:: 12/2016

Die Landespreisstelle Württemberg im Ersten Weltkrieg

Die Verwaltung des Mangels

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es in der deutschen und somit auch der württembergischen Wirtschaft zu einer massiven Umstellungskrise. Die deutsche Wirtschaft war nicht auf einen lange andauernden industriellen Abnutzungskrieg vorbereitet. Die einsetzende starke Kriegskonjunktur, brachte massive gesellschaftliche und soziale Veränderungen mit sich. Das zivile Leben an der Heimatfront war von Kriegsbeginn an von Mangel und wachsender Not geprägt. Die im ersten Kriegsjahr auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen von verschiedenen Zivilbehörden auf kommunaler, einzelstaatlicher und Reichsebene ohne klare Zentralisierung praktizierte Zwangsbewirtschaftung der Lebensmittel gestaltete sich oft sehr schwierig. Erst durch eine Verordnung des Bundesrates vom 25. September 1915 wurden in den einzelnen deutschen Bundesstaaten Preisprüfstellen eingerichtet. Im Königreich Württemberg war dies die Landespreisstelle.

Die Einrichtung der Landespreisstelle

Durch Verfügung des württembergischen Innenministeriums über die Errichtung von Preisprüfungsstellen und die Versorgungsregelung vom 20. Oktober 1915 wurde zur Ausführung der Bundesratsverordnung vom 25. September 1915 im Königreich Württemberg eine Landespreisstelle eingerichtet. In Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften lag der Aufgabenschwerpunkt bei eigenen Preisbeobachtungen und gutachterlichen Tätigkeiten. Daneben waren insbesondere die kommunalen Preisprüfungsstellen zu beraten und zu unterstützen. Wegen ihrer Verbindung zu den Preis- und Wirtschaftsstatistiken wurde die Landespreisstelle dem Statistischen Landesamt Württemberg angegliedert.

Die Aufgaben der Landespreisstelle waren sehr detailliert festgelegt. Bei näherer Betrachtung lassen sich in der Sprache der damaligen Zeit drei Aufgabenschwerpunkte erkennen:

Überwachungs- und Nachprüfstelle in Preissachen, soweit Gegenstände des notwendigen Lebensbedarfs in Frage kommen.

Unterstützungs- und Beratungsstelle für die örtlichen Preisstellen.

Beratungsstelle der Landesbehörden in allen die Preisentwicklung und die Versorgung der Bevölkerung mit Gegenständen des notwendigen Lebensbedarfs betreffenden Fragen.

Zum Vorsitzenden der Landespreisstelle wurde Prof. Dr. Hermann Julius Losch ernannt (siehe i-Punkt). Losch war damals einer der leitenden Mitarbeiter im Statistischen Landesamtes Württemberg.

Die Arbeit der Landespreisstelle

Nach der Einrichtung der Landespreisstelle war Losch noch sehr optimistisch, dass diese neue Institution den Mangel bedarfsgerecht verwalten könne. Dies betonte er auch in seiner Antrittsrede: »Wir glaubten, den Nachdruck auf die genügende und allseitige Versorgung legen zu müssen – mit der wir ja allerdings unmittelbar nicht befasst sind – und ich legte zum Teil in mündlichen Besprechungen den Beteiligten nahe, vorerst für die größeren Gemeinden und je nachdem auch für ganze Gemeindearten oder Bezirke nicht Erzeugerhöchstpreise, sondern Verbraucherhöchstpreise unter Zugrundelegung der bisherigen bzw. in Friedenszeiten schon vorhandenen gewissen Ausnahmen …«1 Loschs Hoffnungen mit der Landespreisstelle positiv regulierend gestalten zu können, wurden schon bald von der Realität der Versorgungslage entkräftet. Im Rückblick war die einzig sinnvolle Aufgabe, die der Landespreisstelle blieb, die statistische Dokumentation des Mangels. Die gerichtliche Ahndung von Straffällen wegen übermäßiger Preisforderungen wurde zwar von der Landespreisstelle angeregt. Die Ahndung der entsprechenden Fälle lag aber im Zuständigkeitsbereich der Justizbehörden. Auch hier blieben die Mittel der neuen Institution sehr beschränkt.

Neben einer regelmäßigen Erhebung und Publikation der Preise in den statistischen Publikationen war es auch die Aufgabe der Landespreisstelle, geheime Sonderpublikationen für den Dienstgebrauch anderer Behörden zu erstellen. Eine dieser Publikationen, das Kriegswirtschaftsbüchlein, wurde mit folgendem Vorwort versehen: »Die nachfolgende Zusammenstellung ist nicht für die Öffentlichkeit wohl aber für Behörden bestimmt, welche mit besonderen Kriegsausgaben, vorzugsweise Ernährungsfragen zu tun haben. Sie entspringt dem bei der Landespreisstelle schon längst vorhandenen Bedürfnis eines gewissen Überblicks über den Sachverhalt. Dass sich die Dinge schnell ändern, spricht wohl nicht gegen den Versuch; es kann leichter nachgetragen als gesammelt werden. Die Übersicht kann nach Bedarf erweitert werden. Wünsche oder Beiträge sind uns stets willkommen.«

Ein desolates Ende

Die Arbeit der Landespreisstelle erwies sich bald als eine reine Form der Dokumentation der Mangelbewirtschaftung. Die vielfältigen Ungerechtigkeiten bei der Lebensmittelversorgung der Zivilbevölkerung führten dazu, dass eine ausreichende Grundversorgung nicht sichergestellt werden konnte. Im sogenannten Steckrübenwinter 1916/1917 zeigte sich, dass bei großen Teilen der Bevölkerung Deutschlands gravierende materielle Not und verbreitet Hunger herrschten, dem vor allem ältere und geschwächte Menschen zum Opfer zu fallen begannen. Der Steckrübenwinter, auch Kohlrübenwinter und Hungerwinter genannt, bezeichnete eine Hungersnot im Deutschen Reich im Winter 1916/1917, ausgelöst durch Missernten und eine kriegsbedingte Seeblockade durch die britische Royal Navy. Die offiziell verordneten Lebensmittelrationen für die Bevölkerung sanken bei großen regionalen und sektoralen Unterschieden auf etwa ein Drittel des Friedensverbrauchs. Der Schwarze Markt boomte. Auf ihm konnten sich jedoch nur diejenigen zusätzlich versorgen, die über größere Geldmengen oder über Sachwerte verfügten. So blieb die Grundversorgung der Bevölkerung bis zum Kriegsende und auch noch darüber hinaus für viele desolat.

1 Siehe Hermann Julius Losch in Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde Jahrgang 1915. Stuttgart 1916, S. 197.