:: 11/2016

Kino in Baden-Württemberg

Ein Massenphänomen im Wandel der Zeiten

Es begann auf Jahrmärkten

Eigentlich beginnt die Geschichte des Kinos auf den Jahrmärkten. Hier wurden Schaubuden ausgestellt, in denen sehr häufig optische Illusionen präsentiert wurden. Mit zwei Erfindungen, die nahezu gleichzeitig in Frankreich und in den USA gemacht wurden, kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu ersten Filmvorführungen. Maßgeblich hierfür war der Cinématographe der Brüder Lumière. Etwa zur gleichen Zeit wurde in den USA das Kinetoskop präsentiert. Dies war ein von William K. L. Dickson im Auftrag Thomas Edisons entwickeltes Gerät. Schon bald verbreitete sich die Vorführung von Filmen in Gasthäusern, Hotels und auf den Jahrmärkten. In Deutschland kam es am 1. November 1895 zu einer ersten öffentlichen Filmvorführung im Berliner »Wintergarten« durch die Brüder Skladanowsky. Viele Schaubudenbesitzer erkannten in der Folgezeit das Potential der Vorführgeräte und kauften diese von den Brüdern Lumière oder von Edison, sodass es schon bald zu regelmäßigen Filmvorführungen in den Vereinigten Staaten und in Europa kam. In kleineren Städten ohne Jahrmärkte wurden Filme vorwiegend durch Wanderkinos gezeigt. Die entsprechenden Filme wurden für einige Tage in Gasthäusern vorgeführt.

Die Lichtspieltheater

Das Publikumsinteresse an Filmvorführungen nahm stetig zu. Ab der Jahrhundertwende wurde der Film als Medium von immer mehr Personen als dauerhafte Errungenschaft betrachtet. In logischer Folge wurden nach und nach Kinos in festen Gebäuden eröffnet. Diese Einrichtungen dienten primär der regelmäßigen Vorführung von Filmen. In Berlin wurde am 25. April 1896 das erste deutsche Kino im Haus Unter den Linden 21 eröffnet. Mit dem Wachstum der Filmproduktion wuchs auch die Größe der Kinos. Bis in die 1920er-Jahre entstanden so in den Großstädten Europas und denen der Vereinigten Staaten Kinopaläste, die in ihrer Eleganz und Architektur sehr den prunkvollen Theatern und Opernhäusern jener Zeit glichen. Nach und nach entstanden in Europa und den USA wahre Filmpaläste. Die Kinos entwickelten sich immer mehr in den 1920er-Jahren zu eleganten Großkinos. Die Bezeichnung »Filmpalast« erinnert an die Paläste von der Antike bis zum Barock. Den Besuchern wurde Unterhaltung und Verköstigung geboten, die weit über das Ansehen eines Films hinausgingen. Als signifikante Beispiele seien hier der Mercedes-Palast in Berlin mit einem Fassungsvermögen für 2 500 Gäste und der Ufa-Palast am Gänsemarkt in Hamburg mit einem Fassungsvermögen für 2 665 Zuschauer genannt. In den Vereinigten Staaten standen die größten Kinos in New York, wobei das größte Kino, das »Roxy Theatre«, 6 200 Besuchern Platz bot. Auch in Baden und Württemberg konnten sich schon größere Kinos etablieren, die es teilweise heute noch gibt. So wurden beispielsweise folgende Kinos eröffnet: das »Gloria« in Heidelberg 1905, der »Friedrichsbau« in Freiburg 1910, das »Residenztheater« in Karlsruhe 1908, das »Lichtspielhaus« in Fellbach 1911 das »Delphi« in Stuttgart 1912, das »Central Theater« in Ludwigsburg 1913 und das »Filmzentrum Bären« in Böblingen 1915. 1927 begann die Tonfilm-Ära in den USA mit dem ersten voll vertonten Film »The Jazz Singer«. Der große Erfolg dieses Films führte dazu, dass weltweit die Kinos in den nächsten Jahren auf Tonfilm-Apparate umgebaut wurden.

In der Zeit des Nationalsozialismus erhielten die Kinos in Deutschland die Aufgabe, »Wegbereiter« eines Mediums zu sein, das das ganze deutsche Volk erobern sollte. Die Kinos selbst wurden in »Lichtspieltheater« umbenannt und die Kinobesitzer als »Intendanten eines Volkstheaters« bezeichnet. Bis 1942 stieg die Zahl der Kinos in ganz Deutschland auf über 7 000 mit mehr als 2,7 Mill. Sitzplätzen. Das bedeutete gegenüber der Zeit der Weimarer Republik nur eine normale Zunahme, zumal ab 1940 auch Österreich, das Sudetenland und andere okkupierte Gebiete in die Datenerhebung miteinbezogen wurden. Anders sieht es aus bei den Kinobesuchern, hier ist eine Steigerung von 240 Mill. im Jahr 1932 auf knapp 400 Mill. im Jahr 1938 zu verzeichnen. Im Jahr 1942 frequentierte sogar über 1 Mrd. Besucher deutsche Kinos. Hier fließen aber auch die unbereinigten Daten der okkupierten Gebiete Österreich, Sudetenland und Luxemburg mit ein, die dadurch eine gewisse Unschärfe bedingen. Erst ab 1943 nahmen die Besucherzahlen kriegsbedingt ab.

Neuanfang, Höhenflug und Niedergang

Viele der glanzvollen Kinopaläste in Deutschland lagen nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. Daher wurden unmittelbar nach Kriegsende die unterschiedlichsten Räume zu Kinos umfunktioniert. Doch schon bald erlebte das Kino in Deutschland seinen nächsten und bisher letzten Höhenflug. Im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders entstanden in den Großstädten elegante Erstaufführungshäuser, in denen die Zuschauerinnen und Zuschauer bei Premieren die Stars hautnah erleben konnten. Durch die sich schnell entwickelnde Wirtschaftskraft wurde viel investiert, um den Kinobesuchern ein hochwertiges Ambiente zu bieten. Die Kinovorführungen wurden durch Wochenschauen und Kulturfilme aufgewertet.

Noch war das Fernsehen keine ernstzunehmende Konkurrenz, sodass der gemeinsame Kinobesuch als zentrales Freizeitvergnügen für die ganze Familie betrachtet wurde. 1958 gab es in der Bundesrepublik Deutschland knapp 7 000 Kinos mit einem Angebot von über 2,7 Mill. Plätzen. Über 900 dieser Kinos befanden sich in Baden-Württemberg. Die Kinos der 1950er-Jahre waren aber nicht nur in den größeren Städten anzutreffen. Auch im ländlichen Raum gab es in der regionalen Breite ein großes Angebot an Kinos. In über 3 000 Städten und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschlands gab es 1958 zumindest ein Kino. In Baden-Württemberg gab es noch 1963 die meisten Kinos – gemessen an der Gesamtzahl der im Land betriebenen Kinos – in Gemeinden, die in der Einwohnergrößenklasse zwischen 2 000 bis unter 5 000 Einwohnern lagen. Viele kleinere Gemeinden, in denen es kein ortsfestes Kino gab, wurden von mobilen Wanderkinos versorgt. Durch sie wurde die Ortsbevölkerung in Wirtshaussälen oder Gemeindehäusern mit aktuellen Filmen unterhalten. So gab es 1961 noch über 400 Wanderfilmbetriebe, die ihre Filme in mehr als 3 500 Orten aufführten.

Das Filmangebot in den deutschen Kinos in den ersten beiden Dekaden nach dem Krieg war mit unterschiedlichen Genres gefüllt. Neben thematisch anspruchsvollen Filmen wie »Die Mörder sind unter uns«, »Die Brücke« oder »Rosen für den Staatsanwalt« erlebten vor allen Heimatfilme ihre Blütezeit. Produktionen wie »Das Schwarzwaldmädel« oder »Grün ist die Heide« lockten ein Millionenpublikum ins Kino.

Die Menschen wollten im Kino von dem harten Nachkriegsalltag abgelenkt werden. Neben synchronisierten großen Hollywoodproduktionen wurden hauptsächlich auch historische Liebesfilme wie »Sissi«, Kriminalfilme wie die Edgar Wallace Verfilmungen und Abenteuerfilme wie die sehr erfolgreichen Karl May Verfilmungen gezeigt. Mit der Erfindung des Fernsehens schwand die Popularität des Kinos zusehends. Die Zuschauerzahlen gingen stark zurück, weil wohl auch das Programmangebot nicht mehr den Publikumsgeschmack traf. In vielen Städten wurden Kinos geschlossen, andere teilten sich meist in kleine Einzelsäle auf. In Baden-Württemberg ging die Zahl der Kinos seit 1970 kontinuierlich zurück und erreichte 1975 den niedrigsten Stand mit nur noch 510 Kinos. Gleichzeitig sank auch das Platzangebot hier wurde der niedrigste Stand von gut 91 000 Sitzplätzen im Jahr 1995 verzeichnet.

Und heute?

Das Bemühen der Filmproduktionsgesellschaften mit neuen Aufführungstechniken in den 1980er-Jahren Zuschauer zurückzugewinnen zeigte nicht den gewünschten Erfolg. Erst seitdem neu gebaute Kinos als sogenannte »Multiplex-Kinos« kurz vor der Jahrtausendwende in den Wettbewerb traten, ist eine Konsolidierung des Kino-Markts auf niedrigem Niveau zu verzeichnen. Diese neuen Kinos sind mit Dolby-Digital- und DTS-Tonanlagen ausgestattet und bieten in besonderen Kinosälen eine technisch sehr gute Ausstattung.

Darüber hinaus wurden vor allem Programmkinos und Kommunale Kinos modernisiert und haben sich vor allem in Universitäts- und Großstädten etabliert. Sie haben sich vorwiegend auf künstlerische Filme spezialisiert und bieten oft ein vielseitigeres Programm als die neuen großen Kinopaläste. Heute gibt es in Baden-Württemberg 616 Kinos mit über 106 000 Sitzplätzen. Wohin die Entwicklung des Kinos gerade mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung geht, vermag noch nicht eingeschätzt werden.