:: 2/2017

Kehrseite des Flächenverbrauchs: Rückgang der Landwirtschaftsfläche

Fläche wird streng genommen nicht verbraucht, sondern dauerhaft einer anderen Nutzung zugeführt. Unter »Flächenverbrauch« wird die Umwidmung von vormals naturnahen land- und forstwirtschaftlichen Flächen zu siedlungsbezogener Nutzung verstanden. Unter den Flächenkategorien ist die Landwirtschaftsfläche diejenige mit dem weitaus höchsten Anteil an der Landesfläche Baden-Württembergs. Zugleich ist sie aber, mit Ausnahme der »Flächen anderer Nutzung«1, die einzige Nutzungsart, die über Jahrzehnte eine rückläufige Entwicklung verzeichnete. Hauptursache für die stete Abnahme der Landwirtschaftsfläche ist der kontinuierliche Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche2 Aber auch von anderer Seite gerät die Landwirtschaftsfläche unter Druck.

Naturnahe Flächennutzungen mit vielfältigen Ausprägungen

Mit einem Umfang von 1 623 498 Hektar (ha; Stand 31.12.2015) bedeckt die Landwirtschaftsfläche in Baden-Württemberg einen Anteil von 45,4 % der Landesfläche gefolgt von der Waldfläche mit 1 369 976 ha (38,3 %).

Deutlich geringer sind die Flächenanteile der Gebäude- und Freifläche mit 7,8 % (278 777 ha) und der Verkehrsfläche mit 5,5 % (197 542 ha). Wasserfläche, Erholungsfläche, Flächen anderer Nutzung und Betriebsfläche kommen mit jeweils weniger als 40 000 ha (Anteile von 0,3 % bis 1,1 %) auf vergleichsweise geringe Anteile an der Landesfläche.

Innerhalb der Landwirtschaftsfläche dominieren Ackerland mit 941 044 ha bzw. 58 % und Grünland mit 625 202 ha (38,5 %). Die beiden Nutzungskategorien Gartenland (20 935 ha; 1,3 %) und Weingarten (28 551 ha; 1,8 %) haben zwar nur einen geringen Anteil an der Landwirtschaftsfläche Baden-Württembergs, stehen aber für eine deutlich höhere Flächenproduktivität3 als beispielsweise der Ackerbau. Moor, Heide und Brachland (zusammen 7 765 ha oder 0,5 %) tragen allenfalls durch extensive Beweidung und damit nur wenig zur landwirtschaftlichen Produktion bei.

Baden-Württemberg: vielfältiger Mix aus Berg, Tal und Ebenen

Eine Reise, egal ob zu Fuß, mit Rad, Auto oder Bahn, bringt die Erkenntnis, dass sich Baden-Württemberg durch eine große Vielfalt unterschiedlichster Landschaften auszeichnet. Raumschaften mit gemeinsamen Charakteristika bilden sogenannte Naturräume (siehe i-Punkt). Umgekehrt grenzen sich benachbarte Naturräume durch unterschiedliche Charakteristika voneinander ab. Namen wie Schwarzwald, Schurwald und Welzheimer Wald, Schwäbisch-Fränkische Waldberge und Odenwald beinhalten dabei schon die dort landschaftsprägende Nutzungsart, also Wald. Zusammen mit der Schwäbischen Alb sind das Landschaften mit deutlichem Mittelgebirgscharakter. Stark geneigtes Gelände, schlechtere Böden und raueres Klima erschweren dort die landwirtschaftliche Nutzung, sodass der Wald hier tendenziell einen hohen Anteil an der Gesamtfläche hat. In den Naturräumen des Schwarzwaldes liegt der Anteil des Waldes durchweg über 60 % und erreicht im Grindenschwarzwald und den Enzhöhen sogar Werte von fast 84 %.

Auch innerhalb der Landwirtschaftsfläche schlagen sich im Verhältnis Ackerland zu Grünland die geologischen Verhältnisse nieder. Im Hochschwarzwald, dem Südöstlichen Schwarzwald, dem Grindenschwarzwald und den Enzhöhen liegt der Anteil des Ackerlands zwischen 8,8 % und 19,4 %, der Anteil des Grünlands schwankt zwischen 76,1 % und 92,8 %. Ähnliche Verteilungen finden sich noch im Westallgäuer Hügelland, dort allerdings bei einem deutlich geringeren Waldanteil (27,6 %). Hier bestimmt das Grünland (93,9 %) das Bild der Landwirtschaftsfläche, Ackerland ist quasi nur eine Randnotiz. Sonderkulturen nehmen in den Naturräumen Kaiserstuhl und Stuttgarter Bucht breiten Raum ein. Am Kaiserstuhl wird die Landwirtschaftsfläche fast zur Hälfte (48,9 %) von Weingarten, in der Stuttgarter Bucht zu zwei Fünftel von Gartenland bestimmt. Allerdings handelt es sich bei diesen beiden Naturräumen mit 14 582 ha bzw. 20 735 ha Gesamtfläche um relativ eng begrenzte Gebiete.

Günstige Standortbedingungen für den Pflanzenbau fördern das Siedlungsgeschehen

Gute Böden4, moderateres Klima und flachere Landschaften entlang des Rheins, im Kraichgau, dem Neckarbecken und der Stuttgarter Bucht mit den Fildern schaffen die Voraussetzungen für intensive Formen der pflanzlichen Produktion. Demzufolge steht hier Ackerland mit Anteilswerten zwischen 55,8 % und 79,4 % an der Landwirtschaftsfläche im Vordergrund, der korrespondierende Grünlandanteil liegt umgekehrt zwischen 41,1 % und 16,6 %.

Die dort anzutreffenden guten Bedingungen für Ackerbau begünstigten bereits in historischen Zeiten menschliche Ansiedlungen, sodass schon vor knapp 150 Jahren um Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim/Heidelberg stärkere Bevölkerungsverdichtungen erkennbar waren.5 Diese Räume sind die Kristallisationspunkte für die heutigen Verdichtungsräume. Wachsende Bevölkerung benötigt in vielfältiger Weise Fläche: Fläche zum Leben, zum Arbeiten, für Mobilität und für Erholungszwecke. Bei einem knappen Gut wie Grund und Boden gehen steigende Ansprüche der einen Seite zwangsläufig immer mit einem Rückgang an anderer Seite einher.

Aus Landwirtschaftsfläche wird Siedlungs- und Verkehrsfläche, …

Der größte Teil der Landwirtschaftsfläche, der in den ersten 15 Jahren dieses Jahrhunderts einer anderen Nutzung zugeführt wurde, ging zur Siedlungs- und Verkehrsfläche. Allein in den vier Naturräumen Obere Gäue, Neckarbecken, Kraichgau und Nördliche Rheinebene wurden 13 615 ha Landwirtschaftsfläche umgewidmet, und zwar fast ausschließlich in Siedlungs- und Verkehrsfläche (12 837 ha). Damit konzentrieren sich auf die vier Naturräume rund 30 % des landesweiten Zuwachses an Siedlungs- und Verkehrsfläche und über ein Viertel der landesweiten Abnahme bei der Landwirtschaftsfläche.

Auf einen Hektar Grünland entfallen im Land 1,5 ha Ackerfläche. Landesweit beruht der Rückgang der Landwirtschaftsfläche bei 47 382 ha auf Ackerland und bei 10 765 ha auf Grünland. Damit gehen die Verluste an Landwirtschaftsfläche überproportional zu Lasten des Ackerlandes und weniger der Grünlandflächen (Verhältnis von 4,4 : 1). Hintergrund ist die Siedlungsentwicklung im Zusammenhang mit günstigen Standortbedingungen für intensive Landwirtschaft, vorzugsweise den Ackerbau. In den oben genannten Naturräumen Obere Gäue, Neckarbecken, Kraichgau und Nördliche Rheinebene liegt das Verhältnis Ackerland/Grünland bei den Verlusten an Landwirtschaftsfläche sogar bei 28 : 1, und das in Gebieten mit besten Ackerböden! Die Flächenverluste der Landwirte haben also neben der Quantität auch eine nicht zu unterschätzende qualitative Komponente.

… bei ungünstigen Standortbedingungen aber auch Wald

Grundsätzlich werden in geringem Umfang Wald- und gelegentlich auch Wasserflächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewidmet. Generell geht der Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche vor allem zu Lasten der Landwirtschaftsfläche. Dem Plus an Siedlungs- und Verkehrsfläche im Land um 44 051 ha in den Jahren 2001 bis 2015 steht ein Rückgang an Landwirtschaftsfläche um 51 419 ha gegenüber, also ein Rückgang, der die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche per saldo um 7 368 ha übersteigt. Die Landwirtschaftsfläche gerät folglich auch noch von anderer Seite unter Druck: Vormalige Landwirtschaftsfläche wurde aufgeforstet. Für den Wald ergibt sich landesweit zusammen mit den Umwandlungen aus »Flächen anderer Nutzung« (−7 402 ha) ein Zuwachs von 11 542 ha (+0,8 %). Diese Flächen bleiben damit zwar als naturnahe Areale erhalten, fallen jedoch letztendlich für die landwirtschaftliche Produktion aus.

Vormalige Landwirtschaftsfläche wird heute im Kataster mitunter auch als Wasserfläche geführt. Beim Mehr an Wasserfläche handelt es sich aber nicht zwingend um Zuwachs an Gewässeroberfläche wie zum Beispiel beim Kiesabbau. Die Gewässerverwaltung ist bestrebt, die für die Bewirtschaftung von Gewässern benötigten Flächen wie Gewässerrandstreifen oder Teile der Polderflächen, die im Rahmen des integrierten Rheinprogramms geschaffenen wurden, in ihren Besitz zu bekommen. Der Zuwachs an Wasserfläche lokalisiert sich vor allem in den Naturräumen Mittleres Oberrhein Tiefland und Nördliche Rheinebene mit 526 ha bzw. 814 ha. Das sind rund 40 % der landesweiten Zunahme an Wasserfläche (3 411 ha) im Zeitraum 2001/2015.

1 Für den Rückgang der »Flächen anderer Nutzung« – dahinter verbergen sich unter anderem Übungsgelände (910) und Schutzfläche (920) – gibt es im Wesentlichen zwei Ursachen. Im Bereich Übungsgelände wurde ein Teil des Rückgangs durch die Auflösung von Militärstandorten verursacht. Die zweite und gravierendere Ursache ist die Umstellung des Liegenschaftskatasters von ALB (Automatisiertes Liegenschaftsbuch) auf ALKIS (Automatisiertes Liegenschaftskatasterinformationssystem) und damit methodisch bedingt. Denn ein Großteil der betroffenen Flächen wurde deshalb im Vorfeld der Umstellung ge­mäß ihrer tatsächlichen Bodennutzung überwiegend der Landwirtschafts- oder der Waldfläche zugeordnet. Vergleiche auch Wöllper , Frank: »Flächenerhebung mit neuer Datengrundlage – Nachwirkungen der »ALKIS-Umstellung««, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2016«, S. 31.

2 Siedlungs- und Verkehrsfläche: Summe aus Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche ohne Abbauland, Erholungsfläche, Verkehrsfläche und Friedhof.

3 Der Begriff Flächenproduktivität misst in der Landwirtschaft das Verhältnis zwischen Erträgen bzw. Umsätzen und den eingesetzten Flächen.

4 Beurteilungsmaßstab für die Bodengüte ist die Ertragsmesszahl (EMZ) aus der Bodenschätzung mit Werten zwischen 7 und 100.

5 Brachat-Schwarz, Werner: »Baden-Württemberg – das Land der kleinen und mittleren Gemeinden?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 4/2016«, S. 3 und 7.