:: 12/2016

Bedeutung und Entwicklung der marginalen Beschäftigung in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg waren im Jahr 2015 insgesamt fast 785 000 Personen ausschließlich geringfügig, kurzfristig oder in einer Arbeitsgelegenheit beschäftigt. Damit war mehr als jeder achte Erwerbstätige im Land marginal beschäftigt. Nicht zuletzt aufgrund der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes wurde dieser Stellung im Beruf aktuell wieder besondere Aufmerksamkeit zuteil. Schließlich waren es in erster Linie die marginal Beschäftigten, die zu Stundenlöhnen arbeiteten, die teilweise noch unterhalb der neu gezogenen Mindesthöhe lagen. Von 2014 auf 2015 sank ihre Zahl um 2,3 % und war damit so niedrig wie seit 2003 nicht mehr. Seit 2003 haben sich nicht nur die marginal Beschäftigten, sondern auch andere Beschäftigungsformen spürbar gewandelt.

Marginale Beschäftigung seit 2009 im Abwärtstrend

Als ein Teilstück der Hartz-Reformen wurde 2003 die Verdienstgrenze für geringfügig Beschäftigte (Minijobber) von 325 auf 400 Euro monatlich deutlich angehoben und die Begrenzung ihrer Wochenarbeitszeit aufgehoben. Daraufhin stieg die Zahl der marginal Beschäftigten in Baden-Württemberg von 755 700 im Jahr 2003 binnen eines Jahres um 51 000 und erreichte 2009 nach weiteren Zuwächsen mit 840 500 ihren Höchststand. Seither geht sie wieder zurück. Lediglich im Jahr 2013 stieg die Zahl der Personen in marginaler Beschäftigung leicht an, nachdem zum 1. Januar 2013 die Geringfügigkeitsgrenze um 50 auf 450 Euro im Monat erhöht wurde. Hierdurch wurde der Abwärtstrend kurzfristig unterbrochen. Seit dem 1. Januar 2015 gilt bis auf wenige Ausnahmen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Im Vergleich zum Vorjahr sank 2015 die Zahl der marginal Beschäftigten im Land um 2,3 % auf 784 600 und unterschritt damit erstmals seit 2003 wieder die Schwelle von 800 000 Beschäftigten. Damit liegt das Niveau der marginalen Beschäftigung aktuell nur noch 3,8 % oder 28 900 Personen über dem Wert von 2003.

Ein ähnliches Bild zeigt die Entwicklung der Zahl der Selbstständigen einschließlich ihrer mithelfenden Familienangehörigen. 2015 lag ihre Zahl bei 587 000 und damit nur 4 % oder 22 500 höher als noch 2003. Weitaus positiver hat sich dagegen in dieser Periode die Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte entwickelt. Vor allem im Anschluss an die Finanz- und Wirtschaftskrise zum Ausgang des letzten Jahrzehnts erreichte ihre Zahl Jahr für Jahr neue Höchststände. 2015 zählten fast 4,71 Mill. Personen zu dieser Gruppe, 12,6 % mehr als 2003. Insgesamt waren 2015 in Baden-Württemberg 6,08 Mill. Menschen erwerbstätig. 2003 waren es 10,5 % oder 580 000 Erwerbstätige weniger.

Vor dem Hintergrund der heterogenen Entwicklung der verschiedenen Stellungen im Beruf lohnt ein Blick auf die Struktur der Erwerbstätigkeit, die in Schaubild 1 dargestellt ist. Sowohl die Anteile der marginal Beschäftigten als auch der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen lag 2015 unter denen von 2003. Zu Beginn des Beobachtungszeitraumes waren 13,7 % der Erwerbstätigen marginal beschäftigt. Dieser Anteil erreichte mit 14,9 % bereits 2006 seinen Höhepunkt. Seit 2009 fiel ihr Anteil kontinuierlich und lag 2015 mit 12,9 % niedriger als in allen 12 vorangegangenen Jahren. Der Anteil der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen lag 2003 bei 10,3 % und 2015 bei 9,7 %. Im Jahr 2003 waren 76 % der Erwerbstätigen in ihrer Haupttätigkeit Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in nicht-marginaler Beschäftigung. Dieser Anteil fand mit 74,3 % seinen Tiefpunkt im Jahr 2006. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 stieg der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne marginale Beschäftigung von knapp 75 % auf seinen bisherigen Höhepunkt von 77,4 %. Die Bedeutung der marginalen Beschäftigung ging in den letzten Jahren zugunsten der übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und hier insbesondere zugunsten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – zurück (i-Punkt).

Auswirkungen des Mindestlohns auf die marginale Beschäftigung

Die Befürchtungen von Teilen der deutschen ökonomischen Wissenschaft, dass der Mindestlohn zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen könnte, waren groß. Hans-Werner Sinn, damaliger Präsident des ifo Instituts, warnte 2014 in einem Interview vor einem mindestlohnbedingten Arbeitsplatzabbau in Deutschland von bis zu 900 000 Stellen.1 Derartige negative Effekte sind im ersten Jahr nach der Mindestlohneinführung offenbar ausgeblieben. Inwiefern die gute Arbeitsmarktlage oder andere Entwicklungen und Effekte einen mindestlohnbedingten Stellenabbau oder -aufbau überlagert haben, kann hier nicht überprüft werden.

Die Gruppe der marginal Beschäftigten war besonders von der gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde betroffen. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg bezogen bundesweit rund 60 % dieser Berufsgruppe einen Lohn unterhalb dieser Marke.2 In Baden-Württemberg verdienten im April 2014 rund 8 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro die Stunde, davon waren zwei Drittel in einem Minijob beschäftigt. In den ostdeutschen Flächenländern verdienten sogar 20 % bis 25 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro die Stunde.3 Daher wundert es wenig, dass der Rückgang der marginalen Beschäftigung in Baden-Württemberg im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr mit 2,3 % zwar der höchste Rückgang im Beobachtungszeitraum war, jedoch im Ländervergleich eher moderat ausfiel. Insbesondere in den ostdeutschen Flächenländern traten massive Stellenverluste bei der marginalen Beschäftigung auf, die sich auch deutlich auf die Gesamterwerbstätigkeit auswirkten. Insgesamt verringerte sich die marginale Beschäftigung in Deutschland um 150 000 bzw. 2,6 %.

Es ist hervorzuheben, dass bereits in der Periode von 2010 bis 2012 – in der die Einführung eines allgemeinen Mindestlohn lediglich eine politische Forderung war – in vielen Ländern kräftige Abnahmeraten bei den marginal Beschäftigten registriert wurden, wie jüngst in 2015. Beispielsweise übertrafen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern die Rückgänge in 2011 im jeweiligen Vergleich zum Vorjahr mit 7,3 % bzw. 7,9 % diejenigen in 2015 (5,9 % bzw. 5,5 %).

Minijobs vor allem im Dienstleistungsbereich

Die maßgebende Gruppe der marginal Beschäftigten sind die ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten. Sie umfasst diejenigen Personen, die ausschließlich einem sogenannten Minijob mit einer monatlichen Verdienstgrenze von 450 Euro nachgehen. Während in Baden-Württemberg 2015 mehr als jede bzw. jeder dritte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Produzierenden Gewerbe tätig war, ging von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten lediglich jede bzw. jeder Sechste einer Tätigkeit in diesem Wirtschaftssektor nach. Damit waren 82,6 % der Minijobberinnen und Minijobber im Dienstleistungssektor tätig. Insbesondere im Handel und im Gastgewerbe mit zusammen 29,1 % sind besonders viele ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte tätig gewesen.

Im Vergleich zum Vorjahr fielen die Stellenverluste unter den Minijobberinnen und Minijobber 2015 im Handel mit 2,9 % und im Gastgewerbe mit 1,2 % jedoch nicht besonders aus dem Rahmen. Hinzu kommt, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von 2014 auf 2015 in diesen Wirtschaftsbereichen zunahm. Besonders stark war dieser Stellenaufbau im Gastgewerbe mit 6,5 %. Im Handel betrug das Plus lediglich 1,9 %. Ob hier geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden, kann nicht untersucht werden. Generell lässt sich jedoch beobachten, dass in den meisten Wirtschaftsabschnitten zum einen die Minijobs abnahmen, zum anderen die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse zunahmen.

Am augenfälligsten ist der Rückgang an Minijobs in der Informations- und Kommunikationsbranche. 2015 sank dort die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten gegenüber 2014 um 8 158, was einem Rückgang um 36,6 % entspricht. In diesem Wirtschaftsabschnitt ist das Verlagswesen angesiedelt, das ursächlich für diesen enormen Rückgang ist, der in keinem Wirtschaftsabschnitt, bezogen auf dessen Beschäftigtenzahl, größer war. Dabei gilt zunächst für die Zeitungszustellerinnen und -zusteller ein reduzierter Mindestlohn. Erst ab 2017 darf das stündliche Entgelt in dieser Branche den allgemeinen Mindestlohn nicht mehr unterschreiten. Dennoch haben die meisten Zeitungszustellerinnen und -zusteller bereits seit 2015 einen Anspruch auf 8,50 Euro Stundenlohn, da sie in der Regel nicht nur Zeitungen, sondern auch Druckerzeugnisse verteilen, die nicht von der Ausnahmeregelung betroffen sind.

Welche Personengruppen waren vom Rückgang bei den Minijobs besonders betroffen?

Die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung ist eine Domäne der Frauen. Zum Stichtag 30. Juni 2015 waren 459 200 von den insgesamt 705 900 ausschließlich geringfügig Beschäftigten weiblich. Dies entspricht einem Frauenanteil von 65,1 %. Im Jahr der Mindestlohneinführung ging die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Frauen um 4 % zurück. Bei den Männern war der relative Stellenabbau im Vergleich zum Vorjahr dagegen nur halb so groß. Umgekehrt waren 2015 rund 2,5 % mehr Frauen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung als noch 1 Jahr zuvor. Der Zuwachs unter den Männern betrug lediglich 2 %. Im Jahr 2015 stellten Frauen 45,2 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. 12 Jahre zuvor lag ihr Anteil noch bei 43,7 %. Ihre Beschäftigtenzahl stieg in diesem Zeitraum um 19,5 % von 1,65 Mill. auf 1,97 Mill. Die Zahl der männlichen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten legte im selben Zeitraum um 12,6 % von 2,12 auf 2,39 Mill. zu.

Die Ausländerinnen und Ausländer waren unter den ausschließlich geringfügig Beschäftigten mit 14,7 % im Jahr 2015 stärker repräsentiert als unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (13,3 %). Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der ausländischen Personen mit einem Minijob lediglich um 0,6 % auf 103 500. Die entsprechende Zahl der Deutschen ging dagegen um 3,8 % auf 600 100 zurück. Ein Teil der Ursache für diese ungleiche Entwicklung ist, dass Ausländerinnen und Ausländer in der Informations- und Kommunikationsbranche unterrepräsentiert sind und in dieser Branche besonders viele Minijobs abgebaut wurden. 2015 nahmen die sozialversicherungspflichtigen Stellen, die von Ausländerinnen und Ausländern besetzt waren, gegenüber dem Vorjahr um 9,2 % auf 578 400 zu. Bereits in der Vorperiode konnte ein derart deutliches Plus verbucht werden. Die Zahl der Deutschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung stieg im selben Zeitraum um 1,2 %.

Sehr unterschiedlich war auch die jüngste Entwicklung der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigung nach Altersklassen. Während die Zahl der jüngeren Minijobber zurückging, nahm die Zahl der älteren sogar zu. 2015 waren in dieser Beschäftigungsform 136 700 Personen, die 65 Jahre oder älter sind, beschäftigt und damit 2,3 % mehr als im Vorjahr. Von den 55- bis unter 65-Jährigen waren 2015 rund 117 800 ausschließlich geringfügig entlohnt beschäftigt und damit 2 % mehr als im Vorjahr. In der Gruppe der 25- bis unter 55-Jährigen ging die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung dagegen um 6,3 % zurück und sank auf 287 600. Auch bei den unter 25-Jährigen sank die Beschäftigtenzahl in dieser Beschäftigungsart um mehr als 6 % auf 163 800. Dabei waren Jüngere besonders vom Rückgang der Minijobs im Verlagswesen betroffen, da sie besonders häufig in dieser Branche arbeiteten. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten konnten die beiden jüngeren Altersklassen ebenfalls nicht die Wachstumsraten der beiden älteren Altersklassen erreichen. Die Beschäftigung nahm jedoch in allen Altersklassen zu.

1 »Mindestlohn gefährdet bis zu 900 000 Arbeitsplätze«, in: Die Welt, 6. April 2014. Berlin, www.welt.de/wirtschaft/article126620988/Mindestlohn-gefaehrdet-bis-zu-900-000-Arbeitsplaetze.html (Abruf: 21.10.2016).

2 Bossler, Mario: Auswirkung des Mindestlohns im Jahr 2015, in: Aktuelle Berichte 01/2016, IAB.

3 Pristl, Karl: Mindestlohn: Für 8 % der Arbeitnehmer mehr Geld, in: Pressemitteilung 159/2016 des Statistisches Landesamtes Baden-Württemberg vom 3. Juni 2016. www.statistik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2016159.pm (Abruf: 21.10.2016).