:: 1/2017

Studenten in Baden und Württemberg im 19. Jahrhundert

Zurzeit gibt es mehr als 177 000 Studierende (Stand Wintersemester 2015/16) an den Universitäten des Landes Baden-Württemberg. Diese hohe Zahl ist hauptsächlich auf die in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren beginnende stürmische Entwicklung des tertiären Bildungswesens zurückzuführen. Damals kam es zu vielen Neugründungen von wissenschaftlichen Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen und auch viele Universitäten wurden in dieser Zeit neu gegründet. In Baden-Württemberg waren dies 1966 und 1967 die Universitäten Konstanz, Mannheim und Ulm. An einigen attraktiven Standorten entwickelte sich eine wahre »Studentenschwemme« und etablierte sich in überfüllten Hörsälen. Ganz anders sah es in den Universitäten Badens und Württembergs im 19. Jahrhundert aus.

Es begann im späten Mittelalter

Die deutschen Universitäten haben ihre historischen Wurzeln in der mittelalterlichen Entwicklung der europäischen Hochschule nach dem Modell der Universitäten von Paris und Bologna. Die ersten deutschen Universitäten wurden im späten 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts gegründet. Die meisten Universitäten des Spätmittelalters waren sehr klein. In der Regel hatten die Fakultäten zwei oder drei Professoren. Oftmals gab es zwischen 100 und 200 Studierende pro Universität. Um 1500 gab es an den Universitäten in Deutschland etwa 3 000 Studenten. Zu dieser Zeit studierten ausschließlich Männer an den Universitäten. Die älteste deutsche und somit auch baden-württembergische Universität ist die sogenannte »Ruperto Carola« in Heidelberg. Sie wurde 1386 von Pfalzgraf und Kurfürst Ruprecht I. mit päpstlicher Genehmigung gegründet. Nach schwierigen Jahrhunderten, die durch Revolutionskriege und finanzielle Misswirtschaft geprägt waren, kam es Anfang des 19. Jahrhunderts durch den ersten badischen Großherzog Karl Friedrich zu einer kompletten Reorganisation der Universität. Die nächste Universitätsgründung auf baden-württembergischen Boden fand in Freiburg im Breisgau statt. 1457 gründete der Erzherzog Albrecht VI. die Hochschule. Die sogenannte »Albertina« repräsentierte als frühe Volluniversität alle damals wichtigen Fakultäten: Theologie, Jura, Medizin und Philosophie. Ihre erste Blütezeit erlebte die Freiburger Universität im 16. Jahrhundert im Zeitalter des Humanismus. Die letzte große Universitätsgründung dieser Zeit fand im württembergischen Tübingen statt, wo auf Wunsch von Herzog Eberhard im Bart ebenfalls eine Volluniversität gegründet wurde. Eng mit der Geschichte der Tübinger Universität ist das 1536 gegründete Tübinger Stift verbunden. Hier studierten so namhafte Geistesgrößen wie Johannes Kepler, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike. So war die Universitätslandschaft auf dem Boden des Großherzogtums Baden und des Königreichs Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Wilhelm von Humboldt 1810 die Berliner Universität gründete und in seiner Denkschrift »Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin« ein Universitätsideal entwickelte, mit dem das deutsche Hochschulsystem noch heute weltweit identifiziert wird.

Die Grundprinzipien der Denkschrift fordern die Einheit von Forschung und Lehre und die Freiheit der Wissenschaft im Sinne ihrer Unabhängigkeit von unmittelbaren politischen oder gesellschaftlichen Verwertungsinteressen. Diese Grundprinzipien wurden in relativ kurzer Zeit auch an den beiden badischen und der württembergischen Universität verinnerlicht und trugen maßgeblich zu einer zweiten Blütezeit aller drei Universitäten im 19. Jahrhundert bei.

Der Anstieg der Studierendenzahlen im 19. Jahrhundert

Erste Zahlen der amtlichen Statistik liegen aus dem Jahr 1807 für die Universitäten Heidelberg und Freiburg vor. In Heidelberg waren 432 und in Freiburg 318 Studenten immatrikuliert. Die Universität Tübingen verzeichnete 615 Studenten für das Jahr 1822. Die Zahl der Studierenden an den Universitäten Badens und Württembergs hat sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts fast beständig erhöht (siehe Abbildungen 2, 3 und 4), auch wenn nach 1830 erst einmal eine rückläufige Entwicklung begann. In der Restauration der 1830er-Jahre galten die Universitäten als Verbreiter gefährlichen aufklärerischen Gedankenguts. So waren 1830 an der Universität Tübingen 758 Studierende immatrikuliert. In Freiburg waren es 586 und in Heidelberg 887 Studenten. In den nächsten Jahren verminderten sich diese Zahlen aber beträchtlich. Dies kann auf die politische Situation in Deutschland zurückgeführt werden. Unter dem Schlagwort »Demagogenverfolgung« wurden Maßnahmen zur Unterdrückung liberaler Strömungen nach dem Wiener Kongress hauptsächlich gegen die Studentenschaft ergriffen. Nach den Mordanschlägen auf den nassauischen Minister Karl von Ibell und auf den Dichter August von Kotzebue schritten die Regierungen gegen die Demagogen ein.

Die Demagogenverfolgungen gegen viele Studenten verschärften sich nochmals nach der Julirevolution 1830 und besonders nach dem Hambacher Fest 1832 (siehe Abbildung 1). Die niedrigsten Studentenzahlen sind in Heidelberg mit 456 im Jahre 1836, in Tübingen mit 687 im Jahre 1840 und in Freiburg mit 212 im Jahre 1845 zu verzeichnen.

Die Anforderungen der industriellen Revolution erfassten auch die Studenten und die akademische Ausbildung. Zusätzliche Ausbildungsgänge wurden akademisiert und zu neuen Universitätsfakultäten, wie die naturwissenschaftliche und die staatswissenschaftliche Fakultäten. Darüber hinaus wurden sowohl in Baden als auch in Württemberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Technische Hochschulen gegründet. So entstanden in Karlsruhe und Stuttgart schnell wachsende Technische Hochschulen. Bereits 1892 waren in Stuttgart 419 und in Karlsruhe 729 Studenten eingeschrieben. Diese erhielten gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Promotionsrecht und wurden damit den Universitäten gleichgestellt, was das Ansehen der Ingenieurstudenten bedeutend verbesserte. Dadurch wurde die Möglichkeit eines Studiums auch für Bevölkerungsgruppen erschlossen, die vorher gar nicht an einen Universitätsbesuch denken konnten. Für eine zunehmende Zahl von Studenten, die durch den Universitätsbesuch den gesellschaftlichen Aufstieg anstrebten, war die Finanzierung des Studiums aber weiterhin schwierig. Ein nichtakademisches oder kleinbürgerliches Elternhaus konnte die Kosten nur schlecht aufbringen. So ist es nicht verwunderlich, dass während des gesamten 19. Jahrhunderts an der Universität Tübingen gerade einmal 48 Studenten eingeschrieben waren, die aus Arbeiterhaushalten kamen.

Frauen findet man in den Hochschulstatistiken des 19. Jahrhunderts nicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde an deutschen Universitäten allmählich auch die Immatrikulation von Frauen erlaubt. Heidelberg und Freiburg waren die ersten Universitäten in Deutschland, an denen Frauen studieren durften. Zu Beginn des Jahres 1900 machte damit die liberale Regierung Badens ihre beiden Universitäten zu Vorreitern der Frauenemanzipation in Deutschland.

Auf das gesamte 19. Jahrhundert bezogen hat sich die Zahl der Studenten in Baden und Württemberg verdreifacht. Im Vergleich zu heute sind dies aber sehr kleine Größen, denn zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es in Deutschland mehr als 300-mal so viele Studenten wie im Jahre 1800.