:: 11/2016

Investitionstätigkeit in Baden-Württemberg – ein Blick auf die Nettoinvestitionen

Investitionsschwäche, Investitionslücke, Investitionsstau – potenziell fehlende Investitionen in Deutschland sind in den letzten Jahren Gegenstand verschiedener Publikationen.1 Auch für Baden-Württemberg fragt ein unlängst erschienenes Gutachten2: »Leidet der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg an einer Investitionsschwäche?«.

Häufig erfolgt die Darstellung der Investitionstätigkeit auf Basis der Bruttoanlageinvestitionen bzw. ihrer Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive interessant sind hingegen insbesondere die Nettoanlageinvestitionen, also die um die Abschreibungen reduzierten Anlageinvestitionen. Diese umfassen die über den Ersatz des Kapitalverzehrs hinausgehenden Investitionen, die der Theorie nach positiv für das Wachstum eines Landes sind, weil sie den Kapitalstock einer Volkswirtschaft erhöhen.3

Wie haben sich nun die Nettoinvestitionen in Baden-Württemberg – auch relativ zur Wirtschaftsleistung – im Zeitverlauf entwickelt und wie steht Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Ländern da? Grundlage der Analyse bilden die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die auf regionaler Ebene vom Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« berechnet werden (www.vgrdl.de).

Zunehmende Bedeutung von Ersatzbeschaffungen – zu Lasten der Nettoinvestitionen

Die zeitliche Entwicklung der in Baden-Württemberg getätigten Investitionen verläuft unterschiedlich – je nachdem, ob die Brutto- oder Nettoanlageinvestitionen betrachtet werden (i-Punkt). Während die nominalen Bruttoanlageinvestitionen in Baden-Württemberg seit 1991 einen Anstieg verzeichnen, sind die für die Erweiterung des Kapitalstocks bedeutenden Nettoanlageinvestitionen im Trend leicht rückläufig. Die Abschreibungen sind im betrachteten Zeitraum somit stärker gewachsen als die Investitionen. Da die Abschreibungen die Wertminderung durch normalen Verschleiß und wirtschaftliches Veralten messen, können sie als Indikator für den Ersatzbedarf der im Produktionsprozess abgenutzten Anlagen herangezogen werden.

Dass Neuinvestitionen seit 1991 einem moderaten Abwärtstrend folgen, Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen hingegen aber an Bedeutung gewonnen haben, lässt auch der Blick auf die zunehmende »Ersatzquote« – die jährlichen Abschreibungen in Relation zu den Bruttoanlageinvestitionen – vermuten. Im Jahr 2013 betrug der Anteil der Abschreibungen an den Bruttoanlageinvestitionen hierzulande knapp 86 % – 1991 waren es nur gut 66 %. Die relativ zu den Bruttoanlageinvestitionen steigenden Abschreibungen sind jedoch nicht nur für den Südwesten zu beobachten. Auch bundesweit nahm die »Ersatzquote« zwischen 1991 und 2013 zu. Dabei ist der Ersatzbedarf für Baden-Württemberg seit 2006 sogar niedriger als für das Bundesgebiet und folglich umgekehrt: die Nettoanlageinvestitionen im Verhältnis zu den Bruttoanlageinvestitionen höher.

Besonders groß ist der Anteil der Ersatzbeschaffungen an den gesamten Investitionen im Land mit zumeist über 90 % im Produzierenden Gewerbe. Dementsprechend niedrig fällt hier der Anteil der Nettoinvestitionen4 aus. Zeitweise überstiegen die jährlichen Abschreibungen in diesem Wirtschaftsbereich auch die entsprechenden Investitionen. Das heißt, das Investitionsvolumen reichte in einzelnen Jahren nicht aus, um den Verschleiß der Anlagegüter auszugleichen. Die Folge waren negative Nettoinvestitionen. Eine strukturelle Besonderheit weist das Produzierende Gewerbe durch seinen hohen Anteil an Ausrüstungen (einschließlich sonstige Anlagen) auf. Da diese im Vergleich zu den Bauten eine deutlich kürzere Nutzungsdauer aufweisen, sind hier für die Aufrechterhaltung und Erneuerung der Produktionsanlagen laufend neue Investitionen erforderlich. Geringer, wenn auch tendenziell steigend, ist die »Ersatzquote« im Dienstleistungssektor, der primär vom Unterbereich »Grundstücks- und Wohnungswesen« mit dem naturgemäß hohen Anteil von Bauinvestitionen geprägt ist.

Tendenziell rückläufige Nettoinvestitionsquote …

Wie hoch der Investitionsanteil gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung ist, der zur Erweiterung des Anlagevermögens verwendet wird, zeigt die Nettoinvestitionsquote. Auch relativ zum Bruttoinlandsprodukt sind die Nettoanlageinvestitionen im Zeitverlauf zurückgegangen. So wurden in Baden-Württemberg im Jahr 2013 nur noch gut 3 % des Bruttoinlandsprodukts in Anlagen investiert, die über den Ersatzbedarf hinausgehen, gegenüber mehr als 8 % im Jahr 1991.

Mit Blick auf die Wirtschaftsbereiche ist insbesondere für den Dienstleistungssektor seit 1991 eine trendmäßige Abnahme der Nettoinvestitionen im Verhältnis zur Bruttowertschöpfung zu erkennen, wobei sich seit Anfang der 2000er-Jahre eine Stabilisierung um die Sechsprozentmarke abzeichnet. Gründe für den Abwärtstrend mögen im Dienstleistungssektor – einem Bereich, in dem rund zwei Drittel der getätigten Investitionen auf Bauten entfallen – unter anderem in einem Rückgang des Wohnungsbedarfs und einer schwachen Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand zu suchen sein. Sind es doch gerade die Bauinvestitionen, die im Zeitverlauf anteilsmäßig tendenziell zurückgingen und erst jüngst wieder in Relation zu den Investitionen in neue Ausrüstungen (einschließlich sonstige Anlagen) leicht zunehmen. Im Produzierenden Gewerbe pendelt die Nettoinvestitionsquote seit dem wirtschaftlichen Einbruch im Jahr 1993 um die Nulllinie.

... aber nicht nur im Südwesten

Der Rückgang der Nettoanlageinvestitionen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung scheint jedoch kein baden-württembergisches Phänomen zu sein, sondern zeichnet sich im Zeitverlauf auch für ausgewählte Vergleichsländer sowie für Deutschland ab. Um ökonomisch ähnliche Bundesländer zu betrachten, beschränkt sich der Bundesländervergleich hier allerdings auf die drei westdeutschen Flächenländer Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen.5

Neben dem tendenziell rückläufigen Verlauf der Nettoinvestitionsquote ist auch deren Niveau in den ausgewählten Bundesländern sowie im Bundesgebiet ähnlich niedrig wie hierzulande bzw. teilweise sogar geringer. Für Baden-Württemberg beliefen sich die Nettoanlageinvestitionen relativ zur Wirtschaftsleistung im Durchschnitt der letzten 10 Berichtsjahre 2004 bis 2013 auf 2,9 %. Dieser Wert wird nur von Bayern übertroffen. In Hessen und Nordrhein-Westfalen lagen die Nettoanlageinvestitionen bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt unterhalb des baden-württembergischen Anteils. Auch für Deutschland war die durchschnittliche Nettoinvestitionsquote zwischen 2004 und 2013 mit 2,3 % geringer als in Baden-Württemberg.

Im für den Südwesten besonders bedeutsamen Produzierenden Gewerbe wies Baden-Württemberg in der 10-Jahres-Betrachtung die höchste Nettoinvestitionsquote auf. Während hierzulande der durchschnittliche Anteil der Nettoinvestitionen an der Bruttowertschöpfung in diesem zusammengefassten Wirtschaftsbereich leicht positiv war, sind für Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen ebenso wie für Deutschland negative Nettoinvestitionsquoten zu beobachten. In den Dienstleistungsbereichen, wie auch für die Wirtschaftsbereiche insgesamt, verzeichnete hingegen der Freistaat Bayern im Zeitraum von 2004 bis 2013 die höchste durchschnittliche Nettoinvestitionsquote – vor Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Im Vergleich zu verschiedenen europäischen Ländern6 weist Baden-Württemberg jedoch eine deutlich geringere Nettoinvestitionsquote auf. So lag der durchschnittliche Anteil der Nettoanlageinvestitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt für die Zeitspanne 2004 bis 2013 sowohl in den beiden skandinavischen Ländern Schweden (6,5 %) und Finnland (4,4 %) als auch in den angrenzenden Ländern Österreich (5,6 %), Frankreich (5,2 %) und den Niederlanden (4,1 %) höher als im Südwesten (2,9 %). Auch die Nettoinvestitionsquote des Vereinigten Königreichs übertraf im 10-Jahres-Durchschnitt mit 3,3 % leicht den baden-württembergischen Wert. Generell ist jedoch bei derartigen Ländervergleichen zu berücksichtigen, dass »die Nettoinvestitionsquoten in einigen Ländern von Baublasen überzeichnet sein können«7. So ist zum Beispiel die, verglichen mit Deutschland oder Baden-Württemberg, höhere Investitionsquote Frankreichs vor allem durch die bessere Entwicklung bei den Bauinvestitionen zu erklären.8 Trotz des durchschnittlich höheren Niveaus weisen die gesamtwirtschaftlichen Nettoinvestitionsquoten in den betrachteten EU-Ländern im Zeitverlauf allerdings ebenfalls einen leichten Abwärtstrend auf.

Tüftler immer gefragter

Insgesamt ist für den Südwesten im betrachteten Zeitraum zwischen 1991 und 2013 ein Rückgang der nach dem Nettokonzept berechneten Investitionstätigkeit zu beobachten. Auch bewegen sich die Nettoinvestitionen in Relation zur Wirtschaftsleistung auf einem niedrigen Niveau. Dies ist jedoch kein landesspezifisches Bild, wie der Vergleich zu anderen Bundesländern zeigte.

Investitionen dienen der Erhaltung, Erweiterung und Verbesserung des Kapitalstocks und bestimmen damit Größe und Qualität der Kapitalausstattung. Ein moderner und ausreichend hoher Kapitalstock bildet wiederum die Grundlage für das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Allerdings wird das Produktionspotenzial heutzutage gerade für entwickelte Volkswirtschaften weniger allein vom physischen Kapitalstock beschrieben.9 So ist sicherlich der Bedarf an Ausrüstungs- und Bauinvestitionen – und damit der Investitionsformen, die den größten Teil der im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfassten Investitionen ausmachen – in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Dies war auch bedingt durch die Verlagerung der Produktion in andere Länder sowie den Wandel zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Gleichzeitig nehmen Investitionen in »Köpfe« für moderne Wirtschaftsregionen wie Baden-Württemberg zunehmend eine wachstumsrelevante Rolle ein und sind damit für die Zukunftssicherung eines Landes von zentraler Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist die Innovationskraft der großen und vielen mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg besonders gefragt.

Dass der Südwesten hier gut aufgestellt ist, zeigt sich beispielsweise am Spitzenplatz Baden-Württembergs beim Innovationsindex, der vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg alle 2 Jahre berechnet wird. Demnach ist Baden-Württemberg sowohl im Bundesländervergleich als auch EU-weit die Region mit dem höchsten Innovationspotenzial.10 Ausschlaggebend hierfür sind vor allem die beträchtlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung, der hohe Erwerbstätigenanteil in forschungsintensiven Industriezweigen und der ausgeprägte Tüftlergeist im Land.11

1 Vergleiche zum Beispiel: Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) (2014): Investitionslücke schließen – Standortstärke sichern. DIHK-Analyse zur Investitionstätigkeit in Deutschland. Berlin.Expertenkommission »Stärkung von Investitionen in Deutschland« (2015): Stärkung von Investitionen in Deutschland. Berlin.Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2014): Wesentliche Fakten zur »Investitionsschwäche”« in Deutschland, in: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, Monatsbericht November 2014, S. 20–38. Bundesministerium der Finanzen (BMF) (2014): Investitionsschwäche in Deutschland? Eine Analyse der Investitions­tätigkeit im internationalen Vergleich, in: Monatsbericht des BMF März 2014, S. 26–33.

2 Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (IAW) (2015): Leidet der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg an einer Investitionsschwäche? Forschungsprojekt im Auftrag des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, Abschlussbericht. Tübingen.

3 Eine Betrachtung der Nettoinvestitionen in Deutschland erfolgt in: Strobel, Thomas (2015): Schwache Investitionen und Tertiärisierung der Wirtschaftsstruktur in Deutschland, in: ifo Schnelldienst 01/2015, S. 43–49.

4 Die Begriffe Nettoanlageinvestitionen und Nettoinvestitionen werden in diesem Beitrag synonym verwendet.

5 Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (IAW) (2015): Leidet der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg an einer Investitionsschwäche? Forschungsprojekt im Auftrag des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, Abschlussbericht. Tübingen, S. 7.

6 Ebenda, S. 14.

7 Strobel, Thomas (2015): Schwache Investitionen und Tertiärisierung der Wirtschaftsstruktur in Deutschland, in: ifo Schnelldienst 01/2015, S.  45.

8 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2014): Mehr Vertrauen in Marktprozesse, Jahresgutachten 2014/ 2015, Wiesbaden, Kasten 2, S. 15 ff.

9 Expertenkommission »Stärkung von Investitionen in Deutschland« (2015): Stärkung von Investitionen in Deutschland. Berlin, S. 23.

10 Einwiller, Ruth: »Innovationsindex 2014: Baden-Württemberg im europäischen Vergleich«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2015«, S. 18–25.

11 Ebenda, S. 21.