:: 11/2016

Zum Tag der Menschen mit Behinderung: Schwerbehinderte Menschen in Baden-Württemberg 2015

Am 3. Dezember wird jährlich der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung begangen. Er wird von den Vereinten Nationen ausgerufen und soll das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderung wachhalten.1 Nicht zuletzt dies ist der Anlass, in diesem Statistischen Monatsheft einerseits einen Blick auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu werfen und andererseits die neuesten Ergebnisse der Statistik der schwerbehinderten Menschen vorzustellen.

UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung in Deutschland

Am 3. Mai 2008 ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft getreten. Zweck dieses universellen Vertragsinstrumentes ist es, »den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.«2 Berücksichtigung finden dabei bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Inklusion ist dabei die durchgängige Haltung und das zentrale Handlungsprinzip. Menschen mit und ohne Behinderungen sollen von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt und zusammen leben.

Die unterzeichnenden Staaten3 verpflichten sich, die Regelungen der Konvention einzuhalten bzw. umzusetzen und die dazu notwendigen und geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zu treffen. In Deutschland erfolgte die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Bundesebene im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, in dem die Bundesregierung die Herausforderungen und Vorhaben des Bundes beschreibt. Als wichtige Handlungsfelder identifiziert werden dabei unter anderem Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Bauen und Wohnen, Mobilität, Kultur und Freizeit sowie gesellschaftliche und politische Teilhabe. Konkrete Maßnahmen werden vor allem im geplanten Bundesteilhabegesetz umgesetzt.

Die Bundesregierung will sich darüber hinaus grundsätzlich dafür einsetzen, dass die besonderen Belange und Bedürfnisse behinderter Menschen von Anfang an bei allen politischen Vorhaben und Gesetzesinitiativen verstärkt beachtet werden und sie wirbt bei Ländern und Kommunen dafür, eigene Aktionspläne zu erstellen sowie Anlaufstellen zur Vernetzung einzurichten.4

In Baden-Württemberg wurde von der Landesregierung in Kooperation mit den Verbänden der Betroffenen, den Wohlfahrtsverbänden sowie den Kommunen ein eigener Umsetzungsplan für Baden-Württemberg erarbeitet, der unter anderem Schwerpunkte setzt für die Bereiche Bildung, Verbesserung der ambulanten, stationären und psychiatrischen Versorgung, Barrierefreiheit, Kultur, Freizeit, Sport sowie gesellschaftliche und politische Teilhabe.5

Ein realistisches, auf verlässlichen Zahlen fußendes Bild von Menschen mit Behinderungen ist eine wesentliche Voraussetzung zur Verwirklichung des Inklusionsgedankens auf Bundes- und Landesebene. Die Daten der amtlichen Statistik der schwerbehinderten Menschen können hierzu einen Teil beitragen.

Schwerbehinderte Menschen in Baden-Württemberg 2015 im Überblick

Als schwerbehindert gelten im Rahmen der Statistik Personen, denen von den Versorgungsämtern ein Grad der Behinderung von 50 und mehr zuerkannt worden ist und die einen gültigen Schwerbehindertenausweis besitzen. Zum Jahresende 2015 galten 929 877 Menschen in Baden-Württemberg, das sind 8,5 % der Gesamtbevölkerung, als schwerbehindert. Ihre Zahl ist gegenüber der letzten Erhebung im Jahr 2013 um 51 661 Personen (5,3 %) gesunken.

Der Anteil der schwerbehinderten Menschen an der Bevölkerung liegt bis zum 47. Lebensjahr jeweils unter 5 %. Bei den 67-Jährigen liegt der Anteil an der Bevölkerung bereits bei knapp 22 %. Zu beachten ist allerdings, dass in der Statistik die Anzahl der Personen im jeweiligen Alter, nicht jedoch das Alter, in dem die Erkrankung erstmals aufgetreten ist, erfasst wird.

Von den insgesamt 929 877 schwerbehinderten Menschen leiden 621 067 Personen oder 66,8 % an körperlichen Behinderungen. 133 073 Menschen oder 14,3 % sind von einer geistigen Behinderung betroffen. In 85 944 Fällen (9,2 %) liegen zerebrale, also das Gehirn betreffende Störungen, vor. Beispiele für zerebrale Störungen sind Parkinson oder Epilepsie. In den übrigen 89 793 Fällen (9,7 %) liegen unter anderem sonstige oder ungenügend bezeichnete Behinderungen vor.

Aufgrund ihrer quantitativen Bedeutung soll im Folgenden vor allem näher auf die körperlichen und geistigen Behinderungsarten eingegangen werden.

Körperliche Behinderungen

Innerhalb der Kategorie »körperliche Behinderungen« sind die Behinderungsarten sehr unterschiedlich verteilt. So entfallen 41,2 % auf Beeinträchtigungen der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen. Damit ist diese Behinderungsart bei über einem Viertel aller Behinderungen ursächlich. Betroffen sind von den inneren Organen bzw. Organsystemen zu einem großen Teil die Harn-/Geschlechtsorgane und das Herz-Kreislauf-System (51,8 % von allen die Organe betreffenden Schwerbehinderungen).

Die zweithäufigste Art der körperlichen Behinderungen stellt die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Rumpfes sowie die Deformierung des Brustkorbes dar (Anteil an körperlichen Behinderungen 23,3 %). Dabei werden 96,8 % der Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und des Rumpfes bzw. der Deformierung des Brustkorbes durch Krankheit6 verursacht. Unfälle spielen in diesem Zusammenhang keine wesentliche Rolle.

Mit einem Anteil von 17,2 % (106 714 Fälle) steht die Funktionseinschränkung von Gliedmaßen an dritter Stelle innerhalb der körperlichen Behinderungsarten. In 72,7 % der Fälle sind ein Bein oder beide Beine eingeschränkt. 11,3 % der Betroffenen leiden an einer Funktionseinschränkung von beiden Armen und Beinen. Frauen und Männer sind bei den Funktionseinschränkungen ungefähr gleich stark vertreten. Anders sieht es bei einem Verlust oder Teilverlust der Gliedmaßen aus. Der überwiegende Teil der 6 754 betroffenen Personen ist männlich (72,6 %).

Mit relativ geringen Anteilen innerhalb der körperlichen Behinderungen sind noch Sprach- oder Sprechstörungen, Taubheit, Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen (6,7 %), Blindheit und Sehbehinderung (6,4 %), Verlust einer Brust oder beider Brüste, Entstellungen und andere (3,6 %) sowie Querschnittlähmung (0,5 %) zu nennen.

Geistige Behinderungen

Die zweithäufigste Kategorie nach den körperlichen Behinderungen stellen die geistigen Behinderungen mit einem Anteil von 14,3 % an allen Behinderungen (133 073 Fälle) dar.

Den höchsten Anteil innerhalb der geistigen Behinderungen haben mit 37 % Neurosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Das sind 49 262 Fälle. Störungen der geistigen Entwicklung (zum Beispiel Lernbehinderung) folgen an zweiter Stelle der geistigen Behinderungen mit immer noch 31,2 % oder 41 522 Fällen. Bei 27,8 % oder 36 986 Fällen der geistigen Behinderungen liegen körperlich nicht begründbare (endogene) Psychosen (Schizophrenie, affektive Psychosen) vor. Suchtkrankheiten sind mit einem Anteil von 4 % und 5 303 Fällen unter den geistig behinderten Menschen eher selten vertreten.

Ursachen der Schwerbehinderung

In 92,7 % aller Fälle (862 322) ist eine allgemeine Krankheit7 Ursache für die Schwerbehinderung. Menschen, deren Schwerbehinderung diese Ursache hat, leiden in den meisten Fällen an einer Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen (29,2 %). Wesentlich seltener sind mit einem Anteil von 3,7 % (34 180 Fälle) angeborene Behinderungen. Bei angeborenen Behinderungen handelt es sich vor allem um Querschnittlähmungen, zerebrale Störungen oder geistig-seelische Behinderungen8 (61,4 % der Fälle).

16 565 Menschen sind aufgrund eines Unfalls schwerbehindert (1,8 % an allen Ursachen). Fast die Hälfte (48,2 %) davon hat einen Arbeitsunfall9 erlitten. Bei den übrigen Unfällen handelt es sich um Verkehrsunfälle (28,9 % aller Unfälle), häusliche Unfälle (4 % aller Unfälle) oder um sonstige oder nicht näher bezeichnete Unfälle (19 % aller Unfälle).

Anerkannte Kriegs-, Wehrdienst- oder Zivildienstbeschädigungen sind in 0,4 % aller Fälle Ursache für die Schwerbehinderung und betreffen zu 89 % Männer.1,4 % der Behinderungen beruhen auf sonstigen, mehreren oder ungenügend bezeichneten Ursachen.

Grad der Behinderung

Je nach Kategorie der Behinderung, also körperlich, geistig, zerebral oder sonstige, unterscheidet sich die Verteilung des Grades der Behinderung, mit dem die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abgebildet werden, deutlich. Insgesamt wird am häufigsten, nämlich in gut einem Drittel aller Fälle, ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Knapp ein Viertel der schwerbehinderten Menschen weist den höchsten Grad von 100 auf.

Diese Verteilung spiegelt sich auch bei der am häufigsten auftretenden körperlichen Behinderung »Beeinträchtigungen der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen« wieder.

Innerhalb der Kategorie »geistige Behinderungen« fallen große Unterschiede zwischen den einzelnen Behinderungsarten auf. Neurosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen werden oft mit einem niedrigen und sehr selten mit einem schweren Grad der Behinderung bewertet. Einem Anteil von 59,4 % dieser Betroffenen wurde ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt, lediglich 4,8 % haben einen Grad von 100.

Bei den Störungen der geistigen Entwicklung (zum Beispiel Lernbehinderung) wurde nur in 11,5 % der Fälle ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt, mit einem Anteil von 56,1 % aber relativ häufig ein Grad von 100.

Anteile der Männer und Frauen

Männer sind etwas häufiger als Frauen als schwerbehindert anerkannt. Im Jahr 2015 besaßen 481 990 Männer, und damit 51,8 % der schwerbehinderten Menschen, und 447 887 Frauen, dies waren 48,2 % der schwerbehinderten Menschen, einen gültigen Schwerbehindertenausweis. Der Anteil schwerbehinderter Menschen unter 50 Jahren an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe ist bei Männern und Frauen in etwa gleich. Erst danach steigt der Anteil bei den Männern deutlich über den Anteil bei den Frauen an.

Bei den körperlichen Behinderungen, die mit einem Anteil von 66,8 % die quantitativ wichtigste Kategorie darstellen, sind Frauen allerdings bei drei von acht Behinderungsarten stärker als Männer vertreten. Von einem Verlust einer Brust oder beider Brüste, Entstellungen und andere sind zu 98,4 % Frauen betroffen. Bei Blindheit und Sehbehinderung liegt der Frauenanteil bei 56,2 %. Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule und des Rumpfes oder Deformierungen des Brustkorbes betreffen zu 52 % Frauen.

Innerhalb der körperlichen Behinderungen ist die Beeinträchtigung der Funktion von inneren Organen bzw. Organsystemen am bedeutsamsten. Während Frauen häufiger als Männer Beeinträchtigungen bei den Geschlechtsorganen haben (56,4 % Anteil Frauen), sind bei Männern zum Beispiel deutlich häufiger das Herz-Kreislaufsystem (68,6 % Anteil Männer) oder die oberen Atemwege (68,4 % Anteil Männer) betroffen.

Bei der Betrachtung der Ursachen von Behinderungen fällt auf, dass Männer deutlich häufiger aufgrund von Unfällen aller Art eine Schwerbehinderung erleiden als Frauen: Der Anteil der Männer liegt bei 78,8 %. Meist handelt es sich dabei um Arbeitsunfälle (52,1 % der Unfälle).

Fazit

In der Öffentlichkeit ist die Teilhabe von schwerbehinderten Menschen in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch die UN-Behindertenrechtskonvention – stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Statistik der schwerbehinderten Menschen bildet einen Teilausschnitt aus einem Thema mit vielen Facetten ab. Dies tut sie als Vollerhebung, fundiert und objektiv. Hinsichtlich der verschiedenen Arten und Ursachen von Behinderung sind die Daten auch nach Alter und Geschlecht sehr differenziert verfügbar. Somit bietet die Statistik der schwerbehinderten Menschen unverzichtbares Ausgangsmaterial für weitere Analysen.

1 Generalversammlung der Vereinten Nationen: Resolution 62/127. www.un.org/Depts/german/gv-62/band1/ar62127.pdf (Abruf: 23.08.2016).

2 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bonn. Stand: Dezember 2011.

3 Stand Mai 2016 hatten 164 Staaten die Konvention unterzeichnet. Von Deutschland wurde die Konvention und das Zusatzprotokoll am 24. Februar 2009 ratifiziert. Quelle: United Nations. (12.05.2016). UN Finland ratifies CRPD. www.un.org/development/desa/disabilities/news/dspd/finland-ratifies-crpd-total-164.html (Abruf: 19.05.2016).

4 Vergleiche Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft, Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Berlin 2011.

5 Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg: Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg. Stuttgart 2015.

6 Einschließlich Impfschaden.

7 Einschließlich Impfschaden.

8 Einschließlich Suchtkrankheiten.

9 Einschließlich Wege- und Betriebswegeunfall, Berufskrankheit.