburbanisierungsprozesse geprägt; seither ist dagegen ein deutlicher »Trend in die Städte« zu beobachten.

14 Luy, Marc/ Caselli, Graziella: Regional Mortality Differences in Germany and Italy. Paper presented at the Annual Meeting of the Population Association of America (PAA), Boston, 2004, 1. – 3.4.2004, zitiert aus: Mai, Ralf: Regionale Sterblichkeitsunterschiede, in: Lebenserwartung und Mortalität, herausgegeben von Rembrandt Scholz und Jürgen Flöthmann vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Heft 111, 2004, S. 54.

15 So lange der Flüchtlingszustrom relativ hoch ist, könnten diese Effekte allerdings etwas über­lagert bzw. abgeschwächt werden.